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Ausgangslage
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›Intertextualität‹, die Vernetztheit von Texten, hat es schon immer gegeben. Doch erst im Jahre 1967 fand die Semiotikerin Kristeva hierfür einen Namen und stieß damit zunächst in der Literaturtheorie eine Welle von wissenschaftlichen Bezugnahmen auf diesen Terminus an, die, unter Beteiligung immer weiterer Disziplinen, noch immer nicht abebbt.
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Neben allen bemerkenswerten Erkenntnisfortschritten auf diesem Gebiet muss leider auch konstatiert werden, dass auf Grund der mitunter äußerst unterschiedlichen ›Intertextualitätslager‹ heute wohl kaum noch jemand spontan eine befriedigende Antwort darauf geben kann, was ›Intertextualität‹ denn nun sei. Dies liegt zum einen daran, dass es keinen Konsens gibt, was denn unter ›Text‹ zu subsumieren ist; zum anderen hat die Intertextualitätsforschung längst den manchmal sehr engen Rahmen der Literaturwissenschaft verlassen, um sich zum Beispiel medientheoretischen Erwägungen zu öffnen.
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Die Literaturdidaktik (und in noch viel stärkerem Maße die Methodik) versucht seit einiger Zeit, auch an diese hochkomplexen theoretischen Konzeptionen Anschluss zu finden. Einen hervorragenden Überblick, auch über die damit verbundenen Problematiken, liefert Härle.
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Ziel und Adressat
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Ebenso wie Härle spricht auch Buß explizit von ›Herausforderung‹. Doch schon im Titel wird deutlich, dass Buß sich nicht in erster Linie an Fachwissenschaftler/innen und -didaktiker/innen, sondern vornehmlich an Lehrer/innen wendet.
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Der Klappentext schließlich lässt besonders aufhorchen: Buß fokussiert (auch) diejenigen schulischen Leser, »die nicht über hinreichende Vorbildung verfügen, um am Spiel [gemeint ist das ›intertextuelle Spiel‹]« teilzunehmen. Damit scheint mit Buß (endlich) mal wieder eine Wissenschaftlerin das ansonsten übliche didaktische Terrain – gymnasial fundierte und orientierte Konzeptionen – in mutiger Art und Weise zu überschreiten.
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Im Vorwort klingt an, dass die Verfasserin sich auf ein sehr eingeschränktes Verständnis von Intertextualität stützt: die »Bezugnahme eines (literarischen) Textes auf andere (literarische) Texte« (S. 13). Wenig später (S. 24 f.) unterstreicht sie, dass sie sich an den so genannten engen Textbegriff anlehnt und nicht-sprachliche Zeichensysteme ausschließt. Durch dieses legitime, wenn auch recht traditionelle Verständnis von Intertextualität beraubt sie sich bestimmter intertextuell orientierter Didaktisierungschancen, die sich durch das ausgewiesene Textbeispiel im Untertitel geradezu aufzwängen (Verfilmung von Das Parfum durch Tom Tykwer!
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). Denn eine ebenso legitime Ausweitung des Textbegriffs hat in didaktischer Hinsicht den Vorteil, in besonders geeigneter Weise der heutigen ›Bildungsproblematik‹ von Schüler/inne/n und Schülern adäquat begegnen zu können (vgl. hierzu Olsen
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).
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Dem ungeachtet zeigt Buß noch einmal überzeugend auf, dass auch die in dieser Qualifikationsarbeit fokussierte Intertextualität ein Bereich ist, der bisher in der Literaturdidaktik vernachlässigt wurde. Doch darüber hinaus problematisiert sie überzeugend die Legitimation ihrer Arbeit vor dem PISA-Hintergrund: Obwohl bekanntlich basale Lesefähigkeiten bei Schüler/inne/n vermisst werden, behauptet Buß, dass die von ihr aufgezeigte Lektüretechnik eben auch solche Teilfähigkeiten schule, die für die oben angesprochenen Fähigkeiten von Bedeutung sind.
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Intertextualitätsbegriffe und Systematisierungsversuche
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Buß referiert den Entstehungszusammenhang des Begriffes Intertextualität auf eine interessante, überaus lesenswerte Weise.
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Hervorzuheben ist allerdings, dass sie eines der wichtigsten Kristeva’schen Postulate – die Belanglosigkeit der so genannten ›Autorintention‹ – in ihrer Arbeit immer wieder bewusst in den Hintergrund treten lässt. So unterstreicht sie, allerdings ohne Begründung, dass sie lediglich markierte und vom Autor intendierte Intertextualität in den Blick nehmen wolle (vgl. S. 39). Und obwohl sie wenig später die Nähe zur Autorintention selbst als problematisch veranschlagt, macht sie unter anderem auf den S. 40, 63 und 87 wiederum deutlich, dass sie diese Nähe präferiert.
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Mit dieser Perspektivierung beraubt sie sich rezeptionsästhetischer Potenziale,
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die sie jedoch selbst, zumindest implizit (vgl. den Klappentext), veranschlagt. Buß versucht zwar hin und wieder, ihre Haltung argumentativ abzuschwächen, doch es wird deutlich, dass die Leistung des Autors herausgestrichen werden soll. Dadurch werden unzweifelhaft wieder einmal die bekannten Japp’schen Thesen (L’Auteur est mort. Vive l’auteur)
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fundamentiert.
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Die in methodischer Hinsicht begrüßenswerte pragmatische Orientierung Buß’ schlägt sich in folgerichtiger Weise in einer vom heuristischen Standpunkt getragenen Verwerfung des universalistischen Kristeva’schen Konzeptes nieder, so dass sie im Sinne einer applied intertextuality über Lachmann
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und Broich & Pfister
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schließlich zu Holthuis
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und Rößler
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, also zu kompetenzorientierten Modellen, gelangt.
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Damit erschafft Buß eine hervorragende theoretische Fundamentierung, die Intertextualität als funktionales (vgl. S. 48) Lektüremerkmal auffasst und dementsprechend die (an Kompetenzen orientierte) Rolle des Lesers in der diesbezüglichen Forschung perspektiviert. Ihr in diesem Zusammenhang angefügtes Plädoyer, »an die Stelle unproduktiver Grabenkämpfe eine pragmatische Orientierung« (S. 29) anzustreben, die »die Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Konzeptionen an konkreten Texten demonstriert« (ebenda), sollte zukünftig noch stärker Beachtung finden.
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Das Lektüremerkmal beziehungsweise die ›intertextuelle Lektüre‹ beschreibt sie als einen Rezeptionsmodus, »bei dem ein intertextuell konstituierter Posttext im Vordergrund steht und der sich empfänglich für und interessiert an in ihm enthaltenen Text-Text-Beziehungen zeigt« (S. 35). Diese Definition ist schwerlich kompatibel mit der oben angerissenen Schülerschaft: Was ist mit nicht-interessierten und schwer-empfänglichen Schüler/inne/n?
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Ihre Definition liefert eher eine aufbaufähige Diskussionsgrundlage für die noch nicht theoretisch ausgearbeitete ›intertextuelle Rezeptionskompetenz‹, also für eine Zielorientierung. Die bloße Lektüre als Handlung muss – didaktisch betrachtet – nicht unbedingt ein Interesse voraussetzen (auch wenn dies natürlich wenig schadet), sondern kann dieses im besten Falle initiieren.
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Schwer nachvollziehbar ist, dass Buß die ›intertextuelle Lektüre‹ in einen engen (leider von ihr nicht begründeten) Zusammenhang zum ›textnahen Lesen‹ bringt. Diese bekannte literaturdidaktische Konzeption (vgl. zum Beispiel Paefgen
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) fokussiert zwar in ähnlicher Weise die sprachliche Seite von Texten, kann jedoch weder didaktisch noch methodisch verglichen werden.
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Hier scheint eine Schwäche der Arbeit auf, die im Fortgang immer stärker offensichtlich wird. Zum Beispiel stellt Buß bei der Diskussion um das Helbig’sche Skalierungsschema (nach Markierungsintensität, vgl. Helbig
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) richtigerweise fest, dass die so genannte ›Nullstufe‹ wohl am höchsten zu beurteilen ist, da sie besondere Anforderungen an den Leser stelle. Problematisch ist weniger ihre Ausgrenzung dieser Stufe, sondern vielmehr die Nicht-Begründung der Ausgrenzung. Denkbar wäre hier zum Beispiel eine mangelnde Operationalisierbarkeit.
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Und ihre ›Autorennähe‹ erreicht einen sonderbaren Höhepunkt, wenn sie schreibt: »Der auf diese Weise erzeugte Bruch in der Rezeption soll es auch Rezipienten ohne hinreichende literarische Vorkenntnisse erleichtern, einen intertextuellen Verweis zu erkennen« (S. 46). Zum einen ist es wenig weiterführend, derart arbeitenden Autoren eine in didaktischer Hinsicht ›löbliche‹ Schreibweise zu unterstellen, zum anderen ist diese Behauptung per se zu bezweifeln: Wenn Mephisto (beziehungsweise eine typische Äußerung dieser Figur) in den Buddenbrooks auftauchte, nützte dies einem wenig literarisch gebildeten Leser nichts, sondern erschwerte ihm im Gegenteil wohl eher noch die Lektüre.
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Eine fruchtbare Orientierung am Rezipienten zeigt Buß endlich in ihrer Kritik an den Funktionsmodellen von Schulte-Middelich
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und Stocker
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. Ihr ist zuzustimmen, dass derartige idealtypische Modelle eben nicht gestört würden durch die unberechenbare Größe ›Rezipient‹ (vgl. S. 55). Und auch ihre Entscheidung, in methodischer Hinsicht bewusst eklektizistisch vorzugehen, überzeugt vor diesem Hintergrund. Doch das bloße Erkennen und (theoretische) Entscheiden nützt vor allem der Literaturdidaktik nur wenig – und noch weniger den in der Schule tätigen Lehrer/inne/n.
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Folgerungen für den schulischen Umgang
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Buß beabsichtigt, nach dem theoretischen Aufriss didaktische Erwägungen abzuleiten. Wie oben schon angedeutet, scheint sie jedoch ›Didaktik‹ generell etwas zu unterschätzen beziehungsweise auf das ihr innewohnende Teilgebiet ›Methodik‹ zu reduzieren. Dieses Kapitel birgt in erster Linie Allgemeinplätze und wenig durchdachte Postulate.
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Dem Literaturunterricht rät sie – erneut ohne überzeugende Begründung –, auf jegliche Hereinnahme intertextueller Theorien zu verzichten. Dem ist (nicht nur) aus Gründen einer Wissenschaftspropädeutik entgegenzuhalten, dass prinzipiell jedes Bildungsgut in einer didaktisch reduzierten Form im schulischen Unterricht (aller Schularten!) thematisiert werden kann und sollte. Buß spricht nämlich auch explizit von ›Leistungskursen‹ an Gymnasien (und verliert einmal mehr die Schülerschaft aus den Augen, die sie, wie schon mehrfach hervorgehoben, im Klappentext ausweist).
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Mutig und innovativ ist ihr Vorschlag, Bloom
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in den Unterricht einzubeziehen. Ebenso wichtig, wenn auch hinlänglich bekannt, ist ihr kritischer Hinweis auf die so genannte ›Abbilddidaktik‹.
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Vom Verstehen intertextueller Sinndimensionen
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In diesem Abschnitt zeigt Buß wichtige Voraussetzungen für die vorliegende Arbeit auf. Auch hier mischen sich erneut traditionelle und postmoderne mit fachdidaktischen Überlegungen derart, dass nicht immer überzeugende Ergebnisse hervortreten. Buß erkennt bestimmte Problematiken zwar immer wieder selbst (»will man sich nicht den Vorwurf eines naiven, längst überholten Textverständnisses einhandeln«, S. 64), schafft es aber selten, einen eigenen, fundamentierten Standpunkt zu vertreten.
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Ihre Behauptung, dass intertextuelle Einschreibungen prinzipiell bewusst erteilte (autorenseitige) Angebote seien, mag stimmen – ist aber innerhalb des ausgewiesenen Erkenntnisinteresses nicht von Belang. Die Folge des Rekurrierens auf den Autor erscheint leider eher dazu geeignet, bestimmte Dimensionen eines Kommunikationszusammenhanges auszublenden und fragwürdige schulische Umgangsweisen mit Literatur wiederzubeleben.
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Mutig und für den Bereich schulischer Leseprozesse mindestens diskussionswürdig ist ihre klare und überzeugende Infragestellung vornehmlich hermeneutischer Anschauungen (hier am Beispiel von Schleiermacher
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und am Dekonstruktivismus). Buß übersieht jedoch den äußerst sinnvollen Einfluss des Dekonstruktivismus’ auf die Literaturdidaktik (hier: die so genannte ›zweite Lektüre‹ im Sinne von Fingerhut
17
). Und auch trotz einer Anlehnung an traditionell-hermeneutische Überlegungen wäre es für Literaturdidaktiker/innen von Vorteil, wenn sie sich endlich für die These öffneten, dass auch ein Nicht-Verstehen / eine Verunsicherung eine Qualität literarischer Leseprozesse sein kann.
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Hier hilft auch nicht der prinzipiell richtige und wertvolle Hinweis, dass für das Verstehen im schulischen Rahmen andere Kriterien angebracht seien.
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Buß bezieht sich stark auf Eco – hier insbesondere auf die Bedeutung der Freilegung der intentio operis – und befürwortet ebenso wie er, dass der Autor keinen privilegierten Zugang zu seinem Text habe (wenngleich sie, wie schon mehrfach gesehen wurde, diese Anlehnung immer wieder ›vergisst‹). Und ihre Kritik, dass dieser Aspekt (wie auch die so genannte ›Polyvalenz-Konvention‹) kaum Eingang in die Schulen gefunden hat, kann jeder bestätigen, der regelmäßig im Literaturunterricht hospitiert.
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In diesem Punkt konnte und kann auch der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht, wie Buß mit Bezug auf Kämper-van den Boogaart explizit herausstreicht, keine Abhilfe verschaffen.
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Nach einer langen, etwas umständlichen Auseinandersetzung mit kognitiven Modellen von Textverstehensprozessen kommt Buß zum Ergebnis, dass bei Schüler/inne/n nicht ohne Weiteres von einem Eintreffen dieser Phänomene (authentische intertextuelle Lektüreprozesse) auszugehen ist. Diese realistische Einschätzung ist meines Erachtens außerordentlich wichtig, da erst aus dieser Perspektive heraus didaktische Modellierungen möglich und sinnvoll sind. Doch leider wendet Buß die Blickrichtung (»Dennoch sei im Folgenden ein Blick auf diese ›Ausnahmefälle‹ gestattet«, S. 83). Dies wäre so schlimm nicht, wenn Buß anschließend wieder den Regelfall in den Blick genommen hätte, um eine handhabbare Didaktisierung zu wagen.
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Der Prozess der intertextuellen Bedeutungskonstitution
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Die Verfasserin umreißt in diesem Kapitel zunächst einen idealtypischen Fall intertextueller Lektüre. Sehr fragwürdig erscheint hier ihre Gleichsetzung von ›idealtypisch‹ mit ›reibungslos‹: Kann und sollte ›Reibungslosigkeit‹ eine erstrebenswerte Qualität literarischer Lektüreprozesse sein?
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In eine ähnliche Richtung gehen ihre Ausführungen zur ›idealtypischen Produzententätigkeit/Textgestaltung‹: Welchen Wert hat eine ›mustergültige Markierung von Intertextualität‹?
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Bei der Schaffung ihres ›Ideallesers‹ grenzt sie den empirischen Leser explizit aus. Dies ist sehr bedauerlich, da ihre diesbezügliche Begründung auch nicht überzeugt und sie für dieses unberührte Forschungsfeld leider keine weiterführenden Vorschläge unterbreitet.
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Auch ihr Versuch, die Plett’sche Dreischrittigkeit (Desintegration, Verifikation, Reintegration
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) auszudifferenzieren, um Konstituierungsprobleme zu erforschen, ist ohne einen empirischen Bezug wenig Gewinn bringend.
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Ebenso verhält es sich mit ihrer Typologie möglicher Fehlerquellen bei der Bedeutungskonstitution: Der »artifizielle« (S. 95) und leider auch defizitorientierte Charakter ihrer Überlegungen soll an einem konkreten Lektürebeispiel veranschaulicht werden. Die Bezüge zu Fontanes Effi Briest sind überaus interessant und weiterführend, doch hätte es der Gesamtkonzeption der Arbeit gut getan, wenn (endlich) Das Parfum thematisiert worden wäre. Ihr Zwischenergebnis, dass einem nicht-intertextualisierenden Leser bestimmte Einblicke verwehrt werden, ist wenig überraschend.
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[38]
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Letztlich resümiert sie dennoch mit überzeugenden Begründungen, dass »aus didaktischer Sicht […] einiges dagegen zu sprechen [scheint], im Literaturunterricht Zeit und Mühen auf die Erarbeitung von Text-Text-Beziehungen zu verwenden« (S. 113). Vor dem Hintergrund literarästhetischer und didaktischer Konventionen ist allerdings kaum nachzuvollziehen, dass sie schwach markierte Einschreibungen als ›Textschikanen‹ des Autors bewertet: Da es hier doch nicht um Sachtexte geht, ist jegliche (autorenseitige) ›Schikane‹ doch zunächst einmal als positiv zu bewerten.
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[39]
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Schließlich stellt Buß sechs didaktisch-methodische Phasen beziehungsweise Stufen vor,
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in denen unterrichtsrelevante Aspekte angerissen werden.
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Das Parfum und die Intertextualität
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Buß wirft die Frage auf, wie die Fachdidaktik, die sich dem postmodernen, schulkanonischen Roman Das Parfum – der ja bekanntlich einen hohen Grad an Intertextualität aufweist – zuwendet, mit diesem Phänomen umgeht.
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Auf den Seiten 124 ff. stellt die Verfasserin eine Vielzahl von für (hoch)schulische Zwecke ausgesprochen hilfreichen Tabellen zusammen: Es handelt sich um Übersichten über die als Prätexte beziehungsweise Prätextsysteme ausgemachten Werke, Autoren und Genres nebst einer Zuordnung von Beiträgen des Feuilletons und fachwissenschaftlicher Publikationsorgane sowie Interpretationen, die für Schüler/innen und Lehrer/innen verfasst wurden. Sie zeigen nicht nur noch einmal auf, welch eine intertextuelle Vielfalt dem Roman zugesprochen wird, sondern bieten darüber hinaus ein kleines – wenn auch natürlich unvollständiges – Nachschlagewerk für einen klar umrissenen Zeitraum.
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Buß liefert mit zwei detaillierten Analysen (unter anderem zum berühmten Romaneingang) aus literaturwissenschaftlicher Sicht sehr interessante, feinsinnige, streckenweise wirkungsästhetische Ergebnisse.
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[44]
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Vom literaturdidaktischen Standpunkt aus sind ihre Ausführungen jedoch weniger brauchbar. Sie diskutiert hier Textstellen mit einem äußerst geringen Grad an Markierung (und einer immer noch ungesicherten Quellenlage) – obwohl sie oben ›versprochen‹ hat, lediglich Fälle mit einem hohen Markierungsgrad in den Blick zu nehmen – und kommt erwartungsgemäß zu folgendem Ergebnis: »große Herausforderungen an die Allusionskompetenz des Lesers« (S. 134), den sie explizit als ›belesen‹ veranschlagt.
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[45]
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Dieselbe Beobachtung lässt sich wenig später machen, wenn sie auf drei bedeutsame Prätexte (Zarathustra; Genesis; Mondnacht) zu sprechen kommt. Buß nimmt in hervorragender literaturwissenschaftlicher Weise immer wieder Bezug auf intertextuell-theoretische Ansätze, um ausgewählte Aspekte (insbesondere Erzähltechniken) näher zu beleuchten. Doch bei dieser Herangehensweise darf eine literaturdidaktische Arbeit nicht stehen bleiben: Es fehlt eine funktional eingebettete Rezipientenorientierung, die sie vorher immer wieder im Sinne des ausgewiesenen Erkenntnisinteresses hervorgehoben hat.
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[46]
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Die folgenden Kapitel zu Systemreferenzen und Gattungszitaten sind sehr knapp. Buß reißt interessante Aspekte – zum Beispiel die Problematisierung des Terminus ›Postmoderne‹ – lediglich an.
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Schlussfolgernd wirft die Verfasserin die Frage auf, »ob sich eine intertextuelle Lektüre des Romans mit Schülern aus didaktischer Sicht als sinnvoll und realisierbar erweist« (S. 165). Zur Beantwortung operiert sie mitunter oberflächlich und streckenweise auch sachlich schief mit bekannten didaktischen Wendungen wie ›textnaher Lektüre‹, ›exemplarischem Lernen‹, ›didaktischer Reduktion‹ und ›entdeckendem Lernen‹. Diese didaktischen Vorschläge verstehen sich in schulischen Zusammenhängen von selbst und bedürfen keiner expliziten Ausweisung. Hier wäre es notwendig, zum Beispiel diese allgemein- und fachdidaktischen Postulate hinsichtlich des Phänomens Intertextualität auszudifferenzieren. Somit bleibt der literaturdidaktisch interessierte Leser unbefriedigt zurück.
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Das Parfum, die Intertextualität und die Fachdidaktik
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Obwohl auch im vorherigen Kapitel die Didaktik gestreift wird, widmet Buß sich nun erst analytisch den didaktischen Beiträgen zu Das Parfum. Ihre Auswahl fällt auf 29 Texte, die im Zeitraum von 1987 bis 2003 publiziert worden sind.
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Die Verfasserin arbeitet hier eine überaus bedenkenswerte Kritik heraus, die meines Erachtens, in analoger Weise, stellvertretend für das Gros literaturdidaktischer Publikationen (jeglicher Thematik) stehen kann:
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• Einzeltextreferenzen sind vorherrschend
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• deutlicher Bezug zum empirischen Autor
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• kaum theoretische Vorverständigungen über die Spezifika der intertextuellen Lektüre
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• kein Zusammenhang zwischen Ausführlichkeit und Qualität
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• kaum Bezüge zur Gattungskomplexität
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• einige Literaturdidaktiker scheinen das Phänomen Intertextualität selbst nicht umfassend zu verstehen
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• Intertextualitätsforschung wird oft in unzulässiger Weise mit Motivforschung gleichgesetzt
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• didaktisch geplante Prätext-Erwerbsprozesse werden kaum in Betracht gezogen
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• Prätextidentifikation wird von den Lehrer/inne/n übernommen
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• nur vereinzelt Aufgaben mit minimaler Hilfestellung
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• zu wenig produktionsorientierte Aufgabenstellungen
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• Funktionalität von Intertextualität wird kaum thematisiert
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Buß weist schließlich – dies wurde in der Wissenschaft bisher stark vernachlässigt – Intertextualität als eine ästhetische Größe aus.
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Leider unterbreitet sie keinen einzigen Vorschlag, was denn ihrer Auffassung nach einen ›guten‹, am Phänomen Intertextualität orientierten Literaturunterricht ausmache. Derartige Ausführungen kann und sollte man nicht generell in didaktischen Qualifikationsarbeiten erwarten – in dieser speziell ausgewiesenen jedoch schon.
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Intertextuelle Lektüren im Literaturunterricht stellen – dies hat Buß deutlich zeigen können – eine große Herausforderung dar: für die Lehrer/innen und auch für die Schüler/innen des Gymnasiums. Nach dem hier ausgewiesenen Textverständnis (›enger Textbegriff‹) sind und bleiben sie eine Unmöglichkeit für ›lernverlangsamte‹ Schüler/innen. Buß hätte an dem von ihr aufgezeigten komplementären Typus (nach Holthuis) ansetzen können, um einen wichtigen didaktischen Schritt zu gehen.
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Die Bourdieu’sche Vermutung, dass Mitglieder kulturaffiner Milieus bessere Voraussetzungen besitzen, und die Buß’sche Frage, ob diese Ungleichheiten durch eine voraussetzungsreiche Lektüre noch verstärkt werden, müssen bestätigt beziehungsweise bejahend beantwortet werden.
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Die Literaturdidaktik im Allgemeinen hat es eben immer noch nicht gewagt, den Habitus ›allumfassend gebildeter Rezipient‹ (vgl. etwa die S. 146, 181) zu hinterfragen und neue Leitvorstellungen zu entwickeln.
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