Albert über Weilnböck: "Was die Wange röthet, kann nich übel seyn""

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Claudia Albert

Eine "radikalpoetische Lebensform"?

Kurzrezension zu
  • Harald Weilnböck: "Was die Wange röthet, kann nicht übel seyn". Die Beziehungsanalyse der Entfremdung bei Hölderlin und Heidegger. (Freiburger Literaturpsychologische Studien, Band 6). Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. 446 S. Kart. DM 98,-.
    ISBN 3-8260-1697-1.


Von Beginn der Hölderlin-Philologie an hat die >Krankheit< des Autors das Interesse der Literaturwissenschaft angeregt: >Wahnsinn< und poetischer Rang, besonders im Spätwerk aufgesucht, verbanden sich zum Modell einer "radikalpoetische[n] Lebensform, die zugleich herbeigewünscht und gefürchtet wird" 1. Poststrukturalistisch inspirierte Arbeiten wie die von Bart Philipsen nahmen diesen Impuls auf und radikalisierten ihn bis zur grundlegenden Infragestellung von Sinnbildung generell: "Scardanellis hermeneutisches Endspiel" 2 wurde zum Medium jener "unlösbare[n] Rätselhaftigkeit, jene[r] Introvertiertheit des Textes" 3, die von Adorno bis Derrida den Reiz der Literatur (und des Deutungsprozesses) ausmacht.

Weilnböcks Arbeit, die auf eine PhD-Thesis an der University of California in Los Angeles zurückgeht, teilt mit dieser Forschungstradition das Interesse an den Grenzen der Sprache; sie situiert diese aber nicht in einem originären Mangel allen Sprechens, sondern in den Kommunikationsformen der Textfiguren miteinander und in dem Rezeptionsangebot, das so an den Leser ergeht. Als solcher wird auch der Literaturwissenschaftler verstanden, und Weilnböcks Ansatz hat schon insofern große Plausibilität als die Hölderlinforschung selbst der beste Beleg für die Kommunikationsverweigerung in den Texten Hölderlins ist. Heideggers Lektüre von Germanien bietet daher die Probe aufs Exempel der zuvor an dieser Hymne wie an Empedokles und Hyperion angestellten Beobachtungen. (Mit 40 von insgesamt 400 Seiten Haupttext ist Heidegger, dem im entsprechenden Kapitel auch noch de Man und Adorno zugesellt werden, allerdings nicht so präsent, dass seine Nennung im Untertitel vollauf gerechtfertigt wäre!)

Beziehungsanalyse und Objektverhältnis-Theorie

Um der Psychologisierung des Autors und seiner Figuren (vgl. S.67) ebenso zu entgehen wie einer puren Rekonstruktion des Nicht-Kommunikablen, bedient sich Weilnböck einer Methode, die in der deutschen Literaturwissenschaft noch wenig erprobt wurde, der Beziehungsanalyse. Über die eventuelle Differenzierung oder Hierarchisierung der beiden Begriffe >Beziehungsanalyse< und >Objektverhältnis-Theorie< ist bei der Lektüre keine letztgültige Klarheit zu gewinnen. Zumeist treten beide gemeinsam auf; für die Untersuchung literarischer Texte (und den Untertitel des Buches) scheint die >Beziehungsanalyse< wichtiger.

Aus der amerikanischen Gegenposition zur unhistorischen freudianischen Orthodoxie entstanden, interessiert sie sich für Umgangsformen zwischen Individuen; der >one-body-psychology< setzt sie einen komplexen Blick auf die verschiedensten Arten von (Nicht)-Kommunikation entgegen. Ein Konzept wie >Narzißmus< (vgl. S.55ff.) löst sich so in eine Fülle von z. T. widersprüchlichen Verhaltensweisen und Sprechakten auf. Dem therapeutischen Ansatz der Theorie entsprechend, zielt sie auf Entwicklung und Steigerung des Beziehungsrepertoires der Patienten. >Reichhaltigkeit< ist so auch der kritische Maßstab, den Weilnböck an die Kommunikationsformen in / von Hölderlins Texten anlegt, und es sei gleich verraten, dass der Befund niederschmetternd ist: Vom >double-bind< über solipsistisches Sprechen bis zur Unfähigkeit, frei zu sein, liest sich Hölderlins Werk geradezu als Lehrbuch der (Selbst-) Entfremdung. Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob nicht alle Literatur ihr Motiv- und Figurenrepertoire wie auch die Möglichkeit von Konflikten aus solcher Beziehungsverweigerung gewinnt. Jedenfalls fielen mir kaum Texte ein, deren Protagonisten dem Anspruch auf Reichhaltigkeit ihrer Beziehungen genügen würden! Oder wäre hier die Grenze zur >Trivialliteratur<?

Ethos versus Pathos

Wie zahlreiche resümierende und bilanzierende Passagen erkennen lassen, ist sich Weilnböck der Problematik seiner Übertragung eines psychotherapeutischen Ansatzes auf die Ebene der Textanalyse durchaus bewusst. Verbindungen entstehen dadurch, dass zum einen Therapie auch Analyse von Texten / Narrationen ist, zum anderen aber durch den Begriff der >Rezeptionssteuerung< (etwa S.69 u. 123ff.). Und sie vollzieht sich sehr viel weniger auf der Ebene der "textlichen Ideologeme und Philosopheme" mit ihrer "explizite[n] Programmatik" (S.48) als auf derjenigen eines eklatanten, bisher aber nur wenig wahrgenommenen Widerspruchs: Wie passt das "naturphilosophische und pädagogische Ethos" zur "suizidale[n] Laufbahn" des Empedokles, zu seinem "charismatisch-jähzornigen Populismus und zur idiosynkratisch-unduldsamen Lehre" (S.48)?

Weilnböck nimmt hier sprachliche Gewaltpotentiale in den Blick, die sowohl der philosophisch als auch der poststrukturalistisch orientierten Literaturwissenschaft entgangen sind, da sie sich entweder auf das explizit Gesagte 4 oder auf das Nichtsagbare konzentrierte, die Produktions- und Präsentationsformen von >Pantheismus<, >Poesie<, >Natur<, >Liebe<, >Freundschaft< aber nur wenig in den Blick nahm. Daraus erklärt sich auch der inzwischen geradezu erstaunliche Befund, dass Arbeiten über das Geschlechterverhältnis oder Opfer-Täter-Strukturen in Hölderlins Texten kaum vorliegen 5. Weilnböcks gelegentlich etwas langatmige >close readings< fördern zutage, was sich an der Hölderlin-Rezeption in aller Deutlichkeit ablesen lässt: Zwischen "All-Einheit" und "Allein-heit" (S.153) spannt sich ein Spektrum selbstbezüglicher Überbietungsformeln, durch die der Sprecher sich vor allem seiner eigenen Auserwähltheit versichert. Sie wird bestätigt durch die subtilen Verbindungen zwischen Narzissmus und latenter Homosexualität sowie deren Verknüpfung in "einer systematischen Erfahrung von symbiotischer Beschlagnahmung, Verständnislosigkeit und Verletzung". (S.169)

Auch die zahlreichen paradoxen Wortfügungen Hölderlins wie >traurigfroh< oder >freudigfromm< (S.284) werden so als Versuche "leidensaristokratische[r] Überhöhung" (S.282) erkennbar. Ein ähnlicher Befund ergibt sich für die "häufig anthropomorph aufgefasste Naturwelt" von Hölderlins Figuren (S.295), deren Faszination für das Fliegen, Springen oder Ertrinken als Indiz "einer grandiosen Übermacht des Selbst" (S.294) gelesen werden kann. Die syntaktisch-stilistische Analyse des letzten Satzes von Empedokles' Vermächtnis (S.328ff.) belegt, dass auch die Mikrostruktur der oft überaus komplexen Sätze das Spannungsverhältnis zwischen dem Ethos der Gleichheit (hier von Menschen und Göttern) und dem Pathos der Selbstermächtigung abbildet 6. Empedokles erscheint so nicht mehr als Priester, Stifter oder gar Gründer eines demokratischen Staatswesens, sondern als seinerseits "hilfloser Helfer" (S.328), dessen Selbstmord keinerlei emanzipatorische Tendenz innewohnt.

Nationalistische Potentiale?

Es überrascht nicht, dass die Arbeit in Heideggers Hölderlin-Lektüre von 1934 / 5 die textimmanente "Beziehungsdynamik der Berührungs- und Affektabwehr [...] und des missionarischen Impulses nach außen" (S.361) wiedererkennt. Jede Rezeptionsgeschichte Hölderlins wird die Verwandtschaft zwischen dem Todespathos seiner Texte und national(sozial)istischer Gemeinschafts- und Kampfrhetorik zur Kenntnis nehmen müssen 7 . Erstaunlicher ist es, dass auch >von links< argumentierende Interpreten wie Paul de Man und Theodor W. Adorno insbesondere auf jene Rezeptionsangebote des Textes reagieren, die nach Weilnböck als Kommunikationsverweigerung mit suizidaler Tendenz fungieren. Vielleicht stellt ja Hölderlins Sprach- und Figurengestaltung, zwischen "Abwehraffekt und Verschmelzungsneigung" (S.378) changierend, auch ein Identifikationspotential für moderne Intellektuelle dar? Die aktuelle Konjunktur melancholischer Denk- und Beziehungsstile wäre ein Schutzschild vor jedem "ungeschützten Wirklichkeitskontakt" mit der Gefahr "konfliktreiche[r] und subjektiv bedrohliche[r] Interaktionen" (S.365) 8 .

Unabhängig von der Bedeutung dieser These für die literaturwissenschaftliche Analyse >falscher< oder >vereinnahmender< Rezeptionsweisen hat sie auch erhebliche Konsequenzen für das nach wie vor akute Projekt >Vergangenheitsbewältigung< (S.424ff.): Wer auf diesem Feld etwas bewirken will, wird sich sehr viel mehr den manifesten und latenten Formen des Umgangs miteinander als der expliziten Vermittlung von Werten widmen müssen. Dies ist auch als Herausforderung an die >Publikumsbeziehung< und >wissenschaftsbetriebliche Vermittlung< germanistischer Qualifikationsarbeiten zu sehen (vgl. S.436)!


Prof. Dr. Claudia Albert
Freie Universität Berlin
Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
Habelschwerdter Allee 45
D-14195 Berlin

Ins Netz gestellt am 07.08.2001
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Anmerkungen

1 Henning Bothe: >Ein Zeichen sind wir, deutungslos<. Die Rezeption Hölderlins von ihren Anfängen bis zu Stefan George. Stuttgart: Metzler 1992, S. 29.   zurück

2 Bart Philipsen: Die List der Einfalt. Nachlese zu Hölderlins spätester Dichtung. München: Fink 1995, S. 46.   zurück

3 Ebd., S. 193.   zurück

4 Vgl. die zahlreichen Beiträge von Dieter Henrich, Jochen Schmidt, Friedrich Strack und Gerhard Kurz.   zurück

5 Eine frühe Vorläuferin ist Marlies Janz: Hölderlins Flamme. Zur Bildwerdung der Frau im Hyperion. In: Hölderlin-Jahrbuch 22 (1980/1), S. 122-142. Vgl. auch Claudia Albert: Allharmonie und Schweigen – musikalische Motive in Hölderlins Hyperion. In: Hansjörg Bay (Hg.): Hyperion – terra incognita.. Expeditionen in Hölderlins Roman. Opladen / Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998, S. 161-175.   zurück

6 Vgl. zur Grammatik Hölderlins Herta Schwarz: Vom Strom der Sprache. Schreibart und >Tonart< in Hölderlins Donau-Hymnen. Stuttgart / Weimar: Metzler 1994.   zurück

7 Vgl. meine entsprechenden Untersuchungen in C. A. (Hg.): Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus. Schiller, Kleist, Hölderlin. Stuttgart: Metzler 1994, S. 189-235.   zurück

8 Vgl. Ludger Heidbrink (Hg.): Entzauberte Zeit. Der melancholische Geist der Moderne. München: Hanser 1997 sowie den prototypischen Titel von Anselm Haverkamp: Laub voll Trauer. Hölderlins späte Allegorie. München: Fink 1991.   zurück