Albert über O'Dochartaigh: Jews in German Literature

IASLonline


Claudia Albert

German-Jewish Literature?

Kurzrezension zu
  • Pól O'Dochartaigh (Ed.): Jews in German Literature since 1945: German-Jewish Literature? (German Monitor 53) Amsterdam / Atlanta: Rodopi 2000. X, 673 S. Kart. € 64,-.
    ISBN 90-420-1463-6.


Rezeptionshindernisse

Das größte Rezeptionshindernis für seinen voluminösen Sammelband, der auf eine Konferenz an der University of Ulster 1999 zurückgeht, hat der Herausgeber selbst formuliert. Es ist der "spirit of inclusiveness" (S.III), der die 46 Einzelbeiträge zwar zu einer Fundgrube für thematisch Interessierte, aber auch zu einem Materialfriedhof werden läßt! Selbst wenn man mit O'Dochartaigh "philo-Semitic definitions of German-Jewish relations" (S.V) ebenso ablehnt wie die ältere These vom Ende der deutsch-jüdischen Literatur nach der Shoah (vgl. S.VI) – das ausschließliche Ziel "to illustrate the extent and diversity of German-Jewish writing since 1945" (S.VIII f.) reicht vor allem dem methodisch orientierten Leser nicht aus.

Eine Einführung ist der Band mit über 30 behandelten Autoren, mehreren Überblicksartikeln oder vergleichenden Betrachtungen zu zwei oder drei Autoren aber auch nicht; klare Schwerpunktsetzungen fehlen. Angesichts des Titels verwundern zwei Artikel über Romane der 1890er Jahre (F. Krobb) und eine Anthologie von 1855 (C. Walker). Dabei wäre es ein leichtes gewesen, etwa die Beiträge von Eva Reichmann zu "Jüdische[n] Figuren in österreichischer und bundesdeutscher Literatur der 1980er und 1990er Jahre", von Stefan Busch zur "Darstellung von Juden und Judenvernichtung in Nachkriegsromanen zu NS-Autoren" oder Claude D. Conters Betrachtung "[ü]ber das Verhältnis von Juden und antifaschistischem Widerstand in der sozialistischen Literatur" als Hinführung zu den Detailstudien zu nutzen.

Gegenwärtig stehen oft mehrere Artikel zu einem Autor – jeweils zwei zu Koeppen, Andersch, Bobrowski, Sebald und Honigmann, drei zu Becker und vier zu Fassbinder – beziehungslos hintereinander. Da auch ein Namensregister fehlt, ist der Band nur umständlich zu benutzen, eine, sei es auch rein chronologische, Anordnung nicht erkennbar. Mag der Kongreß mit seinen aus Polen, Litauen, Südafrika, der Türkei oder Norwegen nach Nordirland angereisten Beiträgern das starke Interesse an der deutsch-jüdischen Thematik – und natürlich das Bedürfnis nach Austausch – unter den Auslandsgermanisten befriedigt haben, im gegenwärtigen Zustand verlangt seine Publikation dem Leser viel Geduld und einen stabilen Schreibtisch ab. Gerade weil der Herausgeber selbst in mehreren Beiträgen betont hat, die Auslandsgermanistik sei vor allem dem jüdischen Schreiben in der DDR gegenüber vorurteilsloser als die westdeutsche, 1 leistet er mit diesem Band seiner Profession und deren potentiell korrigierender Funktion einen schlechten Dienst!

Was bleibt?

Die Spanne der Beiträger reicht von etablierten, zum Teil emeritierten Fachvertretern über den deutschen akademischen Mittelbau bis zu DAAD-Lektoren. Entsprechend unterschiedlich fällt der Komplexitätsgrad der Texte aus – dabei korreliert Alter zwar oft, aber nicht immer mit Einsicht. 2 Zur Illustration sei im folgenden aus den einzelnen Phasen und Räumen der deutschsprachigen Literatur nach 1945 je ein Komplex genannt.

Die Artikel zu Feuchtwangers "Jüdin von Toledo" (1955) bleiben auf der Ebene der Materialeroberung; die Frage, "ob es Lion Feuchtwanger gelungen ist", seine Versöhnungsutopie "dem Leser verständlich zu machen" (S.96 f.), wird mit dem Verdikt "eigentümlich blaß und unwirklich" (S.103) beantwortet. Der zweite Beitrag spricht immerhin das Stereotyp der >schönen Jüdin< 3 als Vermittlungsfigur an und eröffnet so eine diskursanalytische Perspektive, schöpft aber deren Dimensionen nicht aus und enthält sich jeglicher Wertung.

Bei der Betrachtung Barbara Honigmanns als Vertreterin der >zweiten Generation< steht "das sogenannte einfache Erzählen" (S.123) im Mittelpunkt; es erscheint einmal – mit durchaus kritischen Akzenten – als repräsentativ für die "Rehabilitierung der Alltagswörter" (S.134), doch neigt deren (nur behauptete) Tiefendimension "zur lehrhaften Affirmation" (S.135) und zu "einer unerhört un-modernen Anmutung" (S.136). Genau umgekehrt wertet der zweite Artikel, wenn er Honigmanns nur wenig verdeckte Selbstporträts "in einem vielschichtigen symbolisch dichten Werk" (S.149) aufgehoben sieht!

Zwischen den >Überlebenden< und der >zweiten Generation< stehen jene Schriftsteller, die als >child survivors<, Österreicher oder Täter(-kinder) überhaupt keine Anknüpfungspunkte für Identitätsbildung mehr finden konnten. Gerade bei diesen, zur Zeit auf vielen Wissenschaftsgebieten diskutierten Autoren ist es schade, dass sich O'Dochartaigh nicht zu einer deutlicheren Strukturierung des Bandes entschlossen hat. Denn seine Beiträger liefern, im Buch völlig verstreut, wichtige Bemerkungen zu den aktuellen Debatten um >Generation<, >téléscopage<, >Trauma< und >Biographie<. Zudem belegen sie, dass auch Ikonen deutsch-jüdischer Literatur und ihrer Erforschung wie Ruth Klüger und Sander Gilman nicht unangreifbar sind: Ihre – hierzulande weitgehend positiv aufgenommenen und an repräsentativen Orten erschienenen – Klagen über den latenten Antisemitismus von G. Grass etwa erscheinen bei genauerer Textanalyse als weitgehend kontextfrei zitierte "political punchballs" (S.621). Sie lassen solche Ansätze als "contentious theories" (S.609) erscheinen.

Gegen die >Dramaturgie des Antisemitismus<

Umgekehrt fördert eine Analyse der Verlagspolitik auf dem Feld der deutsch-jüdischen Literatur zutage, der deutsche Leser wolle nach wie vor "den guten Juden, der verzeiht [...], nicht Menschen mit ganz normalen menschlichen Schwächen" (S.238). Gerade auf dieser Ebene erweisen sich die österreichischen Autoren eher als problem- und widerspruchsbewusst. Ihre Protagonisten widersetzen sich jeder Identitätsbestimmung: sie wissen selbst nicht mehr, "was Judesein eigentlich bedeutet, da man ohne Beziehung zu Tradition, Religion und jüdischem Leben aufgewachsen ist". (S.243) Entsprechend erscheinen die Texte R. Schindels, R. Seligmanns oder D. Rabinovicis "bruchstückhaft" (S.243), an den "Grenzen des guten Geschmacks" (S.245) angesiedelt – oder gar als antisemitisch (vgl. S.246 zu Seligmann und natürlich die vier Beiträge zu Fassbinders Drama "Der Müll, die Stadt und der Tod").

Der Blick aus der anglo-amerikanischen Distanz der Beiträger, aber auch emigrierter Autoren wie Laura Waco (S.454 ff.) lässt deutlich erkennen, dass über Judentum heute nicht mehr in Termini von >Identität< oder >Normalität< geschrieben werden und dass auch die Shoah-Referenz "literarisch frei verwendet werden kann" (S.249). Dann erst bietet sich aber die Chance, sie als Literatur zu betrachten und nicht als Austragungsort von Zuschreibungen, die in der "Markierung eines Anderen" die "Dramaturgie des Antisemitismus" (J. Amery) (S.444) perpetuieren.


Prof. Dr. Claudia Albert
Freie Universität Berlin
FB Philosophie und Geisteswissenschaften
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
Habelschwerdter Allee 45
D-14195 Berlin

Homepage des Rezensenten

E-Mail mit vordefiniertem Nachrichtentext senden:

Ins Netz gestellt am 16.06.2002
IASLonline

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten HD Dr. Rolf Parr. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!


[ Home | Anfang | zurück ]

Anmerkungen

1 Vgl. Paul O'Doberty (identisch mit dem Herausgeber des rezensierten Bandes): The Portrayal of Jews in GDR Prose Fiction (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur; 126) Amsterdam / Atlanta 1997; P.O.: Die DDR und die deutsch-jüdische Literatur. In: Argonautenschiff 7 (1998), S.213–223, zur "Ideologie in Westdeutschland" S.220 f.   zurück

2 Um gerade Nachwuchskräfte nicht zu Opfern schlechter Publikationspolitik werden zu lassen, werden im folgenden keine Namen und Statusangaben genannt.   zurück

3 Vgl. dazu die maßgebliche Arbeit von Florian Krobb: Die schöne Jüdin. Jüdische Frauengestalten in der deutschsprachigen Erzählliteratur vom 17. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg (Conditio Judaica; 4) Tübingen 1993. Da er bei der Tagung anwesend war, hätte man sich produktivere Formen der Textgestaltung ausdenken können.    zurück