Arens über Adler / Hermand: Concepts of Culture

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Katherine Arens

Germanistik / German Studies aus den U.S.A.

  • Hans Adler / Jost Hermand (Hg): Concepts of Culture. (German Life and Civilization 28) New York: Peter Lang 1999. 211 S. Geb. DM 84,-.
    ISBN 0-8204-4141-4.


Der Sammelband entstammt dem 29th Wisconsin Workshop (14.—16. November 1997) des Germanistischen Instituts der University of Wisconsin (Madison, USA), das sich in der amerikanischen Germanistik eine außerordentliche Position erworben hat: als Vertreter engagierter Literaturwissenschaft, nicht zuletzt durch Herausgabe der Monatshefte, und als Wirkstätte schon zweier Generationen erstrangiger Stimmen in der Germanistik (u.a. Richard Hamann, Jost Hermand und Reinhold Grimm.), ergänzt nun durch eine dritte Generation ebenso führender Köpfe.

Thema des Workshop war eine Bilanz des Verhältnisses zwischen Germanistik, German Studies und Cultural Studies — veranlaßt durch die Tatsache, daß die gängige Definition von Kultur sich radikal geändert hat:

Faced with the general process of social democratization and the ever increasing impact of technological modernization, older concepts of culture — based on religious, national, moral, or class-oriented ideals — have yielded over the last one hundred years to new ones. (S. VII)

Der Schwerpunkt des Treffens lag in der Untersuchung der Auswirkungen, die dieser Wandel für die US Literaturwissenschaft hatte.

Cultural Studies an den U.S.-Universitäten

Der erste Beitrag des Buches (und einer der wichtigsten) stammt von Peter Uwe Hohendahl: "The Quest for Cultural Studies Revisited". Er untersucht die Hoffnung, die interdisziplinären Cultural Studies ließen sich mit den German Studies vereinigen, um so um eine neue Form germanistischer Literaturwissenschaft einzuführen. Zwar haben die German Studies, laut Hohendahl, bereits zu neuen Studiengängen geführt. Dies gelte aber nicht für andere Disziplinen, wie etwa die amerikanische Geschichtswissenschaft. Ein Grund dafür sei institutioneller Art: "The future of Cultural Studies depends, I would argue, on the way it can relate to and be part of the new structure of the American University" (S. 2).

Der Grundplan der US-Universitäten basiert bekanntlich auf der Struktur der deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts, was besonders für die philologischen Fächer und die Geisteswissenschaften ganz allgemein gilt. Aber die vielgefeierte Lehr- und Lernfreiheit dieser Tradition läßt sich nur unter großen Schwierigkeiten mit dem heutigen Insistieren auf Verantwortung gegenüber den Studenten und der Institution vereinbaren. Bildung an und für sich gilt schon seit langem nicht mehr als hinreichende Begründung für besondere Studienrichtungen. Wie Hohendahl es zusammenfaßt:

In other words, disciplines and departments are no longer seen as ends in themselves but as means to accomplish goals that are defined by the central administration of the university or by outside agencies. […] the idea of culture as Bildung, to use the older German term, is no longer central for the conception of the university. It has been replaced by formal descriptions of achievement, such as excellence or enrichment through communication. (S. 3)

Hohendahl stellt sich in Opposition zu Bill Readings' Studie The University in Ruins, 1 in dem dieser die Cultural Studies als Produkt der corporate university bezeichnet und sie als interdisziplinäre Wissenschaftsform zu begreifen sucht, als bewußte Aneignung der Werte aus den verschiedenen Teildisziplinen.

Demgegenüber ist für Hohendal diese Cultural Studies-Variante für die amerikanische Germanistik ungeeignet, da sie ohne besonderes methodologisches Können ausgeübt wird:

only if, in other words, our work considers the dialectic between methodology and material and, therefore, also strongly emphasizes theoretical issues, is there a chance to produce knowledge which would feed back into the general discourse of Cultural Studies. (S. 20—21)

Als Ansatz dafür verweist er auf den Users' Guide to German Cultural Studies. 2 Im Grunde genommen erörtert Hohendahl so hauptsächlich Probleme der bevorstehenden Institutionalisierung von Cultural Studies in den Vereinigten Staaten, nicht aber ihre Zukunft als Interdisziplin mit wissenschaftlichem oder politischem Anspruch. Zudem fehlt seiner Kritik an Reading und seinem Lob des User's Guide eine zureichende Differenzierung der allgemeinen Trends der Germanistik und der Entwicklungsrichtungen der Universitäten in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland — er liefert eine Programmschrift statt der erforderlichen Sozialgeschichte der hiesigen Geisteswissenschaften.

Cultural Studies in Großbritannien

Hohendahl gegenüber steht der Beitrag von Helmut Peitsch: "British Cultural Studies — European Studies — German Studies: A Non-Relationship?" (S. 25 ff.), der die Ursprünge und Entwicklungslinien dieser drei Teildisziplinen der Geisteswissenschaften erörtert. Am Anfang erklärt Peitsch, warum Cultural Studies in Deutschland so gut wie unmöglich waren (wobei er es versäumt, wesentliche Unterschiede im jeweiligen Wissenschaftsklima der BRD und Österreichs zu erwähnen, ganz zu schweigen von der Schweiz, die er überhaupt nicht gesondert betrachtet). Die besondere Stärke seines Aufsatzes liegt in einem Abriß der Wechselwirkungen zwischen Forschung und Zeitschriften, Kritik und Lehrtätigkeit in ihrer prägenden Wirkung auf die Entwicklung einer Wissenschaft. Als Quelle der britischen Cultural Studies sieht Peitsch die Open University des BBC in den 70er Jahren, der ein neues Verständnis des Verhältnisses Forschung — Gesellschaft zugrunde lag. Besonders bedenkenswert ist seine Würdigung der Tatsache, daß die Cultural Studies eine neue Etappe ihrer Entwicklung erreichten, als das Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham geschlossen und in den Jahren 1987—1990 eine große Zahl neuer Fachzeitschriften gegründet wurden (wie etwa Cultural Critique).

Trotz dieser viel versprechenden Anfänge wurde in den britischen Universitäten die Kritische Theorie der Frankfurter Schule erst spät rezipiert, nämlich in den neunziger Jahren, und zwar hauptsächlich durch Verlagsaktivitäten, nicht aber durch Änderung der Lehrpläne — und das obwohl seit Roy Pascal und R. Hinton Thomas eine profilierte marxistische Germanistik in Großbritannien bestanden hatte (S. 41), zu der auch die Zeitschriften The Journal of Area Studies und The Journal of European Studies gehörten (S. 33). Peitschs Einführung in die britische Germanistik läßt sich allen Germanisten in den USA und in der BRD wärmstens empfehlen, da dort, unterstützt durch die Oxford University Press, eine eigene Variante der German Cultural Studies entwickelt wurde, die gleichermaßen unbeeinflußt ist vom französischen Poststrukturalismus wie von der Frankfurter Schule. Nach Peitschs Einschätzung kann die Entwicklung in Großbritannien als Modell für eine neue Form vergleichender und interdisziplinärer Cultural Studies dienen.

Die Germanistik außerhalb Deutschlands

Andere Beiträge im Sammelband sind genauso interessant und bezeichnend für die Geschichte und Zukunft der Germanistik, wenn auch deutlich weniger ergiebig. Sara Lennox ("Beyond the Last Instance: Postmodern Marxism and Culture") dokumentiert die Geschichte der sogenannten "Amherst Marxists" (an der University of Massachussetts in Amherst) und die ihrer Zeitschrift Rethinking Marxism (gegründet 1988). Wichtig war hier die Verbindung der Germanistik mit The Association for Economic and Social Analysis am Institut für Ökonomische Forschungen als Versuch, eine engagierte Forschung zu entwickeln, die die alte marxistische Analyse von Basis und Überbau mit ökonomischem Fokus zum großen Teil ersetzte. In ähnlicher Weise greifen drei Mitglieder der jüngeren Generation von Germanisten den Marxismus der DDR auf, um zu klären, was von seinen Debatten Bestand hat (S. 73 ff.).

In "Who Cares? Cultural Studies, Feminist Literary Criticism, U.S. Germanistik" erzählt Nancy Kaiser eine andere Art von Wissenschaftsgeschichte. Ihr Beispiel ist der Feminismus und wie er sich der US-Germanistik gegenüber als kritische Praxis und kritisches Fachwissen verhält. Kaisers Ausgangpunkt ist, daß Cultural Studies ein Fach der Fachzeitschriften statt der Institutionen oder Fachprofis sei — ein Fach ohne Zentrum, aber allgemein allergisch gegen theory (S. 85 ff.), da es keine Ideologiekritik im deutschen Sinne vertrete. Sie wendet sich dann als Fallstudie den Women in German (WiGs) zu, einer Wissenschaftlerinnen-Vereinigung, die 1974 als Versuch gegründet wurde, sich als agency innerhalb der akademischen Welt zu etablieren. Um diesen Einfluß zu erreichen, hat WIGS sich der Pädagogik (besonders der von "Deutsch als Fremdsprache") zugewandt (S. 95 ff.).

Der nächste Beitrag im Band — "How to Make an American German Studies Quilt: Choosing Patterns; Redefining Borders" von Eric Jacobsen, Lisa A. Rainwater Van Suntum, und Peter Van Suntum — versucht, eine ähnliche Fallstudie für die Geschichte des Germanistischen Instituts der University of Wisconsin / Madison zu erarbeiten, bezogen besonders auf die Zeitschrift New German Critique und auf Fachtreffen wie die Wisconsin Workshops.

Drei weitere Aufsätze bemühen sich darum, Zukunftsperspektiven für die Germanistik zu prüfen. Sander L. Gilmans "A Near Future at the Millennium" liefert eine Liste von Thesen zum Thema "How to Preserve the Teaching of German in Twenty Minutes" (S. 140), damit das Fach als Beruf noch lebensfähig bleibt. Gerhard Richter erhofft sich von der Germanistik die Erfüllung des Anspruchs, engagiert und gleichwohl wissenschaftlich zu sein; alle Studien der Kultur sind für ihn eigentlich nur Erforschungen des Transgressiven (transgression). Hans Adler warnt in "Amazement, Culture, and Historicity" (S. 143) davor, daß graduate students in den Vereinigten Staaten zu pragmatisch ausgebildet werden. Er nennt als sein Thema das Verhältnis von "culture, culture studies, and history" (S. 143), konzentriert sich aber eher auf eine Kritik des Begriffs training als Ausbildungsideal. Der Beitrag schließt mit der Behauptung, daß "Kultur" ein Begriff sei, der im Wissenschaftsklima der Aufklärung entstanden ist.

Die künftige Germanistik: Deutsch oder angloamerikanisch?

Das Kernstück des Bandes stammt, wie man von Wisconsin erwarten konnte, von Jost Hermand. Sein Beitrag "Towards a Truly Democratic Culture" beginnt mit einer Analyse des Begriffs "Kultur", in der der Verfasser betont, daß dieser eigentlich eine Erfindung des bürgerlichen Zeitalters sei (S. 193). Wenn man von Fortschritt oder Untergang rede, hänge eine solche Einschätzung von der Position des Sprechers ab — womit die Frage nach Subkulturen gestellt ist (S. 195). Schließlich erörtert Hermand die Tatsache, daß wir die Kultur jetzt entmythologisiert haben, ohne sie wesentlich zu demokratisieren (S. 198). Seine weiteren Ausführungen betreffen die Kommodifizierung der Ästhetik durch corporatization, die vorgibt, den Kulturbegriff erweitern zu wollen. Statt dessen wurde nur eine zusätzliche Fragmentierung der Kultur erreicht, nicht aber die "socially relevant culture" (S. 210), die Hermand für wünschenswert hält.

Der vorliegende Band ließe sich durchaus als Biographie eines bemerkenswerten Institutes bezeichnen. Die Germanistik in Wisconsin unterscheidet sich von der anderer US-Instituten wesentlich dadurch, daß sie sich oft an der deutschen Germanistik orientiert und versucht, in diese einzugreifen. Sie tut dies nicht als Germanistik im Exil, sondern als bewußte Gegenstimme, als Alternative zu der oft theoretisch-abstrakten Germanistik in Deutschland und als Vertreter einer praxis- und gesellschaftskritischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Daher hat das Wisconsinser Institut wesentlich dazu beigetragen, zahlreiche Veröffentlichungen (die Monatshefte, eine Reihe von Jahrbücher und lange Zeit auch die Unterrichtspraxis und Frühformen des Women in German Yearbook ) und Tagungen zustande zu bringen, die sich fast alle den aktuellen Aufgaben der Germanistik widmeten — einschließlich der Pädagogik, der Literaturkritik (besonders im Rahmen einer feministischen Germanistik) und der institutionellen Praxis der Wissenschaftsförderung. Die US-Form der Postmoderne-Debatte wäre zum Beispiel undenkbar, wenn es die Wisconsinser Pflege einer gesellschaftskritischen Germanistik nicht gegeben hätte.

Andererseits hat das Institut in den letzten Jahren begonnen, neue Richtungen einzuschlagen, die die US-Germanistik eher übersieht als fördert oder vorantreibt. So tauchen Institutsmitglieder seltener bei allgemeinen Fachtagungen auf (wie z. B. bei der Modern Language Association oder der American Association of Teachers of German). Diese Abstinenz läßt sich auch im vorliegenden Band spüren, der sich allzusehr der Vergangenheit oder allgemeinen Fragen (wie der US-Universität als business) widmet, ohne der eigentlichen Lage vieler US-Institute gerecht zu werden, und der manchmal nur wenig über Gemeinplätze hinausführt. Daß Wisconsin eine führende Rolle in der US- und Weltgermanistik verdient und innehat, bestreitet fast niemand. Daß das Institut sich aber langsam dieser Rolle vielleicht zu sicher wird, erkennt man aus den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes, in dem andere weltweit wichtige Strömungen der angloamerikanischen Geschichts- und Literaturwissenschaft so leichthin übersehen werden, wie z.B. die Postcolonial Studies, den New Historicism, neuere Experimente in der interdisziplinären Forschung (in Europa wie auch in den USA) und die neuere Gender-Forschung. Bei einer Diskussion der Cultural Studies müßte all dies in Betracht gezogen werden (wie es in den Essays von Hermand und Peitsch ja auch geschehen ist).


Prof. Dr. Katherine Arens
The University of Texas at Austin
Department of Germanic Studies
E.P. Schoch 3.102
USA-Austin, Texas 78712
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Ins Netz gestellt am 09.10.2001
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Anmerkungen

1 Bill Readings: The University in Ruins. Cambridge, MA: Harvard University Press 1996.   zurück

2 Scott Denham / Irene Kacandes / Jonathan Petropoulos (Hg.): A User's Guide to German Cultural Studies. Ann Arbor: University of Michigan Press 1997.   zurück