Binzcek über Koschorke / Vismann: Widerstände der Systemtheorie

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Natalie Binzcek

>Text< und >Kultur< im Sozialsystem:
Kulturtheoretische Widerstände
der Systemtheorie.

  • Albrecht Koschorke, Cornelia Vismann (Hg.): Widerstände der Systemtheorie. Kulturtheoretische Analysen zum Werk von Niklas Luhmann. Berlin: Akademie Verlag 1999. 222 S. 4 Abb. Geb. € 34,80.
    ISBN 3-05-003477-7.


Systemtheorie und ihre Theorieumwelt

Der Sammelband setzt sich zum Ziel, jene Widerstände aufzuzeigen, die "der Systemtheorie selbst" (S. 9) immanent sind. So unterstreichen die Herausgeber im Vorwort, dass nicht die gegen sie gerichteten, sondern von ihr selbst hervorgebrachten Widerstände mit Hilfe von "kulturtheoretische[n] Analysen" eingekreist werden sollen. Der Anspruch gilt daher weniger der Infragestellung systemtheoretischer Prämissen, als vielmehr ihrer subversiven Wendung. Dabei lässt sich manch eine ihrer Theoreme durch die in den Beiträgen vorgenommene kulturtheoretische Revision kaum wiedererkennen und das Theorieganze scheint in seinen Grundfesten empfindlich gestört. Je nach Ansatz und Interesse wird Luhmanns Werk entweder im Blick auf sein bisher ungenutzt bzw. unentdeckt gebliebenes kulturtheoretisches Potential ausgelotet oder in der Einbeziehung des historischen Kontextes mit seinen blinden Flecken, ja, mit dem blinden Fleck der Figur des >blinden Flecks< noch konfrontiert.

Einige der selbsterklärten Innovationsleistungen der Systemtheorie erweisen sich nicht nur als Fortschreibungen von historisch weit zurückliegenden Voraussetzungen, sondern werden auch als ideologisch besetzt deutlich gemacht. In bezug auf ihre Kernaussagen vermag die Systemtheorie nicht mehr zu provozieren, so die Herausgeber. Gleichwohl sind die Thesen der funktionalen Differenzierung und operativen Schließung ebenso wie die Austreibung des Menschen aus dem Sozialen und die Abgrenzung der Kommunikation von der Handlung anders lesbar, wenn sie auf ihre "kulturtheoretische" Relevanz geprüft werden. Gefordert ist dabei ein Zugriff auf Luhmanns Texte, mit dem diese gegen den Strich gebürstet werden können.

Ihre Funktionsweise beschreibt die Systemtheorie selbst schon als einen widerständigen Prozeß, womit sie sich in unmittelbarer Nähe zur Dekonstruktion sieht: "Und darin sind sich konstruktivistische und dekonstruktivistische Theorien einig: Die Operationen eines Systems finden Widerstand an anderen Operationen desselben Systems". 1 Es überrascht deshalb nicht, dass sich mehrere der hier versammelten Positionen, vor allem aber Gunther Teubners Ausführungen, an dem Punkt, an dem sie die internen Widerstände der Systemtheorie aufspüren auch einen Bezug zur Dekonstruktion herstellen. Im Gegensatz zu Luhmann findet Teubner jedoch keine Ähnlichkeiten zwischen beiden Theorien, sondern hebt vielmehr die "Verhakung" (S. 204) von Differenzen und Asymmetrien hervor, "widersprechenden Leitunterscheidungen, die auf dem blinden Fleck der anderen Unterscheidung >aufsitzen< und nicht zu einer Synthese integrierbar sind. Was dem Außenbeobachter bleibt, ist nur ein ständiges >Switchen< von einer zur anderen, mit dem Resultat eines fast gleichzeitigen Beobachten[s] der Welt mit zwei widersprüchlichen, aber supplementären Perspektiven" (S. 205f.).

Insofern der Sammelband mit Teubners Analyse schließt, schlägt er einen Bogen, an dessen Ende deutlich wird, wie die von der Systemtheorie "einverleibten" 2 Fremdelemente ihre Spezifik bewahren und sich eben nicht vereinnahmen lassen. Subversiv arbeiten sie mitten im Luhmannschen Theoriesystem fort. Dort, wo Luhmann Identitäten zwischen seinem und Derridas Theorieprojekt zu erkennen glaubt, gar die Systemtheorie als "elegante" Weiterführung 3 dekonstruktiver Interessen versteht, tritt genau die Resistenz zum Vorschein, die von den Beiträgen des Sammelbandes im Inneren des Luhmannschen Theoriesystems freigelegt werden soll. Obgleich Teubner die Systemtheorie auf ihre Theorieumwelt öffnet, erfasst er mit dem Rückgriff auf die Dekonstruktion zugleich einen zutiefst theorieinternen Konflikt.

Am Anfang dieses Bogens steht David E. Wellberys Auseinandersetzung mit Luhmanns Kunst-Buch, in welcher die historischen Anleihen und Ausgrenzungen der systemtheoretischen "Ästhetik" nachgewiesen werden. Denn "die Kunst der Gesellschaft und die mit ihr zusammenhängenden Publikationen Luhmanns berühren nicht bloß, sie durchdringen die Gegenstandsfelder sowohl der philosophischen Ästhetik als auch der Literatur- und Kunstgeschichte" (S.19). Aber trotz ihrer Verschränkung mit der Tradition entgeht der Systemtheorie das für die Ästhetik des 19. und 20. Jahrhunderts so eminente Problem der Genese. Anstatt an Nietzsches oder Gehlens Physiologie der Kunst anzuknüpfen, entscheidet sich Luhmann für eine autopoietisch begründete und in ihrer Formbeschreibung letztlich auf den Weltbezug beharrende Kunstauffassung, mit der er "die Chance [verspielt], seine eigene Diskussion an die Angebote zur differenzierten Beschreibung ästhetischer Erfahrung anzuschließen, die die moderne Tradition philosophischer Ästhetik bereitstellt, und [er] fällt damit auf das Theoriedesign der alten mimetischen Theorie zurück" (S.21).

Während Wellbery in Luhmanns Kunst-Buch die Konsequenzen der systemtheoretisch seit den achtziger Jahren wirkmächtig zum Einsatz gekommenen Autopoiesis-Prämisse beschreibt, stellt Thomas Wirtz für die Gesellschaft der Gesellschaft (1997) und damit für den letzten zu Lebzeiten noch veröffentlichten Werkabschnitt Luhmanns, zumindest im Zusammenhang mit Rechtsfragen, eine Abkehr von der "biologische[n] Kategorie der Selbsterhaltung" fest. "Statt das System opportunistisch auf Umweltänderungen reagieren zu sehen, entdeckt sich die rekursive Schließung nun als Freiheit zum Tod" (Wirtz, S. 186).

Luhmanns Kulturbegriff

Hat sich Luhmann mit der Dekonstruktion ausführlich, obschon weitgehend unsystematisch beschäftigt, so bleibt der Kulturbegriff in seinen Texten eher eine Marginalie. Die seit Soziale Systeme (1984) unablässige Bezugnahme auf Derrida kommt einer von vielen Punkten aus unternommenen Offensive gleich, wohingegen dem Kulturbegriff trotz des Aufsatzes "Kultur als historischer Begriff" 4 insgesamt nur ein geringes Interesse beschieden ist. Anders als eine konkurrierende Theorieposition lässt sich Kultur der Systemtheorie noch nicht einmal gegenüberstellen. In diesem Sinne hält Dirk Baecker fest: "Luhmanns Unbehagen mit der Kultur, so kann man vermuten, resultiert daraus, daß die moderne Kultur eine Vergleichstechnik ist wie die Systemtheorie auch, daß jedoch einstweilen unklar ist, worauf die Vergleiche der Kultur abstellen und worin sich diese Vergleiche von denjenigen der Systemtheorie unterscheiden" (S.39). Dieses Unbehagen entspringt zugleich auch der Ungewissheit, welchen funktionalen Ort der Kulturbegriff innerhalb der Systemtheorie einnehmen könnte.

Baecker zeichnet Luhmanns kritische Übernahme des symbolischen, handlungsgestützten Kulturkonzepts von Talcott Parsons nach und beschreibt dessen gesellschaftsinterne Bestimmung. Aus systemtheoretischer Perspektive ist Kultur nur innerhalb der Gesellschaft möglich, was zugleich bedeutet, dass jeder Kulturtheorie stets eine Gesellschaftstheorie zugrunde liegen muss. Aus der Perspektive der meisten Beiträge dieses Sammelbandes wird jedoch umgekehrt die Sozialtheorie Niklas Luhmanns auf ihre kulturelle Bedingtheit gewendet und das Verhältnis umverteilt. Baecker faltet den systemtheoretisch unterbestimmten Kulturbegriff nach Massgabe systemtheoretischer Vorentscheidungen aus. Er zeigt, dass die Systemtheorie vor allem auf ihre eigene Reproduktion gerichtet ist und deshalb darauf bestehen muss, die Kultur der Gesellschaft unterzuordnen. Aber die Kultur, und das macht sie so gefährlich, etabliert zugleich einen "Selbstbeschreibungsmodus", der die operativen Grenzen der Gesellschaft auf ihre Rückseite zu drehen ermöglicht. Damit ist, trotz der konzeptuellen Unschärfe, das Potential des Luhmannschen Kulturbegriffs ausgelotet.

In ähnlicher Weise argumentiert auch Rudolf Helmstetter, wenn er zusammenfasst: ">Unterbestimmung< ist aber insofern richtig, als Luhmann die Möglichkeiten zu einer Neubestimmung, die sein theoretischer Apparat bietet, nicht ausschöpft; daß er außerdem die Relevanz und die Konsequenzen seiner konzeptuellen Revisionen für die Semantik von Kultur nicht überall markiert und ausdrücklich macht" (S.79). Jedoch führt seine, mit vielen polemischen Spitzen gespickte Analyse des systemtheoretischen Apparates auf ein Problem hin, das sich nicht mehr mit Hilfe eines effizienteren Einsatzes der theoretischen Mittel lösen läßt. Denn die Frage nach dem "peinlich zu tragende[n] Erdenrest der Kommunikation, ihre[r] Bodenhaftung" (S.88) läuft schlichtweg asymmetrisch zu systemtheoretischen Ausgangsbedingungen, ruft sie doch nach Wiedereinführung exakt jener Konzepte, deren Auflösung und Ausschluss zum Hauptanliegen des Luhmannschen Denkens gehören.

Helmstetter fragt nach dem Ort bzw. Objekt, an dem sich Gesellschaft ereignet. Aus der Logik der Systemtheorie heraus gilt diese Frage aber als falsch gestellt, denn, wie Anton Schütz hervorhebt: "Gesellschaft als solche tritt zu keinerlei Anlässen in Erscheinung. Sie ist die große Abwesende aller Versammlungen, und selbst keine Versammlung" (S. 106). Jedoch braucht auch sie Supplemente, durch die sie beobachtbar, über die sie verrechenbar wird. "Was sich zeigt, sind Interaktionen, die Gesellschaft zwar oft, ob mit kleinerem oder größerem Erfolg, repräsentieren oder vorstellen, nie aber abdecken oder gar: sein können" (S. 107). Liegt hierin die Bodenhaftung der Systemtheorie? In den supplementären Ersatzböden, auf die sie sich stützen muss, damit sie überhaupt in Erscheinung tritt? Wenn sich Kommunikation in Interaktionen zeigt, auch wenn sie mit ihnen nicht deckungsgleich ist, dann legt sie einen Umweg zurück, dessen begriffliche und rhetorische Repräsentation für die kulturtheoretische Perspektive von besonderer Bedeutung ist.

Historische Dispositive

Die systemtheoretische "Bodenhaftung" kann aber auch als ein Verhaftetsein in der Tradition beschrieben werden. So führt Susanne Lüdemann aus, wie sich Luhmanns Begriff des Beobachters an dem Punkt, an dem er sich als entäussertes und entsubjektiviertes Verfahren konstituiert, unmittelbar aus dem optischen Verständnis der Zentralperspektive erschließt. Wenn der systemtheoretische ebenso wie der zentralperspektivisch geometrisierte Blick von seiner subjektiven und >sexuierten< Prädetermination absieht, um statt dessen die Möglichkeit eines nur punktuell unvollständigen, prinzipiell aber nichts verbergenden Überblicks zu proklamieren, dann erweist sich die von der Systemtheorie in Anspruch genommene Neutralität als ideologisch angreifbar:

Eben dies: der >Zwang<, den die Interpretation, sprich: die Beobachtung auf den Beobachter ausübt, ineins damit die unhintergehbare Subjektivierung und Sexuierung allen >Beobachtens<, wird aber von der Systemtheorie unterschlagen — ich denke, daß ihnen mit der Installation des >blinden Flecks< nicht Genüge getan ist. (S. 72)

Ob der Verweis auf die Insistenz des >blinden Flecks< ausreicht, um mit ihm auch alle Angriffspunkte der systemtheoretischen Anlage, gewissermassen vorab, abzuwehren, insofern er auch selbstreferentiell auf die gesamte Theoriekonstitution angewandt werden kann, ob also dieses Zugeständnis an die stets mitlaufende Teilblindheit zugleich auch eine Entlastung des Selbstbeobachtungsdrucks mit sich bringt, steht in Frage. Genauso steht jedoch in Frage, ob sich der systemtheoretische Beobachterbegriff auf seine rein konzeptuelle Dimension beschränken und als solcher demontieren lässt, wie Lüdemann vorschlägt. Denn zieht man, wie Lutz Ellrich, den jeweils spezifischen Einsatz des Beobachtertheorems in Luhmanns Texten genauer in Betracht, zeigt sich ein anderes Bild. Der Beobachter wird zu einer tragischen, in seinen Wahlmöglichkeiten festgelegten Figur:

Daß Luhmann Tragik im Lichte ihrer konstitutiven Nachträglichkeit thematisiert, macht allein schon der Ausdruck >tragic choice< deutlich. Er bezeichnet eine Wahl, die immer schon vollzogen ist, zugleich aber auch den den Beobachter in eine Perspektive versetzt, aus der er sich selbst als denjenigen erkennt, der die unentrinnbare Qual der Wahl hat. (S. 166)

Das kulturtheoretische Interesse des Sammelbandes richtet sich verschiedentlich auf die Bestimmung der historischen Dispositive, auf welche die Entstehung zentraler systemtheoretischer Denk- und Beschreibungsfiguren zurückgebogen werden kann. So arbeitet Bernhard J. Dotzler die von der Kybernetik ausgehende technikgeschichtliche Dimension der Systemtheorie heraus, zu deren weiteren computertechnologischen Entwicklung Luhmann "doch den Kontakt verliert" (S. 132).

Dem Monitum des Computerbezugs stehen Elena Espositos Ausführungen zur Bedeutung des, immer auch technologisch gestützten Mediums in der Systemtheorie gegenüber. Sie betont, dass die moderne Kommunikation durch ihre Abkopplung von der Rhetorik auf mediale Einrichtungen angewiesen ist, wie sie in der symbolischen Codierung gegeben sind. Ihre Argumentation läuft dabei auf eine Entdifferenzierung des kommunikativen vom technischen Medienkonzept hinaus. Luhmanns technologisches Leitmedium scheint aber die qua Buchdruck multiplizierbare Schrift zu sein.

Friedrich Balke beleuchtet seine Ausführungen zur massenmedialen Kommunikation im Hinblick auf das >Aufschreibesystem1800< und leitet die in den neunziger Jahren von Luhmann ausformulierte und auch außerhalb der Systemtheorie erstaunlich anschlussfähig gewordene Medium / Form-Unterscheidung aus der romantischen Organisation des Wissens und der Schrift ab. Dabei deckt er die ästhetische Grundlegung des Sinnbegriffs auf und führt so Luhmanns Gesellschaftstheorie auf ein ästhetisches Dispositiv zurück:

Daß Luhmanns tragender Sinnbegriff ästhetischer Abkunft ist und auf einem diskursiven Sockel ruht, den er unbefragt hinnimmt und als >Horizont< akzeptiert, erkennt man besonders gut an seinen kunstsoziologischen Arbeiten. Die Kunst der Gesellschaft ist ein Buch, das — anders als die übrigen Teilsystembeschreibungen, die Luhmann vorgelegt hat, durchaus doppelsinnig verstanden werden will. Gemeint ist nicht nur die Kunst der Gesellschaft als abgrenzbares, nach eigener Logik funktionierendes Teilsystem, sondern auch die Kunst, mit der sich die Gesellschaft insgesamt unter den extrem >unwahrscheinlichen< Bedingungen der Moderne reproduziert. (S. 148)

Auf diese Weise wird nicht nur die historische Voraussetzung, sondern auch die ästhetische Dimension systemtheoretischer Grundbegriffe und Operationen deutlich: Ein Befund, dem die Beobachtung der kulturwissenschaftlichen Unbestimmtheit indes kontrastiert. Die Ästhetik ist Luhmanns Werk thematisch und strukturell eingeschrieben, der Kulturbegriff hingegen nur als Unbehagen nachweisbar. Aber lässt sich darin allein ein systemtheoretisches Problem oder doch eines der Kulturtheorie selbst erkennen, die auf der Suche nach ihrem Gegenstandsbereich und methodischen Rahmen ebenfalls nicht zur Ruhe kommt? Wollte man anhand des in diesem Sammelband eröffneten Spektrums unterschiedlicher Ansätze und Fragestellungen Rückschlüsse auf die Bestimmung des Kulturbegriffs ziehen, dann erscheint die begriffliche Unterbestimmtheit in Luhmanns Werk nicht mehr abwegig oder defizitär, sie resultiert vielmehr aus der kulturtheoretischen Heterogenität und Überdeterminiertheit.

Albrecht Koschorke hält indes fest, dass vor allem das Nichtvorhandensein einer autonom gedachten Textkategorie die Systemtheorie von "neueren Kulturwissenschaften" (S.50) unterscheidet. Dem Textgeschehen setzt Luhmann ein funktional differenziertes Systemgeschehen entgegen und damit einer semiotisch-strukturalen Referenz die soziale. Dennoch muss auch eine Sozialtheorie textförmig kommunizieren und diesen Umstand, zumindest wenn sie sich derart selbstreflexiv gibt wie die Systemtheorie, in ihre Selbstbeobachtung einbeziehen. Exakt an diesem Punkt aber zeigen sich Luhmanns Texte angreifbar: "[D]eshalb steht bei Luhmann im Schatten des rigiden Systematikers stets ein Erzähler, der >trotzdem< erzählt" (S. 59). Es fällt auf, dass sich der Erzähler besonders dort in den Vordergrund drängt, wo sich der Systematiker um die Erklärung eines abstrakten Zusammenhangs bemüht. Exemplarisch zeigt Koschorke auf, wie unterschiedlich das Selbstreferenz-Paradigma in der definitorischen Festlegung und in der narrativen Performanz ausfällt:

Laut Definition sind Systeme selbstreferentiell und produzieren Fremdreferenz durch Selbstreferenz. Laut >Erzählung< aber entsteht Selbstreferentialität unter Abbau von Fremdreferenz: Autopoiesis durchschneidet und versperrt (zuvor bestehende) System / Umwelt-Bezüge. (S. 59)

Auf diese Weise, mithin auf der Textebene, wird die systemtheoretische Basisdifferenz als Widerspruch lesbar, den die Gegenläufigkeit der performativen und der konstativen Form der Aussagen hervorbringt. Für die Leitfrage der Publikation bedeutet es, dass eine kulturtheoretische Perspektivierung des Werks von Niklas Luhmann dieses vor allem in seiner textuellen Konstitution ausstellen und beschreiben muss. Die hier eindrücklich vorgelegte Bestandsaufnahme bescheinigt die Produktivität eines solchen Zugriffs und kehrt die jahrelang unter Rekurrenz auf Luhmann betriebene Soziologisierung der Literatur- und Kulturwissenschaft um, indem sie nun die Sozialtheorie als Kulturtheorie zugänglich macht.


Dr. Natalie Binczek
Universität GH Siegen
Fachbereich 3
Adolf-Reichwein-Str. 2
D-57068 Siegen

Ins Netz gestellt am 29.01.2002
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Anmerkungen

1 Niklas Luhmann: Die Soziologie des Wissens. Probleme ihrer theoretischen Konstruktion. In: N.L.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 4. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S.151—180, hier S. 168.   zurück

2 Vgl. dazu Georg Stanitzek: Im Rahmen? Zu Niklas Luhmanns Kunst-Buch. In: Henk de Berg / Matthias Prangel (Hg.): Systemtheorie und Hermeneutik. Tübingen, Basel: Francke 1997, S.11—30, hier S. 23.   zurück

3 Vgl. dazu etwa Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 160f., hier S. 161.   zurück

4 Niklas Luhmann, Kultur als historischer Begriff, in: N.L.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 4. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S.31—54.   zurück