Braun über Spieker: Hollywood unterm Hakenkreuz

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Brigitte Braun

Hollywoodkino im nationalsozialistischen Deutschland

  • Markus Spieker: Hollywood unterm Hakenkreuz. Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich (Filmgeschichte International. Schriftenreihe der Cinémathèque Municipal de Luxembourg, Band 6). Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 1999. 394 S. Kart. € 27,90.
    ISBN 3-88476-361-X.


Die Dissertation des Gießener Historikers Markus Spieker bietet eine vorzüglich recherchierte Gesamtdarstellung der deutsch-amerikanischen Filmbeziehungen zwischen 1933 und 1940. Sie fügt sich in den neueren Forschungsdiskurs über internationale Filmbeziehungen, wie ihn in Deutschland z. B. CineGraph angestoßen hat. 1

Spieker gewährt mit seiner Studie einen überraschenden, weil bislang vernachlässigten Blick auf die nationalsozialistische Alltagskultur. Das Hauptaugenmerk der Forschung und insbesondere der Filmgeschichtsschreibung lag bisher vorwiegend auf nationalen Erzeugnissen und deren Rezeption. Bis in den Krieg hinein, so nun Spiekers Ergebnis, konnte das deutsche Kinopublikum aber auch US-Produktionen auf der Kinoleinwand erleben, bis 1938 zählten die US-Spielfilme gemessen an ihren Laufzeiten zu den erfolgreichsten in Deutschland, und selbst Goebbels musste sich als Propagandaminister und oberster Filmchef immer wieder eingestehen, dass die Amerikaner einfach die unterhaltendsten, technisch und schauspielerisch vollkommensten Filme produzierten. Hitlers regelmäßiger Konsum von US-Filmware ist hinlänglich bekannt.

Die Anfänge in der Weimarer Republik

Spiekers Studie ist chronologisch angelegt und beginnt mit einem kurzen Abriss der deutsch-amerikanischen Filmbeziehungen in der Weimarer Republik. Das gestattet Spieker die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der Filmpolitik nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und somit den Anschluss an den diesbezüglichen Forschungsdiskurs.

Nachdem seit 1923 amerikanische Filmproduktionen den deutschen Markt überschwemmten, während gleichzeitig die Produktion und Qualität von deutschen Filmen sank, regte sich in Deutschland — wie übrigens in ganz Europa — eine starke antiamerikanische Stimmung in allen politischen Lagern. Einfuhrbeschränkungen und verschärfte Zensurmaßnahmen sollten den einheimischen Markt schützen. Die Einführung des Tonfilms ließ die Exportzahlen der US-Filmindustrie zunächst schrumpfen, aber nach dem Ende der Weltwirtschaftskrise, also vor 1933, änderte sich die Haltung Deutschlands gegenüber der US-Filmware. Nicht nur war man aufgrund der zahlenmäßig unzureichenden deutschen Produktion auf die amerikanischen Spielfilme angewiesen, verstärkt investierten auch US-Produktionsfirmen wie die Paramount und Fox in die deutsche Filmindustrie und engagierten sich mit weiteren US-Dependancen als Mitglieder im Verband der deutschen Filmgesellschaften.

In diesen Untersuchungsblock gehört auch ein Blick auf die filmpolitischen Positionen der Nationalsozialisten vor ihrem Regierungsantritt. Hier stellt Spieker eine eklatante Indifferenz fest: die Bewertung des amerikanischen Films war nicht ideologisch fundiert, sondern vor allem dem persönlichen Geschmack der jeweiligen Parteigrößen geschuldet. Bereits vor 1933 zeichneten sich jedoch drei Positionen ab, die in der vom jeweiligen Lager dominierten Presse deutlich wurden. Der fundamental rechtsradikale Flügel mit Alfred Rosenberg und der SA lehnte die als jüdisch kontrolliert angesehene US-Filmproduktion aus ideologischen Gründen grundsätzlich ab, während der kapital- und industriefreundliche Flügel Görings proamerikanisch agierte. Goebbels, der nach der Machtergreifung als Propagandaminister die Kompetenzen in der Filmpolitik an sich zog, bildete den einflussreichen gemäßigten Flügel, der zwar die flachen Inhalte der US-Spielfilme geißelte, aber doch — wie auch Hitler — vom handwerklichen Können und der Unterhaltsamkeit der amerikanischen Filmindustrie beeindruckt war. 2

Die chronologische Darstellung wird jedoch bereits hier von Spieker teilweise unterlaufen, indem er z.B. mangels früher Äußerungen Hitlers zum US-Spielfilm spätere Quellen heranzieht. Diese Zeitsprünge passieren ihm auch im Hauptteil der Arbeit, in der er die nationalsozialistische Filmpolitik gegenüber Hollywood in drei Phasen gliedert, so dass der Leser mitunter leicht verwirrt wird. Ungeachtet dessen ist seine Argumentation, unterstützt durch Fallbeispiele und erhellende Zitate, jedoch äußerst schlüssig. Sehr fruchtbar ist zudem der Einbezug der allgemeinen Situation im internationalen Filmgeschäft in seine Forschungen wie z.B. die Bedeutung des deutschen Marktes für die USA und die deutsche Bewertung der US-Produktion auch im Hinblick auf benachbarte und befreundete Länder. Spieker eröffnet sich so die Möglichkeit, seine Spezialuntersuchung in einen größeren Kontext zu stellen und sowohl das deutsche Vorgehen als auch das amerikanische Verhalten zu relativieren.

Unterhaltung contra Ideologie?

Spieker arbeitet die Filmbeziehungen anhand der drei wichtigsten Akteure auf diesem Feld ab: den NS-Politikern, den US-Filmmagnaten und dem Kinopublikum bzw. der Presse — und untersucht deren Vorgehensweisen und Reaktionen in den drei festgestellten Phasen der nationalsozialistischen Politik gegenüber Hollywood:

  1. In der Konsolidierungsphase 1933 / 1934 wurden die Grundlagen der rassistischen NS-Filmpolitik gelegt: jüdische Mitarbeiter in der Filmindustrie mussten entlassen werden, bei den Zensurentscheidungen spielte erstmals die jüdische Abstammung oder antideutsche Haltung von Darstellern und Regisseuren eine Rolle. Zudem wurden die Kontingentbestimmungen verschärft. Die sechs Hollywood Majors MGM, Paramount, Fox, Warner, Universal und United Artists fügten sich und entließen die jüdischen Mitarbeiter ihrer deutschen Zweigstellen, um weiter auf dem lukrativen deutschen Markt präsent sein zu können, wobei die letzten drei sich frühzeitig aus wirtschaftlichen — und nicht, wie späterhin behauptet, aus politischen — Motiven aus Deutschland zurückzogen.

  2. Die deutschen Kinos konnten jedoch aufgrund der zahlenmäßig schwachen deutschen Filmproduktion ohne die US-Einfuhren nicht auskommen, und so gestalteten sich die Jahre 1935 / 36 zu den erfolgreichsten für den US-Film, der zum Publikumsliebling avancierte und dem der deutsche Film nachzueifern versuchte. Goebbels schwärmte vom amerikanischen Können und forderte die deutschen Filmschaffenden zur Nachahmung auf. Die Deutschen hatten nach dem verlorenen Krieg und der krisengeschüttelten Weimarer Zeit ihr Selbstbewusstsein wiedererlangt, und Goebbels hatte große Pläne mit dem deutschen Film.

  3. Nach den olympischen Spielen verschärfte sich jedoch 1937 / 38 die politische Situation, die rassepolitischen Prämissen der Nationalsozialisten wurden entschieden durchgesetzt, die Unbedenklichkeitsprüfung, also die Prüfung, ob am Film jüdisches oder deutschlandfeindliches Personal beteiligt worden war, wurde zur wichtigsten Zensurpraxis. Es wurden sogenannte schwarze Listen mit Darstellern, Regisseuren, Musikern etc. erstellt. Goebbels versuchte, eine positive Besprechung der US-Filme in der Presse zu verhindern und die US-Filme aus den Erstaufführungstheatern in Berlin zu verdrängen. Der deutsche Film sollte durch diese Maßnahmen gestützt werden. Vorwiegend B-Produktionen sollten nun zugelassen werden, um die Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Kinematographie nicht allzu groß erscheinen zu lassen.

Amerikanische Anti-Nazi-Filme und von der SS fingierte Meldungen über negative Publikumsreaktionen bei Filmvorführungen verstärkten 1939 / 40 den Ruf v.a. des radikalen Flügels der NS nach Abbruch der deutsch-amerikanischen Filmbeziehungen. Schließlich musste sich das in seiner Haltung eher gemäßigte Propagandaministerium der zunehmenden Macht der SS und der Boykott-Anordnung Hitlers beugen. Aufgrund wirtschafts- und innenpolitischer Rücksichten konnte die Durchsetzung des Hollywood-Boykotts nur sehr schleppend erfolgen: Paradoxerweise sollte die amerikanische Filmware das deutsche Volk bei Laune halten und somit systemerhaltend wirken. Erst mit der Kriegserklärung an die USA verschwanden alle amerikanischen Filme aus den deutschen Kinos.

Wirtschafts- und Stabilisierungsfaktor Film

Besonders drei Punkte kristallisieren sich in Spiekers faktenreicher und differenzierter Darstellung heraus:

  1. Die Ambivalenz der Haltung der Nationalsozialisten zum US-Film:

    Einerseits deklassierten sie die USA als kulturell minderwertig und geißelten die US-Filmindustrie als "verjudet", andererseits genossen die NS-Parteigrößen wie Goebbels und Hitler bis Kriegsende regelmäßig amerikanische Filmware und bewunderten die Professionalität und Unterhaltsamkeit des US-Films, ohne sich persönlich an Regie und Mitwirken jüdischer Darsteller zu stören. 3 Die polykratische Struktur des Machtapparates ließ zudem eine eindeutige Politik nicht zu.

  2. Filmpolitik als Wirtschaftspolitik:

    Auf der einen Seite waren Deutschland und die deutschen Kinobesitzer auf die US-Filmware angewiesen, da die deutsche Produktion weder quantitativ noch qualitativ den Filmbedarf im Reich decken konnte. Auf der anderen Seite handelten die drei in Deutschland agierenden US-Filmgesellschaften entsprechend den NS-Rassegesetzen und entließen ihre jüdischen Mitarbeiter, um einen wirtschaftlich lukrativen Markt nicht aufgeben zu müssen. Auch in der Filmbesetzung und Themenwahl machten sie bis 1938 Zugeständnisse an das NS-Regime. Fox und Paramount unterstützten durch ihr Wochenschaugeschäft sogar die NS-Propaganda. Erst als sich der Markt wirklich nicht mehr lohnte und eine Anti-Nazi-Stellung auch in den USA als opportun erschien, begann die US-Filmindustrie mit der Produktion von Anti-Nazi-Filmen.

  3. Publikumspräferenz des Hollywood-Films

    Trotz aller repressiven Maßnahmen konnten die US-Filme auf den ungebrochenen Zuspruch des deutschen Kinopublikums bauen, das in seiner Freizeit vor allem gut unterhalten werden wollte. 4 Zudem konnte sich das NS-Regime während der Kriegsvorbereitung 1938 / 39 den Ausfall beliebter Unterhaltungsware aus systemerhaltenden Gründen nicht leisten.

Fazit

Der gesamten Studie sind möglichst viele Leser zu wünschen, wird doch ein Aspekt des nationalsozialistischen Alltagslebens aufgeblättert, der bisher eher unbekannt war. Spiekers Arbeit eröffnet zudem einen idealen Ausgangspunkt für weiterführende regionale oder lokale Studien zum Thema: Was in Berlin goutiert wurde, entsprach nicht unbedingt dem Geschmack in der Provinz. Es wäre also zu untersuchen, ob die vorliegenden Ergebnisse tatsächlich eine reichsweite Tendenz spiegeln, oder ob der seit dem Kaiserreich in Metropole und Provinz gespaltene Filmmarkt auch im Nationalsozialismus Fortbestand hatte.

Darüber hinaus bietet sich Spiekers Studie als Handbuch an: Überaus nützlich sind die beigefügten Tabellen und Listen am Ende des Buches, in denen Spieker seine Quellenrecherchen tabellarisch auswertet. Hier finden sich nicht nur quantitative Angaben zum Verleih deutscher und amerikanischer Spielfilme und zu deren Laufzeiten, sondern auch Rankinglisten der in Deutschland erfolgreichsten Spielfilme sowie Titellisten der verbotenen und aufgeführten US-Spielfilme.


Brigitte Braun, M.A.
Universität Trier
Medienwissenschaft

Ins Netz gestellt am 29.01.2002
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Anmerkungen

1 Vgl etwa die Konferenzen und Bücher über die deutschen Filmbeziehungen mit Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Russland, die zwischen 1993 und 1996 in der CineGraph-Buch-Reihe bei edition text + kritik erschienen sind. Darüber hinaus auch: Tom Saunders: Hollywood in Berlin. American Cinema and Weimar Germany. Berkeley: University of California Press 1994.   zurück

2 Thomas Hanna-Daoud vernachlässigt den Aspekt der nationalsozialistischen Rezeption ausländischer Filme in seiner Studie Die NSDAP und der Film bis zur Machtergreifung. Köln: Böhlau 1996, fast gänzlich, er konzentriert sich im wesentlichen auf die aktive Filmarbeit der Nationalsozialisten.   zurück

3 Siehe dazu auch: Gerhard Stahr: Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum. Berlin: Hans Theissen 2001, hier S. 201 ff.   zurück

4 Auch Stahr (Anm. 3), hier S. 204, greift diesen Aspekt kurz auf.   zurück