Braun über Welch: Krieg und Propaganda

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Brigitte Braun

Krieg und Propaganda

  • David Welch: Germany, propaganda and total war 1914–1918: the sins of omission. New Brunswick: Rutgers University Press 2000. 355 S. 43 Abb. Kart. $ (US) 45.
    ISBN 0-8135-2798-8.


David Welch hat mit seinem Buch Germany, propaganda and total war 1914–1918 ein interessant geschriebenes und in vielen Teilen auch fesselndes Buch über die deutsche Gesellschaft im Ersten Weltkrieg vorgelegt. Dies ist nicht alleine dem flüssigen Schreibstil zu verdanken, sondern ist vielmehr in der Struktur der Studie angelegt, die sowohl chronologisch als auch thematisch vorgeht. So kann Welch dem Leser nicht nur den Wandel in der deutschen Politik vermitteln, der sich 1916 mit der Berufung Hindenburgs und Ludendorffs in den Generalstab vollzieht, sondern auch in bestimmten Bereichen wie Filmpropaganda, Frauenbewegung und Friedensbewegung in die Tiefe gehen und teilweise die Wechselwirkungen zwischen obrigkeitsstaatlicher Politik und Propaganda und öffentlicher Meinung aufzeigen.

Er unternimmt damit den Versuch einer Zusammenschau, die in der bisherigen Forschung zum Ersten Weltkrieg in Deutschland fehlte.

I have attempted to provide an analysis in toto of German society at war and the manner in which propaganda became (arguably for the first time) an essential weapon in the political arsenal and an intrinsic part of the war effort. The interaction of propaganda and public opinion, therefor, can only be understood in the wider context of the everyday experiences of the home front, and, to a lesser extent, the fighting front.(S. 2)

Vom >Burgfrieden< zur Revolution –
Das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg in acht Kapiteln

Welch eröffnet sein Buch mit einer knappen Analyse der deutschen Vorkriegsgesellschaft und dem >Geist von 1914<, der kurzen Kriegseuphorie, die zu Beginn des Krieges in Deutschland herrschte, verbunden mit der Hoffnung auf Lösung auch der innenpolitischen Spannungen und Probleme (>Burgfrieden<). Im zweiten Kapitel zeichnet er die Strukturen der Meinungskontrolle (Zensur und Nachrichtenlenkung) und das Anlaufen der Propagandamaschinerie anhand von Presse und Film nach, um dann im dritten Kapitel auf die propagierten Kriegsziele des deutschen Kaiserreiches einzugehen. Bereits hier kann er Risse innerhalb von Politik und Gesellschaft aufzeigen.

Der >Burgfriede<, erreicht durch den angeblich aufgezwungenen "Defensivkrieg" und das Versprechen eines kurzen, siegreichen Kampfes, beginnt angesichts der annexionistischen Forderungen der Rechten und des Militärs und der Machtlosigkeit und Spaltung der Linken zu bröckeln. Arm und Reich, so Welch im besonders aufschlußreichen vierten Kapitel, haben nicht die gleiche Kriegslast zu tragen. Mit zunehmender Länge des Krieges leidet die Bevölkerung an Nahrungsmangel; während es sich Kriegsgewinnler in Luxushotels gut gehen lassen, hungern Frauen und Kinder auf den Straßen. Bereits 1915 kommt es zu ersten Hungerprotesten, die Lage an der >Heimatfront< verschlimmert sich. Um der wachsenden Kriegsmüdigkeit und des Unmuts Herr zu werden, bemühen sich Staat um Militär mittels Plakaten, Flugblättern und Postkarten um ein besseres Bild der deutschen Ernährungslage. Doch die positiven Vergleiche mit der Situation in Frankreich, Rußland und England fruchten wenig.

Die Kampagnen zur besseren Ausnutzung vorhandener Ressourcen, die die Bevölkerung hintergründig auf einen langen entbehrungsreichen Krieg vorbereiten, können die Stimmung nicht wesentlich verändern. Verstärkt wird nun auch der private Briefverkehr zwischen Front und Heimat überwacht und zensiert, um das >Durchhalten< an der Front nicht durch Klagen aus der Heimat zu gefährden. >Durchhalten< ist auch das Ziel der Kampagnen für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen England, die das Ende der Blockade durch die Entente in Reichweite zu bringen versprechen und das Problem einer hungernden Bevölkerung für eine Weile zu überdecken suchen. Mit dem Kriegseintritt der USA zerschlagen sich jedoch alle Hoffnungen, statt dessen nehmen die Spannungen innerhalb der Gesellschaft zu.

Im fünften Kapitel widmet sich Welch der Frauenbewegung und der wesentlich auch von Frauen getragenen Friedensbewegung im Kaiserreich. Er weist eingehend auf die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlicher Realität und propagandistischer Darstellung der Frauen in der Presse, auf Plakaten und Postkarten hin: Während real immer mehr Frauen Industriearbeit verrichten, die Verantwortung für ihre Familien übernommen haben, nach Frieden und mehr Mitbestimmungsrecht verlangen, malt die Propaganda weiterhin ein Bild der sich aufopfernden Frau und Mutter am Herd oder im Lazarett. Welch wertet hier ausführlich die neuere Genderforschung zum Ersten Weltkrieg für seine Studie aus. Er zeigt, wie auch von Seiten der Frauen der Druck steigt, endlich Reformen auf den Weg zu bringen.

In Kapitel sechs geht es wiederum um die Kriegsziele. Im dritten und vierten Kriegsjahr fragt sich die Bevölkerung immer offener, wofür deutsche Soldaten Tag für Tag ihr Leben lassen. Die Hochstimmung von 1914 ist längst vergessen, vor allem die radikale politische Linke ist nicht bereit, einen annexionistischen Krieg zu führen, Streiks und Demonstrationen mehren sich. Doch das Militär unter Hindenburg und Ludendorff setzt sich 1917 endgültig durch, Ziel ist ein >Siegfrieden<. Der Kanzler dankt ab. Die Propagandamaschinerie, wie in Kapitel sieben zu lesen, wird neu strukturiert. Lehrer, Vaterländische Frauenvereine etc. werden verstärkt für den "vaterländischen Unterricht" der Bevölkerung (S. 206) und die Zeichnung neuer Kriegsanleihen mobilisiert. Doch die Moral der Bevölkerung befindet sich auf einem Tiefpunkt, auch der Einsatz von Kindern bei den Haustürsammlungen und Kriegsanleihewerbefilmen mit dem Star Henny Porten für die 7. Kriegsanleihe bringen keinen Erfolg. Kapitel acht zeichnet den Weg zu Kapitulation und Revolution nach.

Eine Geschichte der Propaganda im Ersten Weltkrieg?

Die neuere Weltkriegsforschung wird oftmals immer noch dominiert von der Frage nach den Ursachen des Kriegsausbruches und der Darstellung diplomatischer und militärischer Abläufe, auch wenn in den letzten Jahren kulturhistorische und sozialgeschichtliche Fragen immer mehr an Bedeutung gewonnen haben und auch regionalgeschichtliche Studien entstanden sind, die den groben Blick auf die deutsche Kriegsgesellschaft verfeinern helfen. Das Thema Propaganda im Ersten Weltkrieg allerdings wurde gerade von deutschen Forschern kaum bearbeitet. Barkhausens Studie zur Filmpropaganda für Deutschland im Ersten und Zweiten Weltkrieg 1 von 1982, Ungern-Sternbergs Der Aufruf >An die Kulturwelt!<: Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg 2 von 1996 sowie Creutz' Band zur Pressepolitik der kaiserlichen Regierung während des Ersten Weltkrieges 3 von 1996 und Oppelts Dissertation über Film und Propaganda 4 bilden hier Ausnahmen, doch beziehen sie den Rezipienten nicht in ihre Forschungen ein.

Im Gegensatz dazu verspricht Welch einen methodischen Ansatz, der Propaganda als Interaktion begreift, also nicht nur auf die Agierenden, ihre Mittel und Produkte schaut, sondern gleichermaßen die Rezipientenseite zu berücksichtigen versucht. Ein Versprechen leider, das die Studie nicht überzeugend einlösen kann.

In mehr als zehnjähriger Forschung hat Welch zahlreiche Quellen in den relevanten Archiven gesichtet, regionale und überregionale Zeitungen sowie Memoiren und Tagebücher studiert. Dank seines breiten Quellen- und Literaturfundaments kann er ein facettenreiches Bild von der >Heimatfront< zeichnen, politische, ökonomische, soziale und ideologische Berichtstränge mühelos miteinander verweben. Der doch zentrale Themenbereich der Propaganda und ihrer Wirkung in der Bevölkerung kommt dabei allerdings oft zu kurz.

Der Darstellung der überaus wichtigen, weil breite Bevölkerungsschichten erreichenden Filmpropaganda widmet Welch im Kapitel zwei nur ganze 18 Seiten. So bekommt der Leser zwar einen aufgrund intensiver eigener Forschungen fundierten, doch nur sehr kurzen Einblick in die deutschen Bemühungen um das neue Medium Film. Bei der Propagierung des >uneingeschränkten U-Boot-Krieges< (S. 129–134) werden die filmischen Bemühungen vollständig außer Acht gelassen. Zudem gibt Welch hier nicht den neuesten Forschungsstand wieder: Gerade zu den Themenkomplexen Film, Kriegswochenschauen und Behandlung ausländischer Filmgesellschaften wurde in neuester Zeit in Deutschland intensiv geforscht, und es wäre wünschenswert gewesen, die Ergebnisse der letzten 10 Jahre berücksichtigt zu sehen. 5 Welch verschenkt die Chance, die Rezeption dieser neueren Forschung einem interessierten englischsprachigen Publikum zu ermöglichen und so neue Impulse für den Propagandavergleich in Deutschland und England zu geben.

Das Bild- und Filmamt (Bufa) wird nur am Rande erwähnt (S. 54) und auch die Ufa bleibt eine Randnotiz (S. 56, S. 213–216). Die Deutsche Lichtbildgesellschaft (DLG), die im Ersten Weltkrieg zum Zwecke der Städte- und Industriewerbung gegründet worden war, wird überhaupt nicht berücksichtigt. Welch vernachlässigt hier den von Barkhausen gut aufgearbeiteten Aspekt der Vernetzung von privaten, staatlichen und militärischen Interessen im Filmbereich, der für die Propaganda – wie er sie untersuchen möchte – doch von zentraler Bedeutung ist.

Doch nicht nur der Film, auch die Presse-, Postkarten- und Flugblattpropaganda werden zwar immer wieder gestreift, der Aspekt der Interaktion wird jedoch zumeist nur angerissen.

Nichtsdestotrotz bleibt die Lektüre aufschlußreich, wenn z.B. Welch im Kapitel vier den Zusammenhang zwischen Hungerrevolten, Blockade und verschärfter anti-britischer Propaganda aufzeigt.

Spannende Geschichte(n)

Gerade auch Welchs Liebe zum Detail in solchen Abschnitten macht das Buch trotz der Lücken im Bereich Propaganda empfehlenswert für die Lektüre. Zudem hat Welch Wert darauf gelegt, sein Buch mit vielen Abbildungen auszustatten, die einen Eindruck von der Wirkungsabsicht der beschriebenen Propaganda vermitteln.

Leider kann sich Welch nicht enthalten, sein Buch mit einem Blick auf Adolf Hitlers Meinung zur deutschen Propaganda im Ersten Weltkrieg zu beginnen und zu beenden. Bereits der Untertitel "The sins of omission" macht deutlich: Der Studie liegt die Frage zugrunde, ob – wie z.B. Hitler behauptete – der Krieg aufgrund mangelnder Propagandabemühungen seitens der Deutschen verloren worden sei. Zwar wiederspricht er bereits in der Einleitung und dann nochmals am Schluß Hitlers Ansicht und macht klar, daß die deutsche Propaganda es vielmehr versäumt hat, trotz Überwachung der öffentlichen Meinung auf die >Stimme des Volkes< zu hören und adäquat zu reagieren (S. 1,254). Es wäre jedoch wünschenswert, nicht die Ausgangsperspektive des Zweiten Weltkrieges einzunehmen und nach Schuld und Gründen für die Niederlage im Ersten Weltkrieg zu fragen, sondern sich auf die Darstellung der Fakten zu beschränken. Welchs spannendes Ergebnis, daß das Problem nicht ein Mangel an Propaganda, sondern die falsche Propaganda war, kommt auch ohne diese Perspektive aus: Die deutsche Führung hatte die Möglichkeiten der Interaktion verspielt.

Die Freude an der Lektüre wird geschmälert durch gehäufte formale Fehler im Buch: Im Literaturverzeichnis wird kein Wert auf Vollständigkeit gelegt, mal werden die Autorenvornamen genannt, mal weggelassen, ebenso geschieht dies mit den Seitenzahlangaben von Aufsätzen. Zudem wird teilweise die in den Endnoten als verwendet bezeichnete Literatur im Verzeichnis nicht wieder aufgeführt, die Chance einer umfassenden und sachkundigen Bibliographie zum Thema somit verspielt. Der Studie wäre nicht zuletzt ein der deutschen Sprache mächtiges Lektorat zu wünschen gewesen: Nicht nur in den deutschen Fachbegriffen (z.B. Bürgfrieden statt Burgfrieden) haben sich zahlreiche Fehler eingeschlichen, auch in den Namen- und Titelangaben im Literaturverzeichnis häufen sich falsche Schreibungen.

Fazit

Trotz Lücken und Rechtschreibfehlern ist Welch eine zahlreiche Leserschaft zu wünschen, da seine Studie nicht allein informativ und gut zu lesen ist, sondern auch viele Anstöße für weitere Forschungen zu geben vermag.


Brigitte Braun, M.A.
Universität Trier
Medienwissenschaft
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Anmerkungen

1 Hans Barkhausen: Filmpropaganda für Deutschland im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hildesheim u.a. 1982.   zurück

2 Jürgen von Ungern-Sternberg: Der Aufruf >An die Kulturwelt!<: Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1996; Klaus Kirchner: Flugblattpropaganda im 1. Weltkrieg. Erlangen 1985.   zurück

3 Martin Creutz: Die Pressepolitik der kaiserlichen Regierung während des Ersten Weltkriegs. Die Exekutive, die Journalisten und der Teufelskreis der Berichterstattung. Frankfurt / M. u.a. 1996.   zurück

4 Ulrike Oppelt: Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Propaganda als Medienrealität im Aktualitäten- und Dokumentarfilm. Stuttgart 2002.   zurück

5 Wolfgang Mühl-Benninghaus: Oskar Messters Beitrag zum Ersten Weltkrieg. In: Kintop 3. Oskar Messter. Erfinder und Geschäftsmann. Frankfurt / M. 1994; Wolfgang Mühl-Benninghaus: Newsreel Images of the Military and War. 1914–1918. In: A Second Life. German Cinema's First Decades. Hg. von Thomas Elsaesser. Amsterdam 1996. S. 175–184 (Deutsche Version: Wolfgang Mühl-Benninghaus: Exemplifikationen des Militärischen zwischen 1914 und 1918. Die Darstellung des Ersten Weltkrieges im Nonfiction-Film. In: Corinna Müller / Harro Segeberg (Hg.): Die Modellierung des Kinofilms. Zur Geschichte des Kinoprogramms zwischen Kurzfilm und Langfilm [1905 / 6–1918] München 1998, S. 273–300); Rainer Rother: Learning from the Enemy: German Film Propaganda in World War I. In: A Second Life. German Cinema's First Decades. Hg. von Thomas Elsaesser. Amsterdam 1996, S. 185–191; Film and the First World War. Hg. von Karel Dibbets und Bert Hogenkamp. Amsterdam 1995; Herbert Birett / Sabine Lenk: Die Behandlung ausländischer Filmgesellschaften während des Ersten Weltkriegs. In: Positionen deutscher Filmgeschichte. 100 Jahre Kinematographie: Strukturen, Diskurse, Kontexte. Hg. von Michael Schaudig. München 1996, S. 61–74. Es fehlt auch die ältere Studie von Wippermann: Klaus W. Wippermann: Die deutschen Wochenschauen im Ersten Weltkrieg. In: Publizistik 6 (1971, 3), S. 268.–278.   zurück