- Ruben Zimmermann (Hg.): Bildersprache verstehen. Zur
Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen. Mit einem
Geleitwort von Hans-Georg Gadamer (Übergänge 38) München: Wilhelm
Fink 2000. 391 S. Geb. DM 98,-
ISBN 3-770-53492-1.
Inhalt
Zur Anordnung der Beiträge |Textualität zwischen Bild und Begriff | Blumenberg und Cassirer | Textualität und Wirklichkeit des Bildes | Kognitivistische Metapherntheorie |
Epistemologie des Heiligen | Emblematik und Semiotik | Hieroglyphen entziffern | Marien->Bilder< der romantischen Literatur
| Typos weder Urbild noch Abbild | Nikolaus Lenaus Naturlyrik | Ein markinisches Rätselwort | Narrative Bilder aus kognitiver Sicht | Die Funktion der Brot-Metapher in Johannes 6 | Dynamische Bilder und deiktische Räume in Georg Trakls
Lyrik | Resümee
"Wer redet, redet zu jemandem und er antwortet nur, wenn
er hat hören können. Die Dimension der Hermeneutik bleibt das
Gespräch" (S. 12). So schreibt es Hans-Georg Gadamer ins Geleitwort
dieses Aufsatzbandes. Die Beiträge, von Ruben Zimmermann sorgfältig
ediert, sind aus Vorträgen erwachsen, die auf einem Forschungskolloquium
am 4.-6. November 1998 in Heidelberg gehalten wurden. Teilnehmende waren
Germanisten, Historiker, Philosophen und Theologen. Ruben Zimmermann ist
evangelischer Theologe und so soll damit auch der Ausgangspunkt dieser
Rezension markiert sein.
Theologie hat es mit Sprache, mit Texten zu tun. Von diesen
durch den garstig tiefen Graben der Geschichte getrennt, ergibt sich das
Problem, verstehen zu wollen und dieses doch oft nicht zu können. Stellt
sich damit unmittelbar die Frage nach den Verstehensbedingungen, so
erhält die Hermeneutik ihre Aufgabe zugewiesen. Einleitend formuliert
Zimmermann:
Die Aufgabe der Hermeneutik bestünde demnach darin, auf
der einen Seite den Bildungs- und Funktionsmechanismus eines Sprachbildes als
Objekt des Verstehens zu untersuchen, auf der anderen Seite das verstehende
Subjekt und den Rezeptionsvorgang der Bildersprache zum Gegenstand der
Erörterung zu machen. (S. 21)
Zimmermann weist selbst darauf hin, daß die hier
sichtbare Subjekt-Objekt-Spaltung in Bild auf der einen Seite und Sprecher
auf der anderen für die Sinndynamik von Bildersprache zu kurz greift:
Man kann nicht leugnen, dass Sprechen und Verstehen den
subjektiven Umgang mit sprachlichen Strukturen impliziert. Vor dem
Hintergrund der genannten Polarisierung läuft man jedoch Gefahr,
Aktivität und Passivität im hermeneutischen Geschehen vorschnell zu
verteilen: Der Verstehensvorgang von Sprachbildern entpuppte sich dann
entweder als passive Dekodierung oder als aktive Konstruktion, die bildliche
Sprache selbst würde als spezifische Bildgrammatik innerhalb der Sprache
oder als kontingente Sprachcollage auf der Basis beliebiger Assoziationen zu
erfassen versucht. Jeder dieser Ansätze greift zu kurz, wenn er absolut
gesetzt wird. Das ›Verstehen der Bildersprache‹ muss sich folglich gerade im
Zwischenraum von Subjekt und Objekt, zwischen Struktur und aneignendem Ich
vollziehen. (S. 21)
Damit ist der Weg gebahnt für das Gespräch
über Verstehensprozesse, über die "Mittelbarkeit des
Verstehens" (S. 21), wie Zimmermann es nennt. Jene umfaßt
unterschiedliche Aspekte: Die "Kontextualität des Verstehens"
(S. 22) verweist auf die je konkreten Kommunikationszusammenhänge und
Texte. Die "Prozessualität des Verstehens" (S. 23) nimmt den
Verstehensvorgang im Zwischenraum zwischen Struktur und Subjekt ins
Blickfeld. Die "Sprachlichkeit des Verstehens" (S. 23) lenkt die
Aufmerksamkeit auf die Sprachgebundenheit des Verstehens, "dass es nur
Verstehen von Sprache durch Sprache geben kann und unser Sprechen immer schon
Interpretieren meint" (S. 24). Schließlich weist Zimmermann auf
den Aspekt der "Begrenztheit des Verstehens" (S 24) hin. Angesicht
der "Grenzen und Schranken unseres Verstehensbemühens" ist die
"diskursive Annäherung an dieses Sinngeschehen [...] eher als
Kunst, denn als Methode zu beschreiben" (S. 24).
Wie kann Verstehen von Bildersprache vor dieser
Problemanzeige überhaupt gelingen? Muß nicht die Kontingenz
unterschiedlichster Sprecher, Hörer und Bilder zwangsläufig in die
Aporien einer "Hermeneutik des Unverständnisses"
(Körtner) führen. Zimmermann gebietet dieser Skepsis von vorn
herein Einhalt:
Gegenüber der radikalen Variante dieser Richtung [der
Rezeptionsästhetik; CC], nach der der Sinn des Sprachbildes letztlich
ganz dem freischwebenden Spiel des Rezipienten ausgeliefert wird, gebietet
die Reziprozität von Struktur und Subjekt im hier verstandenen Sinn der
Willkür Einhalt. Das Spiel der Bedeutungsmöglichkeiten ist nicht
beliebig. (S. 28)
Damit sind Grundlagen und sicherlich auch Grenzen des
folgenden Gesprächs definiert. "Bildersprache verstehen" der
Buchtitel drückt nicht nur das Thema des Diskurses aus, sondern auch den
Optimismus, das jenes Verstehen gelingen kann.
Zimmermann hat insgesamt drei thematische Zentren ausgemacht.
"Der erste Teil vereint Beiträge, die sich mit
erkenntnistheoretischen Fragen [...] befassen" (S. 35). Dabei geht es
den jeweiligen Autoren um den Zusammenhang von Bild und Begriff und um die
Referenzproblematik, innerhalb derer das Bild Bezug zu Welt und Wirklichkeit
gewinnt.
Der zweite Teil thematisiert den Zusammenhang von Sprache
und Bild. Die Aufmerksamkeit der Autoren gilt dabei im kunstphilosophischen
Horizont dem künstlerisch-materiellen Bild und auf Sprache und Text
zugespitzt, dem Verhältnis von "Vor- und Nachgebildetem, Ur- und
Abbild" (S. 5).
Es folgt im dritten Teil eine Reihe von konkreten
Anwendungsversuchen literaturwissenschaftlicher Textzugänge.
Schon dieser grobe Überblick macht die Polyphonie des
Zusammenspiels deutlich. Zwar ist Zimmermann zuzustimmen: "Durch die
verschiedenen Berührungen, Überschneidungen und Kreuzungspunkte
wird so die Partitur des dynamische[n] Sinngeschehens der Bildersprache
skizziert" (S. 35). Jedoch ist damit bereits die Frage berührt, ob
nicht eine doch stärkere thematische Engführung oder Konzentration
die Ausdruckskraft des Spiels verstärkt hätte.
Textualität und Wirklichkeit des Bildes
Rahel Maria Liu versucht in ihrem Beitrag Wahrheit und
Wirklichkeit des Bildes. Zur Ontologie des Bildes bei Hegel und Gadame
(S. 57-75), ausgehend von Gadamers kunstphilosophischen
Überlegungen, über ein vertieftes Verständnis von Kunst und
Bild zu Aussagen über das Wesen von Sprache zu kommen. Sie greift dabei
Gadamers und Hegels Ausführungen zur Überwindung
nachahmungstheoretischer Modelle auf.
Doch auch den Gegensatz zwischen Gadamers und Hegels
Hermeneutik arbeitet sie scharf heraus. Indem Gadamer die kantische Offenheit
der Reflexion in seine Gehaltsästhetik integriert,
erhält das Wahrheits- und Verstehensgeschehen selbst den
Charakter der Offenheit auf unendliche Interpretation, Reflexion und
Darstellung hin. Im Gegensatz zu Hegel mündet dieses nicht in absolutes
Wissen, das jeder Erfahrung enthoben ist, sondern in der Erfahrung der
Struktur von Erfahrung. (S. 73)
Im Gedanken der Lebenswelt wird damit der Gegensatz "von
unangemessenem bloß ästhetischem Bewußtsein und wahrer
Kunsterfahrung" (S. 73) sichtbar. Rezipient bzw. Rezipientin werden
selbst mit in das Werkgeschehen eingeschlossen. Erst in deren Lebenswelt
vollendet sich jenes.
Die Einbeziehung von Gadamers Interpretation der
Spielmetapher und des aristotelischen Katharsisbegriffes führen Liu zu
der Beobachtung, daß in der erkennenden Selbstdurchdringung "Ich
und Welt [...] dabei neu zusammengeschlossen [werden], so daß sich Ich
und Welt ändern" (S. 75). Liu versucht auf diesem Wege, die
radikale Trennung von Kunst und Lebenswelt zu überwinden.
Enno Rudolph widmet sich in seinem Beitrag Metapher,
Symbol, Begriff. Anregungen zu einem möglichen Dialog zwischen Hans
Blumenberg und Ernst Cassirer (S. 77-89) grundsätzlichen Fragen der
Metapherntheorie. Im Rückgriff auf Blumenberg konstatiert er die
Unentbehrlichkeit der Metapher: "Metaphern eignen sich auf
originäre Weise zur Beantwortung der unausweichlichen und unabweisbaren
Fragen. Beispiele für solche Fragen sind diejenigen der klassischen
Metaphysik und ihrer Nachfahren" (S. 80). Oder etwas prosaischer
ausgedrückt: "Die Metapher rehabilitiert die Fantasie
gegenüber der Logik des Begriffs" (S. 80).
Damit gelingt es metaphorischer Rede, an die Stelle von
Antworten auf unsagbare Fragen zu treten. Als Beispiel zieht Rudolph die
platonische Kosmologie (Timaios) heran, in der die Verwandtschaft von Mythos
und Metapher deutlich sichtbar wird: "Mythos als Korrektiv des Dogmas,
Metapher als Korrektiv des Logos" (S. 81). Über Gegenstände,
die nach Wittgensteins Kriterien nicht sprachfähig sind, wird damit
sprachliche Äußerung überhaupt erst ermöglicht.
Doch die Bedeutung der Metapher für das menschliche
Denken sei noch radikaler zu begreifen: Unter Berufung auf Cassirer stellt
Rudolph fest, daß in der Umformung nach Art der metabasis
"vom Anschauungsinhalt zum sprachlichen Laut einerseits und vom
Gedanken zum Wort andererseits" (S. 84) ein Hinweis darauf liegt,
"dass alles Denken metaphorisch verläuft" (S. 84). Damit wird
die Metapher zur Wurzel von Sprache und Mythos gleichermaßen. Am
Beispiel der "kopernikanischen Wende" zeigt Rudolph auf, daß
Metaphern durchaus ideologiekritisches Potential innewohnt. Entsprechend
gilt: "Metaphorologie ist Aufklärung mit poetischen Mitteln"
(S. 89). Fundamentaler läßt sich die Bedeutung der Metapher kaum
betonen.
Textualität zwischen Bild und Begriff
Daniel Oskui nimmt in seinem Aufsatz Der Stoff, aus dem
Metaphern sind. Zur Textualität zwischen Bild und Begriff bei
Aristoteles, Ricœur, Aldrich und Merleau-Ponty (S. 91-116) den
Zwischenbereich zwischen Bild und Begriff sowie sinnlicher Wahrnehmung und
Sprache in den Blick. Er betont dabei die Bedeutung des Textes für die
Metapher. Der Paradoxie der Metaphern sich zuwendend, stellt er fest:
"Sehen ist nicht Sprechen und doch scheint die aussagekräftige
Metapher eine sinnliche Erfahrung auszusprechen, die erst im metaphorischen
Text gemacht wird" (S. 93). Daraus ergibt sich seine Grundthese:
"Die Metapher entfaltet ihre Wirkungen nur in ihrem textuellen
Milieu" (S. 94).
Oskui setzt sich dabei mit der durch Ricœur betriebenen
Herabwürdigung des metaphorischen Textes als ">Kon-text<, der eine
bestehende Grundbedeutung lediglich modifiziert" und damit als
"Nebenbedingung oder Parameter der Sinnproduktion" (S. 95),
kritisch auseinander. Er betont, daß die Isolierung der Metapher als
Satz, Prädikation oder Einzelereignis deren Geschehen auf ihre
abstrakten und gespaltenen Aspekte reduziere (S. 102).
Als "Textfall" seiner These wendet sich Oskui der
surrealistischen Metaphorik zu und deckt dabei "eine Polyphonie
ineinandergewobener metaphorischer und nichtmetaphorischer Beziehungen"
(S. 115) auf. Dadurch wird klar, daß die Textlichkeit für die
Metapher buchstäblich lebensnotwendig ist: "Gelingt es, diesen Sinn
[der Metapher] an einem bestimmten linguistischen Ort einzufangen, stirbt er
ab. Zurück bleibt die Metapher, die man ins Wörterbuch sortieren
kann" (S. 116), d. h. der Tod der Metapher.
Christa Baldaufs Text Sprachliche Evidenz metaphorischer
Konzeptualisierung. Probleme und Perspektiven der kognitivistischen
Metapherntheorie im Anschluß an George Lakoff und Mark Johnson
beschäftigt sich ähnlich wie Rudolph mit der Bedeutung von
Metaphern für Denkprozesse. Auf der Grundlage des holistischen
kognitiven Metaphernansatzes mit dessen Ziel, "allgemeine kognitive
Fähigkeiten des Menschen, d.h. die Gesamtheit der Denk- und
Wissensstrukturen, zu sprachlichen Erscheinungen in Beziehung zu setzen"
(S. 120), versucht Baldauf, Metaphorik als einen Grundmechanismus
menschlicher Kognition zu bestimmen.
Kritisch setzt sie sich mit einer wie sie schreibt
"gewissen Vagheit und Unbestimmtheit" (S. 124; vgl. S. 127 f.)
dieser von Lakoff und Johnson entwickelten Metapherntheorie auseinander:
So wird in keiner Weise expliziert, wie genau der für
die Theorie zentrale Schritt von konkreten Metaphern auf sprachlicher Ebene
zu dem geforderten Rückschluss auf zu Grunde liegende Konzepte
gerechtfertigt und vollzogen wird. (S.125)
Die Autorin bringt dagegen sogenannte "abstrakte
Subkonzepte" (S.128) ins Spiel. Solche abstrakten Faktoren seien etwa
"Prozesshaftigkeit" oder "Veränderung". "Sie
sind Teil des Clusters von Merkmalen, das ein Konzept konstituiert" (S.
128).
So versteht Baldauf Metaphorik nicht als Kunst, als
sprachliche Ausschweifung oder als Rätsel, sondern als "kognitive
Strategie, [als] ein[en] Mechanismus der Erfahrungsbewältigung" (S.
132), und trägt damit maßgeblich zu einem von menschlichen
Denkprozessen her vertieft zu erfassenden und diese zugleich erhellenden
Verständnis der Metaphorik bei.
Paul Meurer radikalisiert in seinem Beitrag So what's the
meta for? Zur >Epistemologie des Heiligen< in Anknüpfung an Paul
Ricœur und Gregory Bateson (S. 133-148) die Offenheit bildsprachlicher
Strukturen, indem er noch betonter als Enno Rudolph der Metapher
epistemologische Funktion für das Religiöse zuschreibt. In Aufnahme
Batesons skizziert er,
dass insbesondere sprachlich-kommunikative als auch
menschlich-relationale Paradoxa erzeugt werden durch die Missachtung der
>Karte-Territoriums-Unterscheidung< bzw. der Grenzlinienziehung zwischen
pleromatischem und creatürlichem Bereich
und zitiert Batesons Beispiel des "metaphorischen
Sprachgebrauch[s] der christlichen Religion [...], die mit Gott z.B. die
Kategorien Vater/Vaterschaft in Beziehung" (S. 144) setzt.
Als Abschluß seines Aufsatzes (und damit zugleich des
mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigten Themenbereiches)
faßt Meurer seine Position kühn zusammen:
Somit dürfen wir wohl im Sinne Batesons formulieren,
dass die Metapher, das metaphorische Prinzip und seine dynamische Struktur
den gesamten Wirklichkeitsbereich durchzieht und als grundlegendes Konzept
für eine neue Epistemologie, eine ›Epistemologie des Heiligen‹ bzw. eine
metaphorologische Epistemologie fungieren kann, da die Metapher fähig
ist, neue Wirklichkeitsbereiche zu erschließen, ohne die alten zu
zerstören. (S. 148)
Damit steht eine erste, nur schwer zu überbietende
Spitzenaussage im Raum. Von den erkenntnistheoretischen Höhen
grundlegender Überlegungen zur Metaphorik aus schwenkt der Blick im nun
folgenden Themenbereich zu den Konkretionen künstlerisch-materieller
Bilder und Texte.
Ursula Kocher betrachtet zu Beginn von Teil zwei in >Der
Dämon der hermetischen Semiose< Emblematik und Semiotik (S.
151-167) das Zusammenwirken von Bild und Sprache. Sie kommt dabei zu dem
Schluß, daß die konkrete Gestalt der visuellen Umsetzung
"gleichgültig und wahrscheinlich von Kontext und Zeit abhängig
[ist]. Das Lemma gibt die inhaltliche Vorgabe, die subscriptio
erläutert den Inhalt, der durch das Bild merkbar gemacht wird und im
Gedächtnis gespeichert werden kann" (S. 167). Durch die Beobachtung
dieser Gleichgültigkeit macht Kocher den weiten Horizont kontingenter
Visualisierung bewußt.
Franz Mauelshagen untersucht unter dem Titel Hieroglyphen
entziffern. Bildverstehen und Sprachmetaphorik in der Kunstgeschichte (S.
169-192) die Wechselbeziehung von Schriftmetaphorik und Bildinterpretation am
Beispiel der Ikonographie-Forschung in der französischen Romantik. Seine
Hauptthese lautet: "Die Sprachmetaphorik [...] liegt am Übergang
zwischen Sprache und Bild, ja sie versucht, diesen Übergang auf
bestimmte Weise überhaupt erst zu schaffen" (S. 173). Mit Hilfe von
Ricœurs Konzept der "lebendigen Metapher" läßt die
Metapher sich semantisch als "Sinnproduktion" interpretieren,
Ricœur nennt dies eine "sprachimmanente Spracherweiterung" (S.
174).
Dabei kommt es bei der metaphorischen Erschließung von
Welt und Wirklichkeit zur Neubeschreibung der Wirklichkeit. Dies ist, wie
Mauelshagen aufzeigt, ein sehr komplexer und letztlich offener Vorgang:
Die Neubeschreibung der Wirklichkeit des Bildes mit Hilfe der
Sprachmetapher vollzieht sich nämlich als Prozess wechselseitiger
Angleichung mit Modifikationen auf beiden Seiten. Schon von daher dürfte
feststehen, dass das Bild in dem ihm zugeschriebenen Sprachcharakter nicht
aufgeht und dass es folglich auch nicht Ziel der Beschreibung sein kann, das
Bild vollständig in der Sprache aufgehen zu lassen. Es ist auch nicht
einmal klar, was dies überhaupt heißen könnte. (S. 177)
Es ist Victor Hugo zu verdanken, die Schriftmetaphorik
für die Kunstgeschichte wieder entdeckt zu haben. "Hugo entfaltet
seine kulturhistorische These, indem er Buch und Gebäude,
Buchdruckerkunst und Architektur in wechselseitiger Metaphorik gleichsam
aufeinander abbildet" (S. 183). Mauelshagen macht deutlich, daß
der Schriftmetaphorik für die Kunstgeschichte heuristische Funktion
zukommt. Die Bildinterpretation wird im wechselseitigen Prozeß zwischen
Bild und Sprache sprachlich strukturiert, freilich, ohne daß Sprache
dabei das Bild vollständig fassen kann.
Anika Davidson stellt sich in ihrem Aufsatz Inszenierung
und Idolatrie. Zur Hermeneutik von Bild und Text in Marien->Bildern< der
romantischen Literatur (S. 193-214) der "religiöse[n] und
poetologische[n] Frage nach dem Verhältnis von Wort und Bild, Logos und
Mythos, Transzendenz und Immanenz" (S. 193). Die Beobachtung deutlicher
Beeinflussung romantischer Texte durch reale Bilder in Form von Gemälden
und Statuen als Prä-"Texte" macht einerseits einen
wechselseitigen Transformationsprozeß sichtbar. Andererseits sieht
Davidson darin ein "Zeichen eigener Sprachlosigkeit bzw.
Sprach-Scheu" (S. 194) der Romantiker. Statt neue Bilder im Sinne
kreativer Metaphern zu schaffen, wird auf traditionelle Topoi
zurückgegriffen. Sie demonstriert dies an Texten von Wackenroder,
Novalis, Brentano und Eichendorff. Allen voran steht dabei die imaginative
Rezeption der Mariendarstellung Raffaels.
Nicht als erlebte Epiphanie, sondern als Imagination und
Inszenierung aus dem kulturellen Gedächtnis kommt es zur eigensinnigen
Anverwandlungen und Umwandlungen des Materials, etwa als Gleichsetzung mit
der Geliebten (Novalis) oder durch Verleihung sowohl heidnischer als auch
mütterlicher Venus-Züge (Brentano, vgl. Botticelli). "Diese
Auflösung von Grenzen auch die zwischen Wort und Bild die
Vermischung des Heterogenen macht die aquarellistische Ästhetik der
romantischen Marienbilder aus" (S .213). Mit ihrer fundierten
Untersuchung zeigt Davidson die Interdependenz von textlicher und
bildnerischer Gestaltung am Beispiel des "Sinn-Bildes" Maria auf
und trägt damit zugleich der sich stets neu im Text ereignenden
"Fleischwerdung" von Worten Rechnung.
Typos weder Urbild noch Abbild
Eine Rückfrage nach den Ursprüngen der in
christlicher Theologie und ihr folgend in den Literatur- und
Kunstwissenschaften verwendeten Begrifflichkeit von "Typologie"
vollzieht Karl-Heinrich Ostmeyer in seiner Studie Typos weder Urbild
noch Abbild (S. 215-236). Er kritisiert das gängige
Typologieverständnis, das eine "bestimmte christliche Hermeneutik
[spiegele], derzufolge Personen oder Motive des AT durch das NT und das
Christentum überboten werden" (S. 217). Die Untersuchung antiken
Wortgebrauches führt Ostmeyer zu der These, daß "Typos"
die Relation bezeichnet, in der zwei Sachverhalte zueinander stehen,
keinesfalls die Sachverhalte selbst. Entsprechend sei das AT "nicht
Lieferant schwacher Vorlagen" (S. 236), sondern bereits dort kommt
schon nach Ansicht der Kirchenväter die Sache selbst zum Vorschein,
wenn jene von Typos sprechen. So tritt an die Stelle einer Abwertung des AT
zugunsten des NT die wechselseitige Verwiesenheit in den Vordergrund.
Lenaus Nikolaus Lenaus Naturlyrik
Sehr viel tiefer in das menschliche Bewußtsein
greifende Beobachtungen stellt Ulrike Abraham in Wassermythen und
Waldesträume. Die archetypische Symbolsprache in der Naturlyrik Nikolaus
Lenaus (S. 237-256) vor. Nicht Typos sondern Archetypos, nicht
typologische Deutung sondern Mythisierung der Elementarnatur mit Hilfe
archetypischer Symbole wird dabei sichtbar. Die Analyse von Beispielen aus
Lenaus Dichtungen "Atlantica", "Schilflieder" und
"Waldlieder" führt Abraham zu folgendem Resümee:
Lenaus Gestaltung von symbolischen Naturräumen der Seele
erreicht in dem Einsatz archetypischer Symbole ihren gestalterischen
Höhepunkt. Hierbei verschiebt sich die Relation von Urbild und Abbild in
Richtung auf das Urbild hin: die poetischen Naturbilder reflektieren innere
Bilder der Seele, die wiederum auf die Symbole bzw. Archetypen einer
mythischen Urharmonie zurückverweisen. (S. 256)
Abraham macht das hermeneutische Bildkonzept F. v. Baaders
und die C. G. Jung'sche Archetypenlehre für die Interpretation der Texte
Lenaus fruchtbar. Lenaus poetische Naturbilder reflektieren dabei innere
Bilder der Seele. Mythische Ur- bzw. Seelenbilder finden ihren Niederschlag
in poetischen Naturbildern.
Struktur und Kontextualität des Androgynie-Mythos
Den dritten Teil der Aufsatzsammlung eröffnet der
Herausgeber Ruben Zimmermann mit Struktur und Kontextualität des
Androgynie-Mythos. Zur Mythenhermeneutik von Claude Lévi-Strauss (S.
259-292). Zugespitzt auf das Thema des Sammelbandes, stellt er die Frage:
"Wie lässt sich mythische Bildersprache verstehen?" (S. 260).
Einer kurzen Orientierung über hermeneutische Zugänge zum
Phänomen ">Mythos< Textphänomen versus Reflexionsmodell"
stellt Zimmermann die strukturalistische Mythosanalyse von Lévi-Strauss
voran, den er als "bewussten Mittelweg der Mythoshermeneutik" (S.
263) apostrophiert.
Lévi-Strauss nimmt als Ausgangspunkt die Beobachtung,
"dass der Text, in dem uns ein Mythos präsentiert wird, nicht mit
diesem Mythos identisch ist" (S. 265). Auf der Suche nach Teileinheiten
eines textlich faßbaren "Referenzmythos" sind neben Phonemen,
Morphemen, Semantemen etc. nach Lévi-Strauss auch "Mytheme" auf dem
Satzniveau zu finden, die ein Bündel von Beziehungen wiedergeben (S.
267). In einer Matrix lassen sich diese als "Paradigma" in den
Spalten und in der Abfolge ihres Vorkommens als "Syntagma"
ähnlich einer musikalischen Partitur darstellen.
Mit Hilfe dieses Instrumentariums untersucht Zimmermann den
Androgynie-Mythos in antiken Texten. Er wählt als Referenz-Mythos
Platons Symposion (189c-193) und vergleicht diesen mit der Androgynie
Abrahams im rabbinischen Judentum und Androgynie in der Gnosis. Anders als
die Verfechter eines rein strukturalistischen Ansatzes muß Zimmermann
sich nicht den Vorwurf, eine ahistorische Hermeneutik zu betreiben, gefallen
lassen. Er betont ausdrücklich die Bedeutung des jeweiligen historischen
Kontextes: "Nur in der reziproken Verzahnung von synchroner
Strukturanalyse und diachroner Kontextanalyse wird die jeweilige Botschaft
eines Mythos verständlich" (S. 287). Er wird damit selbst zum
Anwalt eines "bewussten Mittelweges".
Die konkreten Ergebnisse seiner Untersuchung sollen dabei
nicht verschwiegen werden. Sein Fazit auf synchroner Ebene lautet: "Die
strukturalistische Interpretation des Androgynie-Mythos in antiken Schriften
[...] nach der Methodik von Cl. Lévi-Strauss konnte eine konstante
Ordnungsstruktur des Mythos plausibel machen" (S. 291).
Seine diachrone Kontextanalyse führt v.a. bei der
Untersuchung des Androgynie-Mythos in der Gnosis zu Ergebnissen: Dort wird im
konkret-leiblichen Leben im "Ritual des Brautgemachs" die
behauptete "Überwindung der Grundaporie der
Geschlechterdifferenz" sinnstiftend wirksam (S. 292). Zimmermann
löst damit paradigmatisch sein methodologisches Postulat eines
verzahnten Miteinanders von Synchronie und Diachronie ein.
Einem schwierigen Jesuswort wendet sich Martin Pöttner
in seinem Aufsatz >Denn jeder wird mit Feuer gesalzen werden< (Mk 9,49).
Hermeneutische und semiotisch-philosophische Erwägungen zu einem
markinischen Rätselwort (S. 293-312) zu. Nacheinander ordnet er den
Text zuerst in Erzählzusammenhang und -strategie des Markusevangeliums
ein. Es folgen Gliederung und Paraphrase der Textsequenz. Schließlich
wird nach der argumentativen Funktion des Verses gefragt. Pöttner
versucht, die Bildersprache mit Hilfe semiotisch präziser
Begrifflichkeit als prädikative Struktur zu beschreiben. In
Anknüpfung an Charles S. Peirce und dessen Zeichentheorie betrachtet er
die "offenen Stellen" der syntaktischen Struktur. In seiner
Einbettung in den Kontext kommt er dabei zu dem Schluß, daß es
hier um die Bewältigung gruppeninterner Differenzen gehe. Wird man dies
exegetisch sicher noch ausführlicher diskutieren müssen, so bietet
Pöttner allemal wichtige Anregungen für ein strukturiertes
Textverständnis.
Narrative Bilder aus kognitiver Sicht
Eher grundsätzlichen Fragestellungen stellt sich Dieter
Massa in Verstehensbedingungen von arrativen Bildern aus kognitiver Sicht
(S. 313-330). Er fragt: "Welche Kennzeichen lassen sich finden,
dass man sprachliche Konstrukte als >bildlich< klassifizieren kann? Und auf
welche spezifische Weise geben sie uns etwas zu verstehen?" (S. 313).
Sein Ziel ist deutlich: "Dieser Beitrag will Anregungen zur Beurteilung
der Bildlichkeit bei narrativer Sprache liefern" (S. 313).
Paradigmatisch wendet er sich den Verständnißprozessen bei
Gleichnissen bzw. Parabeln zu.
Massa wählt eine rezeptionsorientierte Perspektive im
Gefolge von Lakoff/Johnson: Bilderverstehen wird konstituiert durch
Verstehensvoraussetzungen und den Verstehensprozess. Ohne Rückgriff auf
Wissensbestände des Hörers oder Lesers bleibt die Bildlichkeit von
Gleichnis bzw. Parabel dagegen stumm. Die Bedeutung des Rezipienten wird
dabei erneut herausgestellt.
Die Funktion der Brot-Metapher in Johannes 6
In der Spannung zwischen Struktur und rezipierendem Subjekt
vollzieht Jörg Frey in seinem Beitrag Das Bild als Wirkungspotenzial.
Ein rezeptionsästhetischer Versuch zur Funktion der Brot-Metapher in
Johannes 6 (S. 313-361) die Erschließung eines konkreten
Sinnprozesses. Gerade das Johannesevangelium bietet mit seinem Reichtum an
Bildern der rezeptionsästhetischen Lektüre ein willkommenes Feld.
Dieses läßt sich für das sechste Kapitel insofern noch in
gesteigertem Maße feststellen, als hier ein einziges Bild das des
Brotes vorherrscht und zugleich selbst erheblichem Wandel unterliegt.
Nacheinander wird das Brot als Sättigungsmittel, sodann metaphorisch auf
Christus bezogen und schließlich mit eucharistischer Konnotation
verwendet. Die Leservorstellung wird auf diesem Weg auf vielfältige
Weise aktiviert und "die textliche Wirkung [wird] desto mehr stimuliert
[...], je mehr Texte bildhaft gestaltet sind und je elementarer die in den
Texten verwendeten Bilder sind" (S. 342). Diese Bedingungen erfüllt
Joh. 6 überaus deutlich.
Eine kurze Einführung in Grundzüge der
rezeptionsästhetischer Textwahrnehmung (Iser, Jauß u.a.) und die
kompetente Anwendung auf einen außerordentlich geeigneten Text machen
Freys Beitrag zur inspirierenden Lektüre selbst für Anfänger
auf dem Gebiet der Metapherntheorie und für jene Bibel-Exegeten, die am
liebsten der Rezeptionsästhetik jegliche Beachtung verweigern
möchten.
Dynamische Bilder und deiktische Räume in Georg Trakls
Lyrik
Den Abschluß des Bandes bildet Stephan Jaeger mit
seinem Aufsatz >Die Finsternis flammenden Sturzes<. Das Lesen dynamischer
Bilder und deiktischer Räume in Georg Trakls Lyrik (S. 363-385). Die
Aporie und Radikalität seiner Grundfragen scheint angesichts des
gewählten Textmaterials zunächst größer, als die aller
anderen Beiträge:
Erstens im Begriff des Bildes: Wenn im Prinzip jedes Zeichen
ein Bild sein kann, erscheint es auf den ersten Blick fraglich, warum
überhaupt von Bildern gesprochen werden sollte. [...] Zweitens: Eine
Sprache, eine Bildersprache als System aus Wörtern und
Verknüpfungsregeln auf syntagmatischer und paradigmatischer Ebene
scheint es nicht zu geben. Drittens: Der Begriff des Verstehens deutet zu
sehr auf den Anspruch des Interpreten hin, Sinnschichten oder fixierbare
Systemzusammenhänge zu entschlüsseln, während es doch bei
›moderner‹ Lyrik notwendig erscheint, die Machart und eigenständige
Rhetorik der Texte zu verstehen, da eine Bedeutungssuche [...] nur in die
Irre führen kann (S. 365 f.)
So wendet sich Jaeger "einer dynamische[n] Lektüre
der Bewegungen auf der Textoberfläche einerseits, mit Tiefenbohrungen in
die Geschichte der Bilder andererseits" (S. 367) zu. Vorsichtig versucht
er, sich "zwischen Subjekt und Anschaulichkeit" (S. 380) den Texten
zu nähern.
Auch wenn das Verstehen moderner Lyrik im zwanzigsten
Jahrhundert "durch eine veränderte Mimesiskonzeption und einen
höheren Autonomiegrad von Literatur schwieriger geworden ist" (S.
54), wie Zimmermann in seiner Einleitung schreibt, so wird doch deutlich,
daß der Versuch, Bildersprache zu verstehen, auch weiterhin für
die Textinterpretation unverzichtbar bleibt.
Sollte ein Leser oder eine Leserin bei der Lektüre des
Sammelbandes gemeint oder gehofft haben, endlich ein Universalwerkzeug
für alle Text-Fälle in die Hand zu bekommen, so werden
spätestens jetzt die Grenzen deutlich. Die einzelnen Aufsätze
wollen (und können) nicht "Methoden" im technizistischen Sinne
bieten. Methodos ist darum nur als "gangbarer Weg", als
Verfahren oder Zugang wiederzugeben. Der gemeinsame Bezugspunkt bleibt die
Frage nach dem Verstehen von Bildern in ihren sprachlichen,
rhetorischen, diskursiven, im engeren Sinne ihren poetischen und
ästhetischen Verfaßtheiten.
Warum sollen also Theologen und Literaturwissenschaftler und
möglichst viele andere an reflektierter Textinterpretation interessierte
Leser sich dieser Aufsatzsammlung zuwenden (?) denn das sollten sie ganz
ohne Frage. Theologen werden angesichts der Polyphonie der
literaturwissenschaftlichen Ansätze vermutlich nicht zum ersten mal
realisieren, daß es den literaturwissenschaftlichen Ansatz zum
Verstehen von Bildern und mithin die Metapherntheorie nicht gibt. So
wird es vermutlich immer nur gelingen, einzelne Ansätze und Methoden aus
dem Gebiet der Literaturwissenschaft, kundig und zugleich vorsichtig tastend
mit den biblischen und gewiß auch anderen Texten ins Gespräch zu
bringen.
Literaturwissenschaftler auf der anderen Seite dürfen
mit Recht auf interessierte und wie die einschlägigen Beiträge
zeigen, auch sehr kompetente Gesprächspartner unter den Exegeten
biblischer Texte hoffen. So kann sich im Spiel der verschiedenen Instrumente
auch ein wenig Symphonie einstellen, jedenfalls was die Freude am Bearbeiten
immer wieder neuer Texte mit immer wieder neuen Methoden anbetrifft.
Dieses Gespräch über die oft so
tiefen Gräben zwischen den Wissenschaftsdisziplinen hinweg darzustellen
und damit zu befördern, gemeinsam nach Wegen aus dem Unverständnis
zu suchen, darin steckt das innovative Potential dieser gelungenen
Aufsatzsammlung. 1
Dr. Carsten Claußen
Ludwig-Maximilians-Universität München
Evangelisch-Theologische Fakultät
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