Daniel über Paulmann: Pomp und Politik

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Ute Daniel

Warum Präsident Faure den Hut aufbehielt

Kurzrezension zu
  • Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn u. a.: Schöningh 2000. 482 S., 29 Abb. Geb. € 46,40.
    ISBN 3-506-77160-4.

Diese Habilitationsschrift ist, was bekanntlich für dieses wissenschaftliche Genre eher untypisch ist, sehr flüssig geschrieben und mit echtem Genuß lesbar. Sie beschäftigt sich mit einem Thema, das lange Zeit als obsolet betrachtet worden wäre, eher als schmückende Arabeske denn als inhaltlich bedeutungsvoller Faktor der Politikgeschichte des 19. Jahrhunderts: den Monarchenbegegnungen zwischen 1815 und 1914.

Dieser Gegenstand wirkt in der ebenso reflektierten wie quellennahen Darstellung des Verf. frappierend modern: Die europäischen Kaiser, Könige und Königinnen, die – so will es die zur Selbstverständlichkeit geronnene Redeweise vom "bürgerlichen" 19. Jahrhundert – nach der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen nurmehr funktionslos, zum Nutzen allein der Klatschkolumnisten, ihren höfisch-dynastischen Geschäftchen nachgingen, werden hier als Akteure einer spezifischen Form von symbolischer Politik sichtbar. Diese rückt sie unserer eigenen Gegenwart mit ihrer intensiven Wechselwirkung zwischen politischem Handeln und medialer Inszenierung sehr viel näher als es mit den populistisch-militaristischen Handlungs- und Ausdrucksformen der Fall ist, die die Politik seit dem Ersten Weltkrieg lange Zeit hindurch charakterisierten.

Das Ereignis Monarchenbegegnung
im Systemzusammenhang

Die Darstellung ist in zwei große Abschnitte unterteilt, die jeweils unter anderen Perspektiven chronologisch vorgehen. Der erste Abschnitt – "Strukturen und Ereignistyp" – präsentiert eine Struktur- und Systemgeschichte des europäischen Staatensystems von der Frühen Neuzeit bis ins beginnende 20. Jahrhundert. Es geht hier darum, die Bedingungsgefüge politisch-kultureller Art zu analysieren, in deren Geflecht Monarchen und ihre außenpolitischen Handlungsspielräume zu sehen sind.

In souveräner Beherrschung des aktuellen Forschungsstandes der Geschichte der internationalen Politik geht der Verf. zuerst auf die Frage ein, warum in der Frühen Neuzeit Monarchenbegegnungen so selten waren. Er kommt zu dem Schluß, daß sich in dieser Epoche Dynastien bzw. Staaten vorwiegend konkurrierend aufeinander bezogen, und daß in dieser militärisch-politischen Konkurrenzsituation eine Monarchenbegegnung strukturell widersprüchlich sein mußte – war doch der jeweilige Monarch die wörtlich zu verstehende Verkörperung der territorial-dynastischen Herrschaft, die bei einem solchen Treffen mit dem konkurrierenden Gegenüber in Rituale der Versöhnung und der Harmonie eingebunden worden wäre, welche sich quasi selbst oder aber die beteiligten Monarchen desavouiert hätten.

In den vergleichsweise unkriegerischen Jahrzehnten nach 1815 nahm diese politisch-militärische Konkurrenz unter europäischen Monarchen ab, gleichzeitig nahm die Bereitschaft zu, die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa als Gleichgewichtsverhältnis zu gestalten, das Status und Ehre der Beteiligten wahrte. Den Begegnungen gekrönter Häupter wohnte somit kein inhärenter Widerspruch mehr inne, auch und gerade weil diese Häupter nicht mehr im buchstäblichen Sinn wie zuvor die Staatsspitze verkörperten: Sie waren jetzt – je nach Staat und Verfassung teils mehr, teils weniger stark – eingebunden in politisch-bürokratische Institutionen und Vertretungskörperschaften, die ihre politische Bedeutung relativierten. Gerade dies jedoch stärkte den außenpolitischen Handlungsspielraum unter veränderten Bedingungen: Während die innere Politik zunehmend vergesellschaftet wurde, blieb das außenpolitische Feld der genuin monarchische Handlungsraum.

Begegnungen von Monarchen spielten in diesem Raum allerdings erst wieder in der zweiten Jahrhunderthälfte eine bedeutungsvolle Rolle, als sich das internationale System nach dem Krimkrieg anarchischer gestaltete und die symbolische Kraft monarchischer Treffen in ganz neuer Weise strukturierungsmächtig wurde: In der wiederum von intensiver Konkurrenz geprägten europäischen Politik bis 1914 wuchs der nach herkömmlichem dynastisch-höfischem Brauch abstufbaren Begegnung monarchischer Staatsrepräsentanten die Funktion zu, feinste Nuancen in den Bündnisverhältnissen auszudrücken.

Die Treffen gekrönter Häupter als kulturelle Praxis

Der zweite Abschnitt – "Symbolisches Handeln" – argumentiert kulturgeschichtlich-ethnologisch. Dicht an den zeitgenössischen Quellen und Deutungsmustern wird hier, in einem an die Geertzsche "dichte Beschreibung" angelehnten Vorgehen, das sichtbare Wie der zwischenstaatlichen Bezüge zwischen 1815 und 1914 untersucht, das den im ersten Abschnitt untersuchten Systemzusammenhang gleichermaßen ausdrückt und ermöglicht.

Der Verf. kontrastiert exemplarisch eine Reihe von Begegnungen zwischen europäischen Monarchen und arbeitet heraus, was sich wiederholt bzw. wo eine Abweichung registrierbar ist, welche (weil sie auch schon von den Zeitgenossen als solche wahrgenommen und diskutiert wurde) auf zugrundeliegende normative Vorstellungen schließen lassen kann. So vorgehend kommt er für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zu dem Schluß, daß sich der (jetzt allerdings sehr selten gewordene) Typ des großen höfischen Fests mit all seiner protokollarischen und anlaßbedingten Formalität noch wenig von seinen frühneuzeitlichen Vorläufern unterschied: Er blieb ein Ausdrucksmittel der Kommunikation zwischen den europäischen Höfen bzw. Dynastien.

Sehr viel häufiger fanden die kleineren, weniger stark formalisierten monarchischen Begegnungen statt, deren Charakter sich in den Jahrzehnten nach 1815 deutlich wandelte: Hier wurde mit zunehmender Beherrschung der Finessen politischer Öffentlichkeitsarbeit vor einem zeitunglesenden europäischen Publikum Spontaneität und Familiarität inszeniert und in dieser Form demonstrative Außenpolitik gemacht. Dieser neuen medialen Strategien bedienten sich seit den 1840er Jahren interessanterweise nicht nur die "moderneren" Monarchien Englands und Frankreichs, sondern gleichermaßen die preußische und ansatzweise auch die russische; nur die Habsburgermonarchie wies es von sich, diesen neuen Gepflogenheiten zu folgen.

In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg erwiesen sich die europäischen Monarchien als geschickte Public-Relations-Agenturen im jeweiligen nationalen und imperialen Interesse. Zwar konnte nur noch der Zar weitreichende außenpolitische Entscheidungen allein treffen, doch alle Monarchen hatten den ihren Handlungsspielraum stark einschränkenden Institutionen, Personen und Parlamenten eines voraus: Sie waren es weiterhin bzw. wiederum, die die "Nation", diese vorgestellte Gemeinschaft, symbolisch am wirkungsmächtigsten repräsentierten, und sie konnten öffentlicher Aufmerksamkeit auch der neuen visuellen Reportagemedien Fotografie und Film sicher sein (so wurde etwa der deutsche Kaiser Wilhelm II. zu einem der wichtigsten Protagonisten des frühen Films). Ob sie Weltausstellungen besuchten oder Flottenbesichtigungen vornahmen, ob ihre dynastischen Feierlichkeiten von der Konsumkultur verwertet wurden oder ob gekrönte Häupter Staatsbesuche machten – es waren in besonders medienwirksamer Form die Monarchen, die die nationalisierten Staatsinteressen verkörperten und die zur Schnittstelle zwischen Innen- und Außenpolitik wurden.

Es ist zweifelsohne nur eine ganz spezifische Facette des europäischen internationalen Systems, die von der Geschichte der Monarchenbegegnungen in den Blick genommen wird – es ist jedoch eine Facette, ohne welche die europäische Außenpolitik des 19. Jahrhunderts weder beschreibbar ist noch in ihrer innenpolitischen Vermittelbarkeit verstehbar wird. Das zeigt die vorliegende Arbeit, die im übrigen eher beiläufig noch etwas anderes demonstriert: daß nämlich die transnationale Geschichtsschreibung dort zu den überzeugendsten Resultaten führt, wo sie aufzeigt, wie sich Staaten und Nationen selbst miteinander in Wechselbeziehungen gesetzt haben.

Und warum behielt der Präsident der französischen Dritten Republik, Félix Faure, nun den Hut auf, als er 1898 bei Nizza die britische Queen Victoria besuchte – ein Verhalten, das der dynastisch-höfischen Elite Europas wieder einmal Anlaß gab, sich über die republikanischen Parvenüs zu mockieren? Er reagierte damit, wie Johannes Paulmann argumentiert (S. 229 ff.), auf eine hübsch inszenierte Zurücksetzung seitens der Queen und des Prince of Wales, die das ungekrönte Staatsoberhaupt in die Schranken weisen sollte: Statt den französischen Präsidenten am Eingang zu empfangen, wie es das Protokoll verlangt hätte, kam "Bertie", der Prince of Wales, dem Besucher nur bis zur halben Treppe entgegen. Faure revanchierte sich für diese Zurücksetzung mit einer Protokollverweigerung von seiner Seite, indem er die am Fuß der Treppe stehenden Hofleute begrüßte, ohne den Kopf zu entblößen. Diese Szene verrät – ebenso wie das Buch als ganzes – einiges über die Feinheiten des zwischenstaatlichen Umgangs im 19. Jahrhundert, die, obschon selten geschichtswissenschaftlich ernst genommen, durchaus Geschichte mit bestimmt haben.


Prof. Dr. Ute Daniel
Technische Universität Braunschweig
Historisches Seminar
Schleinitzstraße 13
D-38106 Braunschweig

Ins Netz gestellt am 12.03.2002
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