Dücker über Kaiser / Matuschek: Kanon

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Burckhard Dücker

"Das Bedürfnis eines Kanons
wächst in Krisenzeiten besonders"

  • Gerhard R. Kaiser / Stefan Matuschek (Hg.): Begründungen und Funktionen des Kanons. Beiträge aus der Literatur- und Kunstwissenschaft, Philosophie und Theologie (Jenaer Germanistische Forschungen. Neue Folge; 9) Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2001. 309 S. Geb. € 50,-.
    ISBN 3-8253-1092-2
  • Stefan Neuhaus: Revision des literarischen Kanons. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. 188 S. Kart. € 19,90.
    ISBN 3-525-20819-7.

Inhalt

Einleitung: Kanon im öffentlichen Sprachgebrauch | Theoretische Aspekte der Kanonforschung | Exkurs: Der Marsyas-Mythos als Gründungserzählung der Kanonbildung | Kanongeschichtliche Fallstudien | Perspektiven



Einleitung: Kanon im öffentlichen Sprachgebrauch

Seit mehreren Jahren erfreut sich der Kanonbegriff in Wissenschaft und Feuilleton zunehmender Aufmerksamkeit; so steigt die Zahl themenspezifischer Veröffentlichungen, 1 auf Tagungen wird über Kanon und Kanonprobleme beraten, 2 eine überregionale Tageszeitung widmet dem Verhältnis von Kanon und Nationalphilologie eine Artikelserie. 3 Auch die historische Bildungsforschung kommt nicht ohne den Kanonbegriff aus. 4 Sela-Sheffy diagnostiziert in ihrer Studie über die Entstehung des deutschen Nationalkanons den "Kanonbegriff als populäres Diskussionsthema" (S.27). Wenn es zutrifft, daß Wissenschaft ihre Themen in der Alltagskommunikation vorfindet, erscheint es sinnvoll, eine Rezension wissenschaftlicher Veröffentlichungen zum Kanonproblem mit einem Blick auf die Präsenz dieses Problems in den Massenmedien zu beginnen.

Für Peter von Matt gibt es ein Kanonproblem, seit die Literaturgeschichte nicht mehr am "nationalen Selbstwerdungsprozeß oder [am] marxistischen Weg zur klassenlosen Gesellschaft" 5 orientiert sein kann bzw. muß. Verliert aber die Literaturgeschichte ihre privilegierte Funktion, Hüterin der Idee einer einheitlichen nationalen Kulturtradition zu sein, sieht sich jeder Literaturwissenschaftler / lehrer – so von Matt – der Anforderung gegenüber, selbst einen Kanon und dessen soziokulturellen und -historischen Kontext zu bestimmen. Hierin liege eine Möglichkeit zur "Begeisterung" über die Freiheit von bloß vorgefundenen Traditionen zur Traditionskonstruktion, zu "echter Erfahrung von Geschichtlichkeit" sowie dadurch motivierter Verlebendigung der Literaturvermittlung für die jeweilige Adressatengruppe. So werde Tradition als Konstruktion oder – mit Hobsbawm – als "Erfindung" sichtbar.

Von Matt plädiert für eine Kanonpluralität; so könnten die Kanones vom Druck fachgeschichtlicher oder politischer "Harmonisierung" frei sein, was wiederum zur Folge hätte, daß der kanonkritische Topos von der Gewalt bzw. dem normativen Zwang des Kanons weitgehend gegenstandslos würde. Daß unter dem Vorzeichen der Konkurrenz und Nischensuche der Literaturhistoriker aber ein gegenteiliger Druck entstehen könnte, der Vergessenes, Differenzierungen, Brüche usw. privilegiert, reflektiert von Matt nicht.

Kanon, so läßt sich schließen, ist kein isoliertes autonomes Phänomen, sondern Instrument in einem soziokulturellen Szenario und dient einer Bezugsgruppe oder einem einzelnen als Richtschnur zur Verwirklichung der Idee ihrer kulturellen Identität. Daher eignet dem Kanon ein imperativer Gestus. Kanon setzt eine wertorientierte Auswahlmöglichkeit aus Texten, Artefakten usw. und einen Bezug zu Institutionen (z.B. Schule, Universität, Museum, Theater, Medien) als sozialen Orten für die Begegnung mit Kanones voraus. Die nicht ausgewählten Texte haben einen negativen Bezug zum Kanon. Er vermittelt zwischen den begrenzten Möglichkeiten der "Lebens-" und den unbegrenzten Angeboten der "Weltzeit" (Hans Blumenberg). Mit Kanon kann eine Wahrnehmungsstruktur (gemeinsame Idee, "Deutungskanon") und ein Ensemble von Texten ("materialer Kanon", Renate von Heydebrand) gemeint sein.

Von derartigen Überlegungen zur kontextbezogenen Kanonbildung unterscheiden sich Kanonvorschläge, die auf dem statistischen Häufigkeitsprinzip basieren. Die auf diese Weise ermittelten 100 besten Bücher gelten dem Glossisten als bloße "Spielsteine der Bildung", die "präsent sind, ohne dass sie gelesen werden müssten". 6 Es handelt sich um >bloßes< Bildungsvokabular, dessen Beherrschung dem gesellschaftlichen Ansehen nützt.

Einer Kanonliste fehlt die Herkunftsgeschichte, weil die Textauswahl soziokulturell und -historisch nicht verortet ist, eröffnet sie dem Leser keinen historischen Erfahrungsbereich. So mag sich ein nicht selten festzustellender Hiat zwischen öffentlich geäußerter Konformität mit kanonisierten Bildungsgütern und einer davon abweichenden Auswahl der Privatlektüre erklären. Man weiß, welche Texte man gelesen haben müßte und von welchen man besser schweigt. Kanon bezeichnet ein gemeinsames Wertwissen und die Regeln seines Gebrauchs, er setzt Öffentlichkeit voraus und strukturiert sie. Ob das Nebeneinander sich scheinbar widersprechender öffentlicher Kanonkonformität und privater Kanonabweichung zur Kanondynamik führt, erscheint wegen der strikten Trennung beider Wertbereiche (öffentlicher – privater Kanon) eher unwahrscheinlich.

Wenn im Feuilleton der FR (Nr. 120, 27. Mai 2002) unter dem lakonisch-apodiktischen Titel "Der Kanon" Datum, Ort und Mannschaftsaufstellung der drei von Deutschland gewonnenen Fußballweltmeisterschaften mitgeteilt werden, so mag dies womöglich als ironisches Echo auf die scheinbare Beliebtheit von Kanonlisten im allgemeinen und auf das wenige Tage zuvor (22. Mai 2002) vorgestellte Projekt "Der Kanon. Die deutsche Literatur. Romane" von Marcel Reich-Ranicki gemeint sein. Im formalisierten Akt einer Pressekonferenz wird der Kanon vorgestellt, alle Medien berichten und kommentieren gleichzeitig, ein hohes Maß institutioneller Koordination bringt das gemeinsame Wissen hervor, sichert seine Verbreitung und erhebt den Autoritäts- und Legitimitätsanspruch für den Kanon. "Ein Kanon muss gewissermaßen das königliche Siegel tragen. Da benötigt man einen Prominenten wie Reich-Ranicki, der seinen Kopf hinhält." 7 Die Projektpräsentation in der FAZ (Nr. 116, 22. Mai 2002) kontextualisiert die Liste der erwählten Romane durch kritische Kommentare von Gegenwartsautoren zur Erzählung literarischer Weltauslegungsangebote. Auf diese Weise erhält die literarische Vergangenheit einen Ort in der Gegenwart, Erinnern ist Gegenwartshandeln, das Vergangenheit und Gegenwart konstituiert.

Daß eine Kanonliste keine Spezialität der Literaturgeschichte ist, zeigt die Glosse "Überwindung" zum Band "Die 101 wichtigsten Personen der Weltgeschichte". Überwunden werden nach Meinung des Verfassers die Kanones der "Großen" und der "Kleinen Geschichten" mit ihren Methoden, Theorien usw. "durch einen neuen Kanon – der sich als völlig entkernte Notration entpuppt. Woraus sich die Deutung wie von selbst ergibt: Der Kanon ist die Antwort des Betriebs auf magere Zeiten". 8 Kanon als Therapie: diese Funktion wird mehrfach formuliert. "Das Bedürfnis eines Kanons wächst in Krisenzeiten besonders." Eine "Debatte über verbindlichen Lesestoff" entspricht einer "Zeit des Klagens über den Bildungsnotstand". 9 "Das Bedürfnis nach Orientierungshilfen wächst." 10

Einerseits, so kann resümiert werden, scheint der Kanonbegriff in den Massenmedien als Instanz von tradierten Werten und verbindlicher Orientierungsperspektive zu gelten, andererseits scheint diese programmatische Zuschreibung erst als Funktion einer vorgängigen Thematisierung von kultur- und bildungspolitischen Krisenphänomenen möglich zu sein. Eine Kanondebatte markiert demnach die Krise eines Ist-Zustands, bietet aber zugleich einen Lösungsweg an: die Aktualisierung eines kollektiven Soll-Zustands. Sie bestätigt und verneint zugleich eine "Krise der Repräsentation" (Michel Foucault). Die Lösung besteht in einer Unterbrechung der Normalität des Kanonvollzugs (Wertvermittlung durch Texte) durch Erinnerung an das >eigentliche< Ziel (Normativität), um so die Kanonkontinuität zu sichern.

Nicht eigens thematisiert werden Geltung und Wirksamkeit des Kanons in krisenfreien Phasen. Als abhängige und unabhängige Variable erschließt und inszeniert der Kanonbegriff soziokulturelle Zusammenhänge, ein Szenario von Einstellungen, Verhaltens- und Handlungsdispositionen. Er erschöpft sich nicht in einer Liste von Namen, die dazugehören, sondern erschließt Werte, die in einem agonalen Prozeß von einer Bezugsgruppe durchgesetzt worden sind; die Überlieferungsform dieses Szenarios ist die immer wiederholte literaturgeschichtliche Erzählung der Aus- und Aufführung des Kanons.

Theoretische Aspekte der Kanonforschung

Der von Kaiser / Matuschek herausgegebene Band enthält 14 Beiträge, die auf eine Ringvorlesung an der Universität Jena (1999 / 2000) zurückgehen. Der zeitliche Rahmen der Themen erstreckt sich von der Antike bis in die Gegenwart. Sämtliche Beiträge bestätigen die Unverzichtbarkeit des Kanonbegriffs als forschungstheoretisches und -praktisches Instrument, geben aber keine materiale Kanonbestimmung, um der Kritik zu entgehen, diesen oder jenen Text nicht berücksichtigt zu haben. Mehrere Beiträge sprechen von Kanonisierung bzw. Kanonisierungsprozeß, um die grundsätzliche Unabgeschlossenheit und stets mögliche Dynamik von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu einem Kanon auszudrücken. Aufgrund der Konstruktivität und Historizität der Kanonbildung sprechen die meisten Beiträge von Kanonpluralität.

Dagegen geht Michael Trowitzsch ("Der biblische Kanon") von der Selbstkanonisierung der Schriften des NT aus (S.47). Der historische Kontext (Alternativen, Konzilien, Auswahlkontroversen) bleibt dunkel wie auch die Bezugsgruppe(n) und deren Interessen. Trowitzsch betont die Instrumentalität des Kanons, der "nichts als Indikator" (S.49) auf Jesus sein wolle. Nicht alle Beiträge kommen ohne veraltete Gegenpositionen aus (z.B. enger Literaturbegriff, geschlossener Kanon).

Die beiden primär theoretisch orientierten Beiträge von Matuschek und Willems hätten den Band eröffnen können, da sie Aspekte grundsätzlicher Art behandeln.

Daß jede Literaturtheorie einen Kanon voraussetzt, weil sie anhand bestimmter Textbeispiele entwickelt wird, daß der Kanon geradezu eine "Erkenntnisbedingung" (S.J. Schmidt) darstellt, zeigt Stefan Matuschek ("Die majestätische Bequemlichkeit eines Ordnungsmodells. Zur Funktion der Scholastik in der neueren Literaturtheorie") am Beispiel von Julia Kristevas Intertextualitätstheorie, die bekanntlich auf den Arbeiten Bachtins zu Lachkultur und Karneval aufbaut und auch deren Oppositionen rezipiert. Der Kanon regelt Zuordnung und Ausgrenzung, Ja und Nein zu einem Text, es ergibt sich eine Serie von Oppositionen. Ein theoretischer Neuansatz impliziert demnach die Veränderung des Beispielreservoirs. Obwohl Intertextualität auf die Überwindung "eines konventionellen Autor- und Werkverständnis[ses]" (S.178) ziele, formten die von Kristeva herangezogenen >subversiven< Textbeispiele aufgrund ihrer ähnlichen strukturellen Ausrichtung wieder einen Kontext und eine konventionelle Kanonvorstellung, Intertextualität erschließe ein Werkverständnis als Vermischung ästhetischer und alltagskultureller Textstrukturen, konventionelle Trennungen zwischen ästhetischer Autonomie und soziokulturellen Faktoren sollen überwunden werden. Damit werden Brüche und Wandlungen privilegiert, eine Tradition des Traditionsbruchs zeichnet sich ab. Verschränkte Textformen und konventionell getrennte stehen sich gegenüber. Zu Ecos Programmatik des >offenen Kunstwerks< gehöre als komplementäre Opposition das mittelalterliche Kunstwerk, das nach dem Vorbild der >Summa<-Literatur Ausdruck einer stabilen, institutionell ausgerichteten Ordnungsidee sei.

Auch Gottfried Willems ("Der Weg ins Offene als Sackgasse. Zur jüngsten Kanon-Debatte und zur Lage der Literaturwissenschaft") hebt in seiner umfassenden Überblicksdarstellung die Unverzichtbarkeit von Kanon hervor. Literaturgeschichte sei immer auch Kanongeschichte, ein Prozeß der De- und Rekanonisierung, der versuchten Renaissancen und Wiederentdeckungen, womit er sich gegen aktuelle Tendenzen wendet, die literarische Überlieferung als "Verhängnisgeschichte" (S.238) und den Kanon als "Ausdruck eines Unterdrückungsgeschehens" (S.240) werteten. Klassisches und Kanonisches unterschieden sich in der aktuellen Diskussion dadurch, daß jenes als dauernde Möglichkeit kreativer Zugänge und Erfahrungen positiv konnotiert sei, dieses als historisch bedingte "Setzung" (S.223) für das Gegenteil stehe. Weil aber – so Willems – "der Wandel des literarischen Kanons Ausdruck und Medium jenes Wertewandels [ist], der mit dem sozialen Wandel [...] einhergeht", "können Fragen der literarischen Kanonbildung nur im Kontext dieses geschichtlichen Wertewandels auf sinnvolle Weise erörtert werden" (S.227). Daher sei auch eine spezielle Kanonforschung abzulehnen, die den Kanon von den "lebensweltlichen" (S.261) Gegebenheiten isoliere.

Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen aber auch avantgardistische Positionen, die sich über die Konstante einer Verwerfung traditioneller Kunst definieren, eine Funktion als Ausdruck einer Suchbewegung nach stabiler Orientierung: Wer etwas für wert hält, vergessen oder überwunden zu werden, scheint in besonderer Weise mit dessen Qualität vertraut und daran gebunden zu sein, da er sich den Gegenstand des Vergessens stets als konstitutives Moment seines eigenen Neuanfangs bewußt hält (negative Privilegierung). Auch Avantgarden produzieren immer wieder Kunst, nur anders definierte. Willems plädiert für den produktiven Einsatz literaturwissenschaftlichen Wertungswissens gegen theoretisch wenig untermauerte "Modernisierungsdynamik" (S.267).

Obwohl fast alle Beiträge die Beziehung von Kanon und (politischer, sozialer, religiöser usw.) Institution erwähnen, gehen nur wenige ausführlich darauf ein. Jürgen Dummer ("Entwicklungen des Kanongedankens in der Antike") kommt nach dem Überblick über Etymologie und frühe Bedeutung von Kanon (Rohr, Richtscheit, Meßinstrument im Bauwesen) zu dem Ergebnis, daß Kanon in Griechenland noch nicht im modernen Sinn wertend, sondern für Phänomene gebraucht wird, "deren Entstehung jeweils inhaltlich motiviert ist" (S.11). Mit Recht hält Dummer die Bezeichnungsfrage (in babylonischer Zeit für Kanonisierung das Wortfeld krisis mit egkrinein – darein wählen und apokrinein – heraus wählen, ausgrenzen) für weniger wichtig als den Vorgang selbst. Für die Kanonisierung der homerischen Epen, der Komödien- und Tragödiendichter macht Dummer zwei Schritte aus: die Verschriftlichung der mündlich tradierten Epen bzw. Autoren und die Verwendung literarischer Texte bei Festen. Peisistratos läßt die homerischen Epen bei den Panathenäen deklamieren, Lykurgos läßt sämtliche Tragödien von Aischylos, Sophokles, Euripides zur Textsammlung >Staatsexemplar< zusammenstellen, für die Lenäen und Dyonysien werden Tragödien und Komödien aus den je eingereichten Texten "vom leitenden politischen Beamten der Stadt" (S.15) zur Aufführung ausgewählt.

Kanonisierung erweist sich damit als formalisierter und regelmäßig wiederholter ritualisierter Auswahl- und Aufführungsakt vor allem solcher Texte und Autoren, die schon einen literarischen oder kultrelevanten Ruf mitbringen und den jeweiligen Interessen der politischen oder religiösen Institutionen am besten entsprechen; die Geschichte des schon anerkannten Autors wird mit der der Stadt oder des Festes verbunden. Da es sich bei Festen um Organisation und Konstruktion kultureller Identität 11 handelt, d.h. um die an den Erfordernissen der Gegenwart ausgerichtete Inszenierung von Erinnerung, um die Vermittlung von Normen und Handlungsdispositionen zur Nachahmung, 12 erfüllen die ausgewählten Stücke eine bedeutende kult- und kulturpolitische Funktion. Geschaffen wird so die Differenzierung zwischen Normalität (ästhetische Erfahrung aller Texte) und Normativität (kultisch und verfassungsmäßig sanktionierte Texte mit dem Anspruch der Vermittlung verbindlicher Orientierung). Zum geschlossenen Kanon gehört die Vorstellung der >richtigen< Kunstpraxis und -objekte.

Damit erweist sich der Anspruch auf Nachahmung bzw. Vorbildhaftigkeit als konstitutiv für den Kanon. Auf der Basis des Mimesis-Konzepts weist Lambert Wiesing Platons scheinbare Verwerfung der bildenden Kunst insgesamt (Politeia 10. Buch) als kanongebundene ästhetische Wertung nach. Platon beziehe sich auf die Statue der >Athena Parthenos< (Höhe ca 12 m) des Phidias, der den Kopf der Göttin vergrößert habe, damit er dem Betrachter als normal >erscheine<. Mit diesem Verstoß gegen das Kanongebot der idealen Proportion habe Phidias Erfordernisse der Kunst über ihre dienende Funktion für die Religion gestellt.

Im "Sophistes" unterscheidet Platon zwischen zwei Arten der Nachahmung: Imitation (mimesis eikastike) und Darstellung (mimesis phantastike). Weil letztere dem Original "nicht nachmeßbar ähnlich" (S.37) ist wie die Imitation, weil sie dies auch nicht sein will, hat jeder Betrachter seinen Bildsinn selbst zu konstruieren. Nur die Imitation, die mit dem Original zu verwechseln und von allen Standpunkten gleich ist, gelte Platon als richtige Nachahmung; Bilder wollen nicht imitieren, sondern darstellen, was so in der Realität nicht zu finden ist, daher verwirft Platon sie, weil ihr Sinn einen subjektiven Anteil des Betrachters erfordert und sie nicht für die kunsttheoretische Entsprechung der Suche nach dem Absoluten der Idee zu gebrauchen sind.

Auch Michael Diers ("Bild versus Kunst oder Kanon und Kritik") beschäftigt sich mit der Nachahmung des Kanons (antikes Ideal des >Doryphoros< des Polyklet), aber unter dem Aspekt der Kanondynamik. Die Vorbildhaftigkeit des Kanons zeige sich auch in subversiven Formen wie Karikatur, Zerstörung von Kunstwerken, Einführung neuer Technik, deren Ergebnisse allesamt wieder Kunst seien und die kanonische Norm indirekt tradierten. Wegen dieser dauernden Erweiterung eines stets kanonbezogenen Kunstbegriffs plädiert Diers für eine "Kunstgeschichte als Bildwissenschaft" (S.300).

Exkurs: Der Marsyas-Mythos als
Gründungserzählung der Kanonbildung

Es sei hier als Ergänzung zu den vorzustellenden Bänden auf den Mythos vom musikalischen Wettstreit zwischen dem Satyr Marsyas und dem Gott Apollon hingewiesen, der exemplarisch den Kanon als Ergebnis eines agonalen Verfahrens zwischen zwei nebeneinander bestehenden Szenarios zeigt. 13 Der Gott als Lyraspieler verkörpert den kunstpolitisch sanktionierten und daher machtgeschützten Kanon, der nur solche Kunstpraktiken und -formen zuläßt, die der Affirmation, Reproduktion und Kontinuität der (jeweiligen) Ordnung dienen. Dagegen verkörpert der Satyr und Flötenspieler Marsyas einen scheinbar machtneutralen Kanon, der am Verwandlungs- und Spielprinzip künstlerischer Weltgestaltung und -auslegung orientiert ist. Für den Typus Apollon, dem der "politische Beamte" (s.o. S.7) entspricht, ist Kunst ein Mittel, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten, daher gibt er das Maß der >richtigen< Kunst vor, hier ist von Kanonmacht zu sprechen; für Marsyas zählt Kunst als absoluter Wert, um dem Publikum neue Erfahrungsräume jenseits der Normalitätsgrenze zu öffnen. Grenzerhaltung und -überschreitung stehen sich gegenüber.

Apolls Ordnungsideal impliziert eine Körperkonzeption, deren Ausdrucks- und Bewegungsregister sich auf Formen von Harmonie, Bewußtheit, Affektkontrolle, Berechenbarkeit, Zweckorientierung, d.h. auf die Erhaltung der richtigen Proportionalität als körperliches Schönheitsideal und als Vorbild des politischen Körpers beschränkt. Diese Körperkonzeption verweist auf den Anspruch, die Welt zu gestalten. Damit ist die Trennung von Ein- und Ausgrenzung, von Eigenem und Fremdem, d.h. der geschlossene Kanon eingeführt.

Dagegen bewirkt die Kunstübung Marsyas' die Verzerrung der Körperformen, rauschhaft ekstatische, d.h. zufällige, nicht zielgerichtete Bewegungen und Freigabe der Affekte, was eher auf einen Betrachter und (Um-) Deuter der Weltgestaltung verweist. Apolls Kanon erschließt das Szenario einer monothetischen zentralen Ordnungsutopie, Marsyas vertritt das der unzivilisierten, nicht ausgerichteten Peripherie (Sumpf und Wald), wozu die Pluralität der Kunst- und Lebensformen gehören mag. Entsprechend unterscheiden sich die Adressaten der beiden Kanones.

Von Kanon und Gegenkanon ist erst zu sprechen, als Marsyas mit einem Troß von Anhängern den Wald verläßt, um sich mit Apoll im Zentrum musikalisch zu messen. Erst jetzt wird das agonale Verfahren einer Kanonbildung in Gang gesetzt, d.h. die Konkurrenz erfordert die Herstellung eines Kanons. Künstlerisch wäre Apoll nach dem Urteil des Publikums unterlegen, nur aufgrund seiner göttlichen Macht kann er sich behaupten. Marsyas wird für sein Vergehen (Relativierung, Entzauberung des >richtigen< Kanons als Machtrepräsentanz, crimen laesae maiestatis) bei lebendigem Leibe gehäutet, bleibt aber, so gereinigt, im Kanonszenario Apolls und dessen Kanongeschichte. Das Zentrum repräsentiert das Ganze, Apoll verweist auf Marsyas, nicht umgekehrt. Damit zeigt der Mythos auch, daß ein Kanon niemals vollständig geschlossen ist, sondern daß seine Kontinuität gerade von dynamischen Prozessen abwehrender Rezeption lebt.

Das Ergebnis besteht in der Erweiterung des offiziellen Kanons um die Wahrnehmung der Möglichkeit einer alternativen kanonfähigen Programmatik. Apoll lehnt Kunst nicht schlechthin ab, sondern nur die, die seiner Ordnung gefährlich werden kann, weil sie die Möglichkeit der Subversion und verkehrten Welt impliziert. Damit ist das Muster einer Kanonerzählung sichtbar geworden, die nicht nur den agonalen Entstehungsprozeß des Kanons umfaßt, sondern die auch zeigt, daß jedem Kanonszenario seine Relation zu einem anderen einbeschrieben ist. Begründet diese Relation doch nicht nur den imperativen Gestus des Kanons (Umwandlung der Kanonerfahrung in praxisgestaltendes Wissen), sondern auch seine Kontinuität und Dynamik. Diese kommt von außen, sei es durch einen Konflikt (Marsyas-Mythos), sei es durch Strategien der Selbstinszenierung 14 . So scheint ein Kanon keine Nachfolge-, sondern Anschlußtexte zu generieren.

Kanongeschichtliche Fallstudien

Als Beitrag zu der im Feuilleton geführten Debatte über verbindlichen Lesestoff können Michael Kreijcis Ausführungen ("Literaturkanon – didaktisch betrachtet") gelesen werden. Eine Reihe von Faktoren (Lernziel-, Inhalts-, Medien-, Methodenentscheidungen) sei für eine adressatenspezifische Literaturauswahl zu berücksichtigen. Er unterscheidet zwischen Kanones des schulischen Literaturunterrichts, des literaturwissenschaftlichen Studiums und des literarischen Lebens.

Wenn anläßlich von Reich-Ranickis Kanon-Projekt im Feuilleton die Frage bejaht wird, ob ein einzelner einen Kanon stiften könne, so findet sich dieses Problem wissenschaftlich behandelt im Beitrag von Ulrich Schulz-Buschhaus ("Curtius und Auerbach als Kanonbildner"). Weil Curtius an "Konstanz" (Traditionen, Kanondauer) gegen "Relativismus" (S.162) interessiert sei und er sich als "europäischer Erzieher" (S.159) sehe, gehöre Kanon für ihn zu den unverzichtbaren Elementen einer "Geistespolitik" (S.159), deren Ziel eine "Totaltradition" (Entwurf einer Ideal- gegen Normalklassik, Manierismus) im Rahmen des "Europäismus" "gegen die Norm einer Klassik mit >nationalistischer Verwurzelung<" (S.163) sei. Dagegen sei Auerbach an geschichtlichen Brüchen und Neuanfängen, der Entstehung historischen Bewußtseins und an kulturellen Differenzen der Epochen interessiert. Er erkenne vor allem einen Prozeß "stiltrennender und stilmischender Poetiken" (S.169), was zu Dekanonisierungen (S.170) führen könne. Für Auerbach gebe es statt eines Kanons allenfalls eine Gruppe von Autoren, die derartigen Brüchen verbindlich Ausdruck geben (z.B. Augustinus, Dante, Rabelais, der Herzog von Saint-Simon).

Tilman Seidensticker ("Der religiöse Schriftkanon im klassischen und modernen Islam") unterscheidet drei Konfliktparteien im Streit über den Umfang des verbindlichen Kanons: Eine "Nur-Koran-Partei", die "Prophetentradition", die auch den z.T. ungesicherten Worten und Taten des Propheten verbindliche Geltung einräumt und eine mittlere Position, die für die Einzelfallprüfung der Prophetenüberlieferung plädiert. Zur "Nur-Koran-Partei" gehören säkular eingestellte Politiker, die sich die Möglichkeit einer liberalen Koranauslegung unter Ausschluß der Prophetentradition und ihrer gelehrten Ausleger sichern wollen, die ihre Funktion gerade mit der möglichst umfassenden und wortgetreuen Sicherung der Prophetentradition begründen. Das Verhältnis zwischen Kommentar und Kanon hätte exemplarisch behandelt werden können.

Am Beispiel der Helden- und Bibelepik , der "heiligen Poesie" (S.71) des 18. Jahrhunderts untersucht Bernd Auerochs die Versuche von Autoren wie Bodmer, Wieland, Klopstock, sich in einen religiös fundierten kulturgeschichtlichen Kanon einzuschreiben. Eindrücklich zeigt er, daß diese Kanonisierungsstrategie gerade wegen des bemühten Bezugs zur Institution Religion scheitern muß. Unterstellt sie doch die Existenz eines geschlossenen Kanons, während der soziokulturell akzeptierte "Originalitätsgedanke" (S.73) nur noch eine epochale Repräsentanz zuläßt, d.h. der literarische Wertmaßstab hat sich als Folge des Wandels der Bezugsgruppe des Kanons (bürgerliche Bildungsschicht, Romanform) verändert. Deren Interesse an gesellschaftlicher Emanzipation und Mobilität entspricht weder ein geschlossener Kanon noch eine dienende Kunst, sondern eine autonome, die Auslegungsangebote für die Umgestaltung der Wirklichkeit vorlegt. Außerdem verlieren die Religion und ihr Begriff des Wissenswerten gegenüber wissenschaftlich-philosophischen Erklärungsmodellen ihre dominierende Orientierungsfunktion. Einer Kanonisierung der "heiligen Poesie" fehlt die Bezugsgruppe.

Zwei Beiträge untersuchen den Prozeß der "Kanonisierung durch Anthologisierung", so der Titel von Christoph Bodes Beitrag zu Anthologien der englischen Romantik. Er geht von zwei Voraussetzungen aus: Unterricht und Lehre seien "Instrument der Vermittlung von Lyrik schlechthin" und die Lyrik-Anthologie sei "Instrument zur Tradierung des Lyrik-Kanons" (S.92), weil sie die Texte durch programmatische Vorwörter für eine Bezugsgruppe kontextualisiere. Anthologien als Unterrichtsgegenstand ("Lehr-Kanon") formen und verändern damit Ausprägungen des allgemeinen Lyrik-Kanons, was Bode allerdings als gattungsspezifisch einschränkt (S.104). Er stellt in seinem chronologischen Anthologievergleich (Berücksichtigung der Auflagenzahl, Verbreitung, des Umfangs, Ruf des Verlags und der Herausgeber, Verlagsprogramm usw.) "eine Kanon-Transformation" (S.93) von den "male big six" (Blake, Wordsworth, Coleridge, Lord Byron, Shelley, Keats) zur angemessenen Berücksichtigung auch eines "Kernbestands von Autorinnen" (S.96) fest. Verallgemeinerbar dürfte folgende Diagnose Bodes sein.

Realisiert wird der Wandel >des< Kanons aber über die Entwicklungsdynamik innerhalb der sowie über die Spannungen und Austauschbewegungen zwischen den verschiedenenen kulturrelevanten >Spezial<-Kanones (S.104),

womit College-, Schul-, Universitätskanones usw. gemeint sind.

Gerhard R. Kaiser ("Anthologie: Kanon und Kanonskepsis. Hofmannsthal, George / Wolfskehl, Borchardt") diagnostiziert die Orientierung der vier Anthologisten an der von Nietzsche beeinflußten Idee einer einheitlichen deutschen Nationalkultur: Abwendung von Historismus und Epigonalität, Geschichte als Entfaltungsraum der großen einzelnen, elitäre Einstellung. George / Wolfskehl heben die Bedeutung der Form hervor, Borchardt (>Ewiger Vorrat deutscher Poesie<) komme es auf die "Restauration deutscher Kulturtotalität" (S.118) an, er beanspruche "die absolute Gültigkeit und die absolute Dauer der getroffenen Auswahl" (S.117), Hofmannsthal ("Deutsches Lesebuch") ziele auf die die Deutschen "allein auszeichnende Gottesunmittelbarkeit" (S.123), so daß unterschiedliche Adressatengruppen bedient werden. Die Programmatik sei schon formal zu erkennen in Drucktype, Anordnung und Abfolge der Texte (z.B. Goethe in der Mitte), "literarische canones sind nicht beweisfähig, wohl aber evidenzpflichtig" (S.132). Dieser Pflicht kämen die Anthologien durch die Qualität ihrer Auswahl nach. Weil Kanones aus pragmatischen Gründen unverzichtbar seien, seien es auch Anthologien.

Der fundierte fachgeschichtliche Beitrag "Zum Kanonproblem der germanistischen Mediävistik" von Jens Haustein bietet eine am Literaturbegriff orientierte Kontroversgeschichte der Kanonbildung (Wilhelm Grimm: kulturhistorisch, Jacob Grimm / Karl Lachmann: Textkritik, Kunstpoesie, Kurt Ruh: Überlieferungsgeschichte, Friedrich Ohly: Bedeutungsgeschichte, Hugo Kuhn: Versuch einer Zusammenführung verschiedener Ansätze, die Kontroverse zwischen Walter Haug und Gerhard von Graevenitz) mit dem Ergebnis, daß die Altgermanistik mit einem engen (fiktionale,) und einem erweiterten (Sachtexte, nichtfiktionale volkssprachliche Literatur) Literaturbegriff arbeiten müsse.

Gerade als "neuere Variationen einer nationalen Selbstbestimmungsdebatte" (S.191) untersucht Kurt Müller die Kanondiskussion in den USA. Es geht ihm um "den Zusammenhang zwischen der literarischen Kanonentwicklung und [...] politisch ideologischen Faktoren" (S.192). Als solche gelten ihm die Unabhängigkeitserklärung, der Frontier-Mythos, der ethnische Pluralismus, der Vietnamkrieg, die Einwanderungswellen. Diente der Kanon zunächst der Ausbildung nationaler Identität als Abgrenzung von Europa, so ziele er nun auf die Dokumentation der Repräsentanz (Bedeutung der Anthologien) möglichst vieler Minderheiten ("celebration of unity in diversity", S.213), während die ästhetische Wertung einer späteren Zukunft überlassen bleibt. Müller verbindet explizit und methodisch die Kanonentwicklung mit den soziokulturellen Gegenbenheiten ihres Szenarios.

Stefan Neuhaus geht in seiner gut lesbaren, auf konkrete Lehrsituationen ausgerichteten Untersuchung von der pragmatischen Überlegung aus, daß aus "hedonistischen Gründen" (S.18) gelesen werde. Entsprechend den Leseerwartungen müsse sich auch der Kanon ständig verändern. Weil man nicht alles lesen könne, sollten in Literaturgeschichten und Rezensionen die Wertungskriterien mitgeteilt werden, damit man wisse, warum man was lesen solle. So schlägt Neuhaus vor, von einer "permanenten >Revision des Kanons<", von "geringen qualitativen Unterschieden" zwischen den geprüften Texten auszugehen, einen erweiterten Literaturbegriff und die "Unabschließbarkeit von Kanonisierungsprozessen" (S.153) anzuerkennen.

Um seine Vorschläge praktisch umzusetzen, unterzieht er mehrere in Literaturgeschichten, Umfragen, Leselisten kaum berücksichtigte Autoren und Werke (z.B. Ludwig Kalisch, Julius Rodenberg, Hauffs "Lichtenstein", Fontanes "Ellernklipp", Texte von Popsongs, Videoclips) einer Kanonprüfung. Als Wertungskriterien dafür gelten ihm Polyvalenz / Offenheit, Stimmigkeit, Originalität, Selbstreferenz (S.17 f.). Wenn er feststellt, daß faktenorientierte Gattungen wie Briefe, Reiseberichte usw. kaum kanonisiert seien, so gilt dies am Maßstab eines Kanons ästhetischer Literatur, daneben existieren aber je gattungsspezifische Kanones (z.B. Anthologien zur Brief- und Reiseliteratur). Neuhaus unterstützt die schon bei von Matt diagnostizierte Empfehlung, Mut zur Berücksichtigung nicht kanonisierter Autoren und Werke zu haben.

Perspektiven

Von der Forschung kaum berücksichtigt ist die Rhetorik der Kanondiskussion. Als zentrale Bestandteile und Topoi sind Formulierungen von Superlativen, Singularität und normativer Einschränkung, von Zeitlosigkeit bzw. langer Dauer oder Verlust von Aktualität und Gegenwartsbezug, Oppositionen und konzessive Strukturen zu erwarten. Daran anschließen würde sich eine Geschichte der ritualisierten öffentlichen Stiftungen von Kanones.

Wenn der Kanon Faktor eines soziokulturellen Szenarios ist, müßte die Kanonforschung auch komplexe soziale Strukturen berücksichtigen. Es wäre z.B. zu untersuchen, ob von kanonspezifischen Einstellungen, Handlungs- und Verhaltensdispositionen auszugehen ist.

Auch verdiente das Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Kanongeltung eine nähere Untersuchung, um z.B. festzustellen, inwieweit Bildung mit einzelnen Schlagwörtern und Versatzstücken ohne entsprechende sachliche Fundierung nachzuweisen ist.

Ein weiteres Desiderat betrifft die Untersuchung kanonbezogener Körperkonzeptionen, d.h. allgemein des sinnlichen Elements als Vermittlungsfaktor zwischen Text und soziokulturellem Szenario. Ein kanonisierter Autor wird sich anders darstellen als einer, der Anschluß an den Kanon durch inszenierte Provokationen oder durch Anpassung ans Wertregister sucht. Am Beispiel des Beitrags von Auerochs wären z.B. bildliche und sprachliche Porträts von Bodmer, Wieland, Klopstock mit solchen der Stürmer und Dränger zu vergleichen. Insgesamt bedeutet diese Perspektive die systematische Erweiterung des Quellenmaterials für die Kanonforschung um die jeweils zugänglichen technisch verfügbaren Zeugnisse.


PD Dr. Burckhard Dücker
Universität Heidelberg
Germanistisches Seminar
Hauptstr. 207-209
D-69117 Heidelberg

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Ins Netz gestellt am 26.08.2002
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Anmerkungen

1 Siehe die Rezension von Burckhard Dücker zu: Maria Moog-Grünewald (Hg.): Kanon und Theorie (Neues Forum für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft; 3) Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1997 und zu Renate von Heydebrand (Hg.): Kanon – Macht– Kultur: Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildungen. DFG-Symposion 1996 (Germanistische Symposien, Berichtsbände; 19) Stuttgart u.a.: Metzler 1998. [Vgl. die Rezension bei IASLonline http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/hageste.html] In: Zs. für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 45, 1 (2000), S.143–159; Rakefet Sela-Sheffy: Literarische Dynamik und Kulturbildung. Zur Konstruktion des Repertoires deutscher Literatur im ausgehenden 18. Jahrhundert (Schriftenreihe des Instituts für deutsche Geschichte Universität Tel Aviv; 21) Gerlingen: Bleicher Verlag 1999 [Vgl. die Rezension bei IASLonline http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/tommek.html]; Hermann Korte: Neue Blicke auf den literarischen Pantheon? Paradigmen und Perspektiven der historischen Kanonforschung. In: DU 6 (1998), S.15–28.   zurück

2 Andreas Rosenfelder: Kanonisch. Eine Wolfenbütteler Tagung trug echte Krawattenklassiker. In: FAZ Nr. 283, 5. Dez. 2001.   zurück

3 Schwerpunkt >Nationalphilologien< in der Rubrik >Forum Humanwissenschaften< ausgehend von Heinz Schlaffers Begründung einer "Kurze[n] Geschichte der deutschen Literatur". In: FR Nr. 48, 26.02.02; Nr. 60, 12.03.02; Nr. 82, 09.04.02; Nr.94, 23.04.02; Nr. 126, 04.06.02. Vgl. auch Oskar Reichmann: Nationalsprache als Konzept der Sprachwissenschaft. In: Andreas Gardt (Hg.): Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Berlin u.a.: Walter de Gruyter 2000, S.419–469. – Dietrich Harth: Nationalliteratur – ein Projekt der Moderne zwischen Mystifikation und politischer Integrationsrhetorik. In: Andreas Gardt (Hg.): Nation und Sprache, s.o., S.349–381. – Dietrich Harth: Nationalphilologie / Neue Philologie. In: Alois Wierlacher (Hg.): Handbuch Interkulturelle Germanistik, München 2002 (im Druck).    zurück

4 Manfred Fuhrmann: Bildung. Eurpoas kulturelle Identität. Stuttgart: Reclam 2002.    zurück

5 Peter von Matt: Begeisterung, das ist die große Crux. Vom möglichen Vergnügen an der Verantwortung für die literarische Tradition: Warum die Freiheit vom Kanon eine Bürde ist und die Bürde eine Lust. In: FAZ Nr. 10, 12. Jan. 2002.   zurück

6 Spielsteine. Hundert Autoren wählen die hundert besten Bücher. In: SZ Nr. 107, 10. Mai 2002.    zurück

7 Leon de Winter: Interview. In: Der Spiegel 22 (2002), S.187.   zurück

8 FR Nr. 83, 10.04.02; vgl. auch das Projekt >Deutsche Erinnerungsorte<, das die Existenz eines "nationalen Geschichtskanons" vorgibt. Ulrich Speck: Gediegener Hausschatz. Ein Sammelband sucht nacht >Deutschen Erinnerungsorten<. In: FR Nr. 78, 02.04.01. Dazu die Rezension von Klaus Große Kracht in IASLonline: http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/grosse2.html    zurück

9 >Kanonliebling< Faust hielt selbst nicht viel vom Lesen. In: RNZ Nr. 121, 28. Mai 2002.    zurück

10 Hubert Spiegel: redaktionelle Einleitung : Holzfällen. Heute diktiert Marcel Reich-Ranicki den Deutschen seinen literarischen Kanon: Erste Reaktionen der jungen deutschen Literatur. In: FAZ Nr. 116, 22. Mai 2002.    zurück

11 Vgl. Carol C. Gould / Pasquale Pasquino (Hg.): Cultural Identity and the Nation-State. Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers 2001.    zurück

12 Für Lykurg vgl. die eindringliche Darstellung von Brigitte Hintzen-Bohlen: Die Kulturpolitik des Eubulos und des Lykurg. Berlin: Akademie Verlag 1997, bes. S.105–135.   zurück

13 Zu verschiedenen antiken Versionen des Mythos, Neugestaltungen und Deutungsvarianten vgl. Burckhard Dücker: Erlösung und Massenwahn. Zur literarischen Mythologie des Sezessionismus im 20. Jahrhundert. Heidelberg: Synchron Verlag (erscheint im Herbst 2002), bes. Kap. 2    zurück

14 Vgl. Burckhard Dücker: "Warum bin ich kein Goethe?" Formen literarischer Selbstinszenierung bei Wilhelm Waiblinger. In: Euphorion 2 (2002), S.171-192.   zurück