Fuchs über Myers / Harris: Journeys through the Market

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Anne Fuchs

Englische Ausflüge: Vom Reisen durch Märkte

  • Robin Myers / Michael Harris (Hg.): Journeys through the Market. Travel, Travellers and the Book Trade. New Castle / US: Oak Knoll Pres 1999. 152 S. Geb. DM 95,-.
    ISBN 1-5845-601-42.


Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Reiseliteratur hat in den letzten zwanzig Jahren eine ungeheure Konjunktur erlebt. Während sie bis in die siebziger Jahre vom mainstream weitgehend als ein von liebenswürdigen Exzentrikern gerittenes hobby horse betrachtet wurde, 1 führte in neuerer Zeit vor allem die kulturwissenschafliche Wende der Geisteswissenschaften und ihre fruchtbare Berührung mit ethnographischen und anthropologischen Fragestellungen zu einer radikalen Neubewertung auch der Reiseliteratur. Dass sie inzwischen zum idealen Spielfeld für dekonstruktivistische Übungen avanciert ist, schlägt sich in der fast ins Uferlose anschwellenden Forschungsliteratur zu allen Spielarten und Gattungen nieder.

Standen in der traditionelleren Literaturwisenschaft zunächst Gattungsdiskussionen und die Frage nach dem Verhältnis von Authentizität und Fiktionalität im Vordergrund des Interesses, so geht es in der neueren kulturwissenschaftlichen Forschung um die problematisch gewordene Relation des Eigenen und Fremden. Die metakritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Fremderfahrung ist zum einen geleitet von der unberechtigten Besorgnis, dass die Begegnung mit dem Fremden in einer zunehmend globalisierten Welt und dem Zeitalter des Massentourismus an ihr Ende gelangt sei, 2 und zum anderen von der selbstkritischen Reflexion auf den eurozentrischen Diskurskontext.

In Großbritannien wurde diese Diskussion maßgeblich dominiert von Edward Saids Orientalism (1978) und Homi Bhabhas The Location of Culture (1994), in deren Nachfolge zahlreiche Studien entstanden, die die Abhängigkeit des westlichen Wissensarchivs vom Empire aufdecken. 3 Auf verschiedene Weise wird hier der Nachweis geführt, dass sich hinter der europäischen Erfahrung des Fremden immer schon autoritäre Gesten, Herrschaftsansprüche oder bestenfalls aufklärerische Projektionen verstecken. Die Repräsentation des Anderen hat also ihre Unschuld längst schon verloren.

Von der jüngsten Konjunktur diskursanalytischer, feministischer und dekonstruktivistischer Analysen der Reiseliteratur ist in dem von Robin Myers und Michael Harris herausgebenen Band Journeys through the Market. Travel, Travellers and the Book Trade allerdings kaum etwas zu spüren. Der Band versammelt sieben Beiträge, die in Vortragsform aus Anlaß einer Konferenz der Royal Geographical Society in London gehalten wurden. Wie die kurze Einleitung darlegt, soll es um die Auslotung einiger Aspekte des Verhältnisses zwischen Reiseliteratur und Buchhandel gehen und damit um die Vermarktung verschiedenster Reiseerfahrungen im Druck.

Reiseliteratur und Buchhandel

Anthony Payne eröffnet den Band mit einem Aufsatz zu Richard Haklyt (1552—1616), der im ausgehenden 16. Jahrhundert durch die Publikation von mehr als 25 Reiseberichten einen wesentlichen Beitrag zur Dissemination nicht nur der Reiseliteratur, sondern des überseeischen Kolonialprojekts leistete. Haklyt, der unter anderem mit Sir Francis Drake, Sie Humphrey Gilbert und Walter Raleigh bekannt war und ausgezeichnete Beziehungen zu Regierungskreisen besaß, war ein begeisteter Anhänger britischer Expansionsbestrebungen. Anläßlich der Veröffentlichung der 1582 erschienenen Divers Voyages touching the Discoversies of America, einer Art Handbuch für zukünftige Kolonialisten, lenkt Haklyt die Aufmerksamkeit seiner Leserschaft auf die Bedeutung der spanischen und portugiesischen Eroberungen, um dann der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, "that we of England may share and part stakes [...] both with the Spaniarde and the Portingale in part of America, and other regions as yeat undiscovered." (S. 4).

Exemplarischer Ausdruck dieses Anspruchs ist Haklyts Hauptwerk, das in zwei Auflagen erschienene The Prinicipall Navigations. Voiages and Discoveries of the English Nation (1589), das insofern einzigartig ist, als es ausschließlich Zeugnisse und Berichte über englische Entdeckungsreisen versammelt. Inwieweit Haklyt jedoch propagandistisch auf seine Leserschaft tatsächlich zu wirken vermochte, ist unsicher. Payne zufolge kommt ihm insgesamt insofern Bedeutung zu, als seine vielfältige Publikationstätigkeit eben nicht nur auf englische Zeugnisse beschränkt bleibt, sondern die Geschichte westlicher Entdeckungen in der Renaissance umfassend reflektiert. Während dieses Resumee durchaus einleuchtet, ist Paynes Versuch, Haklyt von seinen "awkward imperial attachments" (S. 25) loszulösen, um die Bücher als interesseloses Wissensreservoir zu betrachten, methodisch prekär. Die genaue philologische Kenntnis der Quellen kompensiert die mangelnde Reflexion auf die ideologischen und politischen Diskurskontexte nicht. So läßt sich den Verstrickungen des Kolonialkontextes wohl kaum entkommen.

Allegorie des Schiffbruchs

Michael Harris befasst sich in seinem Beitrag mit Darstellungen des Schiffbruchs vor allem in der Zeitungs- und Buchkultur im späten 17. Jahrhundert. Obwohl Nachrichten zur Schifffahrt fester Bestandteil aller wichtigen Londoner Zeitungen waren, blieb die Berichterstattung aufgrund der Schwierigkeit, an gesicherte Informationen zu kommen, insgesamt unstabil. Vor dem Hintergrund des schieren Volumens des Schiffsverkehrs war die Berichterstattung in diesem Sektor häufig impressionistisch bzw. spekulativ. Als Informationsquelle für Schiffahrtsnachrichten kamen über den langsamen Postverkehr hinaus zum einen lokale Repräsentanten der Schifffahrtsgesellschaften in den verschiedenen Häfen in Frage, zum anderen die Händler der Royal Exchange, für die die Validierung der Berichte kommerziell extrem wichtig war. Daß Nachrichten über Schiffbrüche im Kontext der allgemeinen Expansionsbestrebungen großes Interesse fanden, liegt auf der Hand, endete doch etwa jede zehnte Schiffsreise im Desaster (S. 45). Berichte über Schiffbrüche wurden häufig ergänzt durch Berichte über Bergungsversuche der lukrativen Schiffsladungen. Ein Beipiel hierfür ist etwa der im Post Boy im Juni 1695 veröffentlichte Bericht über die Erprobung einer Tauchmaschine, mittels derer ihr Erfinder eine halbe Stunde lang in vier Faden Tiefe verweilen konnte (S. 51).

Der Schiffbruch als ein die Expansionsbestrebung störendes Ereignis fand aber nicht nur Niederschlag in den Zeitungen der Zeit, sondern auch in Pamphleten und Büchern, die sich auf Augenzeugenberichte von Überlebenden konzentrierten. Um die Authentizität der geschilderten Ereignisse zu erhöhen, wurde den Berichten oft Passagierlisten mit der Aufforderung angefügt, der Leser möge doch das Erzählte selbst verifizieren. Dass diese Art der Buchpublikation oft religiöse Impulse hatte, zeigt sich an der ersten bekannten Kompilation zum Schiffbruch, Mr. James Janeway's Legacy to His friends Containing Twenty seven Famous Instances of Gods Providence in and about Sea Dangers and Deliverances aus dem Jahr 1675. Ein alternativer Zugang zum Thema bekundet sich allerdings schon in zeitgleichen Publikationen, in denen die Berufung auf die Vorsehung, der Gebrauch des Gebets sowie die Seemannssprache bereits satirisch dargestellt werden. Hier hätte Harris anregende Studie durch eine genauere Analyse der verschiedenen Allegorisierungsstrategien des Schiffbruchs analytische Tiefe gewinnen können.

Entstehung des modernen Reiseführers

Jeremy Blacks Beitrag zur "Grand Tour" liefert eine Übersicht zur Kavaliersreise aus britischer Sicht, die sich jedoch weitgehend im Abklappern bekannter Topoi erschöpft und kaum Neues zum Thema hinzufügt.

Giles Barbers Aufsatz zu englischsprachigen Reiseführern über Europa bis 1870 hat da insofern mehr zu bieten, als er die Entstehung des modernen Reiseführers nicht nur auf Murray und Baedecker zurückverfolgt, sondern auch weniger bekannte Vorläufer, wie etwa Mariana Starkes Information and Directions for travellers on the Continent (1820), berücksichtigt.

Charles Newtons Beitrag behandelt die Publikation von illustrierten Büchern über den mittleren Osten zwischen 1800 und 1850, die durch die napoleonische Invasion Ägyptens im Jahr 1798 und die nachfolgend in neunzehn Bänden veröffentlichte Description de l'Egypte (1809—22) deutlich angeregt wurde. Hinzu kamen drucktechnische Neuerungen, wie etwa die Erfindung der Lithographie, die verbilligte Papierproduktion und verbesserte Druckerpressen. Obwohl Religion und Romantik als wesentliche kulturelle Quellen für die Buchproduktion in diesem durchaus interessanten Nischenmarkt angeführt werden (S. 111f.), bleibt die nach wie vor brisante Frage nach der diskursiven und ikonographischen Repräsentation des mittleren Ostens ungestellt. Wie fast alle Beiträger dieses Bandes, unterläßt auch Newton jedwede diskusanalytische Reflexion auf die Konstruktion von Selbst-und Fremdbild in den thematisierten Publikationen.

Schiffslektüre für Emigranten

Bill Bells Beitrag zu der Schiffslektüre von Emigranten, die im 19. Jahrhundert nach Australien auswanderten, offeriert einen gelungenen Abschluß der Aufsatzsammlung. Von besonderem Interesse sind in diesem Sektor die praktischen Handbücher für Emigranten, wie etwa Out at Sea; or Emigrants Afloat und Tegg's Handbook for Emigrants von 1839, das in handlicher Größe auf etwa 200 Seiten Ratschläge über nützliche Handfertigkeiten vom Schreinern angefangen, über das Kochen bis hin zum medizinischen Eingriff erteilt. Einige Publikationen wurden als besonders geeignete Abschiedsgeschenke vermarktet, wie zum Beispiel eine Billigausgabe von Robinson Crusoe oder P.H. Gosse's The Ocean. Hinzu kam die kostenlose Verteilung von Traktaten durch christliche Gesellschaften, wie etwa der Society for Promoting Christian Knowledge, die Bell zufolge um 1860 jährlich etwa 8 Millionen Traktate in den Umlauf brachte. Besondere Energie wurde hierbei auf die moralische Erbauung unverheirateter Frauen angewandt, die in Publikationen wie A Letter to Young Female Emigrants (1851) aufgefordert wurden, ihre freie Reisezeit zur nützlichen und erbaulichen Lektüre zu verwenden. Inwieweit jedoch diese Literatur geschlechtsspezifische Rollenbilder nur affirmiert hat oder aber es vermochte, diese im Kontext der Emigration zu verändern, bleibt eine noch zu untersuchende Frage. Über die Analyse der Situation von Wirtschaftsmigranten hinaus, für die in einzelnen Fällen sogar Alphabetisierungskampagnen an Bord durchgeführt wurden, beschäftigt sich Bells sozialgeschichtlich recht differenzierte Analyse auch mit den Lektüregewohnheiten wohlhabender Kolonisten, die oftmals ihre eigene Reisebibliothek in den Luxuskabinen unterbringen konnten.

Fazit

Der Wert dieser Publikation zeigt sich im Detail. Unberührt von den metakritischen Reflexionen auf das Reisen im und außerhalb des Textes, gelingt es den Autoren gelegentlich doch, interessante Einzelspekte im Themenkreis Reise und Buchhandel in den Blick zu rücken. Abgesehen von den fruchtbaren Quellenverweisen sind es damit vor allem die nuancierten Details, die den Journeys through the Market ihren muffigen Anstrich nehmen.


Dr. Anne Fuchs, Senior Lecturer
University College Dublin
Department of German
Belfield
Dublin 4

Ins Netz gestellt am 04.12.2001
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Anmerkungen

1 So schreibt etwa Peter Brenner noch in seinem 1989 erschienenen Sammelband Der Reisebericht: "[…] namentlich die germanistische Literaturwissenschaft hat bis in die Gegenwart den Anspruch des Reiseberichts kontrovers diskutiert, in das Gefüge der Gattungsnormen aufgenommen werden zu dürfen". Peter J. Brenner: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt: Suhrkamp 1989, S. 7.    zurück

2 Diesem Topos wäre jedoch zu entgegnen, dass das Fremde eben keine Objekteigenschaft, sondern vielmehr eine Beziehung zwischen Selbst und dem Anderen bezeichnet, die durchaus nicht ihr Potential eingebüßt hat, destabilisierend auf die eigene Identitätsbildung zu wirken. Vgl. Ingrid Kuczynski: Verunsicherung und Selbstbehauptung — der Umgang mit dem Fremden in der englischen Reiseliteratur des 18 Jahrhunderts. In: Anne Fuchs / Theo Harden (HG.): Reisen im Diskurs. Modelle der literarischen Fremderfahrung von den Pilgerberichten bis zur Postmoderne. Heidelberg: Carl Winter 1995, S. 55—70.   zurück

3Vgl. Mary Louise Pratt: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. London / New York: Routledge 1992; Peter Hulme: Colonial Encounters. Europe and the Native Carribean 1492—1797. London / New York 1992; Sara Mills: Discourses of Difference. An Analysis of Women's Travel Writing and Colonialism. London / New York: Routledge 1993.    zurück