Fuchs über Young: At Memory's Edge

IASLonline


Anne Fuchs

>Why perfect is the enemy of good<.
Zur Mahnmal-Debatte und Gedächtnis-Kunst
im Zeitalter des Post-Gedächtnisses

  • James E. Young: At Memory's Edge. After-Images of the Holocaust in Contemporary Art and Architecture. New Haven u.a.: Yale University Press 2002, 2.Aufl. 248 S. Geb. £ 13.50.
    ISBN 0-3000-80328.


James E. Youngs jüngstes Buch ist nicht nur auf Grund seines Publikationsdatums im Jahr 2000 eine Schwellenpublikation, befasst es sich doch wie der Titel ankündigt, mit den >After-Images<, den Nach-Bildern des Holocaust also, in der zeitgenössischen Kunst und Architektur. Dass Young dieses Buch schrieb, überrascht nicht: so hatte er ja bereits mit The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning ein Standardwerk vorgelegt, in dem es um die oft spannungsreiche Interaktion zwischen Öffentlichkeit und Holocaust-Mahnmalen ging. 1 In dem älteren Werk bestand Young noch darauf, dass sich Holocaust-Mahnmale insofern wesentlich von zeitgenössischer Kunst unterscheiden müssen, als sie gegenläufig zu deren Selbstreferentialität immer auf den Holocaust als einen konkreten historischen Referenzpunkt verweisen.

Während der Rezipient zeitgenössischer Kunstwerke dazu eingeladen werde, etwa auf die Materialität des Kunstwerks und seine intertextuellen Bezugspunkte zu reflektieren, so ginge es den Holocaust-Mahnmalen nicht so sehr um die eigene Präsenz als vielmehr um die Evokation der durch den Holocaust geschaffenen abwesenden Vergangenheit. Young zufolge ist daher auch die ästhetische Dimension des Kunstwerks nicht von seiner sozialen Funktion zu trennen. 2 Wie sich nun die verschiedensten Künstler hierbei dem von Nietzsche über Musil bis hin zu Pierre Nora ausgemachten Dilemma der Denkmalskultur stellen, die Erinnerungsarbeit gerade nicht zu befördern, sondern bloß an das Denkmal zu delegieren, spielte Young in der älteren Publikation an Beispielen aus Deutschland, Österreich, Israel, Polen und den USA durch.

Die jüngste Essaysammlung führt diesen Problemkomplex weiter, allerdings mit neuen Akzentsetzungen: Ausgangspunkt ist nun nicht mehr die Trennung zwischen zeitgenössischer und Holocaust- Kunst, sondern vielmehr die zunehmende Intermedialität des Holocaust im Zeitalter des Post-Gedächtnisses. Young geht es vordringlich um die Frage, wie nach dem Tod der letzten Zeitzeugen und dem damit einher gehenden Paradigmenwechsel vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis die Erinnerung an den Holocaust in öffentlichen Kunstwerken überhaupt noch wach gehalten werden kann, ohne dass es zu einer bloßen Institutionalisierung und Delegierung der Erinnerung kommt. Wie akut der Übergang zum >Post-Gedächtnis< für eine Ethik der Erinnerung ist, zeigt sich einerseits an der wachsenden historischen Distanz und andererseits an der damit eingeleiteten Freisetzung kreativer und imaginativer Besetzungen des Holocaust. "Postmemory", schreibt Marianne Hirsch,

is distinguished from memory by generational distance and from history by deep personal connection. Postmemory is a powerful and very particular form of memory because its connection to its object and source is mediated not through recollection but through an imaginative investment and creation. 3

Hirschs Begriff des Post-Gedächtnisses aufgreifend, untersucht Young nun, wie die nach dem Holocaust geborene Generation ihre indirekten, häufig medial vermittelten Erfahrungen mit dem Holocaust künstlerisch verarbeitet, ohne jedoch die ethische Dimension der Gedächtnisarbeit preiszugeben. An die Stelle der Zeugenschaft trete, so Young, nun die gebrochene Erinnerung an die Erinnerung des Zeugen und damit ein Verständnis von Geschichte, für das neben der Erinnerung an das Geschehene vor allem die prekäre Vermittlung dieser Erinnerung an die nachfolgende Generation von zentraler Bedeutung ist. Gerade indem die Post-Holocaust Generation den Abstand zwischen persönlich erinnertem Trauma und dessen Nachleben im Post-Gedächtnis durch ihre Gegenmonumente auslote, versichere sie, dass Holocaust-Gedenken ein ephemerer, letztlich unbewältigbarer Prozess bleibe.

Als Gegenmonumente verweigerten sie sich kategorisch jedweden ästhetischen Versöhnungsangeboten: "art and literature after the Holocaust", versichert Young, "are pointedly antiredemptory of both themselves and the catastrophe they represent." (S. 5) Trotz seines (post-)Adornoschen Pathos lässt Young allerdings die von Saul Friedländer formulierte Frage, ob die anhaltende Obsession mit Nazismus und Holocaust in populärer Kultur, Kunst, Literatur und im Film letztlich nicht doch nur Ausdruck eines ambivalenten Faszinosums sei, das den >fascinating fascism< immer wieder reinszeniere, bewusst offen. Andererseits aber traut er den in dem Band behandelten "Gegenmonumenten" durchaus zu, die Unbewältigbarkeit des Holocaust perfomativ umzusetzen.

Die Verquickung von Trauma und Alltag: Spiegelmans Maus

Als erstes Beispiel für ein mehrfach gebrochenes, selbstreflexives Darstellungsverfahren behandelt Young Art Spiegelmans berühmten Comic Maus, in dem Spiegelman bekanntlich nicht nur die traumatische Geschichte seines Auschwitz-Überlebenden Vaters Vladek verarbeitet, sondern auch die Rezeption dieser Geschichte in Art Spiegelmans eigener Gegenwart. So wird die von den Zwischenfragen des Sohnes unterbrochene Aufzeichnung der eigentlichen Erzählung immer wieder punktiert von gegenwärtigen Alltagsepisoden, wie etwa Vladeks neurotischer Pillenzählerei, dem dauernden Ehezwist mit seiner zweiten Frau, oder aber seinen manipulativen Versuchen den Sohn in seiner Nähe zu halten.

Hinzu kommen Arts kritische Reflexionen auf seine Fähigkeit, die traumatische Geschichte des Vaters im eigenen Lebenskontext zu assimilieren: an einer Stelle des Comic wird dargestellt, wie ihm sein Frau genau in dem Moment einen Kaffee anbietet, als die Kasettenaufzeichnung des Vaters von der Ermordung seines Bruders berichtet. Indem der Comic zeigt, wie Art den Recorder abstellt um Kaffee zu trinken, blendet er die Gleichzeitigkeit von Trauma und Alltag pointiert ein. Als hybrides Gebilde, das nicht nur die Lebensgeschichte des KZ-Überlebenden Vladek Spiegelman, sondern auch die in der Gegenwart vielfältig gebrochene Weitergabe dieser Geschichte mit darstellt, bietet Maus Young zufolge ein Musterbeispiel für eine "received history", der es in ihrer Multivokalität und Selbstreflexivität gelingt, sich jeder Form der einsinnigen Sinnzuschreibung zu entziehen.

Spiegelman's Maus makes a case for an essentially reciprocal relationship between the truth of what happened and the truth of how it is remembered. The facts of the Holocaust here include the facts surrounding its eventual transmission to him. Together, what happened and how it is remembered constitute a received history of events. (S. 39)

Holcaust als Simulacrum: David Levinthals Mein Kampf

Thema des zweiten Kapitels sind die photographischen Arbeiten David Levinthals, vor allem die Serien Hitler Moves East (1977) und Mein Kampf (1994–96), in deren Zentrum das Verhältnis von geschichtlicher Erfahrung und Simulacrum stehen. In seinen überdimensionalen Photographien beschäftigt sich Levinthal immer wieder mit den Inszenierungs- und Simulationsverfahren, mit denen Realität medial erst in Szene gesetzt wird. Dass selbst die Überlieferung des Holocaust auf Simulacra angewiesen ist, arbeiten die überdimensionalen Tableaux der kontroversen Photoserie Mein Kampf heraus: die im Studio mit Miniaturfigürchen nachgestellten Szenen des Holocaust verweisen in ihrer polierten Geschliffenheit auf den ikonischen und mythologisierten Status des Holocaust im populären Bewusstsein.

It is David Levinthal's struggle between what he knows and how he has known it, between Holocaust history and how it has been passed down to him in the popular, all-too-mythologized icons of televison and photographs. For whether we like it or not, once icons of the Holocaust enter the popular imagination, they also turn mythic, hard and impenetrable. (S. 50)

Was Levinthal selbst als seinen narrativen Stil beschreibt, der den Betrachter bewusst in eine ambige Bildwelt hineinziehe, wird technisch u.a. dadurch erzeugt, dass die Brennebene niemals bei den Miniaturfiguren selbst liegt, sondern immer kurz vor oder hinter dem Objekt. Indem die Distanz zwischen dem photographischen Objekt und seinem Referenzpunkt selbst zur Darstellung komme, werde der Betrachter auf seine eigenen Reflexionen zurück gelenkt. Young versteht die Interaktion zwischen Bildwelt und Betrachter als umgekehrten Realitätseffekt: "I stare and realize that the darker and less discernible the dog and the soldier are, the more real they become in my mind." (S. 52)

Die Radikalität von Levinthals Verfahren, die ikonographische Qualität der Holocaust-Rezeption darzustellen und doch einen abwesenden historischen Referenzpunkt zu evozieren, ist unbestritten. Für viele Betrachter gerät dies Verfahren, wie Young selbst einräumt, allerdings an eine ethische Grenze, wenn Levinthal die Ermordung von Frauen in bewusst sexuellen und erotisierten Posen darstellt. Levinthals Rechtfertigung, dass der Porno-Kitsch längst schon ein wesentliches Ingredienz der populären Holocaust-Ikonographie sei und damit Ausdruck der kulturellen Transformation der Horror-Szenen, ist plausibel. Dennoch bleibt auch bei Young ein Rest Unbehagen gegenüber einer Praxis, die den Betrachter zum Komplizen einer andauerenden Degradierung der Opfer macht.

Zweifelsohne fordern die Arbeiten Levinthals auf Grund ihrer hypermedialen Selbstreflexivität den Betrachter dazu heraus, seine Beziehung zu den Mythen und Bildern, die unser kulturelles Bewusstsein ausfüllen, kritisch zu hinterfragen. Dazu gehören gleichermaßen die vielfältigen kulturellen Projektionen der Verbindung von Eros und Thanatos auf die Opfer des Holocaust wie die Möglichkeit des pornographischen Blicks. Ob die ästhetisch vollendeten Arbeiten Levinthals aber die dargestellten Mythen tatsächlich negieren, vermag auch Young nicht mit Sicherheit zu beantworten. Dass es ihnen allerdings gelingt, unsere Beziehung zu diesen Mythen grundsätzlich zu hinterfragen, macht ihre Qualität als Gegenkunstwerke aus.

Gedächtnis als Palimpsest: Shimon Atties Sites Unseen

Thema des folgenden Kapitels sind Shimon Atties Installationen Sites Unseen aus den Jahren 1991–96, denen es nicht nur um die Sichtbarmachung der vernichteten jüdischen Vergangenheit, geht, sondern auch um die kritische Reflexion auf Atties eigene hypermediale Bezugnahme auf diese Vergangenheit. So projizierte Attie etwa in seinem Writing on the Wall-Projekt Archiv-Bilder des jüdischen Alltagslebens aus dem Scheunenviertel auf Gebäude des heutigen Berlin zurück, die in der Nähe der Orte liegen, an denen die Archiv-Bilder ursprünglich aufgenommen wurden. Young zufolge geht es Atties Installationen weder um eine mediale Wiederherstellung einer verlorenen Lebenswelt noch um die Repräsentation einer intakten Vergangenheit, sondern vielmehr um die Evokation von Verlust:

The Writing on the Wall is no such reparation or bringing back to life; it is, rather, the reminder of what was lost, not what was. At the same time, it is clear in Attie's mind, as he means for it to be in ours, that these projections are simluations, not historical reconstructions. Their immense value lies in showing us not literally what was lost but that loss itself is part of this neighbourhood's history, an invisible yet essential feature of its landscape. (S. 73)

Wie Levinthal arbeitet sich auch Attie mit seinen Palimpsesten damit an dem Dilemma des Post-Gedächtnisses ab: einerseits auf die medialisierte Vermittlung des Holocausts angewiesen zu sein, andererseits dabei Gefahr zu laufen, die Autorität des geschichtlichen Ereignisses zu überblenden.

Gegen-Denkmale: Hoheisel, Gerz, Ullmann,
Whiteread, Stih und Schnock

Beschäftigen sich die ersten drei Kapiel mit den Arbeiten zeitgenössischer amerikanischer Künstler jüdischer Herkunft, so geht es in den folgenden Kapiteln vornehmlich um das Post-Gedächtnis im heutigen Deutschland. Über die schon in The Texture of Memory behandelten Arbeiten hinaus, wie etwa Horst Hoheisels Aschrott-Brunnen in Kassel oder Jochen Gerz' und Ester Shalevs verschwundenes Denkmal in Harburg, behandelt Young hier Skulpturen und Installationen von Micha Ullmann, Rachel Whiteread, Renata Stih und Frieder Schnock als Beispiele für Gegen-Denkmale, die mit der dem Denkmal eigenen Illusion von Permanenz und Autorität brechen, um stattdessen Gedächtnis performativ zu erzeugen. Die Last des Gedächtnisses wird in diesen Arbeiten nicht mehr ans Objekt delegiert, sondern im Betrachter aktiviert:

Rather than creating self-contained sites of memory, detached from our daily lives, these artists would force both visitors and local citizens to look within themselves for memory, at their actions and motives for memory within these spaces. In the cases of disappearing, invisible, and other countermonuments, they have attempted to build into these spaces the capacity for changing memory, places where every new generation will find its own significance in this past. (S. 119)

So gesehen ist Gedächntis immer auch ein selbstreflexiver Akt.

Daniel Libeskinds >Uncanny memorial architecture<

Kapitel sechs und sieben beschäftigen sich mit den bedeutendsten Beiträgen zum kulturellen Gedächtnis im vereinigten Deutschland, einmal mit der Architektur von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum und zum zweiten mit der Debatte um das noch zu errichtende Holocaust-Denkmal in Berlin. In beiden Fällen geht es um das spezifisch deutsche Dilemma der kulturellen Erinnerung an den Holocaust, das Young so formuliert:

A >Jewish Museum< in the capital city of a nation that not so long ago voided itself of Jews, making them alien strangers in a land they had considered >home<, will not by definition be heimlich but must be regarded as unheimlich. (S. 152)

Für den Designer eines solchen Museums übersetzt sich dies in den Auftrag, einen architektonischen Ausdruck für das Unheimliche zu finden, also eine Art Grammatik des Unheimlichen zu entwerfen, die die vertrauten Ordungskategorien wesentlich verfremdet. Mit Blick auf Libeskinds Lösung schlägt Young den Begriff der "uncanny memorial architecture" vor, einer unheimlichen Gedächtnisarchitektur also, die die traditionell stabilisierende Funktion von Architektur, als Teil einer natürlich geordeneten Umgebung zu erscheinen, aus den Angeln hebt.

Youngs Kapitel diskutiert nun nicht allein Libeskinds architektonische Antwort auf das Gedächtnisproblem, sondern darüberhinaus auch den komplexen Prozess, der zu dem Bau des Museums geführt hat. Dazu gehört u.a. die umstrittene Frage, was ein jüdisches Museum eigentlich sei, ein Problem, das schon die Kuratoren des ersten, 1933 eröffneten jüdischen Museums in Berlin beschäftigte. Schon damals hatte der Kunsthistoriker Curt Glaser anlässlich der Ausstellung von Max Liebermanns Werken eingewandt, dass Liebermanns jüdische Herkunft kein ausreichendes Kriterium dafür sein könne, sein Werk als jüdisch zu klassifizieren. Nach dem Krieg forderte Heinz Galinski in den sechziger Jahren, die Geschichte der Berliner Juden als Teil der Geschichte Berlins im Berliner Museum zu behandeln, um so dem Problem einer musealen Ghettoisierung jüdischer Geschichte nach dem Holocaust zu entgehen. Schließlich wurde Ende der 80er Jahre der Bau eines jüdischen Flügels beschlossen, der gleichermaßen integrativer Bestandteil des Berliner Museums wie autonom sein sollte.

Libeskinds kühne und doch subtile Umsetzung dieses paradoxen Auftrags behandelt Young dann als Beispiel für eine unheimliche Gedächtnisarchitektur, die sich mittels eines komplexen Zusammenspiels von Leere, Fragment und diskontinuierlicher Linien- und Raumführung dem Gestus der Sinnzuweisung entzieht. Youngs Analyse der leeren Räume, die das Museum sowohl auf horizontaler wie vertikaler Ebene durchziehen, zeichnen nach, wie es Libeskind gelingt, die dem Museum eigentümliche Illusion der Repräsentierbarkeit des Vergangenen zu unterminieren. An die Stelle der museologischen Illusion treten so systemischer Zweifel, Verfremdung und ein Verständnis von Gedächnis als unabschließbarem Prozess. Dass Libeskinds unheimliche Gedächtnisarchitektur das Verhältnis zwischen dem barocken Haupt-Museum und seiner jüdischen Abteilung auf den Kopf gestellt hat, ist für Young hierbei eine produktive historische Ironie:

Where the city planners had hoped to return Jewish memory to the house of Berlin history, it now seems certain that Berlin history will have to find its place in the larger haunted house of Jewish memory. The Jewish wing of the Berlin Museum will now be the prism through which the rest of the world will come to know Berlin's past. (S. 183)

Why perfect is the enemy of good:
Zur deutschen Mahnmal-Debatte

Das letzte Kapitel widmet sich, wie der pointierte Titel >Germany's' Holocaust Memorial Problem – and Mine< schon andeutet, nicht nur der in der deutschen Öffentlichkeit vehement geführten Debatte um das noch ungebaute Holocaust-Denkmal in Berlin, sondern vor allem geht es hier um die Wandlung von Youngs eigenen Positionen in diesem Prozess. Vertrat Young anfangs noch die Auffassung, dass es für die kollektive Erinnerungsarbeit produktiver sei, die schon vorhandenen Gedächtnisstätten, Museen und Einrichtungen zu fördern, als einen nationalen Gedächtnisort einzurichten, der die Deutschen dazu einlade, ihre Erinnerungslast zu delegieren, so änderte sich seine Position im Verlauf der zunehmend zirkulären Auseinandersetzung. Schliesslich nahm Young die Einladung des Berliner Senats, an der Findungskommission mitzuwirken, an:

What had begun as an intellectually rigorous and ethically pure interrogation of the Berlin memorial was taking on the shape of a circular, centripetally driven, self-enclosed argument. It began to look like so much hand-wringing and fence-sitting, even an entertaining kind of spectator sport. >But can such an imperfect process possibly result in a good memorial< parlamentarian Peter Conradi asked me at one point. I replied with an American aphorism that was altogether unfamiliar to his German ears: >Yes,< I said, >for perfect is always the enemy of good.< (S. 195)

Insofern das Schlusskapitel die Ansprüche, Schwierigkeiten und Arbeit der Findungskommission aus der Innenperspektive nachzeichnet, ist es selbst ein Musterbeispiel für die im Band thematisierte metareflexive Erinnerungsarbeit. Ihre Herausforderung besteht für Young nicht zuletzt darin, die Reflexion auf die mediale Vermittlung des Holocaust nicht abzukoppeln von der Bezugnahme auf das historische Ereignis.

Youngs Essaysammlung, die von aufwendigen Abbildungen der behandelten Gegen-Kunstwerke ergänzt wird, liefert damit einen engagierten und äußerst aktuellen Beitrag zur Erinnerungskultur im Zeitalter des Post-Gedächtnisses, der sich gleichermaßen an Geschichts-, Kultur-, Kunst- und LiteraturwissenschaftlerInnen wie an eine interessierte Öffentlichkeit wendet. Indem die durchweg elegant aber unprätentiös geschriebenen Essays theoretisch-philosophische Reflexionen an subtile Interpretationen anbinden, führen sie genau das vor, wovon der Band handelt, den performativen und suchenden Charakter der Holocaust- Erinnerung.

Zurück bleibt doch der Zweifel, ob die im Band behandelten Gegen-Denkmale es in ihrer raffinierten, oft poliert wirkenden Metareflexivität tatsächlich vermögen, die von Young im Anschluss an Adorno geforderte Negativität so zum Ausdruck zu bringen, dass sie sich jedem ästhetischen Wohlgefallen und damit der ästhetischen Sublimation des Holocaust entziehen. Vielleicht geht es aber auch gar nicht um eine Beantwortung dieser Frage, als vielmehr darum, die Reflexion auf die Schwierigkeiten der kulturellen Erinnerungsarbeit fortzusetzen. Genau das leistet Youngs engagierte Essaysammlung.


Dr. Anne Fuchs
University College Dublin
Department of German
IR-Dublin 4

E-Mail mit vordefiniertem Nachrichtentext senden:

Ins Netz gestellt am 17.09.2002
IASLonline

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von der Redaktion IASLonline. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!


[ Home | Anfang | zurück ]

Anmerkungen

1 Vgl. James E. Young: The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning. New Haven and London: Yale University Press 1993.    zurück

2 James E.Young (Anm.1), S. 13.    zurück

3 Marianne Hirsch: Family Frames. Photography, narrative and postmemory. Cambridge / Mass.: Harvard University Press 1997, S. 22.    zurück