Grimm über Röser: Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext

IASLonline


Petra Grimm

"Endlich mal was anderes" —
Die Rezeption von Gewaltdarstellungen
im Fernsehen unter besonderer Berücksichtigung
ihrer geschlechtsspezifischen Bedeutung

  • Jutta Röser: Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse über Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000. 362 S. Kart. DM 56,-.
    ISBN 3531134973.


Seit dem Terroranschlag am 11. September 2001 stellt sich die Frage, ob in der öffentlichen Debatte das Thema >Gewalt in der Realität< das Thema >Gewalt im Fernsehen< verdrängt hat. In solchen Krisenzeiten zeigt sich besonders deutlich, ob Journalisten und Programmmacher bei der Medienberichterstattung Verantwortung übernehmen. Denn unser Wissen über die Welt basiert weitestgehend auf den Informationen der Medien, wie Niklas Luhmann prägnant formulierte: "Was wir über die Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." 1 Die Meinungsbildungsrelevanz der Massenmedien ist generell und besonders in Krisenzeiten nicht zu unterschätzen, da sie die zentralen >Informationsträger< für das Verstehen der Lebenswelt sind. Unter dem Gesichtspunkt der Aufmerksamkeitsökonomie werden sicherlich derzeit die >authentischen< Bilder der Gewalt im Fernsehen mehr beachtet als die >alltäglichen< fiktionalen. Letztere werden jedoch (bis auf sogenannte Katastrophenfilme, die assoziativ mit dem realen Terrorattentat verknüpft werden könnten) weiterhin gesendet.

Forschungsdefizit im der Medienanalyse

Ein großes Forschungsdefizit betrifft das aktuelle Gewaltprofil des Fernsehens. Die quantitativen und qualitativen Daten über Gewaltdarstellungen bzw. violente Sendeinhalte des deutschen Fernsehens, die zur Zeit zur Verfügung stehen, basieren auf Untersuchungen über die Angebote der frühen neunziger Jahre. Dabei stellt die von Jo Groebel und Uli Gleich 1993 veröffentlichte Untersuchung immer noch das primäre Referenzmaterial bereit. 2 Doch seit dieser Zeit hat sich das Fernsehprogrammangebot strukturell und inhaltlich verändert. Als Beispiele hierfür sind zu nennen: die Erhöhung des Anteils an deutschen Eigen- und Auftragsproduktionen, die Etablierung neuer Formate wie Boulevardmagazine, TV-Movies und Talk-Shows sowie die Hybridisierung von Medieninhalten wie beispielsweise >Infotainment< und >Confrontainment<, die mit Zwittergenres wie Doku-Soaps und Reality TV verknüpft sind. Der Trend zur Vermischung von Fakten und Fiktionen ist für die derzeitige Programmrealität bezeichnend und dürfte auch für die Darstellung von Gewalt (und die Veralltäglichung von Gewalt) im Fernsehen relevant sein.

Deutsche Untersuchungen, die seit der Mitte der neunziger Jahre unternommen wurden, befassen sich vorwiegend mit den Wirkungen und der Rezeption von Gewaltdarstellungen in den Medien sowie mit dem sozialen Umfeld der Rezipientinnen und Rezipienten. Dagegen wird die Programmanalyse unter dem Aspekt der Gewalt in dieser Zeit von wissenschaftlicher Seite eher vernachlässigt. 3 Die Frage, ob von den quantitativen und qualitativen Veränderungen des Fernsehangebots auch die Gewaltprofile der Sender betroffen sind, kann derzeit niemand fundiert beantworten. Indirekt betrifft diese Frage auch die Studie von Jutta Röser, da die Medienaneignung des Publikums auch von der Entwicklung des Medienangebots geprägt ist. Der Trend zu mehr realitätsaffinen Fernsehangeboten wird auch dann relevant, wenn es um die Rezeption gewaltgeprägter Medieninhalte im gesellschaftlichen Kontext geht.

Der zu Beginn der neunziger Jahre prognostizierte Trend zur >Abrüstung< des deutschen Fernsehens, den die Untersuchungen von Klaus Merten nahe legten, 4 ist bislang nicht überprüft worden. Es gibt keine Untersuchungen, die über die inhaltlichen, formalen und kontextuellen Erscheinungsweisen von violenten Darstellungen im aktuellen Angebot Auskunft geben könnten. Ein programmgeschichtlicher Vergleich über die Entwicklung des Fernsehens unter dem Gewaltaspekt ist somit derzeit nicht möglich.

Im Labyrinth der Mediengewalt

In der öffentlichen Debatte wird die Wirkung der >alltäglichen< Gewalt im Fernsehen häufig mit der >realen< Gewalt in der Gesellschaft verknüpft. Die Äußerung des Bundespräsidenten Rau ist bezeichnend dafür:

So wenig es einfache Erklärungsmuster gibt: Gewalt wird auch gelernt. [...] Kinder lernen auch vor dem Fernsehschirm, dass andere Menschen geschlagen, getreten, abgeknallt, werden >dürfen<, sie lernen, dass Gewalt zum Leben gehört und dass die körperlich Starken oder brutaler Bewaffneten die Erfolgreichen sind. Hätte Fernsehen gar keine Wirkung, gäben Unternehmen nicht viel Geld für Werbung aus. 5

Gleichwohl ist sich die Medienwirkungsforschung weitgehend darüber einig, dass das Wirkungspotenzial der medialen Gewalt zu relativieren ist und von einer monokausalen Wirkung schon gar nicht auszugehen ist. Tausende Publikationen haben sich mit dem Thema Gewalt und Medien befasst — kann eine weitere Studie noch neue Erkenntnisse bieten?

"Endlich mal was anderes" ist die Reaktion einer in Rösers Studie genannten Probandin auf eine normabweichende Filmsequenz. Es handelt sich um eine Szene in einer Tatort-Sendung, bei der sich eine Frau in einer bedrohlichen Situation erfolgreich gegen einen Aggressor wehren kann. Die Studie von Jutta Röser ist ebenfalls >mal was anderes<, weil sie den Gender-Aspekt und den gesellschaftlichen Kontext bei der Aneignung von Mediengewalt fokussiert. Die zahlreichen Studien, die sich mit der >Wirkung< von medialen Gewaltdarstellungen beschäftigt haben, weisen bislang größtenteils Leerstellen auf, wenn es um die Geschlechterperspektive geht.

Methodischer Ansatz und Ziel der Studie

Die Untersuchung von Röser basiert auf dem Cultural Study-Ansatz. Bezeichnend für diesen Ansatz sind bestimmte Schlagwörter:

erstens dem der radikalen Kontextualität, zweitens dem Theorieverständnis der Cultural Studies, drittens ihrem interventionalistischen Charakter, viertens ihrer Interdisziplinarität und schließlich fünftens ihrer Selbstreflexion 6

Wenngleich die Theorie der Cultural Studies u.a. von der Semiotik bzw. dem Strukturalismus beeinflusst ist, heißt dies nicht notwendig, dass deren Interpretationsverfahren in Cultural Studies-Untersuchungen angewandt werden. Röser jedenfalls wendet sie nicht an. Sie analysiert die Äußerungen der Rezipientinnen und Rezipienten mittels der "strukturierenden Inhaltsanalyse" (die mit der strukturalen Textanalyse nichts gemein hat). Entscheidend für ihre Studie sind sicherlich die Aspekte des Kontextes und des interventionalistischen oder auch politischen Aspektes. So geht Röser von zwei zentralen Forschungsfragen aus, die sich aus der Perspektive der Cultural Studies stellen:

  • Bezogen auf den Medientext: Welche symbolischen Beziehungen zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen ebenso wie zu aktuellen Wandlungsprozessen und Gegenbewegungen stellt ein so konstruierter Text potenziell bereit?

  • Bezogen auf die Rezeption: Welche Deutungsstrukturen und Aneignungsweisen zeigen sich unter Rezipierenden [...] und wie wird das Mediengeschehen im Hinblick auf alltägliche Erfahrungen und gesellschaftliche Positionierungen (unterschiedlich) gelesen? (S. 53).

Ziel ihrer Studie ist es, neben einer kritischen Betrachtung der Gewaltwirkungsforschung ein theoretisches Konzept zur Untersuchung der Mediengewalt zu präsentieren sowie auf dessen Basis eine empirische Analyse durchzuführen, die den größten Teil des Werkes ausmacht. Die Analyse der Rezeption zweier fiktionaler Filmsequenzen, die sich durch das hegemoniale bzw. nicht-hegemoniale Geschlechterverhältnis unterscheiden, basiert auf 16 Gruppendiskussionen mit 127 Personen. Es wurden sechs Frauengruppen, sechs Männergruppen und vier gemischtgeschlechtliche Gruppen befragt. Die Auswertung erfolgte in drei Schritten:

  1. strukturierende qualitative Inhaltsanalyse

  2. Analyse der Perspektiven auf den Text (als mediales Konstrukt, als mögliche soziale Wirklichkeit und in Bezug zur sozialen Wirklichkeit) sowie

  3. Interpretation der Argumentationen und Gesamtauswertung.

Der Realitätsaspekt, der sich letztlich durch die gesamte Studie aufgrund der Frage nach der Kontextualisierung der Medientexte als sehr relevant herausstellt, wurde in früheren Rezeptionsstudien zwar auch schon behandelt, aber nicht in dieser Ausführlichkeit und Detailliertheit. Ergebnisse der Gewaltforschung weisen darauf hin, dass der Faktor >Realitätscharakter< bzw. >Authentizität< als Wirkungsaspekt besonders relevant ist. So wurde bei als >real< oder >realistisch< wahrgenommenen Darstellungen von Gewalt ein größeres Risikopotential als bei fiktionalen bzw. fantastischen festgestellt:

  1. Gewaltdarstellungen in einem Reality-News-Format führten bei Kindern im Alter zwischen 10 und 13 Jahren zu einem höheren Aggressivitätsgrad als dieselben in einem Fantasy-Format.

  2. Bei Erwachsenen, die realistisch erscheinende Gewaltdarstellungen rezipierten, wurden emotionale Wirkungen und Aggressionseffekte beobachtet.

  3. Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren reagierten bei Darstellungen von realer Gewalt in Nachrichten, Informationsmagazinen und Reality-TV, insbesondere wenn bestimmte Komponenten gegeben waren (drastische Opferdarstellung, thematischer Kontext und Dramaturgie), mit Ekel, Mitleid, Angst, aber auch mit Spannung, letzteres vorwiegend bei Reality TV.

Rösers Studie setzt sich zwar nicht mit der Rezeption non-fiktionaler Gewalttexte auseinander, liefert aber interessante Ergebnisse hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Rezipientinnen und Rezipienten Medienangeboten Realitätsstatus zuschreiben bzw. diesen verneinen. Ihre Untersuchung stützt somit die Position, dass der Realitätscharakter einer Darstellung nicht allein eine inhaltliche, sondern auch eine rezeptionsbezogene Größe darstellt. Damit ist gemeint, dass die Zuordnung einer Sendung als z. B. >realistisch< auch von der soziokulturellen Erfahrung des Publikums abhängig ist. Auch der gesellschaftliche Kontext unter Berücksichtigung der geschlechterbezogenen Dominanz- bzw. Subordinationsverhältnisse blieb in der Wirkungsforschung in Zusammenhang mit >realitätsaffinen< Gewaltangeboten weitgehend unberücksichtigt. Rösers Studie kann dieses Forschungsdefizit überzeugend ausgleichen.

Als Medientexte wurden zwei Kriminalfilmsequenzen ausgewählt, wobei die eine amerikanischer, die andere deutscher Provenienz ist. Die amerikanische Sequenz stellt eine konventionelle Filmszene dar, bei der eine hilflose und wehrlose Frau von einem Mann angegriffen und ermordet wird. Die Gewaltszene ist aufgrund der Darstellungsweise der Frau und der Kameraführung sexualisiert, ohne einen expliziten gewalttätigen Sexualakt darzustellen (S. 142f.). In der zweiten Filmszene, die von Röser als die "nicht-hegemoniale" beschrieben wird, setzt sich eine Frau "erfolgreich gegen einen angreifenden Mann zur Wehr, und dies nicht mit Hilfe von Waffen, sondern durch körperliche Überlegenheit" (S. 235).

Ergebnisse der Untersuchung

Das aus meiner Sicht interessanteste Ergebnis der Röser-Studie ist, dass die Rezeption von Gewaltdarstellungen von dem Moment an geschlechtsspezifisch divergiert, in dem es um die "Bewertung" der Szenen, die "Positionierung" zu den Figuren und die "soziale Relevanz" des Geschehens geht (S. 312). Frauen und Männer >lesen< zwar auf der ersten Ebene den Medientext hinsichtlich seiner Grundkonstellation und symbolischen Bedeutung ähnlich bzw. nicht allzu unähnlich. Auf der Ebene der gesellschaftlichen Kontextualisierung scheinen Frauen und Männer Gewaltdarstellungen, in denen Geschlechterverhältnisse (implizit oder explizit) thematisiert werden, aber unterschiedlich zu interpretieren. Das theoretische Konzept, das Röser für die Rezeption von Fernsehgewalt entwickeln konnte, betont die Bedeutung des gesellschaftlichen Kontextes: "Subjekte verorten sich in der Rezeption (auch) gesellschaftlich" (S. 344). Sie veranschaulicht anhand eines dynamischen Konzepts, dass Rezeptionsprozesse bei Gewalterzählungen von drei Aspekten beeinflusst werden:

  1. der symbolischen Bedeutung des Medientextes,

  2. den Lebenslagen und Identitäten der Subjekte und

  3. den gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen (S. 343).

Involvement und Empathie

Vielleicht dürfte für einige Leserinnen und Leser der Studie überraschend sein, dass im >postfeministischen< Zeitalter das Welt- und Selbstbild von Frauen und Männern hinsichtlich der Gewalt nach wie vor sehr >traditionell< ist: So gilt für einen Großteil der Männer "das Bild vom starken, aktiven, gestaltenden Mann" und für einen Großteil der Frauen "das Bild von der bedrohten, unterlegenen Frau" als stimmig (S. 187). Die Perspektiven bei der Rezeption sind jedoch unterschiedlich: Sie orientieren sich jeweils an der gleichgeschlechtlichen Figur eines Medientextes.

Die emotionale Reaktion der Frauen auf die hegemoniale Szene lässt sich am prägnantesten mit folgender Äußerung einer Rezipientin bezeichnen: "Ich könnte mir vorstellen, dass ein Mann sich das ganz in Ruhe angucken könnte, weil er nicht der Betroffene ist" (S. 232). Die emotionalen >Wirkungen< dieser konventionellen Szene sind laut Röser hinsichtlich folgender Reaktionen geschlechtsspezifisch geprägt: "Gefühle der Belastung bis hin zu Angst" sind eher bei Frauen zu verzeichnen, für Männer sind "Belastungs-Gefühle bei dieser Szene fremd" (S. 232f.) Partielles "Mitleid" zeigen Männer zwar, jedoch aus einer gewissen Distanz. "Gefühle enttäuschter Spannung bis hin zu Langeweile" sind für einen Großteil der Männer signifikant (ebd.). Allgemein lässt sich feststellen, dass die Involviertheit bei Männern geringer ist als bei Frauen. Männer, die Involvement und Empathie zeigen, neutralisieren die Geschlechterdimension und beziehen sich auf den Kontext einer geschlechtsunspezifischen Bedrohungssituation. Nicht alle Frauen identifizieren sich mit dem dargestellten Opfer. Manche reagieren auch mit Kritik an der Wehrlosigkeit, und zwar im geschlechtsspezifischen Kontext: "auch Frauen können sich wehren" (S. 310). Männer, die auf die Szene mehr oder weniger distanziert reagieren, akzeptieren die Wehrlosigkeit der Frau: "eine (panische) Frau reagiert eben so" (ebd.).

Ganz anders wird die nicht-hegemoniale Szene rezipiert. Frauen reagieren überwiegend mit Vergnügen, Genugtuung und Ermutigung (S. 300). Ein Viertel der Männer reagiert ebenfalls mit emotionaler Zustimmung, wobei anstelle von Vergnügen und Ermutigung Gefühle wie Genugtuung, Schadenfreude und Gerechtigkeit eine Rolle spielen (S. 300f.).

Rösers Ergebnisse hinsichtlich der emotionalen Verarbeitung von Gewaltszenen sind nicht nur für die Gewaltforschung von Interesse. Sie könnten auch für die Praxis des Jugendschutzes von nicht unwesentlicher Bedeutung sein. So liefern sie eine Vielzahl von Argumenten dafür, dass ein geschlechtsspezifisches Wirkungspotenzial bei der Wahrnehmung von hegemonialen Gewaltszenen zumindest mit zu berücksichtigen ist.

>Logische< Herausforderung und
>naturgegebene< Gewaltstruktur

Die Reaktion auf die nicht-hegemoniale Szene zeigt, dass Männer und Frauen unterschiedlich vorgehen, wenn es um die Deutung des handlungslogischen bzw. narrativen Inhalts geht. So ist für die Männer "eine starke Segmentierung der Szene und eine isolierte, widersprüchliche Rekonstruktion der Einzelsequenzen" bezeichnend (S. 315). Die Kohärenz und Konsistenz der Handlung ist für sie nicht erkennbar. Die ambivalente Bewertung der Figurenhandlung seitens der Männer findet sich nur bei dem unkonventionellen Handlungsverlauf, in dem der Mann eine körperliche Niederlage durch eine Frau erfährt. Die hegemoniale Filmszene, in der der Mann der Frau körperlich überlegen ist, scheint den Rezipienten weniger ungereimt und veranlasst sie nicht zu einer segmentierenden Deutungsarbeit. Die Ambivalenz der Äußerungen drückt folgendes Statement eines Probanden sehr plastisch aus:

Wär gut gewesen. Sie hat das klug gemacht. Sie hat sich erst ergeben, weil der die Waffe hatte... War sehr überlegt. (...) Ich finde es dumm, dass sie in den Wald gefahren ist, das finde ich dämlich, da komme ich nicht darüber weg. Dafür, dass sie zum Schluss wirklich so gut war. Warum macht sie so etwas, das war nicht notwendig. Und er, er war dann auch ziemlich dumm... (S. 257, Herv. i. O.).

Die Rezipientinnen haben nicht mit einer segmentierenden Deutungsarbeit reagiert, für sie ist die Handlung kohärent und konsistent. Sehr deutlich arbeitet Röser in ihrer Untersuchung heraus, dass die Mediengewaltrezeption mit "Naturalisierungsstrategien" verknüpft ist. Das heißt, "dass insbesondere solche Dominanzverhältnisse Kraft entfalten, die Ohnmachtpositionen mit Körperlichkeit verbinden und begründen" (S. 350). Mit anderen Worten: Gewaltdarstellungen in den Medien werden im Kontext einer scheinbar gesellschaftlich normierten hegemonialen Körperlichkeit >gelesen<. Die Tatsache, dass die nicht-hegemoniale Filmszene (zumindest) von den Frauen mit einem gewissen Beneplacitum aufgenommen wurde, zeigt aber auch die Relevanz des Medienangebots. So ist aus meiner Sicht nicht zu vernachlässigen, dass die Lesarten des Medientextes zwar einerseits durch den kulturellen Kontext, andererseits aber auch durch die im Medientext selbst enthaltenen Argumentationsstrategien bedingt sind. Filme, die irritieren, indem sie Botschaften enthalten, die dem vorgeblich naturgegebenen körperlichen Dominanzverhältnis entgegengesetzt sind, dürften — wenn sie denn die Chance zu einer vermehrten Verbreitung überhaupt haben — möglicherweise die Naturalisierungsstrategie der gewalthaltigen Filme nachhaltig in Frage stellen. Letztlich würden solche Filme immerhin zu einer Problematisierung der Referenz führen: Sind die in unserer Kultur anscheinend als überwiegend adäquat geltenden Gewaltpositionen wirklich selbstverständlich?


Prof. Dr. Petra Grimm
Hochschule der Medien
Nobelstrasse 10
D-70569 Stuttgart

Ins Netz gestellt am 30.10.2001
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Anmerkungen

1 Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien, Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, S. 9.   zurück

2 Jo Groebel und Uli Gleich: Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots privater und öffentlich-rechtlicher Sender (Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, Bd. 6) Opladen: Leske und Budrich 1993.   zurück

3 Es gibt jedoch durchaus fundierte Daten über die allgemeine Programmentwicklung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, vgl. als jüngstes Beispiel Udo Michael Krüger: Unterschiedliches Informationsverständnis im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen. In: Media Perspektiven 00 (7) (2000), S. 278-296.   zurück

4 Vgl. dazu Klaus Merten: Gewalt durch Gewalt im Fernsehen? Opladen / Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999, S. 95 u. 97); im Vergleich mit seinen Untersuchungen aus den Jahren 1992 und 1993 stellt Merten quantitative und strukturelle Veränderungen des Gewaltanteils fest: Die Gesamtsendezeit gewalttätiger Inhalte sei gesunken und bei den privaten Programmen sei eine Reduktion der Gewaltdarstellungen in der Prime Time erfolgt.   zurück

5 Johannes Rau: Es waren Anschläge auf die Würde aller Bürger. In: Süddeutsche Zeitung v. 08.09.2000, Nr. 207, S. 13..   zurück

6 Andreas Hepp: Cultural Studies und Medienanalyse. Opladen / Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999, S. 16.   zurück