Gruber über die Amores des Conrad Celtis

IASLonline


Joachim Gruber

Die Amores des Conrad Celtis.
Ein Manifest des deutschen Humanismus,
vorgestellt in einer Schweinfurter Ausstellung

  • Claudia Wiener / Jörg Robert / Günter und Ursula Hess (Hg.): Amor als Topograph. 500 Jahre Amores des Conrad Celtis. Ein Manifest des deutschen Humanismus. Kabinettausstellung 7. April – 30. Juni 2002 (Bibliothek Otto Schäfer; 18) Schweinfurt: Bibliothek Otto Schäfer 2002. 191 S. Kart. € 18,- (€ 14,- in der Ausstellung).


Das fünfhundertjährige Jubiläum des Erscheinens der Nürnberger Amores-Ausgabe am 5. April 1502 hat eine Forschergruppe um Günter Hess genutzt, um in einer erlesenen Präsentation in den Räumen der Otto Schäfer-Bibliothek in Schweinfurt dieses bedeutende Druckwerk des Humanismus vorzustellen. Im visuellen Kontext anderer Bücher und Drucke, die geradezu ein Netzwerk von Bezügen um die Edition der Sodalitas Celtica legen, wird die herausragende Bedeutung dieses Werkes gewürdigt. So bietet die Ausstellung dank der reichen Schätze der Otto Schäfer-Bibliothek, ergänzt durch Leihgaben, die Möglichkeit, in einmaliger Zusammenschau der zeitgenössischen Druckwerke das wohl bedeutendste Werk des "Erzhumanisten" Conrad Celtis zu rezipieren. Ein hervorragend gestalteter Katalog begleitet die Ausstellung, der die jüngst so erfreulich fruchtbare Celtisforschung aufnimmt, fortführt und vertieft.

Die Amores als Elegien

Einleitend würdigt Jörg Robert unter dem Titel "Celtis' Amores und die Tradition der Liebeselegie" die Singularität der Amores innerhalb der Geschichte der lateinischen und neuzeitlichen Elegie. Diese besteht darin, daß Celtis über das traditionelle Themenspektrum der Liebeselegie hinaus Elemente der Textsorten Schwank, Fazetie, Liebesnovellistik, Satire, Heroide oder Roman aufnimmt (S.9) und darüber hinaus Astrologie, besonders aber Geographie und Topographie, deutsche Geschichte und Kultur mit einbezieht und so in zehnjähriger Reise als ein neuer Odysseus "ein Bild der zeitgenössischen Germania aus der Perspektive und Autopsie des fahrenden und erfahrenden Ich" (S.10) entwirft.

Das Liebesthema selbst wird durch philosophische Selbstkommentierung aus den Niederungen einer gemeinen Aphrodite zu platonisch verstandener göttlicher Liebe emporgehoben. Der Lebensweg des Dichters wird zur exemplarischen Biographie stilisiert (S.12). Der biographische Kern der Aussagen wird, auch in Reaktion auf die ältere Forschung, gerade in Hinblick auf die Beziehungen zu den vier "Lebensabschnittsgefährtinnen", radikal reduziert, tritt aber in anderen Gedichten, so wird man ergänzend sagen dürfen, umso deutlicher hervor, so beispielsweise in der Schilderung des Raubüberfalls (Am. 2, 12) oder im Besuch des Bergwerks von Wieliczka (Am. 1, 6) mit seinen präzisen technischen Beschreibungen.

Nicht zuletzt diese Mischung von Fiktionalität (etwa in der Darstellung des gut vierzigjährigen Dichters als amator senex, die Robert überzeugend in Beziehung zu den Dichtungen des spätantiken Elegikers Maximian setzt) und Realität macht den Reiz dieser Dichtung aus. Neu gesehen ist auch die "vorerst utopische Neubewertung der Geschlechterbeziehung, die in unerhörter Weise zeitgenössische Hierarchien des Herrschens und Dienens verkehrte" (S.14). 1

Die Amores als Dokument der Kunstgeschichte

Den kunsthistorischen Aspekt der illustrierten Ausgabe bespricht Matthias Mende ("Dürer und der Meister der Celtis-Illustrationen. Paragone um 1500 in Nürnberg"). Er widerlegt nochmals die These, Hans von Kulmbach sei der Reißer der anderen Amores-Holzschnitte gewesen, und sieht in der Gegenüberstellung des Philosophia-Holzschnitts mit dem Dichterbild die Inszenierung eines künstlerischen Wettbewerbs (Paragone) zwischen Dürer und einem Anonymus, der in der Kunstgeschichte als "Meister der Celtis-Illustrationen" oder kurz als "Celtis-Meister" seinen Platz finden kann (S.31). Im Vergleich mit anderen Arbeiten Dürers zeigt Mende die Modernität dieses Anonymus auf und charakterisiert dessen Individualstil sowie seine Beziehung zu anderen Humanisten (Tolhopf, Stabius, Pirckheimer).

Anschließend an diese beiden Beiträge werden als erster Katalogteil (Nr. 1–4) u. a. der Philosophia-Holzschnitt und das Autoren-Bild vorgestellt und die Geschichte des Drucks besprochen (Jörg Robert); Matthias Mende erläutert den Holzschnitt "Apoll auf dem Parnaß".

Astrologie und Poesie

Der Beitrag über die Astrologie in den Amores (Jörg Robert) wird eingeleitet durch Text und Übersetzung (Günter Hess) der ersten Elegie. Die Bedeutung der Astrologie und Astronomie als Mittel einer universalen Welterkenntnis wird knapp, aber überzeugend gewürdigt; für das gesamte Werk des Celtis ist sie von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Amores werden zum "Sammelbecken und Kompendium astrologischer bzw. astronomischer Weltsicht" und die "Situationen der Liebeselegie" werden so auf eine "wissenschaftliche Grundlage" gestellt (S.55). Die Katalognummern 5–8 beschreiben die dazugehörigen Texte.

Die bekannte Apollon-Ode ist dem Abschnitt über die Krönung zum poeta laureatus vorangestellt (Übersetzung Jörg Robert), der u. a. die Drucke des Proseuticum und der Rhapsodia sowie als besonderes Zeugnis des Interesses der Nürnberger Humanistenkreise an der italienischen "Universitäts- und Kulturszene" (S.71) der Druck der Oratio pro Bertucio Lamberto der Cassandra Fedele (1487) 2 zugeordnet sind, erläutert von Ursula Hess.

Der Dichter und der Herrscher

Den letzten Lebensabschnitt des Celtis in Wien bespricht Claudia Wiener vor allem unter dem Aspekt der Beziehungen zu Maximilian, die bis zum Begleitschreiben der Epitoma 1492 zurückreichen. Die schwierige Rolle des Dichters als Historiograph der Zeitgeschichte und als Panegyriker Maximilians wird im Ludus Dianae (vertieft durch den Katalogbeitrag Nr. 17) und in der Rhapsodia sichtbar, deren Doppelfunktion als Unterhaltung und "programmatische politische Aussage" deutlich herausgestellt wird (S.81f.).

Daß Celtis das lange geplante Maximilian-Epos dann doch nicht schrieb und auch das Projekt einer Theodericeis, eines Epos auf Theoderich, nicht in Angriff genommen wurde, sieht Wiener in der konsequenten Horaznachfolge begründet. Wenn man jedoch ins Kalkül zieht, daß Celtis in seinen späteren Jahren offensichtlich nicht nur Horaz-Nachfolger war, sondern sich in gleicher Weise als Elegiker, Epigrammatiker, Geograph und Historiograph verstand, dann könnte einfach der Tod des Autors die Ausführung dieser Pläne verhindert haben, die ihn auch zu einem neulateinischen Vergil hätten werden lassen.

Im Kontext der Beziehungen zu Maximilian werden u. a. Dürers großer Triumphwagen und das Bildnis des Kaisers in einem Holzschnitt von 1519 besprochen (Georg Drescher), überzeugend werden Titel und Funktion der Septenaria Sodalitas Litteraria Germaniae interpretiert (Claudia Wiener).

Amor als Topograph

Der letzte Teil gilt den Quatuor latera Germaniae, wobei zunächst Claudia Wiener "Die Amores als Beschreibung Deutschlands nach den vier Himmelsrichtungen" würdigt und zu den Darstellungen der einzelnen regionalen Liebesszenen in Verbindung setzt. Umsichtig werden die Ortsangaben in den Regionalblättern besprochen und ein Überblick über den Inhalt der vier Bücher gegeben.

In Parenthese: Die Deutung von Dürers Stich "Der Traum des Doktors" (S.102, Anm. 5) wäre aufgrund der Überlegungen in der in Anm. 2 genannten Arbeit von Peter Luh neu zu diskutieren. 3 Die wieder aufgegriffene Deutung von Iuliacum auf dem Elsula-Blatt als Cividale, dem antiken Forum Iulii, ist bedenkenswert (S.97); die Formulierung, daß die Donau "vorbei an Nürnberg [...] und dem Böhmerwald [...] fließt" (S.100) verkürzt die auch im Holzschnitt deutlich sichtbare Distanz des Flußlaufs zu den genannten Orten.

Der Ort des Drucks der Amores-Ausgabe legt es nahe, ein Kapitel über "Conrad Celtis und Nürnberg" einzuschalten (Gesa Büchert), hatte doch dort am 18. April 1487 die Dichterkrönung durch Friedrich III. stattgefunden. Wie Celtis zeitlebens nicht nur durch seine Norimberga und die Vorbereitung einer Neuausgabe des Liber chronicarum mit dem Nürnberger Humanistenkreis verbunden blieb, zeigt eindringlich dieser gut dokumentierte Überblick, den Ursula Hess durch den Abschnitt über die Beziehung des Celtis zu Caritas Pirckheimer und ihre kritische Rezension von Celtis' Werken vertieft.

Um diesen Humanistenkreis legt sich ein ganzer Kosmos von Publikationen, die in den Katalognummern 24–34 vorgestellt werden: Von Celtis die Sebaldusode, Norimberga, das Carmen für Caritas Pirckheimer, die Panegyris, die Ausgaben der Hrotsvit und des Ligurinus, eine Plutarchübersetzung des Willibald Pirckheimer, eine von Christoph Scheuerl besorgte Briefsammlung, die Sermones convivales des Konrad Peutinger und die Tabula Peutingeriana in der Ausgabe von Konrad Miller (1888) sowie die Historiarum decades des Flavio Biondo. Damit ist der Abschnitt über den Süden abgeschlossen.

Die Darstellung des Ostens wird eingeleitet durch den Beitrag von Gernot Michael Müller über die Germania illustrata, der Grundgedanken seiner kommentierten Ausgabe der Germania generalis zusammenfaßt. 4 Das von Celtis nie realisierte Projekt der Germania illustrata würdigt Müller wie folgt:

Mit ihr hat Celtis dem deutschen Humanismus ein Betätigungsgebiet erschlossen, aus welchem ein Schrifttum erwuchs, das bald unüberschaubar werden sollte. (S.147)

Mit den Katalognummern 35–39 schließen sich Hauptzeugen des historisch-geographischen Schrifttums an: Tacitus, Germania und Celtis, Germania generalis; Ptolemaeus, Geographia; Laurentius Corvinus, Cosmographia; Hartmann Schedel, Liber chronicarum; Sebastian Münster, Cosmographia.

Der Westen ist vertreten durch Amores 3,9 – die Elegie handelt von einem Geschenk und einem Brief, die Celtis' Geliebte Ursula diesem sandte –, übersetzt und erläutert von Günter Hess. Er sieht in der Elegie ein Zeugnis zeitkritischer Thematik, der Frauenbildung und der Bücherflut. Die massenhafte Buchproduktion wird bei Sebastian Brant verstanden als "ein Symptom der Heillosigkeit dieser verkehrten Welt", bei Celtis "eher [als] ein Problem der literarischen Qualität" (S.164); seine lateinische Frauenbildung bleibt "ein Dichtertraum" (S.166). Das Thema "Schreiben und Dichten" wird vertieft durch die Katalognummern 40–42 (Trithemius und die Straßburger Odenausgabe von 1513).

Die biographischen Anhaltspunkte für die Reise in den Norden sind gering, umso nachhaltiger ist die im vierten Buch auftretende Todesthematik im Werk des Celtis und in seinem Umfeld greifbar. Sie wird hier veranschaulicht durch Dürers Epitaph für Conrad Celtis (Günter Hess) und durch das oft interpretierte Sterbebild (Jörg Robert). Im Ausblick auf zwei Rezeptionsformen der Amores schließt der Katalogteil, dem als Anhang ein "Überblick über Celtis' Leben und Werk" und sechs Briefzeugnisse in Übersetzung angeschlossen sind.

Addendum

Die graphische Präsentation des Katalogs läßt kaum Wünsche offen. Etwas blaß ist die Wiedergabe des Celtis-Blatts auf S.26 ausgefallen, möglicherweise entbehrlich angesichts der Farbtafeln auf S.28f. Statt dessen hätte man sich eine Abbildung der S.32 besprochenen Merkurdarstellung Dürers oder des Hercules Germanicus (S.34) gewünscht. Daß die junge Generation von Literaturwissenschaftlern, die diesen Band überwiegend gestaltet hat, sich nicht den staatlich verordneten Regeln der sogenannten neuen Rechtschreibung unterwarf, ist ein weiterer erfreulicher Aspekt dieser gelungenen und nicht zuletzt preiswerten Publikation.

Erwähnt sei noch, daß in der Ausstellung umfängliche Passagen der Amores digital aufbereitet und über Bildschirm zugänglich sind. Wann, ist allerdings zu fragen, dürfen wir den ganzen Celtis in der schon lange angekündigten Edition mit Übersetzung und Kommentar lesen?


Prof. Dr. Joachim Gruber
Haselhofstr. 37
D-91058 Erlangen
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Ins Netz gestellt am 07.05.2002
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Gernot M. Müller. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


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Anmerkungen

1 Die im Katalog zusammengefaßt vorgetragenen Deutungen hat Jörg Robert in seiner im Druck befindlichen Dissertation ("Seria mixta iocis". Dichter und Dichtung im Werk des Conrad Celtis) ausführlich begründet.   zurück

2 Im Internet zugänglich unter der URL http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/fedele/seite121.html    zurück

3 Peter Luh: Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte (Europäische Hochschulschriften; 28, 377) Frankfurt / M. u. a.: Lang 2001, S.139, Anm. 100.   zurück

4 Gernot Michael Müller: Die "Germania generalis" des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar. Tübingen: Niemeyer 2001 (Frühe Neuzeit; 67). Vgl. meine Besprechung unter der URL http://www.klassphil.uni-muenchen.de/~gruber/celtis-rezensionen.html.   zurück