Gruber über Luh: Celtis

IASLonline


Joachim Gruber

Ein Buch-Unternehmen der Dürer-Zeit

  • Peter Luh: Kaiser Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; 377) Frankfurt / M. u. a.: Verlag Peter Lang 2001. 459 S.58 Abb. € 65, 40. (Zugl.: Univ. Diss. München 1991 u.d.T.: Luh, Peter: Die Holzschnitte für Conrad Celtis.)
    ISBN 3-631-36686-8.

Inhalt

Thematik | Imitatio und aemulatio | Celtis und Maximilian | Das Bild des Autors | Die Darstellung der vier Regionen Deutschlands | Weitere Illustrationen der Amores-Ausgabe | Die Augsburger Holzschnitte | Das Sterbebild des Conrad Celtis | Zur Geschichte des Drucks | Ansätze zur Interpretation der Amores | Zusammenfassung



Thematik

Die Untersuchung beschäftigt sich mit der 1502 in Nürnberg im Auftrag der Sodalitas Celtica gedruckten Ausgabe der Werke des Conrad Celtis, die schon wiederholt Gegenstand der Forschung war. V. a. Dieter Wuttke hat sich intensiv mit ihr beschäftigt. 1 Es handelt sich bei dem Druck – der Drucker ist nicht identifiziert – um Celtis' erste größere Werkausgabe. Sie enthält neben den vier Büchern der Amores auch die Germania generalis und die Norimberga.

Schwerpunkt der Arbeit von Luh stellen die dieser Ausgabe beigegebenen bzw. für sie vorgesehenen Holzschnitte dar. Gleich einleitend versteht sie Luh nicht als "Illustrationen im engeren Sinne", sondern sie sollen "wichtige Positionen des Humanisten vor Augen stellen" (S.13). Energisch geht Luh zunächst das Problem der Autorschaft der Holzschnitte an, die in ihrer Mehrzahl bislang – zu Unrecht, wie Luh aufzeigt – Hans von Kulmbach zugeschrieben wurden. Luh läßt angesichts der Vielzahl von damals in Nürnberg arbeitenden Künstlern und Handwerkern und in Hinblick auf den dreiteiligen Produktionsprozeß bei der Anfertigung von Holzschnitten die Frage offen.

Imitatio und aemulatio

Der Abschnitt über Celtis' Vita (S.23 – 32) ist v. a. um Nachweise über die verschiedenen Aufenthaltsorte und Kontakte des Celtis bemüht. Nach einer Beschreibung des Celtis-Drucks von 1502 folgt dann die Besprechung des Bildschmucks, beginnend mit dem Titelblatt. Bereits hier wird in Bildgestaltung durch Kreisschemata die spätantike und mittelalterliche Tradition sichtbar (S.41), daneben aber auch der Einfluß der Titelgestaltung zeitgenössischer italienischer Bücher (S.43), so daß hier die auch sonst bei Celtis zu beobachtende reizvolle Spannung zwischen Überkommenem und Neuem zu konstatieren ist.

>Klassisch-antik< ist wiederum die Gestaltung der Kapitalis, genauer der Renaissance-Kapitalis, für deren Verwendung außerhalb der Titelei im deutschen Buchdruck die Amores-Ausgabe vermutlich das früheste Beispiel darstellt (S.47). In diesem Zusammenhang stellt Luh die Verbreitung der Renaissance-Kapitalis im deutschen Raum, für die Celtis als Anreger wirkte, ausführlich dar. So sieht Luh bereits im Titelblatt die Absicht, die Celtis mit dieser Publikation verbunden hat, nämlich "den Willen zur Antikennachahmung, zur Modernität und zum kulturellen Wettbewerb mit Italien" (S.52).

Celtis und Maximilian

Der Widmungsvorrede an Maximilian ist ein seitengroßes Dedikationsbild vorangestellt. Im Vergleich mit anderen Widmungsszenen zeigt Luh die Besonderheit des von Dürer gestalteten Holzschnitts, der in Verbindung mit der Philosophie-Darstellung die Vorrede einrahmt (S.55). Luh konstatiert: "kein anderes Bild gibt eine vergleichbare Nähe zwischen König und Autor zu erkennen" (S.58).

Der Philosophie-Holzschnitt mit dem Monogramm Albrecht Dürers wurde schon vielfach besprochen. Neu ist bei Luh der Nachweis eines mathematisch-proportionalen Bildaufbaus (S.66). Die Erklärung des Pflanzenkranzes ist durch den Rückgriff auf die Botanik des Albertus Magnus überzeugend gelungen (S. 93 ff.); die Darstellungen der Elemente – Winde, Jahreszeiten und Lebensalter – lassen sich demgegenüber auf Ovids Metamorphosen zurückführen (S.101 ff.). Für die auf der Mathematik beruhende Erkenntnis des Kosmos zieht Luh das um 1500 verbreitete platonische Schrifttum heran (S.103 ff.).

Viel diskutiert ist die Bedeutung von Theta und Phi auf dem >Obelisken< (so die Erklärung von Luh) vor der Gestalt der Philosophie. Einer Anregung von Campbell Dodgson folgend, der die Abkürzungen mit physis und theos auflöste, will Luh in den Buchstaben Bezeichnungen für Wissenschaften (physica, theologia) erkennen, da auch die mittleren Buchstaben Wissenschaften, nämlich die Septem artes liberales bezeichnen.

Merkwürdigerweise hat aber Luh, dessen Arbeit sich sonst durch außerordentlich genaue Beobachtung auszeichnet, die Tatsache unerwähnt gelassen, daß sechs der sieben Artes nicht allein mit einem einzigen Buchstaben abgekürzt sind, lediglich für die oben unterhalb des Theta stehende Musik wurde, vermutlich aus Raumgründen, nur M gewählt. Dagegen wäre am unteren Ende des >Obelisks< durchaus Platz, das mit Phi Gemeinte weiter auszuschreiben. Da sich also Phi und Theta in der Weise der Abkürzung deutlich von den anderen Artes absetzen, sind die Buchstaben wohl nicht Bezeichnungen für Wissenschaften.

Nimmt man den erläuternden Text der unteren Randzone und den Thronsessel der Philosophie zur Erklärung des Systems mit hinzu, dann lassen sich folgende Beobachtungen machen: Die erste Zeile des Vierzeilers nennt als Gegenstand die Physis (Quicquid habet Coelum quid Terra quid Aer et aequor), auf dem >Obelisken< unten mit Phi bezeichnet. Die Philosophia moralis, umschrieben mit Quicquid in humanis rebus et esse potest, wird durch die beiden Pseudo-Phokylides-Verse auf den Wangen des Thronsessels auf zwei Kernaussagen reduziert: Ehre Gott und sei zu allen gerecht. Gott (nicht Theologie) wird in der dritten Verszeile genannt: Et deus in toto quicquid facit igneus orbe. Sein Kürzel Theta sitzt im Mittelpunkt des durch den Pflanzenkranz gebildeten Kreises (orbis), wie er auch gleichsam den Nabel der Philosophie markiert. Dann wird auch die Funktion der Artes, insbesondere der mathematischen Wissenschaften des Quadriviums, auf dem >Obelisken< klar: Die hier vorgeführte pythagoreisch-platonische Philosophie sucht nicht die Offenbarung Gottes, sondern die Erkenntnis seiner Schöpfung (deus quicquid facit) mit den Mitteln der Mathematik (betont von Luh, S.105).

Aufschlußreich ist die Zuordnung des Philosophia-Bildes zu mittelalterlichen Darstellungen der Sapientia Dei (S.108 ff.), in der die Boethius-Tradition neben der alttestamentlichen deutlich wird.

Das Bild des Autors

Im Druck von 1502 steht der Darstellung der Philosophie das Autorenbild "in Art eines Diptychons" (S.123) gegenüber, dessen vielteilige Darstellung qualitativ wesentlich geringwertiger ist. Gleichwohl ergeben sich von da aus eine Fülle sowohl kunstgeschichtlicher wie biographischer Bezüge, denen Luh akribisch nachspürt. Das gilt besonders für mögliche Vorlagen der Götterdarstellungen aus dem Umfeld des Ovide moralisé (S.134 ff.). Ansprechend ist die Vermutung, bei der Gelehrten-Gestalt in Dürers Holzschnitt >Der Traum des Doktors< könne es sich um eine Darstellung des Celtis handeln (S.139, Anm. 100).

Die Darstellung der vier Regionen Deutschlands

Von besonderem >erzählerischem< Reiz sind die Holzschnitte zu den vier Regionen Deutschlands. Die Beziehungen der Darstellung einzelner Szenen zu einzelnen Motiven des jeweiligen Amores-Buchs zeigt Luh detailliert auf; darüber hinaus sind sie auch als >Kartenbeigabe< zu der mit veröffentlichten Germania generalis verstanden (S.173). 2 Mit einem Überblick über die zeitgenössischen Darstellungen von Planetenkindern und Monatsarbeiten schließt dieses Kapitel. Nicht weiter verfolgt wird die Frage, wie das in den Titelholzschnitten formulierte systematische Novenarium (tabellarische Zusammenstellung auf S.189) im Text des jeweiligen Buches realisiert ist.

Weitere Illustrationen der Amores-Ausgabe

Kürzere Abschnitte sind dem >Nürnberger Wappendreiverein< und der Stadtansicht von Nürnberg (einer Kopie aus der Schedelschen Weltchronik, aber mit charakteristischen Änderungen) gewidmet, da dazu bereits eindringende Studien vorliegen, auf die Luh in den Anmerkungen verweist. Luh vermutet aufgrund gewisser Mängel und Fehler der Wappendarstellungen, daß diese erst kurz vor Drucklegung angefertigt wurden, nachdem die Norimberga in den Druck mit aufgenommen werden sollte, womit eine Änderung des ursprünglichen Konzepts verbunden gewesen sei.

Die Druckausgabe von 1502 enthält weiterhin einen ganzseitigen Holzschnitt mit der Darstellung des heiligen Sebald, die der Sebaldus-Ode vorangestellt ist, sowie eine Apollo-Darstellung (eine zweite enthalten zwei Augsburger Drucke von 1507), die die dichterische Inspiration veranschaulichen soll. Der erste Holzschnitt mit der Darstellung des Daphne-Mythos wird als Allegorie des Dichterlebens verstanden. Eine solche Deutung ist in Antike und Mittelalter nicht nachweisbar, wohl aber im Canzoniere Petrarcas (S.214). Als Bildvorlagen gelten zwei Miniaturen des Pietro Birago, die eine italienische Pergamenthandschrift vom Ende des 15. Jahrhunderts schmücken, die sich heute in Wolfenbüttel befindet. Wie Celtis (oder Pirckheimer) Kenntnis von der Handschrift bzw. den Miniaturen erlangen konnte, bleibt allerdings offen. Stärker als das Daphne-Bild ist die Darstellung des Parnaß nach Celtis' Vorstellungen umgestaltet und mit Details angereichert, deren Motive und Bezüge im Celtis-Werk Luh aufzeigt, wobei er zu der ansprechenden Vermutung gelangt, dieser Holzschnitt sei ursprünglich für die geplante Oden-Edition bestimmt gewesen (S.237).

Beschlossen wird die Ausgabe von 1502 durch ein Drucksignet, das die Forschung schon lange beschäftigt. Luh greift einen von Bernhard Hartmann 1889 erstmalig vorgetragenen Vorschlag auf 3 und erklärt die Initialen "A P" als Abkürzung für Augusta Pretoria, also für jene Epitheta, mit denen Celtis in einem Brief an Kaiser Maximilian von 1502 Nürnberg als "kaiserliches Hauptquartier" kennzeichnete. 4

Die Augsburger Holzschnitte

Der nächste Hauptteil ist den Augsburger Publikationen des Celtis und ihren Holzschnitten gewidmet. Es handelt sich um die Melopoiae des Petrus Tritonius, die Rhapsodia und um das Sterbebild. Die Melopoiae werden als vorbereitende Publikation für die geplante Oden-Edition verstanden (S.248). Beigegeben ist die Darstellung des Parnaß und eines Götterkonzerts. Dieser Holzschnitt wird von Luh erstmalig ausführlich besprochen. Er stellt ihn in den bei Celtis auch sonst zu beobachtenden Kontext einer von den Florentiner Platonikern vertretenen Theologia perennis (S.257). Und so soll der Holzschnitt "den >gebildeten< Betrachter an die Lehre vom himmlischen Ursprung jener Harmonien erinnern, die den geborenen Dichter zur poetisch-formvollendeten Einkleidung tiefer und tiefster Wahrheiten inspirieren" (S.259).

Bemerkenswert erscheint, daß dieser ganze theologisch-poetische Kosmos durch dreizehn Personen repräsentiert ist. Im Fächerkosmos der Panegyris erscheinen insgesamt 12 Fächer der >irdischen< Wissenschaften, während die Theologie als dreizehnte diese überragt, ebenso wie hier der inspirierende Jupiter durch das Wolkenband deutlich von der offenbar der sichtbaren Welt zugeordneten, auf festem Boden stehenden Göttertrias Mercurius, Phoebus und Pallas abgehoben ist.

Der Ausgabe der Rhapsodia von 1505 sind eine Darstellung der Schlacht am Wenzenberg bei Regensburg und eine Abbildung der Insignien des Wiener Dichterkollegs beigegeben, in einigen Exemplaren auch ein Wappenadler.

Die in der Rhapsodia verheißene Rückkehr eines Goldenen Zeitalters ist bei Celtis nicht nur an die von Luh erwähnten beiden Daten der Tagung des Reichsregiments in Nürnberg 1501 und der Kaiserkrönung Maximilians gebunden, sondern kehrt im Werk auch sonst wieder. Bereits die Berufung des Celtis nach Ingolstadt durch Herzog Georg den Reichen wird als eine solche Rückkehr der aurea aetas verstanden, denn der Herzog verhält sich so wie die früheren, d. h. antiken Herrscher, die ein Goldenes Zeitalter in den Himmel gehoben hat (vgl. Panegyris, V. 54: in caelum quos aurea sustulit aetas). 5 In der 16. Epode, in der Celtis Apollo auffordert ut a tropico hiberno redeat, 6 vermischt sich das Bild der Frühlingssonne mit dem des Musengottes. Der Wunsch zur Rückkehr schließt mit den Worten (V. 25f.) His invitatus, Phoebe, laetus emica / Vultu relucens aureo. Auch im Widmungsschreiben der Epitoma an Maximilian zeigt der Verweis auf Augustus (veluti altero Octaviano Augusto), daß Celtis an die Wiederkehr dieser von den Zeitgenossen als Aurea aetas verstandenen Epoche dachte (omnes honestae artes [...] resurgent). 7

Das Sterbebild des Conrad Celtis

Als letztes wird das in drei Fassungen vorliegende, von Hans Burgkmair entworfene Sterbebild besprochen, das in der Forschung bereits vielfach diskutiert wurde. Entgegen früheren Deutungen paraphrasiert Luh (S.287) die Bildüberschrift exitus acta probat qui bene fecit habet mit "Der Tod ist der Prüfstein des zu Lebzeiten Vollbrachten; wer dies gut ausführte, besteht diese letzte Bewährungsprobe". Während der erste Teil des Verses Ovid: Epistulae ex Ponto 2, 85 entspricht, gibt der zweite Teil Anlaß, "sibyllinisch" anzumuten (S.287). Für die genaue philologische Analyse sei hilfsweise an eine brachylogische Ausdrucksweise gedacht: qui bene fecit, [bene] bzw. [bonum exitum] habet, d. h. wer gut gehandelt hat, hat ein gutes Ende. 8

Auch das Sterbebild wird von Luh als Illustration der Werksammlung verstanden, begründet durch die Stellen im Werk, in denen Celtis von seinem Tod oder als schon Verstorbener spricht. So kann Luh das Sterbebild "als Schlußstein jener fiktionalen Celtis-Biographie" verstehen, die Celtis in seinem Werk gestaltet (S.299), wobei allerdings nicht übersehen werden sollte, daß die Fiktionalität nur ein Element des Werks ist, und es wäre sicher verkehrt, dabei die realen Bezüge und Aussagen zu vernachlässigen (S.317 spricht Luh mit Recht von dem "realen Kern" der ersten drei Amores-Bücher). Eine Datierung in die Jahre 1503 / 4 wird damit allerdings wahrscheinlich (S.300).

Zur Geschichte des Drucks

Der vierte Abschnitt ("Abschließende Überlegungen"), diskutiert zunächst die Entstehungs- und Druckgeschichte der poetischen Hauptwerke des Celtis. Luh macht es wahrscheinlich, daß die Sammlung der Amores und die Vita im Kreis der Heidelberger Humanisten zwischen 1493 und 1496 vorbereitet wurde und die Anfänge der Odensammlung wohl schon auf die Warschauer Zeit zurückgehen. Weiterhin werden "Überlegungen zur chronologischen Gruppierung der Celtis-Holzschnitte" vorgetragen, wobei es v. a. um das zeitliche Verhältnis der Schedelschen Skizzen vom Jahre 1500 zu den sieben ersten Holzschnitten geht. Als Vorbild vermutet Luh eine Celtis-Handschrift mit Miniaturen, die nach 1495 entstand.

Schließlich wird noch das Gesamtprogramm der Celtis-Holzschnitte gewürdigt. Im Vergleich mit anderen illustrierten Klassiker-Ausgaben wie den Drucken Grüningers in Straßburg zeigt Luh, daß es sich bei dem Amores-Druck um eine völlig singuläre Text-Bild-Kombination handelt (S.354), der den "Anspruch der Dichtung auf den Rang einer der Philosophie, ja Theologie ebenbürtigen Wissenschaft" (S.366) zum Ausdruck bringt.

Ansätze zur Interpretation der Amores

In einem Anhang werden "Inhaltsübersichten und Interpretationsansätze" zu den Texten des Druckes von 1502 gegeben. Für die Widmungsvorrede wird eine "wohldurchdachte, mittelsymmetrische Struktur" nachgewiesen (S.378). Die Amores werden als "Liebes-, Reise- und Lehrdichtung" verstanden, eine Kombination, die ohne antikes Vorbild ist (S.384), ebenso wie ihre Struktur (S.394), die auf der pythagoreischen Vierzahl beruht (S.379). Ausgehend von der Eingangselegie werden die beiden Leitmotive >Poetische Begabung und wissenschaftliches Streben< sowie >Rastlosigkeit und Liebesleid< verfolgt. Zu Beginn eines jeden Buches wird an sie erinnert. 9 Erklärungsprinzip für alle Vorgänge in der Natur und alle Bestrebungen der Menschen ist der determinierende Einfluß der Gestirne (S.384).

Antike Vorbilder der Liebeselegie, der Lehrdichtung und der Reiseliteratur werden eher andeutend erwähnt, sie sind aber nützlich für eine künftige Kommentierung. Sie wird auszugehen haben von dem Verständnis, das Luh gewiesen hat (S.400):

Diesen pythagoreischen Gedanken [sc. der Vierzahl als Quell der Weltordnung] mit der Vorstellung vom poeta als einem zweiten Deus creator verknüpfend, unterstellt Celtis sein Werk ebenfalls dem Gesetz der Vierzahl, um so im Medium der Sprache einen Mikrokosmos zu gestalten, der den Anspruch erhebt, nicht partieller Ausschnitt, sondern verkleinertes Abbild der göttlichen Schöpfung zu sein.

In der Struktur der Germania generalis vermißt Luh (S.406, Anm. 13) "die Ausbildung eines Mittelpunktes". Daß dieser aber tatsächlich vorhanden ist und im Fichtelgebirge besteht, hat Müller überzeugend dargelegt. 10 Da die Germania generalis zuerst 1500 zusammen mit der Germania des Tacitus publiziert wurde, drängt sich der Vergleich beider Werke auf; ihn hat Müller ausführlich durchgeführt. 11 Luh (S.410) hebt dabei hervor, daß Celtis den "italienischen Führungsanspruch entkräften" wolle, und zwar durch die sog. Druiden-Fabel und die Lehre von der Translatio der Kaiserherrschaft.

In der Forschung wird die translatio imperii gerne in Parallele gesetzt zu einer translatio artium / studii. Die Parallele würde besagen, daß ebenso, wie die politische Macht auf den römischen Kaiser deutscher Nation überging und damit für Italien verloren war, auch die literarische Bildung auf Deutschland übergehen und damit für Italien verloren gehen wird. Das ist natürlich nicht der Fall. Und daher muß das Translatio-Schema für die Artes korrigiert werden: Italien hat seine Artes von Griechenland erhalten, auch Deutschland soll künftig seine Bildung aus griechischen Ursprüngen gewinnen. Daher bemüht sich Celtis im Druiden-Mythos um den Nachweis griechischer Bildung bei den alten Germanen, daher sieht er sich auch selbst in der Rolle eines Wegbereiters des Griechischen in Deutschland (vgl. Epigramm 4, 48, V. 4f.: Germano Celtis de sanguine forte poeta / Graecorum linguam protulit in patriam), 12 und wenn dieser Bildungszustand erreicht ist, werden die Italiener zum Studium nach Deutschland kommen (Panegyris V. 146 ff.). 13

Für die Norimberga konstatiert Luh, "daß die Stadtbeschreibung des Celtis in der Fülle ihrer Details, der Weite des Blicks und der Lebendigkeit ihrer Darstellung über antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Beispiele der Gattung hinausgeht" (S.419). Auch er sieht in ihr, wie schon frühere Forschung, 14 "die vollkommenste Stadtbeschreibung des deutschen Humanismus" (S.423). Dieser Teil schließt mit kurzen Bemerkungen zum Ludus Dianae (offensichtlich verstanden als ein Experiment, durch das die antike Mythologie in Deutschland bekannt gemacht werden sollte), zur Sebaldus-Ode (nach Borst von den Zeitgenossen als "glänzende Visitenkarte Nürnbergs" verstanden) 15 und zum Panegyrikus des Vinzenz Lang auf König Maximilian, der zur Eröffnung des Wiener Dichter- und Mathematikerkollegs am 1. Februar 1502 vorgetragen wurde. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S.427 – 459) und 58 Abbildungen beschließen den Band.

Zusammenfassung

In der hier auf das Werk des Celtis beschränkten Besprechung konnte nicht auf die zahlreichen Anregungen und Hinweise eingegangen werden, die das Buch von Luh im geistes- und kunstgeschichtlichen Bereich des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bietet. Es stellt eine Fülle von Material bereit (z. B. S.111 zur Sapientia-Ikonographie; S.266 f. zum Dreifuß; S.304 ff. zu den Gelehrten-Epitaphien; S.311 zu bulla; S.394 ff. zur Vierzahl – ansprechend dabei S.398, Anm. 155 die Vermutung über die Anregungen aus dem Umkreis Reuchlins), die für die Celtis-Forschung, und nicht nur für diese, noch lange unentbehrlich bleiben wird. Trotz der Apologie im Vorwort ("an der bloßen Nutzung der Arbeit als Fundgrube für Fußnoten ist mir nicht gelegen") vermißt man schmerzlich ein ausführliches Register, das diesen Reichtum auch nach der ersten Lektüre immer wieder aufschlösse.


Prof. Dr. Joachim Gruber
Haselhofstr. 37
D-91058 Erlangen

Homepage

E-Mail mit vordefiniertem Nachrichtentext senden:

Ins Netz gestellt am 10.06.2002
IASLonline

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Gernot Michael Mueller. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!


[ Home | Anfang | zurück ]

Anmerkungen

1 Vgl. hierzu Joachim Gruber: Lateinische Texte deutscher Renaissance-Humanisten. In: Gymnasium 106 (1999), S.163–168 (Besprechung von D. Wuttke: Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren [Saecula spiritalia; 29 / 30] 2 Bde. Baden-Baden: Körner 1996).   zurück

2 Der anschließende Abschnitt über die Entwicklung der Kartographie und die Kartenbeigaben zum Ptolemaios sind jetzt durch die entsprechenden Passagen bei Gernot Michael Müller: Die "Germania generalis" des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar (Frühe Neuzeit; 67) Tübingen: Niemeyer 2001 zu ergänzen.   zurück

3 Bernhard Hartmann: Konrad Celtis in Nürnberg. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Nürnberg. Nürnberg 1889, S.48, Anm. 3.   zurück

4 Hans Rupprich (Hg.): Der Briefwechsel des Conrad Celtis (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe; 3) München: Beck 1934, Nr. 275, S.502, Z. 248.   zurück

5 Hans Rupprich (Hg.): Conradus Celtis Protucius: Oratio in gymnasio in Ingelstadio publice recitata cum carminibus ad orationem pertinentibus. Leipzig: Teubner 1932, S.13.   zurück

6 Felicitas Pindter (Hg.): Conradus Celtis Protucius: Libri odarum quattuor, Liber Epodon, Carmen saeculare. Leipzig: Teubner 1937, S.114 f. (Zitat in der Überschrift der Epode).   zurück

7 Hans Rupprich (Hg.) (Anm. 4), Nr. 25 (die Zitate ebd., S.44, Z. 44 – S.55, Z. 1).   zurück

8 Zur kunsthistorischen Einordnung des Sterbebildes in den Typus des Gelehrtenbildes ist jetzt auch Wolfgang Schmid: Zum Bild des Juristenstandes auf Grabmälern, Altarbildern und Porträts an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2001, S.7 – 28, bes. S.14 f. zu vergleichen.   zurück

9 Vgl. dazu in Kürze Jörg Robert: Seria mixta iocis. Dichter und Dichtung im Werk des Conrad Celtis (in Druckvorbereitung).   zurück

10 Gernot Michael Müller (Anm. 2), S.370 ff.   zurück

11 Ebd., S.436–438 und passim.   zurück

12 Karl Hartfelder (Hg.): Fünf Bücher Epigramme von Konrad Celtes. Hildesheim: Olms 1963 (ND der Ausgabe Berlin 1881), S.85.   zurück

13 Hans Rupprich (Anm. 5), S.15.   zurück

14 Etwa Paul Joachimsen: Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus. Erster (einziger) Teil. Aalen: Scientia-Verlag 1968 (ND der Ausgabe Leipzig 1910), S.157: "Denn die Norimberga ist ein Meisterstück, dem auch die spätere humanistische Produktion in Deutschland nichts an die Seite gesetzt hat."   zurück

15 Arno Borst: Die Sebaldslegenden in der mittelalterlichen Geschichte Nürnbergs. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 26 (1966), S.19–178, hier S.135.   zurück