Gruber über Luh: Humanistisches Bildungswerben

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Joachim Gruber

Humanistisches Bildungswerben
am Anfang des 16. Jahrhunderts

  • Peter Luh: Der Allegorische Reichsadler von Conrad Celtis und Hans Burgkmair. Ein Werbeblatt für das Collegium poetarum et mathematicorum in Wien (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXVIII, Kunstgeschichte 390) Frankfurt / M.: Peter Lang 2002. 105 S. 12 Abb. Kart. EUR (D) 23,-.
    ISBN 3-631-38530-7.


Die vorliegende Studie versteht der Autor als Ergänzung seiner umfangreichen Monographie über die Holzschnitte der Amores-Ausgabe von 1502. 1 Es handelt sich bei dem in zahlreichen Exemplaren erhaltenen Einblattholzschnitt mit der Darstellung des allegorischen Reichsadlers für den heutigen Betrachter um ein "Rätselbild" (S. 5), das der Entschlüsselung bedarf, wenn auch Bildprogramm und Bildbeischriften zunächst den Zweck des Blattes klar erkennen lassen: "Es soll das Dichter- und Mathematikerkolleg des Celtis bekanntmachen, das Kaiser Maximilian im Jahre 1501 als innovative Einrichtung der Universität Wien gegründet hatte" (ebd.).

Das ikonographische Programm mit einer Fülle von Details hatte Celtis selbst entworfen, und so verspricht diese Studie auch Aufschluß über die bildungstheoretischen Vorstellungen, die Celtis mit der Gründung des Wiener Kollegs verband, wenn es denn gelingt, die Einzelmotive und ihren Zusammenhang zu erklären. Diesen Versuch hat Luh unternommen und er geht damit weit über das hinaus, was in der bisherigen Forschung zu diesem Dokument vorliegt.

Der Reichsadler

Den Entwurf des Bildprogramms sieht Luh im Zusammenhang mit Celtis' pädagogischen Bemühungen um Anschaulichkeit (S. 8), wie denn zu Recht eine Würdigung des >Erzhumanisten< als Lehrer und Pädagogen als Forschungsdesiderat notiert wird (ebd.). Somit stellt sich das Blatt in den Kontext des von Luh in seiner früheren Publikation ausführlich besprochenen Philosophia-Holzschnitts. Während in diesem in der Gestalt der Philosophie und der sie umgebenden Texte und Bilder die Welterkenntnis des Humanisten Ausdruck gefunden hat, stellte der Reichsadler "die Gedanken des Humanisten zu den Voraussetzungen und Quellen dichterischen Schaffens, über Aufgabe, Größe und Würde der Poesie bildhaft vor Augen und wies auf Förderer und Gegner der Dichtkunst hin" (S. 9, zusammenfassend S. 82).

Das gesamte Bildprogramm entwickelt sich vor dem Hintergrund des Reichsadlers, eines Doppeladlers, der Lorbeerkränze in jedem Schnabel trägt. Es handelt sich dabei um ein Motiv, zu dem Luh Beispiele aus der Spätantike anführen kann, was insofern nicht überrascht, als gerade bei Celtis der Rückgriff auf spätkaiserzeitliche Texte durchwegs zu beobachten ist und auch seine Sprache, fern von allem Purismus, sich nicht scheut, spätlateinische Elemente aufzunehmen. Celtis konnte in Rom diesem Bildmotiv begegnet sein. Ikonographisch steht der Adler, dessen Schwingen mit Medaillons besetzt sind, in der seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts nachweisbaren Tradition des sog. Quaternionenadlers, der durch seine Wappenbilder "die ständische Gliederung und korporative Ordnung des Deutschen Reiches und den göttlichen und kaiserlichen Schutz, der allen Teilen des Reiches zugute komme," sinnfällig macht (S. 29).

Der Dichter als Schöpfer

Im Vorgriff auf das durch die Einzelinterpretation erst noch zu gewinnende Ergebnis stellt Luh bereits im ersten Kapitel anhand der zentralen Bildaussagen die Kernthematik des Programms heraus (S. 15f.): "Die zentralen Bildgruppen des Brunnenstocks veranschaulichen Grundlagen und Inhalte dichterischen Schaffens." Alle Tätigkeiten und Unternehmungen des Wiener Kollegs "wachsen und gedeihen unter den Fittichen des Reiches" und durch Förderung Maximilians. Die Poesie ist die vornehmste aller menschlichen Tätigkeiten.

Luh führt diese Auffassung der Dichtkunst auf die Kommentare des Cristoforo Landino zurück, der insbesondere in seinem Dante-Kommentar poeta (etymologisch korrekt) von griech. "poiein" ableitete und den göttlichen Schöpfungsakt als vorbildlich für den Dichter ansah und damit wiederum an spätantike Vergleiche des Schöpfungswerks durch ein Gedicht anknüpfen konnte (S. 16 f.). Wichtig ist dabei Luhs zusätzlicher Hinweis auf Macrobius, der das Schaffen Vergils mit dem der göttlichen Mutter Natur verglich. 2 Diese Vorstellung vom gleichsam göttlichen Schöpfungsakt des Dichters "beinahe aus dem Nichts" findet sich dann auch bei den Celtis-Schülern Vadianus und Aventinus (S. 19). Voraussetzung für dieses Schöpfungswerk des Dichters ist seine umfassende Kenntnis als philosophus, wozu auch die der Zahlenverhältnisse gehört. Daraus leitet Luh überzeugend die mathematisch-astronomischen Interessen des Celtis ab und sieht in der Wertschätzung der Mathematik als Handwerkszeug des poeta etwas durchaus Neues im Celtiskreis (S. 20 ff.).

Schöpfungswerk und septem artes mechanicae

Auf den Flügeln des Reichsadlers sind zwei Medaillenreihen angebracht: links (der Bedeutung entsprechend heraldisch rechts) eine Bildfolge der Schöpfungstage, rechts sieben Bilder der Handwerkskünste.

Auffallend ist in der Abfolge der Schöpfungstage die offenbar singuläre Abweichung von der Genesis: Celtis übergeht die Werke des zweiten Tages (Scheidung der Wasser) und widmet dafür den Gestirnen zwei Bilder. Die Gliederung der Erde in Land, Meer und Luftregion erfolgt bei Celtis am vierten Tag, am fünften die Einteilung in drei Erdteile mit ihrer Tierwelt. Dem Bibeltext entspricht wieder die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag und die Ruhe des Schöpfers am siebten. Eine Parallele in der Abfolge sieht Luh in der Darstellung der Weltschöpfung in der Germania generalis. Aus ihr ergibt sich die räumliche Ordnung des Kosmos in einer vertikalen Gliederung nach der Schwere der Elemente.

Celtis scheint – so darf man hinzufügen – dieses Bild des kosmischen Aufbaus erst allmählich nach seinem Krakauer Aufenthalt entwickelt zu haben, denn seine ersten Überlegungen zur Entstehung der Welt, wie sie in der Panegyris V. 76 ff. und in der gleichzeitig publizierten Fusilius-Ode (Ode 1, 11, 29 ff.) vorliegen, zeigen die von Luh aufgewiesene Systematik erst in Ansätzen und eher als Probleme denn als Lösungen. So liegt auch die Lehre von der Unvergänglichkeit der Welt, die Luh (S. 35) an mehreren Stellen in Celtis' Œuvre nachweist, in der Panegyris noch nicht vor, sondern vielmehr die stoische Auffassung von einer ewig wiederkehrenden Entstehung und Zerstörung (S. 83 f.).

Besonders zu zwei Texten sieht Luh Beziehungen: zur Schrift des Apuleius De mundo und zum Corpus Hermeticum, die beide im Celtis-Kreis geschätzt wurden und eine vergleichbare Kosmologie und Anthropologie wie der Holzschnitt bieten. Zwischen diesen Lehren und dem biblischen Schöpfungsbericht habe Celtis als Beweis für seine Rechtgläubigkeit einen Ausgleich geschaffen (S. 41).

Das Gegenstück zur Darstellung der sieben Schöpfungstage bildet der Zyklus der septem artes mechanicae (vestiaria, agricultura, architectura, militia und venatoria, mercatura, coquinaria, metallaria), die in den Kontext der zeitgenössischen Arbeitsbilder gehören, während die Siebenzahl sich auf Johannes Scotus Eriugena zurückführen läßt (S. 44). Die Frage nach den Vorbildern der von Celtis ausgewählten artes klärt Luh S. 47 ff. mit den Hinweisen auf die pseudo-platonische Epinomis und auf Ciceros De natura deorum (Lob der Hand ebd., 2, 150, 152).

Höher als die artes mechanicae stehen Mathematik und Philosophie; darin folgt Celtis antiken Vorbildern. Den höchsten Rang nehmen allerdings die Musen, d.h. die Poesie ein (S. 52). Das wird in der Mitte des Blattes in der Brunnengruppe veranschaulicht, die wiederum aus vier hierarchisch aufsteigenden Einzelszenen besteht: dem Parisurteil, den septem artes liberales unter Führung der Philosophie, den neun Musen und dem von zwei Herolden flankierten Kaiser.

Das Urteil des Paris

Die materialreiche Untersuchung über die möglichen Vorbilder des Celtis gibt gleichzeitig einen kompakten Überblick über die weitverzweigte Geschichte dieses Motivs. Wichtig ist die Beobachtung, daß Celtis eine Umdeutung des tradtionellen Entscheidungsmotivs vornahm:

Paris muß sich entscheiden zwischen Aufstieg und Abstieg, ascensus und descensus, zwischen dem Königsweg zu himmlischer Harmonie und dem Abweg in bestialischen Haß und infernalischen Streit" (S. 60 f.).

Er steht damit der Entscheidungssituation des Herkules am Scheideweg nahe. Ohne Vorbild ist die Gegenüberstellung von Merkur und Discordia (S. 63). Bei dieser kann man auch an ihre Rolle in der Psychomachia des Prudentius erinnern, wo sie als erklärte Gegnerin der Virtus auftritt (V. 689 f.).

Mit der Entscheidung des Studenten für das Dichter- und Mathematikerkolleg gegen die alte Artistenfakultät entscheidet er sich auch gegen die alte Logik, die jetzt – eine wichtige Beobachtung – aus dem Lehrplan verbannt ist (S. 72). Damit kommt, so kann man ergänzen, eine Entwicklung zum Abschluß, die mit Rudolf Agricolas Rede zum Lobe der Philosophie begann, wo bereits die Logik fast völlig fehlt. Celtis kannte wohl diese Rede und widmet in der Panegyris der Logik gerade mal noch eine halbe Verszeile (V. 75 arguta doctus in arte, über Cicero gesagt).

Die neun Musen

Den menschlichen Wissenschaften hierarchisch übergeordnet sind die Musen in einer Brunnenschale dargestellt. So konkretisiert sich das alte Inspirationssymbol der Quelle im Musenbrunnen.

Luh verweist (S. 77) auf Brunnenanlagen im Palast des Matthias Corvinus in Buda, die Celtis gekannt haben könnte. Im Gegensatz zu der Besprechung der anderen Motive kommt allerdings hier die Detaildiskussion etwas zu kurz. So wünschte man sich Informationen über die Herkunft und Zuordnung der Attribute der Musen (kanonisch oder neue Erfindung?). Entsprechen die vier Ausflüsse der Brunnenschale ikonographisch den vier Paradiesesflüssen, wie Dieter Wuttke vermutet hat? 3 Mit der Deutung von errare in der Beischrift der Philosophie errando discitur philosophia ("durch forschendes Umkreisen erlernt man die Philosophie, S. 80) hätte Luh auch an Dieter Wuttke anknüpfen können, der bereits in seiner Untersuchung zum Philosophia-Holzschnitt (wie Anm. 3) auf die "Doppeldeutigkeit" von errare hingewiesen hat. Die Bedeutungskomponente des >Irrens< will Luh jedoch fernhalten, obwohl doch selbst Celtis diese Möglichkeit sonst wohl nicht ausschließt, wenn er etwa die Frage nach der Ordnungsmacht im Kosmos stellt, die er nicht zu beantworten vermag (Panegyris V. 85: sive deo vertente vices sive ordine caeco).

Jupiter-Maximilian

Der hierarchische Aufbau des Bildes gipfelt in Maximilian, dem irdischen Jupiter. Flankiert von zwei Herolden setzt er den Fuß auf einen Dreifuß, so wie im Amores-Holzschnitt der Philosophie diese von zwei Putten flankiert ist und ihren Fuß auf die Weltkugel setzt (S. 82). Herolde und tripos (Zeichen des Delphischen Orakels) werden als Ausdruck der memoria und der providentia gedeutet, in den Herolden sieht Luh die beiden Reichsherolde >Deutschland< und >Jerusalem<, verstanden als Ausdruck für den Plan Maximilians, "West- und Ostrom unter seiner Kaiserherrschaft zu vereinigen" (S. 86). Daraus ergibt sich für Luh eine Datierung zwischen Sommer 1503 und Frühjahr 1504, als diese Pläne durch entsprechende Rüstungsvorbereitungen in eine konkrete Phase eintraten.

Beeindruckend ist, wie Luh über die engere Interpretation hinausgreifend immer wieder grundsätzliche Fragen des Verhältnisses zwischen dem humanistischen Anliegen und der Scholastik einerseits (so z.B. in der Diskussion um die Stellung des Celtis zur scholastischen Logik S. 49, Anm. 134) sowie antiken Positionen andererseits (etwa in der Korrektur an der abwertenden Beurteilung der artes mechanicae in der Epinomis S. 50 oder im Parismotiv S. 57 ff.) aufgreift und weiterführt. Er hat auch mit dieser Studie einen wichtigen Beitrag zur Celtis-Forschung geleistet.


Prof. Dr. Joachim Gruber
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Ins Netz gestellt am 26.02.2003
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Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Katrin Fischer.


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Anmerkungen

1 Peter Luh: Kaiser Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXVIII: Kunstgeschichte, Bd. 377) Frankfurt a. M. u. a.: Verlag Peter Lang 2001. Vgl. dazu meine Rezension in IASLonline: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/gruber2.html.   zurück

2 Macrobius: Saturnalien, 5, 1, 18 f.   zurück

3 Dieter Wuttke: Humanismus als integraive Kraft. Die Philosophia des deutschen >Erzhumanisten< Conradus Celtis. Eine ikonologische Studie zu programmatischer Graphik Dürers und Burgkmairs. In: D. W.: Dazwischen. Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren (Saecula spiritalia 29 / 30) 2 Bde. Baden-Baden 1996. Bd. 1, S. 389–454, hier S. 447.   zurück