Hanuschek über Haarmann: Pleite glotzt euch an. Restlos

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Sven Hanuschek

Pleite glotzt uns an. Lustig.
Hermann Haarmanns Handbuch zur Satire in der Publizistik der Weimarer Republik

Kurzrezension zu
  • Hermann Haarmann unter Mitarbeit von Andrea Klein: "Pleite glotzt euch an. Restlos". Satire in der Publizistik der Weimarer Republik. Ein Handbuch. Opladen / Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999. 243 S. 61 Abb. Kart. DM 72,-.
    ISBN 3-531-13295-4.


Wenn sich Wissenschaftler lange und intensiv mit einem Gebiet befasst, womöglich ein paar kluge Studien darüber verfasst haben, packt sie manchmal der Zweifel am Sinn ihres Tuns, und sie geben die Summe ihrer Erkenntnis, ihrer Subtilität, ihres Witzes freiwillig in einer entschlackten Version ans Volk weiter. Diese Versionen sind oft Glücksfälle: sicher im Stoff, entspannt im Ton, gehalten von jahrelangen Vorarbeiten, ohne noch den sauren Jargongeruch etwa wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten zu verbreiten.

Von einem solchen Glücksfall ist zu berichten: Hermann Haarmann hat einige, allerdings auch schon überaus lesbare, Studien aus der Zeit der Weimarer Republik veröffentlicht, darunter über Piscator und, zusammen mit Klaus Siebenhaar, über die Berliner Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart (BGG). Er ist Herausgeber von Werken Carl Einsteins, Alfred Kerrs, Alfred Wolfensteins, vertraut mit dem Werk Walter Benjamins, und er hat das Redaktionsarchiv der Neuen Weltbühne, der Exil-Fortführung von Jacobsohns bzw. Ossietzkys Weltbühne, als Dauerleihgabe an das Berliner Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften (IKK) holen können, dessen Direktor er ist.

Nun hat er unter Mitarbeit von Andrea Klein ein Handbuch über Satire in der Publizistik der Weimarer Republik publiziert, im Titel Carl Einstein zitierend: Pleite glotzt uns an. Restlos. Was Publizistik ist, wissen wir, was Satire ist, kaum, dazu gibt es allzu viele Erklärungs- und Definitionsversuche. In einer "kommunikationsgeschichtlichen" Einführung referieren die Autoren daher kurz die plausiblen Versuche von Lessing bis Paul Feyerabend, ohne sich selbst festzulegen. Durch das Vorzeigen eines ganzen Arsenals besteht die gewisse Möglichkeit, dass alle evtl. brauchbaren Waffen vorgekommen sind: Die "Wirklichkeit als Mangel" werde in der Satire "dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt", so Schiller (S. 18); sie produziere "weder wahrhafte Poesie noch wahrhafte Kunstwerke" (Hegel, S. 19). Gegenüber der Realität – gerade im Hinblick auf das >Dritte Reich< – müsse sie scheitern, die Wirklichkeit übertreffe immer jede Vorstellung von ihr (Günter Kunert, S. 27). Satire ist weltzugewandt und muss die Fähigkeit zur Kritik haben, sonst ist sie keine; dagegen muss sie keine besonders haltbare Ästhetik haben, "sie erschleicht sich keineswegs die Weihen höherer Kunst" (S. 19). Wie Publizistik auch ist sie für den Tag geschaffen und geht mit dem Tag unter; es ist daher besonders naheliegend, eine Bilanz dieser Tagessatire in Form eines Handbuchs zu ziehen.

Das Werk hat vier große Kapitel; jedes besteht aus einem darstellenden Teil und einigen anschließenden Seiten Dokumentation. Die am ausführlichsten beschriebenen oder analysierten Texte und Abbildungen sind dort abgedruckt, auch die nur schwer greifbaren. In den darstellenden Teilen geht es kaum um wissenschaftliche Neuigkeiten, der Handbuch-Charakter wird schon sehr deutlich: Jedes selbstgesetzte Teilgebiet wird kompakt auf 15 bis 20 Seiten beschrieben, voraussetzungslos, als eine eventuelle Starthilfe für weitere Beschäftigung. Im ersten Kapitel, Augenblicke, geht es primär um die bildenden Künstler George Grosz, John Heartfield und ihr Umfeld. Damit die Kategorien nicht allzu berechenbar werden, hat Haarmann durch die Überschriften-Brücke Bürgerschreck und Bohemien auch Carl Einstein hier subsummiert, der laut dem alten Gottfried Benn "was los hatte" (S. 49). Hier wie im zweiten Kapitel Einblicke, das der literarischen Satire gilt (Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Erich Kästner), gibt es kaum neue Aspekte; im Gegenteil, an den Biographica zu Tucholsky und Kästner wären inzwischen eher Kleinigkeiten nachzubessern. Auch die Auswahl der dokumentierten Texte und Zeichnungen ist eher grundsätzlich als exquisit.

Anders bei den beiden anderen Kapiteln: Wechselblicke widmet sich den Zeitschriften und Magazinen der Weimarer Republik. Einen besseren Überblick auf gut zwanzig Seiten gibt es nicht: Vom Simplicissimus über den Kladderadatsch, den Querschnitt und Lachen links bis zu Hans Reimanns Der Drache sind alle wichtigeren satirischen Zeitschriften vertreten, nicht nur in konzisen Beschreibungen ihres politischen und stofflichen Profils, sondern auch ihres äußeren Erscheinungsbilds. Die Komprimierungsleistung der Autoren ist hier ganz erstaunlich; allein dieses Kapitel ließe sich ohne weiteres auf einige hundert Seiten ausdehnen, ohne dass es langweilig würde.

Im letzten Kapitel, Ausblicke, wird noch die Satire im Exil gewürdigt, da, wo sie am machtlosesten war: von auswärtigen Bühnen und Zeitschriften aus konnte man das deutsche Publikum schlecht agitieren und zum Umsturz aufrufen. Durch alle Gattungen hindurch lässt sich hier kaum mehr feststellen als das Scheitern von Satire; die Autoren zitieren denn auch eher zweifelnd aus Heinrich Manns Ein Zeitalter wird besichtigt: "Wer genug geweint hat, lacht." Der "kathartischen Funktion des Lachens nach erlittenem, unfassbarem Leid" solle zwar nicht widersprochen werden, Lachen "als Akt der Erleichterung" bleibe (S. 170). Bruno Adlers Radiofigur "Frau Wernicke" wird als positive Ausnahme gewertet; ihr wöchentlicher BBC-Kommentar soll im letzten Kriegsjahr einige Millionen Hörer gehabt haben. Die müßige Frage, ob Witz im Exil erlaubt gewesen sei oder nicht, wird nicht gestellt (in Brechts konkreter Version: "ist hitler ein hampelmann?" 1), es wird aber darauf hingewiesen, dass offenbar für viele Exilanten die "eindeutig antifaschistische Stoßrichtung" Halt versprochen habe, indem sie "ihre humoristische Leichtigkeit – man könnte auch sagen: Unschuld – verliert", viele Satiriker wurden zu Ex-Satirikern. "Bedarf es eines größeren historischen Abstands oder direkter, persönlicher Betroffenheit, um überhaupt die Jahre des faschistischen Terrors [...] fast heiter-ironisch zu verarbeiten?" (S. 171) Hier wäre wohl die Gelegenheit gewesen, über den Unterschied – falls vorhanden – zwischen satirischen Gebrauchsformen und den wenigen haltbaren Werken politisch-komischer Literatur zu reflektieren, ich denke etwa an Heinrich Manns Lidice (1943): "Lassen wir die Antwort dahin gestellt sein" ist eine allzu lässige Antwort.

In einem grundsätzlichen "Anhang" finden sich bekannte Texte Tucholskys, Kästners und Lukàcs' zur Satire, und ein sehr unbekannter von Alfred Kerr: Quer durch die Zeitsatire (1931). Das Manuskript wird hier zum ersten Mal veröffentlicht, ein Entwurf für Kerrs Radiosendung Berliner Funkstunde mit einigen Auslassungen. Es wird nicht nur deutlich, wen er als Satiriker geschätzt hat (vor allem Kästner, Mehring, Tucholsky und seine eigene Lyrik), das ist auch anderwärts dokumentiert; an dem kleinen Manuskript zeigt sich aber auch Kerrs Arbeitsweise.

Besonders an diesem Archivfund zeigt sich, wie viel Vorarbeit in diesem Handbuch steckt; und wie unpathetisch die ganze Sache präsentiert wird. Es handelt sich also insgesamt um ein brauchbares, ja unterhaltsames Werk, an dem nur der Ladenpreis stört: ein Handbuch, das eine Einführung für Studenten sein könnte und das über siebzig Mark kostet, hat sein Publikum und vorher wohl noch seinen Verlag verfehlt.


Dr. Sven Hanuschek
Institut für deutsche Philologie
Schellingstraße 3
D-80799 München

Ins Netz gestellt am 21.08.2001
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Anmerkungen

1 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal. Erster Band 1938 bis 1942. Hg. von Werner Hecht. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 266.   zurück