Helbig über Monk/Sargeant: Rubrik: Britisches Kino

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Jörg Helbig

Rubrik: Britisches Kino

Kurzrezension zu
  • Claire Monk / Amy Sargeant (Ed.): British Historical Cinema: The History, Heritage and Costume Film (British Popular Cinema) London / New York: Routledge 2002. 288 S. Geb. Pfund 50,-.
    ISBN 0-4152-3809-9.


Mit dem Sammelband British Historical Cinema setzt der Routledge Verlag nach dreijähriger Unterbrechung seine Buchreihe British Popular Cinema fort. Die an der De Montford University in Leicester ansässigen Reihenherausgeber Steve Chibnall und I.Q. Hunter hatten im Frühjahr 1999 eine Revision der britischen Filmgeschichte mit dem vorrangigen Ziel angekündigt, jene Genres für die Filmgeschichtsschreibung zu erschließen, die bisher nicht dem etablierten Filmkanon angehörten und von der akademischen Filmkritik weitgehend vernachlässigt wurden.

Auf die ersten beiden Bände British Crime Cinema und British Science Fiction Cinema traf dieser Anspruch zweifellos zu, für das Gebiet >British Historical Cinema< gilt er jedoch mitnichten. Nur wenige britische Filmgenres sind so umfassend dokumentiert wie der historische Film. Dies bringt die Herausgeberinnen des vorliegenden Bands in Erklärungszwang, zumal in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe eindrucksvoller Publikationen zu diesem Thema erschienen sind, genannt seien nur Sue Harpers Monographie Picturing the Past: The Rise and Fall of the British Costume Film 1 und Marcia Landys Sammelband The Historical Film: History and Memory in Media 2 .

Kostümdramen und Heritage Cinema

Die Herausgeberinnen begegnen diesem Einwand mit dem Hinweis auf die Lückenhaftigkeit der bisherigen Forschung. Vorliegende Publikationen, so die Argumentation, konzentrierten sich vor allem auf die Kostümdramen der Gainsborough Studios und auf das Heritage Cinema der 80er und 90er Jahre: "But, beyond these areas, British period cinema encompasses an extraordinary spectrum of genres, themes, aesthetics and approaches which remain relatively unexplored." (S. 2) Dieser Argumentation kann kaum widersprochen werden, Andrew Higsons Buch English Heritage, English Cinema: Costume Drama Since 1980 (2003) 3 liefert hierfür den jüngsten Beleg.

Tatsächlich stehen im vorliegenden Sammelband immer wieder Filme im Blickpunkt, die nicht im Kontext des Heritage Kinos verankert werden können. Exemplarisch sei auf Amy Sargeants Beitrag "The Content and the Form" verwiesen, der mit Scandal (Michael Caton-Jones, 1989), The Cement Garden (Andrew Birkin, 1992) und Velvet Goldmine (Todd Haynes, 1998) drei Filme behandelt, die die 60er und 70er Jahre evozieren, ohne auf das bekannte Zeichenarsenal der Heritagefilme zurückzugreifen. Ähnliches gilt für den in James Chapmans Beitrag vorgestellten Dokumentarfilm A Queen Is Crowned (Castleton Knight, 1953) und erst recht für die Kostümfilmparodien der Carry On...-Reihe, die in Nicholas J. Culls Aufsatz "Camping on the Borders" besprochen werden.

Zielsetzung von British Historical Cinema ist es indes ausdrücklich nicht, einen umfassenden oder wenigstens repräsentativen Überblick über die verschiedenen Genres und Themen des britischen historischen Films zu liefern, sondern "to make a modest contribution to the opening up of this field, and – less modestly – to shake up the debate around British period films and to stimulate a reappraisal of the terms in which they are discussed and evaluated" (S. 2). Der Beitrag, der noch am ehesten Grundlegendes zum historischen Film und seinen typologischen Ausprägungsformen äußert, ist der Aufsatz von James Quinn und Jane Kingsley-Smith über Kenneth Branaghs Henry V. Darin werden nicht nur die Genres bzw. Subgenres des historischen Films, des Heritagefilms und des Shakespearefilms gegeneinander abgewogen, sondern auch ein Bündel von Merkmalen identifiziert, die einen Film üblicherweise als historischen Film kennzeichnen:

[T]he presence of title cards and voiceovers which establish a historical context for the narrative; the tendency of characters to understand themselves as being >in history<; the overt >quotation< of historical sources; the recurrence of particular stars; an often >theatrical< mise-en-scène entailing spectacular long-shots; episodic and strictly chronological narratives; a concern with the nation and national identity; a pronounced interest in royalty and government; and a mythic-ritual propensity to explore questions of duty and sacrifice. (S. 163)

Impulsgeber für die Forschung

Mit Ausnahme dieses Beitrags bleibt die Buchreihe aber ihrer bisherigen Linie treu und versteht sich weiterhin nicht als Lieferant von Handbüchern zu einzelnen Genres des britischen Films. Stattdessen präsentiert sie sich als Impulsgeber, der in Ergänzung zu etablierten Forschungspositionen den Blick auf vernachlässigte Aspekte und in Vergessenheit geratene Filme lenken will. Die damit verbundene Erwartung der Herausgeber, dass sich die Forschung diesen Filmen zukünftig dezidierter zuwenden könnte, dürfte sich indes nicht immer erfüllen, so im Falle von Tim O'Sullivans Beitrag, der mit The History of Mr Polly (1949) und The Card (1952) zwei eher marginale Verfilmungen edwardianischer Romane behandelt, die wohl auch zukünftig kaum eine nennenswerte Aufwertung erfahren dürften.

Umgekehrt werden etablierte Filme oft in neue Forschungszusammenhänge gestellt, wie beispielsweise in T. Muraleedharans und Fidelma Farleys postkolonialen Lesarten von James Ivorys Heat and Dust und David Leans A Passage to India und Ryan's Daughter. Das Bestreben des Sammelbands, Lücken aufzuspüren, betrifft freilich nicht nur die Forschung, sondern auch den historischen Film selbst. Das interessanteste Beispiel hierfür liefert Stephen Bournes Beitrag "Secrets and Lies", der aus der Tatsache, dass Schwarzafrikaner in der Geschichte des britischen Historienfilms nahezu unberücksichtigt geblieben sind, die These ableitet, dass sich dieses Genre vornehmlich an ein weißes Publikum wendet.

Filmspezifische Gesichtspunkte

Insgesamt beinhaltet der Sammelband dreizehn locker chronologisch angeordnete Beiträge, die Filme aus einer erfreulich großen Zeitspanne von 1912 bis 2001 behandeln. Ebenfalls erfreulich ist es, dass das Hauptaugenmerk der Beiträge generell weniger auf historischen als auf filmspezifischen Gesichtspunkten liegt (z.B. Genrekonventionen, Rezeption, Intertextualität, usw.). Die historische Bedingtheit der untersuchten Filme, d.h. die historischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Produktionszeit und deren Auswirkungen auf die Repräsentation spezifischer historischer Epochen, findet hingegen sehr wohl Berücksichtigung. Die meisten Beiträge stellen entweder einen einzelnen Film oder ein Genre in dem Mittepunkt ihrer Ausführungen.

Lediglich Alan Burton nimmt die Darstellung einer spezifischen historischen Epoche zum Ausgangspunkt, in diesem Fall den Ersten Weltkrieg. Burtons Beitrag "Death or Glory?", der einen weiten Bogen von Maurice Elveys Comradeship (1919) zu William Boyds The Trench (1999) spannt und im wesentlichen die Klassengegensätze zwischen Offizieren und Arbeitern fokussiert, kommt zu dem (auch filmwirtschaftlich) interessanten Ergebnis, dass britische Filme über den Ersten Weltkrieg, im Gegensatz zu vielen amerikanischen Behandlungen des Themas, eher persönliche Dramen und psychologische Implikationen behandeln als die unmittelbaren physischen Erfahrungen des Grabenkriegs.

Filmografie

Mit ihren über zweihundert Titeln liegt die abschließende 27-seitige Filmographie in etwa im Bereich des Bands British Science Fiction Cinema, erreicht aber nur rund den halben Umfang der ausgezeichnet recherchierten Filmographie von British Crime Cinema. Dies enttäuscht aus zwei Gründen: Zum einen streben die Herausgeberinnen in ihrer Filmographie keinen repräsentativen Überblick über den britischen historischen Film an, sondern wollen nur die im Text erwähnten britischen und irischen Filme erfassen. Zum anderen wurden die drei Komponenten des Titels British Historical Cinema bei der Zusammenstellung der Filmographie sehr großzügig ausgelegt. So beinhaltet die Liste erstens einige amerikanische Filme (z.B. Mutiny on the Bounty), zweitens erscheint es in einigen Fällen äußerst zweifelhaft, ob hier sinnvollerweise von Historienfilmen gesprochen werden kann (z.B. The Demi-Paradise, Welcome to Sarajevo, Young Soul Rebels), und drittens ist die Liste nicht auf Filme beschränkt, sondern verzeichnet auch Fernsehspiele und Fernsehdokumentationen.


PD Dr. Jörg Helbig
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Ins Netz gestellt am 11.05.2003
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Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Karoline Hornik.


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Anmerkungen

1 Sue Harper: Picturing the Past: The Rise and Fall of the British Costume Film. London: BFI 1994.   zurück

2 Marcia Landy: The Historical Film: History and Memory in Media. London / New York: Routledge 2001.   zurück

3 Andrew Higson: English Heritage, English Cinema: Costume Drama Since 1980. Oxford: Oxford UP 2003.   zurück