Hierlwimmer über König u.a.: Kino und Alpinismus

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Heike Anna Hierlwimmer

Kino und Alpinismus –
Eine Geschichte des Bergfilms

  • Stefan König / Hans-Jürgen Panitz / Michael Wachtler: 100 Jahre Bergfilm. Dramen, Trick und Abenteuer. München: Herbig Verlag 2001. 176 S. 156 Abb. € 24,90.
    ISBN 3-7766-2228-8.


"100 Jahre Bergfilm" ist das Begleitbuch zur gleichnamigen Wanderausstellung, die im April 2001 im Ausstellungszentrum "Lokschuppen GmbH" Rosenheim startete und anschließend in Potsdam, Bozen, Toblach, Graz und Dresden für jeweils fünf Monate zu sehen ist. Der Klappentext verspricht eine erschöpfende Darstellung der hundertjährigen Geschichte des "besonders spektakulären Filmgenres" Bergfilm, angereichert mit hundert Jahren "Zeit- und Alpingeschichte".

Visuell beeindruckt der Band tatsächlich mit einer Fülle an Fotografien, Filmstills und Plakatreproduktionen, die die hundertjährige Bergfilmgeschichte lebhaft und abwechslungsreich illustrieren. Die oft großformatigen Abbildungen bestätigen in ihrer hohen Qualität die professionelle Aufmachung und das angenehme Layout des Buches.

Buntes Allerlei

Im Textbereich ist es hingegen unmöglich, ein Gesamturteil abzugeben. Die äußerst heterogene Zusammensetzung der Buch-Autoren schlägt sich in der stark variierenden Qualität der einzelnen Beiträge nieder. Mit den breit gefächerten thematischen Aspekten gehen leider große stilistische und inhaltliche Schwankungen einher; auch die thematische Relevanz und Gewichtung der einzelnen Beiträge ist recht ungleichmäßig verteilt.

So folgen auf interessante, da informative Beiträge immer wieder persönliche Anekdotensammlungen oder unkommentierte Faktenanhäufungen. Während Aldo Audisios "Berge aus der Kurbelkiste" eine gut verständliche, detaillierte Frühgeschichte des Bergfilms inklusive des Medien-Vorläufers Laterna Magica bietet, bleibt Michael Wachtlers "Es war eine harte Arbeit" ein wirres Sammelsurium von Bergfilm-Anekdoten.

Dramatik am Hang

Wachtler, laut (nicht weiter begründetem) Klappentext "einer der profiliertesten Kenner der Bergwelt", behandelt auf knapp drei Seiten Text nicht etwa nur die dramatischen Dreharbeiten zum Film "La Roue" von 1920 – inklusive der Biographie des Regisseurs Abel Gance und dessen tragischer Liebe zur Hauptdarstellerin Ida Danis – und die ebenso tragischen Dreherlebnisse der Amerikanerin Nell Shipman und ihres Ehemannes und Regisseurs Bert Van Tuyle. Auch eine – recht selektive – Kurzbiographie von D. W. Griffith und einige Bemerkungen zum schweren Stand des Films (und Hollywoods) in seiner Anfangsphase quetscht Wachtler in seine Abhandlung über die besondere Tragik und Dramatik des Berg-Filmens, bei dem "sehr oft der Tod Mitregie führt" (S. 130).

Auch ein Lothar Brandler mag zwar im Anhang des Buches zurecht als "legendärer Kletterer und der international meist prämierte Bergfilmer" (siehe Kurzbiographie, S. 176) bezeichnet werden. Sein Artikel "Direttissima" hangelt sich jedoch von persönlicher Anekdote zu persönlichem Anekdötchen und schwankt zwischen Prahlen über eingeheimste Filmpreise und überstandene Klettertouren einerseits und schmerzhafter Erinnerung an bei Dreharbeiten verstorbene Freunde andererseits.

Gleich im Anschluß an Brandlers Text wird sein Schüler Gerhard Baur hingegen dem Untertitel seines Beitrages gerecht: "Erfahrungen, Einsichten und Probleme beim Bergfilm" werden hier zwar ebenfalls anhand persönlicher Beispiele geschildert, zugleich jedoch in quasi allgemein gültigen "Regeln" des Bergfilmens auf den Punkt gebracht und schlüssig erklärt. Die häufig angeführten taoistischen Weisheiten mögen dabei befremdlich wirken, machen jedoch zumindest in Baurs Sicht des Bergfilms als Medium der Naturbetrachtung und des Naturerlebnisses wiederum Sinn.

Alpines Nischenpublikum

Die außerordentlich breit gestreute Themenpalette von "100 Jahre Bergfilm" umfaßt auch einige Beiträge, die – je nach Standpunkt und persönlicher Erfahrung – entweder als langweilige bis bizarre Kuriositätensammlungen oder aber als Insiderberichte für echte Bergfilm-Fans rezipiert werden mögen.

So liefert Daniela Cecchin in ihrem Beitrag "Der große Preis" einen Abriß über Termine und Lokalitäten, Preise und Wettbewerbskategorien, Historien und Triumphe einiger internationaler Bergfilmfestivals. Der Eindruck einer gewissen subjektiven Überhöhung des Bergfilmfestivals von Trient – dessen Qualität hier keineswegs bezweifelt werden soll – erhärtet sich bei einem Blick in die immer aufschlußreiche Kurzbiographie im Anhang des Buches. Als "langjährige Organisations-Sekretärin des Filmfestivals Trient" und "Kennerin der Bergfilmszene mit internationalen Kontakten zu Produktionen, Regisseuren, Filmfestivals" (S. 176) überrascht sie mit ihrem Fazit kaum noch, das die Welt schlicht in Trient und "anderswo" einteilt: "Der Bergfilm braucht Festivals. Er braucht sie in aller Welt. In Trient also – und anderswo." (S. 155)

Ähnlich wie Cecchin, nutzen auch Aleksander Llow und Daniel Quaderer "100 Jahre Bergfilm" als Forum für Werbung in eigener Sache. Llow kann seine Bitte um Beachtung und Förderung des polnischen Bergfilmfestivals Kattowitz immerhin mit einer Aneinanderreihung von Fakten über polnische Bergfilmer, ihre internationalen Auszeichnungen und finanziellen Probleme im eigenen Land anreichern. Daniel Quaderer hingegen beschreibt drei bizarre Textseiten lang, warum das kleine Liechtenstein bisher keine große Rolle im Bergfilmschaffen gespielt hat und vermutlich auch nie spielen wird.

Pathos und Peinlichkeiten

Im Gegensatz zu solchen leicht kurios anmutenden Artikeln fordern andere Autoren von "100 Jahre Bergfilm" in aller Eindringlichkeit den nötigen Ernst und Respekt im Umgang mit Bergen – und erst recht dem Bergfilmen – ein. Michael Wachtler beschwert sich in "Kulissen-Schiebung" mit permanent nörgelndem Unterton über unrealistische, computergestützte und daher verachtenswert ungefährliche Dreharbeiten zu Hollywood Bergfilmen à la "Cliffhanger", die die Berge als bloße Kulisse mißbrauchten. Sein Beitrag ufert mitunter in eine leicht pathetische Kritik an allem Un-Deutschen und Modernen schlechthin aus: "Den Begriff Heimat hat außer im deutschsprachigen Raum der Rest der Welt sowieso nie verstanden." (S. 120)

Noch erhabener, noch heimatverbundener und noch deutschtümelnder ist der Text von Michael Pause, dem "Leiter und Moderator der populären Alpensendung >Bergauf-bergab< im Bayerischen Fernsehen" (S. 176). In dieser dreieinhalbseitigen Lobrede auf eine echte Fernseh-Männer-Seilschaft wimmelt es von Pfundskerlen und Naturburschis – bayerisch, männlich, unabhängig, kompetent. "Wanderungen in den Mittelgebirgen oder im Watt der Nordsee bleiben uns erspart...", seufzt Pause an einer Stelle zufrieden (S. 168), und in der Tat scheinen er und seine Sepps und Sigis besser im Bergauf-Bergab-Team aufgehoben zu sein.

Ein weiteres Negativbeispiel ist auch der erstgenannte Autor des Buches, Stefan König. Als Autor gleich mehrerer Beiträge stellt er zwar mitunter Fachkenntnis und persönliche Begeisterung für das Sujet unter Beweis, wie zum Beispiel in seinem Artikel "Alpinismus ist Sport". Wesentlich zahlreicher sind hingegen die Gelegenheiten, bei denen er, zwischen pseudo-forschen Ellipsen und pseudo-poetischen Hypotaxen schwankend, seine nicht immer nachvollziehbare "Expertenmeinung" zum Thema Berg und Bergfilm zum besten gibt. Weisheiten wie "Er [Fanck] war nicht nur der Erfinder des Genres, er drückte ihm auch nachhaltig seinen Stempel auf" (S. 12) sind dabei leider keine Seltenheit.

Königs positiver Versuch, die teilweise Verquickung von Nationalsozialismus und Bergfilmerei mit kritischer Distanz zu betrachten, artet mithin in eine pauschale Abwertung alles Deutschen im Bergfilm aus und wird auch durch die permanente Beschwörung der Internationalität des Bergfilms nicht besser. Alle Bemühungen um internationales Flair oder Wissenschaftlichkeit sind jedenfalls hinfällig, sobald Stefan König, wie in seinen "Sentimentale[n] Anmerkungen zu Leben und Werk Luis Trenkers" (S. 44), in seinen Plaudertaschenton verfällt und Dichtung und Wahrheit, Fakten und Meinungen frei miteinander kombiniert.

Einige Lichtblicke

Wer "100 Jahre Bergfilm" entweder komplett oder sehr gezielt liest, wird sich über einige echte Lichtblicke freuen können. Hans-Jürgen Panitz liefert mit "Der Baum des Alpinismus" eine interessante, gut lesbare Geschichte der engen Beziehung von Kino und Alpinismus, Bergfilmern und Bergsteigern seit den 1950er Jahren. Rainer Wüsts "ironische Fern(seh)schau" belegt ebenso vergnüglich wie zutreffend die Omnipräsenz der Berge in allen erdenklichen TV-Sendungen und -Formaten, die dem weniger ambitionierten Alpinisten eine ungefährliche und mühelose Erschließung des Alpenraumes vom Fernsehsessel aus ermöglicht.

Nur zwei Autoren liefern spannende, gut lesbare Beiträge, die zugleich wissenschaftlich ernst zu nehmen sind. Dies ist zum einen Gerhard Bliersbach, der bereits in seinem Buch "So grün war die Heide" zu teilweise verblüffenden, jedoch immer profunde belegten Erkenntnissen über die Psychologie des deutschen Heimatfilms gelangte. In "100 Jahre Bergfilm" verläßt Bliersbach, anders als einige seiner Ko-Autoren, die Ebene des schenkelklopfenden Anekdoten-Erzählers und bereitet seine Thesen, nun auf das Genre Bergfilm zugespitzt, neu auf. Er erläutert, wie vermeintlich simple Inhalte – Heimat, Berg, Natur – den Rahmen für komplexe psychologische Phänomene, für individuelle Tragödien und Triumphe, für Generationen- und Geschlechterkonflikte bilden.

Zudem gelingt es ihm, und zwar ohne jemals in nationalistisches Phrasendreschen zu verfallen, die besondere Beziehung Deutschlands zum Begriff der Heimat (und des Heimatfilms) zu beleuchten. Im Bergfilm der Nachkriegszeit, so Bliersbach, schwelen die unbewältigten Traumata einer ganzen zerrütteten Nation, bis sie schließlich – filmisch – "therapiert" werden. Blühende Almwiesen lassen dann zerbombte Städte vergessen, moralische und körperliche Unversehrtheit ersetzen "Kränkung, Schuld und Scham" (S. 92).

Ebenso interessante und schlüssige Einsichten aus einem psychologischen Blickwinkel liefert Claudia Lenssen. Mit ihrem Beitrag "Trenkers Frauen" hebt sie sich wohltuend von stereotypen "Erkenntnissen" zum Genre Bergfilm im allgemeinen und zur Urgestalt Trenker im besonderen ab. Lenssen beleuchtet Trenkers widersprüchliche und problematische Beziehung zu Frauen, indem sie biographische mit filmischen Episoden kontrastiert und ergänzt. So verfolgt sie die oftmals dramatischen Entwicklungen – und das letztendliche Scheitern – der "Dreiecksaffäre" (S. 146) Arnold Fanck – Luis Trenker – Leni Riefenstahl sowohl innerhalb als auch außerhalb der Plots und Dreharbeiten zu gemeinsamen Projekten wie "Berg des Schicksals" und "Der heilige Berg".

Laut Lenssen ist die Riefenstahl "der provozierendste Typ der Fremden" (S. 146), jenes komplexen und zugleich stereotypen Frauentyps, der in allen Trenker-Filmen auftaucht: "Fremde Frauen himmelten den Bergfex mit seinem ruppigen Skilehrer-Charme an. Sie schmeichelten ihm, schmückten die Pisten und Hotelbars und verdienten doch nur leichte Herablassung." (S. 144) Akzeptables Gegenstück zur fremden Frau als Bedrohung einer (vermeintlich) intakten Alpenwelt ist die "Mutter-Madonna-Geliebte" (S. 143), die züchtige Einheimische, die "Trenkers Helden [...] zur Bestätigung ihres männlichen Weltbildes" brauchen – "Verehrung war möglich, Begehren bestätigte den Eroberer, Lust wäre jedoch ein Frevel am Mutterbild gewesen" (S. 143). Insgesamt liefern Lenssens Bemerkungen zu "Trenkers Frauen" interessante Einsichten zu Männerbildern und Frauenrollen, die sicherlich auch über das Genre Bergfilm hinaus Geltung besitzen.

Fazit

Abschließend bleibt festzuhalten, daß "100 Jahre Bergfilm" den selbst gesetzten hohen Erwartungen nicht gerecht wird. Die anvisierte umfassende Darstellung der Bergfilmgeschichte unter Berücksichtigung der hundertjährigen Zeitgeschichte variiert in der Gewichtung einzelner Epochen ebenso stark wie in der Qualität der verschiedenen Beiträge. Das Buch bleibt gekennzeichnet durch Brüche und Widersprüche. Bereits die Überschriften des Inhaltsverzeichnisses irritieren mit ihrer offensichtlichen Grätsche zwischen deutschtümelndem Alpinismus ("Das Bergmädchen", "Es war eine harte Arbeit") und gewollt "modernen" Anglizismen ("Making of ...", "Faces").

Umso positiver sind die roten Fäden zu bewerten, die "100 Jahre Bergfilm" trotz allem besitzt. Die Altmeister des Bergfilms – Arnold Fanck, Luis Trenker oder Leni Riefenstahl – tauchen immer wieder in verschiedenen Kontexten auf und werden dem Leser als facettenreiche Persönlichkeiten nahe gebracht. Auch der Zusammenhang zwischen den sportlichen und naturbedingten Anforderungen des Bergsteigens und der spezifischen Problematik – und Faszination! – des Bergfilmens wird, auch für Nicht-Alpinisten, deutlich. So bleiben am Ende der Spaßfaktor eines Hochglanz-Bilderbuches und das Vergnügen eines schwärmerischen Insider-Berichtes die größten Stärken von "100 Jahre Bergfilm".


Heike Anna Hierlwimmer, M.A.
Universität Trier
Medienwissenschaft
D-54286 Trier

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Ins Netz gestellt am 16.09.2002
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Uli Jung. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


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