Hierlwimmer über LaSalle, Black: Hollywood, mit und ohne Zensur

IASLonline


Heike Anna Hierlwimmer

Hollywood, mit und ohne Zensur

  • Mick LaSalle: Complicated Women. Sex and Power in Pre-Code Hollywood. New York: St. Martin's Press 2000. 304 S. 48 Abb. Kart. EUR (D) 19,65.
    ISBN 0-521-56592-8.
  • Gregory D. Black: Hollywood Censored. Morality Codes, Catholics, and the Movies. Cambridge University Press 1996. 352 S. 15 Abb. Kart. £ 18,95.
    ISBN 0-312-28431-4.


Die beiden Bände von Mick LaSalle und Gregory D. Black werden hier in einer gemeinsamen Rezension besprochen, da sie große historisch-thematische Überschneidungen aufweisen. Während LaSalle die wenigen Jahre des Hollywood-Tonfilms vor der Einführung des >Production Code< behandelt, widmet sich Black der Entstehung und zunehmend rigorosen Umsetzung desselben – der hauseigenen Zensurmaßnahme Hollywoods.

Komplizierte Frauen

Wie der Titel Complicated Women schon sagt, konzentriert sich LaSalle ganz auf die weiblichen Stars und die begrenzte Anzahl von Filmen, die zwischen der Etablierung des Tonfilms und der endgültigen Einführung des Production Code entstehen konnten. LaSalle läßt diese Phase mit dem Film The Divorcee 1930 beginnen und exakt am 1. Juli 1934 enden, dem Zeitpunkt, da die Angst – oder der Respekt – der Studios schließlich so groß war, daß kein Film mehr ohne die Zustimmung der Production Code Administration (PCA) in den Filmverleih gehen konnte (s. S. 201).

Das große Dilemma, um nicht zu sagen Verbrechen dieser Epoche ist laut LaSalle, daß die Zensur der PCA ein nie da gewesenes Potential modernster Filmtechnik, mächtiger Studios, talentierter Drehbuchautoren und facettenreicher, professioneller und vor allem wunderschöner Schauspielerinnen abrupt erstickt. Um so kostbarer sind die vergleichsweise wenigen Filme, die ungehindert von eben jenen Crews realisiert werden konnten, die ab 1934 Inhalt und Aufmachung ihrer Produkte radikal verändern oder sogar ihrem mehr oder weniger plötzlichen Karriereende entgegen sahen.

Kirche contra Kino

LaSalle zeichnet anschaulich die Genese des Production Code nach, jenem moralischen "Traktat", dessen konsequente Umsetzung die Hollywood Studios davor bewahren sollte, in irgendeiner Weise unsittliche, ungesetzliche oder sonstwie anstößige Filme zu produzieren. Dabei betont LaSalle zurecht, daß die Studios mit der Einrichtung der PCA nicht einfach bemitleidenswerte Opfer bigotter oder rückständiger Moralapostel wurden. Den Boykott-Drohungen bzw. tatsächlich praktizierten Boykotten und daraus resultierenden finanziellen Einbußen an der Kinokasse begegneten Hollywoods Studiobosse nicht mit Gelassenheit oder mutigen Gegenangriffen, sondern mit einer fast kampflosen Kapitulation vor einflußreichen Vertretern insbesondere der katholischen Kirche – die fortan inhaltlich und personell die PCA führten.

Dabei muß erwähnt werden, daß die heute praktizierte Klassifizierung und Altersbeschränkung für Kinofilme bis dato in Hollywood nicht üblich war; jeder Zuschauer sollte jeden Film ansehen können, um größtmögliche Profite zu garantieren. Die PCA schützte laut eigener Anschauung also insbesondere amerikanische Kinder und Jugendliche, indem sie für eine angemessene, also durch Staat und Kirche legitimierte Darstellung der beiden problematischen Themenbereiche Kriminalität und Sexualität sorgte.

Dies geschah im "Idealfall" bereits durch Einflußnahme im Stadium der Stoffauswahl und des Drehbuchschreibens, oder eben später während der Dreharbeiten und beim Schneiden des Rohmaterials. Im für die Studios schlimmsten Fall ordnete die PCA weitere Schnitte (und oftmals dadurch notwendige, kostspielige nachträgliche Dreharbeiten) an, bevor der Film mit dem PCA "Gütesiegel" in den Verleih durfte. Am Ende gingen die PCA sowie andere Interessenverbände, beispielsweise die katholische "Legion of Decency", zu einem Bewertungssystem über, das einige Filme von einer totalen Zensur ausnahm und für ein rein erwachsenes Publikum entweder empfahl oder zumindest nicht verdammte.

Die kostbaren Jahre

Zwischen der offiziellen Einführung der PCA und der endgültigen praktischen Befolgung ihrer Vorgaben vergingen, wie bereits erwähnt, vier kostbare Jahre, in denen die letzten modernen, unzensierten Filme entstehen konnten – die zugleich die ersten Tonfilme ihrer Art waren, denn der Tonfilm setzte sich ebenfalls ab ca. 1929 als Erweiterung des Mediums Film durch. Letzteres ist vor allem daher wichtig, weil mit gesprochenen Dialogen viele Zweifel an der herrschenden Moral besonders deutlich – oder überhaupt erst – buchstäblich "zur Sprache kommen" konnten. Während ein Stummfilm problemlos Gewalt und Verbrechen, und mit Hilfe der erklärenden Zwischentitel auch Ehebruch oder andere moralisch anstößige Handlungen darstellen kann, braucht es doch den Tonfilm, um die leisen, aber entscheidenden Zwischentöne einer sexuellen Doppelmoral einzufangen oder eine explizite und elaborierte Kritik an welchem System auch immer zu artikulieren.

LaSalle schildert anschaulich und voller Begeisterung, welch moderne, gewagte, anspruchsvolle, kritische, unterhaltsame Filme in jenen Jahren entstanden, und wie verblüffend groß die ideologische Nähe zur heutigen Zeit ist, gerade was das Frauenbild und Vorstellungen von Liebe, Ehe und Sexualität angeht. So sind laut LaSalle immer wieder die weiblichen Stars Dreh- und Angelpunkte der besten Filme – zu einer Zeit, in der Frauen außerhalb des Schauspielerberufs kaum Chancen hatten, nachhaltigen Einfluß auf die Geschehnisse Hollywoods zu nehmen. Die Chancen einer Hauptdarstellerin, einer "leading lady", nutzten einige jedoch radikal und perfekt. LaSalle betont den "Wert" zweier Schauspielerinnen für die Nachwelt ganz besonders: Greta Garbo und Norma Shearer.

Erstere genießt beim zeitgenössischen Publikum und den Kritikern der folgenden Jahrzehnte gleichermaßen "Kultstatus" und hat laut LaSalle auch mit der Einführung des Codes wenig Probleme, da sie selbst in den Filmen vor dem Code keine prinzipiell revolutionäre Moral vertritt (s. S.215). Zwar steht sie, wie viele ihrer Kolleginnen, für eine offensive Erotik, jedoch immer mit dem ihr eigenen Hang zum Melodram, zum Spirituellen, zur Erlösung von und Buße für begangene Sünden. Norma Shearer hingegen ist eine der vielen leading ladies (unter ihnen Größen wie Mae West), deren Karriere mit Einführung des Code, von einigen eher mißlungenen Image-Änderungsversuchen abgesehen, endet, und deren Wert für Hollywood und den Film erst in den letzten Jahren wieder erkannt wurde. Dies liegt laut LaSalle daran, daß Shearer ihrer Zeit "zu weit voraus" und weder fähig noch bereit ist, in Punkto Filmstoff, Kostüm, Nacktheit oder Offenheit der Dialoge die Errungenschaften des Tonfilms vor dem Code wieder aufzugeben (s. S.98).

Intelligente Erotik

LaSalle betont immer wieder – und wer einige der genannten Filme kennt, wird ihm zustimmen –, daß das große Dilemma des Codes aus Sicht der Zuschauer und Schauspieler eben nicht in einem Mangel an "Sex and Crime" besteht. In den Filmen der Pre-Code Ära geht es nicht um Provokation mit möglichst simplen Mitteln, und nicht um einen plumpen Appell an niedere Instinkte oder eine utopische Verdrehung des moralischen Status quo. Ganz im Gegenteil funktioniert Erotik in diesen Filmen am allerbesten, wenn sie zu gleichen Teilen mit Intelligenz gemischt serviert wird. Schauspielerinnen wie Norma Shearer, Mae West, Marlene Dietrich, Miriam Hopkins, Jean Harlow und viele andere zeigen in ihren besten Filmen ebenso viel Köpfchen wie nackte Haut; in ihren Rollen spielen sie nicht nur ihren Sex-appeal schamlos und erfolgreich aus, sondern genauso oft und gern ihren Wortwitz, ihre Schlagfertigkeit und ihren Mut zum Risiko.

Was LaSalle in den meisten PCA-zensierten Filmen zurecht vermißt, ist der kritische, unverklemmte, aber immer auch selbstironische und humorvolle Blick auf Frauenbilder und Männerrollen, sowie die Erkenntnis, daß bei der Darstellung von Liebe und Sex das rigorose Ausblenden des einen auf Kosten des anderen meist lächerlich wirkt.

Großes Lesevergnügen

Complicated Women ist ein Buch vom Filmfan für Filmfans. Mick LaSalle schreibt verständlich und mitreißend und läßt in für deutsche (akademische) Leser vielleicht gewöhnungsbedürftiger Weise keinen Zweifel an seinen persönlichen Ansichten, Präferenzen und Lieblingsstars. Obschon diese nicht immer für jedermann nachvollziehbar sind (wenn er beispielsweise Gwyneth Paltrow und Jennifer Lopez "im gleichen Atemzug" als Nachwuchstalente bezeichnet), kann sein Buch insgesamt durchaus nicht als unwissenschaftlich abgetan werden. Im Jahr 2000 erschienen, ist es sowohl in der Verwendung der relevanten Sekundärliteratur als auch bei den geschilderten Filmbeispielen (das letzte ist von 1999) auf dem neuesten Stand. Die Begeisterung für sein Sujet zeigt sich auch im Anhang, mit einem kurzen Nachruf auf die wichtigsten genannten Schauspielerinnen und einer Liste der genannten Filme – leider keine ausführliche Filmographie! – und ihrer Erhältlichkeit als Kauf-Video oder in bestimmten Fernsehkanälen.

Hollywood Censored

Obschon sich LaSalle dem Titel nach auf das "unzensierte" Hollywood bezieht, macht er den Leser bereits mit den wichtigsten Fakten des Production Code und der PCA bekannt. Wer Gregory Blacks Buch nun im Anschluß liest, erfährt keine fundamentalen Neuigkeiten, wohl aber einen erheblich tieferen Einblick in die mitunter abenteuerlichen Verstrickungen, Zufälle und Kettenreaktionen, die den Code insbesondere auf personeller Ebene prägen.

Sie erklären letztlich, wie eine Industrie aus Gründen des Selbstschutzes und der Profitgier eine Verwaltungseinheit in New York errichtet, die sie wiederum zur Beschwichtigung oder Beeindruckung der Regierung mit einem möglichst konservativen Repräsentanten besetzt: Ex-US Postmaster General Will Hays als Chef der Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA). Dieser vereint wiederum persönliches Machtstreben und moralisch-kulturellen Belehrungseifer mit exzellenten, engen Kontakten zur katholischen Kirche, aus deren Reihen schließlich die Autoren des Production Code, Priester Daniel Lord und Martin Quigley, und der langjährige Leiter der PCA in Hollywood, Joseph I. Breen, rekrutiert werden.

Es gehört zu den besonderen Ironien des Code, daß Hollywoods Studiobosse, von denen viele jüdischer Abstammung sind, somit in ihrer hauseigenen Zensurbehörde zum Teil fanatische Antisemiten beschäftigen – allen voran Joseph Breen, der in zahlreichen Schreiben an seinen Vorgesetzten Will Hays plastisch, mitunter auch drastisch zum Ausdruck bringt, daß der Ursprung für Hollywoods Unmoral, Geld- und Sexgier allein in der jüdischen Herkunft seiner Gründer zu finden sei.

Ein weiterer verblüffender Umstand, den Black aufzeigt, ist die verpaßte Chance der Studios, den Widerstand gegen ihre Filme frühzeitig zu zerschlagen bzw. zu umgehen. Die vermeintlich allmächtige Front der religiösen, insbesondere katholischen Zensoren ist nämlich innerlich ebenso zerstritten und uneinig wie viele andere Organisationen auch – was der eine Bischof von der Kanzel herab und in schwarzen Listen als Teufelswerk verdammt, wird in einer anderen Diözese als harmlose Unterhaltung beurteilt oder von einem Frauenverband zum Besuch mit der ganzen Familie empfohlen.

Filme mit Mae West, wie zum Beispiel Klondike Annie, teilen die Nation in West-Fans und West-Hasser. Martin Quigley will den Film für Katholiken verbieten, während der katholische Priester Al Dugan aus Los Angeles Fanbriefe an West schrieb und den Film "delightfully humorous" findet (s. S. 229). Wo auch immer die katholische "Legion of Decency" mit Kinoboykott droht, erzielen die Kinobesitzer allerdings Rekordumsätze; nichts lockt so viele Zuschauer an, wie ein kirchliches Verbot aus moralischen Gründen.

Die Studios erfahren dies zum Teil nicht, weil Breen entsprechende "Code-gefährdende" Fakten strengstens geheim hält, um seinen persönlichen Einfluß und seine Drohkulisse mit Hilfe der katholischen Verbündeten aufrecht zu erhalten. Gregory Black fragt sich jedoch zurecht, warum Hollywood insgesamt so wenige und halbherzige Versuche machte, für eine freie Meinungsäußerung des Films zu kämpfen – mit der sicherlich vorhandenen Unterstützung eines Großteils der kinobegeisterten Bevölkerung. Die Erklärung hierfür ist vermutlich wenig schmeichelhaft für die Studios. Letztlich wählten sie den Weg des geringsten Widerstands und waren auf ein reibungsloses Funktionieren ihrer Industrie fixiert, möglichst ohne das geringste Risiko eines (an anderer Stelle vermutlich mehr als wett gemachten) Verlustes an der Kinokasse durch Boykotte der einen oder anderen Interessensgruppe, oder durch staatliche Interventionen einzugehen.

Liebe zum Detail

Gregory Black rekonstruiert das Wirken der PCA anhand einiger Filmbeispiele in großer Detailtreue, von den ersten Einwänden bei Idee und Drehbuch bis zum Schnitt des fertigen Films. Zu Breens Gunsten erwähnt er, daß die PCA als Mühlstein zwischen Studiobossen und Regisseuren in Hollywood, Will Hays und Finanzgebern in New York, und Bischöfen und Verbänden in Chicago oder Philadelphia durchaus einige Mühe hatte, ein für alle Beteiligten befriedigendes Produkt zu garantieren. Die Beschreibung dieses zermürbenden Hin und Her, sowie die sehr detaillierten Inhaltsangaben der strittigen Filme mögen manchem Leser auf Dauer etwas langatmig erscheinen. Black beschränkt sich in seinen Filmanalysen leider weitestgehend auf die 1930er Jahre, obgleich sich der (wenn auch nachlassende) Einfluß des Production Code bis in die sechziger Jahre erstreckt; der Leser findet in Hollywood Censored nur die "Blütezeit" unter Hays und Breen wieder.

Fazit

Hollywood Censored liest sich, genau wie LaSalles Complicated Women, unterhaltsam und spannend. Dem Leser drängt sich die Erkenntnis auf, daß sich, wie so viele andere Hollywood-Epochen, auch die Ära des Production Code selbst für eine Verfilmung eignen würde. Im Vergleich zu LaSalle ist Black jedoch um einen wissenschaftlicheren Grundton bemüht, was nicht nur an den zahlreichen Endnoten jedes Kapitels deutlich wird. Die regelmäßig eingebetteten, schwarzweißen Abbildungen sind entweder, genau wie bei LaSalle, Filmstils zur Illustration einschlägiger Filmszenen, oder auch Porträts der wichtigen Akteure rund um den Production Code, die besonders interessant, da sonst eher selten zu sehen sind.

Beide Bände überzeugen durch zahlreiche, gut eingesetzte Filmbeispiele, umfassend recherchierte Materialien (bei LaSalle insbesondere zeitgenössisches Zeitschriften- und Zeitungsmaterial der frühen 1930er) und nützliche Bibliographien.


Heike Anna Hierlwimmer, M.A.
Universität Trier
Medienwissenschaft
Universitätsring 15
D-54286 Trier

E-Mail mit vordefiniertem Nachrichtentext senden:

Ins Netz gestellt am 26.02.2003
IASLonline

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Uli Jung. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!


[ Home | Anfang | zurück ]