Hirschi über Helmrath et al.: Diffusion des Humanismus

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Caspar Hirschi

Wie sich der Humanismus
verflüssigt hat ...

  • Johannes Helmrath / Ulrich Muhlack / Gerrit Walther (Hg.): Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten. Göttingen: Wallstein 2002. 464 S. / 19 s/w Abb. Kart. EUR (D) 35,-.
    ISBN 3-89244-506-0.


Unter einem Titel, der auf den ersten Blick an Labor und Reagenzgläser denken lässt, widmet sich der aus einer Tagung an der Berliner Humboldt-Universität hervorgegangene Aufsatzband der Europäisierung des Renaissance-Humanismus. Die 18 Beiträge entwerfen ein Panorama, das von den Anfängen der Laiengeschichtsschreibung in Oberitalien im 12. und 13. Jahrhundert über die verschiedenen Vorstöße des Humanismus über die Alpen seit 1400 bis zum kunst- und architekturgeschichtlichen Niederschlag der Renaissance in Ostmitteleuropa reicht.

Terminologie und Thema

Den Anfang machen zwei programmatische Aufsätze, die die Leittermini des Bandes methodisch umreißen. Johannes Helmrath stellt im Einleitungsaufsatz den Diffusionsbegriff als Metapher der Ausbreitung des Humanismus auf den heuristischen Prüfstand, derweil Ulrich Muhlack in wenigen Sätzen Gegenstand, Funktion und Aneignung der humanistischen Historiographie außerhalb Italiens skizziert.

Angesicht der enormen Erfolgsgeschichte humanistischer Bildung und Studien in ganz Europa stellt sich für Helmrath die zentrale Frage nach den "Trägern, Wegen, Medien, Milieus, Rezipienten, Transformationen" (S. 9), über die das Bildungsgut im 15. und 16. Jahrhundert den Weg von Italien bis in die hintersten Winkel Europas genommen hat. Helmrath relativiert aber das Einbahnstraßenmodell einer von der Apenninenhalbinsel sukzessive >diffundierenden< Bildungsbewegung grundlegend: Petrarca, als Initiator und Leitbild humanistischer Studien über Generationen von kaum zu überschätzender Bedeutung, habe aufgrund seiner langjährigen Exilexistenz bereits eine unmittelbare europäische Wirkung ausgeübt. Für Frankreich muss in der Tat konstatiert werden, dass Petrarca von Avignon aus als Leit- und Reizfigur seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts eine eigenständige Tradition humanistischer Studien begründet hat.

Warum nun aber der Begriff der >Diffusion<? Helmrath ordnet in einem ersten Schritt die wissenschaftliche Metaphorik, die bis dahin zur Beschreibung des Phänomens zum Tragen gekommen ist. Im Unterschied zu den Humanisten selbst, die Bildungstransfer als >translatio<, als kompakten Abgang und Neuzugang von Wissen verstanden, um den es zu wetteifern galt, verfüge die Wissenschaftssprache für den geistigen Transport über einen reichen Metaphernschatz:

Das Denken über geistigen Transport arbeitet metaphorisch, bedient sich epidemisch-contagiöser (wie ein Virus), missionarischer (durch Apostel), vor allem aber hydrologischer Metaphern: Strömungen, Einflüsse etc. Zu letzteren gehört, im physikalischen Sinne eines Durchsickerns durch permeable Materie, auch unser Begriff der Diffusion. (S. 18)

Für seine Verwendung spreche in erster Linie die gleichmäßige Gewichtung von Geben und Nehmen (im Gegensatz zu >Transfer< und >Rezeption<) sowie die Betonung der Unverhinderbarkeit bzw. des jenseits konkreter Intentionen und Strategien ablaufenden Prozesses.

Obwohl Helmrath einräumt, dass mit dem Diffusionsbegriff keine neue Theorie der Europäisierung des Humanismus aufgestellt werde, stellt sich die Frage nach der metaphorischen Adäquatheit des Diffusionskonzepts. Trotz des direkten Anknüpfens an die Terminologie der angelsächsischen Forschung entsteht im Deutschen ein anderer Begriff als die längst zu einem wissenschaftlichen Plastikwort ohne theoretischen Gehalt abgesunkene englische Formel der >diffusion<. Um nicht einfach eine neudeutsche Begriffshülle ohne Aussagewert zu kreieren, betont Helmrath denn auch die heuristische Leitbildfunktion des physikalischen Konzentrationsausgleichs.

Nimmt man die Metapher >beim Wort<, so resultiert aus ihr allerdings eine schiefe Vergleichsebene. >Diffusion< (so ergaben die physikalischen Nachforschungen des Rezensenten) meint allgemein den ohne äußere Einwirkung erfolgenden Ausgleich unterschiedlicher Konzentrationen zweier oder mehrerer Stoffe. Die Ausbreitung des italienischen Humanismus müsste demnach von einem Ungleichgewicht der Dichte des literarischen Kulturlebens inner- und außerhalb Italiens ausgelöst worden sein. Der Ausbreitungsvorgang führte zu einem Ausgleich dieses Ungleichgewichts durch die >Verdichtung< der humanistischen Kultur nördlich der Alpen – und ihrer parallelen >Verdünnung< in Italien. Die in den Diffusionsvorgang eingebundenen Partikel (Personen, Ideen, Riten usw.) veränderten sich selbst nicht, aus der Diffusion konnten ja keine neuen Stoffe hervorgehen, sondern es resultierte ein Verteilungsgleichgewicht innerhalb einer grundsätzlich identisch bleibenden >Grundsubstanz<.

Damit zeichnet der Begriff >Diffusion< als umfassende Metapher für die europäische Ausbreitung des Humanismus einen unsinnigen Ablauf. Nicht nur mit der Suggestion, dass das Ausgreifen des Humanismus über die Alpen notwendig zu seiner gleichzeitigen Schwächung in Italien führen musste, schafft der Begriff eine bizarre, auf ein Nullsummenspiel hinauslaufende Kategorie kulturgeschichtlicher Kausalität, auch einer Vorstellung von Transformation und Wachstum, von irreversibler Umformung und Weiterentwicklung des humanistischen Gedankenguts im Prozess seiner Europäisierung steht er grundsätzlich im Weg. Gerade darauf aber legt Helmrath mit Recht großes Gewicht (S. 20).

Der Begriff der Diffusion als Beschreibungskategorie der Europäisierung des Humanismus oszilliert damit zwischen neudeutscher Platitüde und hydrologischem Zerrbild. Es scheint ratsamer, die enorme Komplexität des Phänomens nicht mittels einer Kernmetapher fassen zu wollen, sondern vielmehr eine flexible Terminologie zur Beschreibung der einzelnen Faktoren der humanistischen Ausbreitung anzuwenden. Diese Einwände ändern aber nichts daran, dass der programmatische Einleitungsaufsatz von großer intellektueller Brillanz ist, und Helmrath seine fundierte Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur beeindruckend in ein facettenreiches Bild der Europäisierung der humanistischen Bewegung umsetzt.

Humanismus
in Italien und Deutschland

Was Helmraths Einleitungsaufsatz verspricht, löst der große Teil der Aufsätze zum Aufschwung des Humanismus in Italien, Frankreich, Deutschland, England, Polen, Ungarn und der Schweiz ohne große Abstriche ein. Schade nur, dass Helmraths systematische Zusammenführung der verschiedenen Komplexe, die in der Europäisierung des Humanismus wirksam gewesen sind, außer in seinem eigenen Aufsatz zur Wirkung Enea Silvio Piccolominis in Deutschland und ansatzweise in Gerrit Walthers abschließendem Überblick keine intensive Anwendung gefunden hat.

Jörg W. Busch legt mit minutiöser Quellenkenntnis und unter Verknüpfung literatur- und sozialgeschichtlicher Faktoren den noch wenig bekannten ideengeschichtlichen und lebensweltlichen Boden frei, aus dem in Oberitalien die humanistische Historiographie hervorgehen konnte. Die Beiträge von Ottavio Clavuot zur Italia Illustrata Flavio Biondos und von Bruno Figliuolo zur humanistischen Geschichtsschreibung in Neapel dokumentieren den kulturellen Entwicklungsschub und den Wandel des Selbstverständnisses der Gelehrten, den der Siegeszug des Humanismus in Italien ausgelöst hat. Clavuots Darlegung der Neugestaltung der humanistischen Elitenkonzeption am Beispiel Biondos (S. 64–75) gilt es dabei ebenso hervorzuheben wie Figliuolos funktionale Einordnung der humanistischen Historiographie am neapolitanischen Hof als gleichzeitiges Propaganda- und Erziehungsmittel für den Fürsten (S. 85). Figliuolo skizziert zudem einzelne Kanäle der Europäisierung des Bildungsgutes von Neapel aus (S. 96–98).

Helmraths Beitrag zu Enea Silvio als Trägerfigur europäischer >Diffusion< im 15. Jahrhundert ist ins Zentrum des Tagungsthemas gestellt. Um Eneas breite Wirkung nördlich der Alpen zu erklären, hebt er neben der Konzilsteilnahme, der schriftstellerischen Tätigkeit und dem Pendeln zwischen Kaiserhof und Kurie insbesondere die Krönung zum >poeta laureatus< als Freibrief zur >Diffusion< heraus (S. 106–07). Der Aufsatz bietet nicht nur eine kleine Prosopographie der Kreise rund um Enea am Wiener Hof, durch die seine Schriften in Österreich eine erste, beschränkte Aufnahme gefunden haben (S. 112 ff.), sondern auch eine konkrete Anwendung der Systematik aus dem Einleitungsaufsatz. Anhand von Eneas multifunktionaler "Verwendung" am Hof Friedrichs III. werden die verschiedenen Faktoren angeführt, die eine Verbreitung seines Bildungsgutes vorantrieben: öffentliche Oratorik, Korrespondenz, Handschriftenjagd und -verwertung, Lehrtätigkeit (>Prinzenerzieher per Brief<), Korrekturaufgaben für minder begabte Latinisten usw.

Muhlacks Aufsatz zur Germania illustrata pflügt ein Feld neu durch, das schon von vielen bestellt worden ist (Paul Joachimsen, Jacques Ridé, Dieter Mertens, Gernot Michael Müller) – nicht ohne Gewinn! Allerdings bleibt wie schon bei anderen Arbeiten zum gleichen Thema offen, inwiefern das mal größere, mal kleinere Konglomerat von humanistischen Schriften, die der Germania illustrata zugerechnet werden, eine Konstruktion ex post ist, oder schon von den Zeitgenossen als thematisch und intentional verbundenes Korpus verstanden wurde. Muhlack auf jeden Fall präsentiert keine eindeutigen Belege, dass die Germania illustrata auch noch Jahrzehnte nach dem Tod des Initiators Celtis das entscheidende Leitbild zur Abfassung deutscher Landesbeschreibung und Geschichte gewesen sein soll. Muhlacks Verdienst ist es jedoch, die enorme Abhängigkeit von den italienischen Vorbildern, gerade in der dynamischen Anfangsphase des Projektes, deutlich herausgearbeitet zu haben. Durch das Gebot der >aemulatio< mit der italienischen Nation entsteht eine Form der widerspenstigen Rezeption, in der unverhohlen die Hand gebissen wird, die einen füttert. Diese aus Gründen der nationalen Ehre pseudokritische Quellenaneignung dehnt sich im deutschen Humanismus bis auf die römischen Autoren aus: Diese können als Römer gegenüber den alten Deutschen nicht objektiv gewesen sein, und daher müssen die eigenen Vorfahren in viel prächtigeren Farben gemalt werden, um der Wahrheit gerecht zu werden.

In seinem Aufsatz zur Schedelschen Weltchronik entwirft Reinhard Stauber ein Vernetzungsgeflecht der Stadt Nürnberg mit Oberitalien, vor allem über Studien und Wirtschaftsverbindungen, die zum Vehikel der Aneignung humanistischen Kulturguts in der Reichsstadt geworden sind. Die Weltchronik selbst wird von Stauber, gestützt auf einschlägige Studien, nicht als Einzelarbeit Hartmann Schedels, sondern als Produkt einer innerstädtischen Arbeitsgemeinschaft präsentiert. Inhaltlich stand die Chronik in deutlicher Abhängigkeit von Enea Silvios Schriften, insbesondere was die Darstellung der jüngeren Vergangenheit betraf
(S. 176).

Im Anschluss an die Behandlung dieses frühen, noch sehr zaghaften Versuchs, Deutschland historisch zu umreißen, beschreibt Stauber die Entwicklung der neuen Raumkonzepte nationaler Ausdehnung und arbeitet dabei grundlegende Unterschiede zwischen den Raumkonstruktionen Italiens und Deutschlands heraus: Wurde diesseits und jenseits der Alpen das Sprachkriterium im Humanismus zusehends in den Mittelpunkt gerückt, so fehlte nördlich der Alpen die normative Anlehnung an die Grenzen des antiken Germanien, die mit den Reichsgrenzen nicht mehr übereinstimmten: die Raumvorstellung Deutschlands erhielt damit ein dynamisches, expansives Moment, das sich nicht in einen festen Rahmen einfügen ließ (S. 184–85).

Eine Detailstudie zum historiographiegeschichtlich wohl brillantesten Text des deutschen Humanismus, den Rerum Germanicarum libri III des Beatus Rhenanus, liefert James Hirstein mit seinem Aufsatz zur Rezeptionskette Plinius-Barbaro-Rhenanus, die sich im dritten Buch des Elsässer Humanisten niedergeschlagen hat. Hirstein zeigt an mehreren Beispielen die philologisch kritische Arbeit des Rhenanus auf, eine in Deutschland selten gesehene Willensleistung und Fähigkeit, die an Erasmus, Valla und Barbaro geschult war. Dabei wird auch deutlich, wie Rhenanus den Bogen bisweilen überspannt und Etymologien knüpft, die in heutigen Augen abenteuerlich anmuten.

Am Rand des Reiches angesiedelt ist Thomas Maissens Beitrag zur Konstruktion des Helvetiermythos in der Eidgenossenschaft. Maissen verficht die These, dass die Bemühungen um eine eigenständige Origo nicht der Intention entsprungen sei, die politische Autonomie gegenüber dem Reichsverband auch ideologisch durch Trennung von den "Germanen" zu zementieren. Vielmehr sei es darum gegangen, unter grundsätzlicher Bejahung der Reichszugehörigkeit die eigene politische Position neu zu differenzieren (S. 212). Maissen schildert den Entstehungsprozess und die Durchsetzung des Helvetiermythos als regelrechtes Versuchslabor, in dem verschiedene Abstammungskonstruktionen in die Welt gesetzt und nach rascher Falsifikation von deutscher Seite wieder fallen gelassen werden – bis eben die Helvetier Akzeptanz gefunden haben. Die Helvetierthese eines gallischen Volkes mit deutscher Kultur lieferte zudem eine hervorragende ideologische Ausgangslage für die eidgenössische Pendelpolitik zwischen Frankreich und dem Reich. Maissens Aufsatz legt mit breiter Quellenkenntnis dar, wie parallel zur Durchsetzung des Mythos der "helvetische" Raum geographisch abgesteckt wurde.

Mitteleuropa,
Frankreich und England

Was dem Aufsatzband besonders hoch angerechnet werden muss neben der Berücksichtung der traditionellen Schwerpunkte der deutschen Humanismusforschung – Italien und Deutschland – ist die Aufnahme von Beiträgen zur Ausbreitung der Renaissancekultur in Ostmitteleuropa (Horst Bredekamp, László Havas / Sebestyén Kiss, Jan Pirozynski), zum Italienbezug des französischen Humanismus (Heribert Müller, Franck Collard) und zum Aufblühen humanistischer Kultur in England (Susanne Saygin, Frank Rexroth).

Entwirft Bredekamp ein reiches kunsthistorisches Panorama von Prag über Konstantinopel bis Moskau, wählen die Beiträge von Havas / Kiss zu Antonio Bonfinis Modell der Ungarischen Geschichte und von Pirozynski zur humanistischen Historiographie in Polen einen zeitlich und räumlich engeren Betrachtungsrahmen. Bonfini wird zum einen als origineller Neuschöpfer der historischen Verankerung Ungarns dargestellt, andererseits aber auch als intellektueller Hofdiener, der bereitwillig umsetzt, was der Verherrlichung seines Herrn dienen kann. Wenig systematischen Charakter, dafür aber breite Kenntnis der polnischen Historiographie, deren Erzeuger und Erzeugnisse in dichter Folge präsentiert werden, weist der Aufsatz von Pirozynski auf. Im Vergleich zu den anderen, methodisch mehr oder weniger klar strukturierten Beiträgen fällt dieser Aufsatz etwas ab.

Demgegenüber kommt Heribert Müllers Darlegung der Petrarca-Rezeption im französischen Humanismus das Verdienst zu, auf die in der deutschen Bildungslandschaft oft übersehene reiche Humanismusforschung in Frankreich aufmerksam zu machen. Insbesondere die Präsentation der Forschungsergebnisse von Gilbert Ouy, die bereits für den Beginn des 15. Jahrhunderts eine breite Aufnahme der Schriften Petrarcas belegen, ist Müllers Beitrag hoch anzurechnen. Der große Fußnotenapparat dient als regelrechte Fundgrube für den Einstieg in die französische Humanismusforschung. Ebenso wie fast ein Jahrhundert später in Deutschland fällt bei Autoren wie Montreuil und Gerson, vor allem aber Clamanges die beleidigte Bewunderung auf, mit der sie auf die gegen Frankreich gerichtete Antibarbaries Petrarcas reagieren.

An Müllers Aufsatz knüpfen Frank Collards Ausführungen zu Paulus Aemilius' Frankengeschichte mit einem kleinen chronologischen Sprung an. Collard legt das Hauptgewicht seiner Ausführungen auf die Rezeptionsgeschichte des Werkes, wobei die ambivalente Grundhaltung auf französischer Seite in der Auseinandersetzung mit einem aus Italien >importierten< Glanzschreiber der eigenen Geschichte wiederum deutlich hervortritt.

Abschließend ein paar Bemerkungen zu den zwei Aufsätzen über die Aneignung humanistischen Kulturguts in England:

Susanne Saygin richtet für einmal den Blick nicht auf die Autoren selbst, sondern auf den Mäzen und jüngsten Bruder König Heinrichs V., Humphrey von Gloucester, der sehr früh schon, 1422–1447, als Auftraggeber humanistisch beeinflusster Werke hervorgetreten ist. Saygins Aufsatz bietet allerdings mehr spannend erzählte Intrigengeschichten aus den Hinterzimmern der englischen Politik als eine konkrete Anwendung von Helmraths Diffusionskonzept. Die in Auftrag gegebene Beschreibung des Römischen Bürgerkriegs in englischer Sprache habe Gloucester zur Identifikation mit Caesar gedient, dies in Zeiten, da er sich selber von Widersachern bedrängt gefühlt habe (S. 405). Bemerkenswert demgegenüber der Auftrag zur Übersetzung von Boccaccios De Casibus in englische Verse für die Prinzenerziehung sowie die an Leonardo Bruni gerichtete Bitte um eine Übersetzung der aristotelischen Politik (S. 408). Gloucesters Interesse am Humanismus scheint wesentlich seiner Erziehungsfunktion gegenüber dem minderjährigen Heinrich VI. entsprungen zu sein. Saygins Charakterzeichnung Gloucesters in den Konflikten seiner Zeit zeugt von einer großen Sympathie der Autorin für diese vom Ideal der Lernbarkeit des Herrschens geprägte Figur.

Frank Rexroth umreißt die Entstehung, Verbreitung und Rezeption von Polydor Vergils Anglica Historia und fügt die interessante Biographie Vergils in die größeren gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Zeit ein. Nicht nur als Kardinalbeispiel für die Europäisierung des Humanismus ist Vergil von großer Bedeutung, sondern ebenso als >Rohstofflieferant< für die Königsdramen Shakespeares. Die unmittelbare Rezeption seines Geschichtswerks war indes eine Skandalgeschichte. Vergil räumte mit alten Mythen auf und konzipierte sein Werk nicht als uneingeschränkte Lobeshymne auf die Gloria der Briten. Das wurde ihm breit übel genommen, und nationalistische Anfeindungen gegen den "Römer" blieben dabei nicht aus. Polydor, so wird tatsächlich eingewendet, "polluting our English Chronicles most shamefully with his Romish lies and other Italish beggarys" (S. 427). Rexroths hervorragender Beitrag zeigt schließlich auf, dass die Historia Anglica weniger direkt als Vorbild gewirkt, sondern indirekt über die harschen Abwehrreaktionen zu chorographischen Bemühungen der gelehrten Erfassung Englands und seiner alten Mythen um Brutus und Arthur geführt hat.

Fazit

Als Gesamtfazit bleibt zu konstatieren, dass dieser Band nicht nur für die deutsche, sondern für die gesamte Humanismusforschung einen beträchtlichen wissenschaftlichen Gewinn darstellt. Die einzige, wenn auch gewichtige Einschränkung gilt dem Leitterminus der >Diffusion<, mit dem der Gegenstand der Tagung nicht nur in ein wenig elegantes, sondern auch sehr schlecht sitzendes Kleid gesteckt worden ist.


Caspar Hirschi, Dipl. Ass.
Université de Fribourg
Seminar für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit
Avenue de l'Europe 20
CH - 1700 Fribourg

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Ins Netz gestellt am 05.06.2003
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Gernot M. Müller. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Karoline Hornik.


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