Huebinger über Heß: Die Kulturverleger des Hermann Hesse

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Gangolf Hübinger

Die "Kulturverleger" des Hermann Hesse

  • Barbara Heß: Hermann Hesse und seine Verleger. Die Beziehungen des Autors zu den Verlagen E. Diederichs, S. Fischer, A. Langen und Suhrkamp (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München; 65). Wiesbaden: Harrassowitz 2000. 119 S. Kart.€ 49,-.
    ISBN 3-447-04267-2.


Ein aufregendes Experiment ist in dieser knappen Studie angekündigt. Der 2002 wieder einmal als Weltautor gefeierte Hermann Hesse soll "durch das sozioökonomische Phänomen der Literaturvermittlung" (Vorwort) erfaßt werden. Damit gleich zu Beginn kein Irrtum entsteht: es geht nicht um einen Wiederaufguß sozialgeschichtlicher Ableitung künstlerischer Werke, wie sie den 1970er Jahren vorschwebte. Die Beziehungsgeschichte ist wechselseitig angelegt. In Vor- und Schlußwort ist Hesse als der ideale Fall dafür vorgestellt, wie ein Autor auf einen Verlag genau so Einfluß nimmt, wie umgekehrt ein Verlag auf den Autor. Eine Fallstudie also zur gegenseitigen Befruchtung von Literatur- und Verlagsgeschichte, solche Fragestellungen wünschen sich etwa internationale Forschungsorganisationen wie SHARP (Society for the History of Authorship, Reading and Publishing), wenn sie neue Wege >nach der Sozialgeschichte< im klassischen Sinn gehen wollen.

Ihre Hypothese zur wechselseitigen Abhängigkeit von Werkprofil und Verlagsprofil verfolgt Barbara Heß in fünf Schritten und anhand von fünf namentlich voneinander abgegrenzten Verlagshäusern. Aber zuerst einmal hebt sie die Tatsache hervor, daß sich Hesse bei Beginn seiner Karriere auf der anderen Seite des >literarischen Feldes< befand. Er absolvierte eine mehrjährige Buchhändlerlehre in Tübingen, begleitet von einem hartnäckigen autodidaktischen Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Philologie, und arbeitete bis zu seinem Durchbruch mit Peter Camenzind von 1904 als Buchhändler und Antiquar in Basel.

Hesses erste Buchveröffentlichung, die Gedichtesammlung Romantische Lieder, erschien 1898 unter hoher finanzieller Eigenbeteilung in Kommission im Dresdner Verlag von Edgar Pierson. Zwar fand er nur 53 Käufer, aber Hesse konnte sich auf dem expandierenden Markt für Belletristik so positionieren, daß er den bedeutendsten verlegerischen Newcomer auf sich aufmerksam machte, Eugen Diederichs aus Leipzig. Vermittelt durch seine Frau, die Dichterin Helene Voigt, baute Diederichs Hesses zweites Buch, Eine Stunde hinter Mitternacht, 1899 in seine Strategie ein, zum führenden Verlag der "Neuromantik" aufzusteigen. Daß Diederichs dabei mehr in weltanschaulichen Serien als in literarischer Originalität dachte, bewog Hesse jeoch, auf das Interesse des Fischer-Verlages einzugehen und sich dort erstmals vertraglich fester zu binden. Barbara Heß erscheint dieser Wechsel folgerichtig, im Gegensatz zu Diederichs hätten sich bei Fischer "das passende Verlagsprofil, die ökonomischen Mittel und die Instrumente zur Verbreitung" glücklich vereint (S. 98). Peter Camenzind (1904) und Unterm Rad (1906) begründeten Hesses Ruhm als Erfolgsautor im Fischer-Spektrum. Nur muß sich Hesse unter der patriarchalischen Obhut lediglich eines Verlegers nicht ganz wohl gefühlt haben. Er nutzte den expandierenden Literaturbetrieb und die wachsende Konkurrenz der belletristischen Verlage zur Selbstvermarktung und schloß Verträge mit Albert Langen. Für seinen Roman Gertraud (1910) war das zwar ein Mißerfolg, als Mitarbeiter an den erfolgreichen Langen-Zeitschriften Simplicissimus und März vergrößerte Hesse seinen Bekanntheitsgrad dagegen erheblich.

Konzentriert berichtet die Verfasserin über die Erschütterung der deutschen Verlagslandschaft durch die nationalsozialistische Machtübernahme und den für Hesse bedeutsamen Eintritt von Peter Suhrkamp in den S. Fischer Verlag von 1932/33. Hesse, der sich lange Zeit mit Suhrkamps redaktionellem Stil nicht anfreunden konnte, hielt ihm gleichwohl die Treue und entschied sich nach der Verlagsteilung von 1950 gegen seinen alten S. Fischer Verlag und für das neue Suhrkampunternehmen. Im kommerziellen Wechselspiel schien es jetzt aber so, als sei der Name Hesse für Peter Suhrkamps Neugründung wichtiger als das Verlagshaus für den renommierten Autor. Stets gab, so resümiert Barbara Heß, persönliche Sympathie und Freundschaft den Ausschlag für Hesses Bindung an seinen jeweiligen Verlag.

In einem Geleitwort charakterisiert der Literaturwissenschaftler Hans Norbert Fügen die Vorgehensweise der Verfasserin als "Strom an Fakten, den Barbara Heß vor den Lesern erzählend (narrativ) ausgießt". Wie ist diese nachdrückliche Lesehilfe zu verstehen? Zumindest theoretisch zielte die Verfasserin auf mehr als auf erzählende Erfassung der verstreuten bio-biliographischen Daten und Kurzbiographien. Laut Schlußbetrachtung hat sie sich der "Theorie buchmedialer Kommunikation" (S.97) angeschlossen. Da sie hierzu mehrfach Pierre Bourdieus Theorem des "symbolischen Kapitals" heranzieht, etwa um Hesses Einwerben durch S. Fischer zu erklären, dürfte ihr Bourdieus Aufbau eines "literarischen Feldes" zur Ermittlung derartiger Autor-Verleger-Kommunikation ebenfalls vertraut sein. Es stellt sich nur die Frage, warum sie so weit hinter den dort eröffneten Analysemöglichkeiten zurück bleibt. So benutzt sie zwar durchgehend den Begriff des "Kulturverlegers", unter dem sie die vier im Titel genannten Verlage zusammenzieht und von Edgar Pierson abgrenzt. Erst gar nicht in die Autor-Verleger-Relationen einbezogen sind die im abschließenden bibliographischen Kapitel IX genannten Schweizer Verlage oder Grote in Berlin und Salzer in Heilbronn.

Was genau ist also ein "Kulturverleger" und für welche buchmediale Kommunikation spielt er eine spezifische Rolle? Der neukantianische Begriff des "Kulturverlegers" ist im Seminar des Heidelberger Nationalökonomen Alfred Weber entwickelt worden und kennzeichnet den Überschuß einer kulturellen Wertbeziehung gegenüber kaufmännischem Kalkül. Helmut von den Steinen hat ihn in seiner Heidelberger Dissertation von 1912 über "das moderne Buch" verwendet. Seitdem werden die Potentiale eines "Kulturverlegers" gern an der programmatischen Opposition der Verlage Diederichs und Fischer verdeutlicht. Ausgerechnet hier fällt die Darstellung hinter die Interpretationsangebote der bisherigen Forschung zurück.

Wie intensiv ist Hesse in die Ambitionen Eugen Diederichs' einbezogen worden, eine neuromantische Gegenbewegung gegen das liberale Industriezeitalter zu organisieren, und welche kommunikative Rolle kam der in Kapitel III / 1 vorgestellten Helene Voigt-Diederichs im einzelnen zu? 1 Oder was meinte Gottfried Bermann-Fischer, als er sich der ersten Begegnung mit Hesse von 1928 erinnerte: "Viel Freude hatten wir beide nicht davon", bevor das Eis brach und die Beziehung herzlich wurde? Ähnliche Anlaufschwierigkeiten gab es mit Peter Suhrkamp, der 1932 die Neue Rundschau übernahm, um sie politisch kämpferischer gegen die erfolgreiche Zeitschrift der "konservativen Revolution", die Tat aus dem Eugen Diederichs Verlag, ins Feld zu führen. "Mir meine Titel von ihm versauen zu lassen und dann selber für sie die Verantwortung zu tragen, lehne ich ab", erboste sich Hesse am 28. Januar 1933. 2

Der Aufbau eines literarischen Autor-Verleger-Feldes läßt sich mit den Fragestellungen der neueren Buchforschung als "integralem Teil der kulturwissenschaftlichen Disziplinen" 3 vielleicht doch etwas intensiver gestalten, als es im hier fließenden "Strom an Fakten" der Fall war. Nicht zuletzt wüßte man gern, wer alles an der Erfolgsspirale der Millionenauflagen drehte, die in den unterschiedlichsten Übersetzungen und Sammelwerken in den bewegten ´60ern alle Lesebänke der Welt erreichten und – eine späte Nachwirkung der Eugen Diederichs'schen Neuromantik? – einen Habitus revoltierender Jugendlichkeit vermittelten.


Prof. Dr. Gangolf Hübinger
Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Kulturwissenschaftliche Fakultät
Postfach 1786
D-15207 Frankfurt / Oder
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Ins Netz gestellt am 25.09.2002
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Anmerkungen

1 Beispielsweise hat Ulf Diederichs Hesses Programmschrift "Neuromantik" von 1899 im Kontext ediert in: Eugen Diederichs: Selbstzeugnisse und Briefe von Zeitgenossen, Düsseldorf: Eugen Diederichs Verlag 1967, S.103–111. – Die Bedeutung von Helene Voigt stellt Meike G. Werner heraus: Gruppenbild mit Mann: Der Verleger Eugen Diederichs, die Frauen ... und deren Emanzipation, in: Romantik, Revolution und Reform. Der Eugen Diederichs Verlag im Epochenkontext 1900–1949: Hg. von Justus H. Ulbricht und Meike G. Werner. Göttingen: Wallstein 1999, S. 175–207.   zurück

2 Zitate aus: S. Fischer, Verlag. Von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem Exil. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Hg. von Friedrich Pfäfflin und Ingrid Kussmaul. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1985, Zitate S. 422 und 424.   zurück

3 Monika Estermann und Georg Jäger: Der Weg zu einer neuen "Geschichte des Buchhandels". In: Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Das Kaiserreich 1870–1918. Teil 1. Im Auftrag der Historischen Kommission hg. von Georg Jäger in Verbindung mit Dieter Langewiesche und Wolfram Siemann. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung GmbH 2001, S. 9–16, Zitat S. 10.   zurück