Jacobs über Gödde / Thomas Sprecher: Briefwechsel Adorno / Mann

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Jürgen C. Jacobs

Thomas Mann und sein
"musikalischer Mit-Dichter"

  • Christoph Gödde und Thomas Sprecher (Hg.): Theodor W. Adorno / Thomas Mann. Briefwechsel 1943–1955 (Theodor W. Adorno. Briefe und Briefwechsel. Herausgegeben vom Theodor W. Adorno Archiv; 3) Frankfurt / M.: Suhrkamp 2002. 179 S. Geb. € 24,90.
    ISBN 3-518-58316-6.


Daß der seinerzeit noch wenig bekannte, nach Kalifornien emigrierte Musiktheoretiker und Philosoph Theodor W. Adorno dem bereits weltberühmten Autor Thomas Mann bei der Niederschrift des "Doktor Faustus" als Ratgeber zur Seite gestanden hatte, blieb nicht lange verborgen. Es war Thomas Mann selber, der in der 1949 erschienenen "Entstehung des Doktor Faustus" Adornos Anteil an den musiktheoretischen Partien und an der Schilderung der Werke des Tonsetzers Adrian Leverkühn publik machte. Er folgte dabei dem Gefühl, eine Schuld abtragen und eine Erwartung seines "musikalischen Freundes und Adlatus" erfüllen zu müssen. Dieser hatte ihn brieflich darum gebeten, seinen "gedanklich-phantasiemäßigen Anteil an Leverkühns Oeuvre und seiner Ästhetik mehr hervorzuheben als den stofflich informatorischen". Und er hatte hinzugefügt:

Mit der größten Spannung blicke ich auf die Hintertür zur Unsterblichkeit, die mir Ihr >Roman eines Romans< eröffnen wird. Was es für mich heißt, daß Sie die Wahrheit an meinen exzentrischen Unternehmungen erkannt haben und nun gar ins öffentliche Licht rücken wollen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. (S.34f.)

Daß Adornos Mitwirkung während der Entstehung des "Doktor Faustus" in der Tat bedeutsam, ja von "überragender Wichtigkeit" war, ist unter den Biographen und Interpreten Thomas Manns allgemein anerkannt. 1 Hermann Kurzke meint in seinem Standardwerk sogar, Adorno müsse für die musiktheoretischen Passagen und für die Schilderung von Leverkühns Kompositionen als Mitautor gelten und hätte als solcher eine Beteiligung an den Honoraren fordern können. 2

Als Thomas Mann den Umfang seiner Verpflichtung gegenüber Adorno in der "Entstehung des Doktor Faustus" bekannt machten wollte, sah er sich plötzlich Widerständen von seiten seiner Frau Katja und seiner Tochter Erika gegenüber. Im Tagebuch ist die Rede von quälenden Disputen über die Frage, wie weit Adornos Mitwirkung aufgedeckt werden dürfe. Unter dem Datum des 30. Oktober 1948 notiert Thomas Mann: "Das Problem der den Frauen unerträglichen Adorno-Bekenntnisse halten meine Arbeitsstimmung nieder". 3 Es kam denn auch zu einer mit Hilfe Erikas bewerkstelligten Redaktion des Textes mit mancherlei Streichungen, 4 aber dies führte offenbar nicht zu einer dauerhaften Beruhigung der Gemüter. Noch im April 1953 schaltet sich Katja bei einem mit Thomas Mann geführten Interview mit der indignierten Zwischenbemerkung ein: "Ich habe manchmal den Eindruck, als ob Adorno denkt, er hätte das Buch geschrieben". Worauf dann aber Thomas Mann besänftigend abwehrt: "Ach nein, das glaube ich doch nicht". 5

Die Vertuschungsversuche der Damen im Hause Mann blieben auf die Dauer erfolglos. Sie wurden durch die Tagebücher Thomas Manns bekannt, und die aus der "Entstehung des Doktor Faustus" gestrichenen Passagen sind später gedruckt worden. 6 Heute ermöglicht die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Thomas Mann und Adorno einen unverstellten Einblick in deren persönliches Verhältnis während und nach der Arbeit am "Doktor Faustus". Allerdings verschweigen Christoph Gödde und Thomas Sprecher, die beiden Herausgeber der Korrespondenz, die ansonsten einen weit ausholenden und präzisen Kommentar zu den Brieftexten bieten, die Bemühungen im Hause Mann, Adornos Bedeutung für den "Doktor Faustus" zu bagatellisieren. Dazu wäre anzumerken, daß diskrete Courtoisie gegenüber Damen zwar löblich ist, daß sie aber kaum als editionsphilologische Tugend gelten kann.

Der neue Band mit der Korrespondenz zwischen Thomas Mann und dem eine Generation jüngeren Adorno gibt Gelegenheit, zwei brillanten Köpfen bei ihrem brieflichen Gespräch zuzuhören. Es wird deutlich, daß sie sich außerordentlich schätzten und respektierten. Bei Adorno zeigen sich darüber hinaus eine Verehrung und eine Anhänglichkeit, die man bei ihm kaum vermutet hätte. Das wird nicht nur in den Schlußformeln seiner Briefe sichtbar, die nach etwas förmlichem Beginn sich zu einem "In herzlichster Verehrung Ihr ergebener Teddie Adorno" steigern. In Thomas Mann sah er, wie er in seinem ersten Brief schreibt, den Repräsentanten "jener deutschen Tradition [...], von der ich alles empfangen habe: noch die Kraft, der Tradition zu widerstehen" (S.17).

In den oft umfangreichen Briefen Adornos finden sich gründliche Auseinandersetzungen mit den späten Arbeiten Thomas Manns, insbesondere mit dem "Erwählten" und mit der "Betrogenen". Als Thomas Mann seine Zweifel und Schwierigkeiten bei der Fortsetzung des "Krull" zu erkennen gibt, da schreibt ihm Adorno einen anrührenden Brief voll Trost und Zuspruch: Daß es bei der Aufnahme der alten Konzeption zu Brüchen in Erzählhaltung und Sprachstil komme, sei selbstverständlich und belanglos, denn man dürfe sich "vom Begriff der stilistischen Einheit nicht terrorisieren lassen" (S.111).

Thomas Mann seinerseits kommentiert Adornos Wagner-Buch, und in Reaktion auf die Bemerkungen zur "Betrogenen" äußert er sich über den Denkstil des Frankfurter Dialektikers mit der folgenden denkwürdigen Formulierung: "Es war mir ganz seltsam, Ihren unglaublich hochgezüchteten kritischen Stil, der wie ein Dolch ins Fleisch der Dinge geht, so brieflich-privat angewandt zu finden auf das Eigene" (S.140).

Ein wichtiger Aspekt des Briefwechsels ist der Austausch über die Lage in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und über die Möglichkeit einer Rückkehr aus der Emigration. Adorno, der schon 1949 wieder nach Frankfurt gekommen war, schildert die Verhältnisse als weithin trostlos:

Was zurückblieb, scheint im metaphysischen Sinn kaum weniger ein Trümmerfeld als im physischen, beschädigt im Ich, in der Autonomie, in der Spontaneität und oftmals geradezu die Erfüllung dessen, was der abscheuliche Spengler als das Heraufkommen des neuen Höhlenbewohners prophezeite. (S.61)

An der Universität allerdings macht Adorno Erfahrungen, die ihn zu dem merkwürdigen Eindruck führen, "als wären die Geister der ermordeten Juden in die deutschen Intellektuellen gefahren" (S.46). Bei den Frankfurter Studenten stößt er als akademischer Lehrer auf ein leidenschaftliches Interesse:

Das reicht von äußeren Dingen, wie daß kaum ein Abbrechen der Seminarstunden zu erreichen ist, und daß die Kinder mich baten, das Seminar während der Ferien fortzuführen, bis zu dem Diskussionsgang selber. (S.46)

Thomas Mann schon stellt – wie später auch die rebellischen Studenten 1968 – die Frage, ob Adorno denn nicht den Zielpunkt seines Denkens in Form einer konkreten Utopie verdeutlichen könne. "Gäbe es nur je ein positives Wort bei Ihnen, Verehrter, das eine auch nur ungefähre Vision der wahren, zu postulierenden Gesellschaft gewährte!" (S.122). Der Meister der Negativen Dialektik läßt sich indessen nicht aus der Reserve locken. Zwar meint er, ihm läge "das Andere, der fessellose Ausdruck der Hoffnung, viel näher". Aber er glaubt sich zur Askese zwingen zu müssen, weil man, "wenn man nicht im Negativen aushält oder zu früh ins Positive übergeht, dem Unwahren in die Hände arbeitet". Gleichwohl soll gelten, "daß die Negation ihr Recht hat einzig an der Kraft des Positiven" (S.128).

Angesichts solcher Sätze wird verständlich, daß Thomas Mann auf Drängen Adornos den ursprünglich tröstlichen und optimistisch geratenen Schluß der Schilderung von "Doktor Fausti Weheklag" ganz neu schrieb und sich nur einen schwach glimmenden Hoffnungsschimmer aus einer "Transzendenz der Verzweiflung" erlaubte. 7 Dies wußte man schon aus der "Entstehung des Doktor Faustus", 8 während die Tagebücher zu diesem höchst bedeutsamen Detail nur Andeutungen bieten. 9

Auch Adorno hat die denkwürdige Episode aus der Arbeit an dem Roman geschildert, worauf die ansonsten in ihren Kommentaren sehr zitierfreudigen Herausgeber des Briefwechsels nicht hinweisen. Seine Reaktion auf die Vorlesung der ersten Textversion schildert Adorno wie folgt:

Ich rebellierte wohl ein wenig ungebührlich. Gegenüber der Gesamtanlage von Doktor Fausti Weheklag nicht nur sondern des ganzen Romans fand ich die höchst belasteten Seiten zu positiv, zu ungebrochen theologisch. Ihnen schien abzugehen, was in der entscheidenden Passage gefordert war, die Gewalt bestimmter Negation als der einzig erlaubten Chiffre des Anderen. Thomas Mann war nicht verstimmt, aber doch etwas traurig, und ich hatte Reue. 10

Es gibt immer wieder Passagen in dieser Korrespondenz, die den überragenden Rang der beiden Briefschreiber bezeugen und den Band zu einem fesselnden Dokument machen. Wie man in einem deutschen Nachrichten-Magazin drucken konnte, Adorno und Thomas Mann hätten sich wenig zu sagen gehabt und hätten aneinander vorbeigeschrieben, 11 ist ziemlich unbegreiflich. Wer sich für Adorno und Thomas Mann interessiert, wird dafür dankbar sein, daß sich ihre Briefe erhalten haben und daß sie jetzt so sorgfältig ediert vorliegen. Thomas Mann zumindest hat gelegentlich auch schon spätere Leser ins Auge gefaßt. Am Ende seines fünf Druckseiten umfassenden Briefes, in dem er Adorno seine Gestaltungsprobleme beim "Doktor Faustus" darlegt, bemerkt er: "Unserm Gespräch, nächstens, mag es vorarbeiten, und gibt es eine Nachwelt, so ist es etwas für sie" (S.22).


Prof. Dr. Jürgen C. Jacobs
Bergische Universität Wuppertal
Fachbereich 4
Gaußstr. 20
D-42097 Wuppertal

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Ins Netz gestellt am 23.06.2002
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Anmerkungen

1 Vgl. z.B. Peter de Mendelssohn: Nachbemerkungen zu Thomas Mann 1. Frankfurt / M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1982, S. 129.   zurück

2 Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Eine Biographie. München: C.H. Beck 1999, S.505.   zurück

3 Thomas Mann: Tagebücher 1946-1948. Hg. v. Inge Jens. Frankfurt / M.: S. Fischer 1989, S.322; vgl. auch die Notate zum 12. Sept. und 27. Okt. 1948, S.304 und 320.   zurück

4 Thomas Mann (Anm. 3), 28. und 29. November 1948, S.334f.   zurück

5 Hans W. Nicklas: Man hat sich gesehen. In: Volkmar Hansen und Gert Heine (Hg.): Frage und Antwort. Interviews mit Thomas Mann 1909-1955. Hamburg: A. Knaus 1983, S.352. Immerhin hat Thomas Mann sich der Betrachtungsweise seiner Gemahlin gelegentlich angeschlossen, vgl. den Brief an Jonas Lesser vom 15. Okt. 1951. In: Thomas Mann: Briefe 1948-1955 und Nachlese. Hg. von Erika Mann. Frankfurt: S.Fischer 1965, S.226.   zurück

6 Vgl. den Anhang zu: Thomas Mann (Anm. 3), S.948ff. Vorher schon auszugsweise bei Peter de Mendelssohn: Nachbemerkungen zu Thomas Mann (Anm. 1), S.172, 185, 188f.   zurück

7 Thomas Mann: Doktor Faustus. In: Ges. Werke in dreizehn Bänden. Frankfurt / M.: S. Fischer 1974, Bd. VI, S.651.   zurück

8 Vgl. Thomas Mann: Ges. Werke. Ebd. Bd. XI, S.294. Die deutlichere eliminierte Passage im Anhang zu den Tagebüchern (Anm. 3), S.953.   zurück

9 Vgl. Thomas Mann: Tagebücher (Anm. 3), S.67, 73, 87, 90.   zurück

10 Theodor W. Adorno: Zu einem Porträt Thomas Manns. In: Th. W. A.: Ges. Schriften Bd. 11. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1974, S.335ff., hier S.341f.   zurück

11 Elke Schmitter: Gipfeltreffen im Nebel. In: Der Spiegel vom 29. April 2002, S.202.   zurück