- Markus Hallensleben: Else Lasker-Schüler: Avantgardismus und
Kunstinszenierung. Tübingen / Basel: Francke 2000. 367 S.
Kart. DM 78,-.
ISBN 3-7720-2745-8. .
Wurde Else Lasker-Schüler in der früheren Forschung
tendenziell vor
allem im Kontext des Expressionismus gesehen, so ist in den letzten
Jahrzehnten deutlich geworden, daß Werk und Leben dieser Dichterin
zwischen Tradition und Innovation, Literatur und bildender Kunst,
Gruppenanbindungen und Individualisierung und im Spannungsfeld verschiedener
Kulturen und Religionen wesentlich komplexer und vielschichtiger sind. Die
jüngere Intensivierung der Forschungen und Vermittlungen, vor allem in
Deutschland, den USA und Israel, trägt dem Rechnung.
Das Buch von Markus Hallensleben, die Druckfassung einer
Dissertation an der
F.U. Berlin, will Else Lasker-Schüler als "Avantgardistin" (S.
11)
und "ihr Werk vor dem Hintergrund der europäischen Avantgardekreise
mit neuen Interpretationen" (ebd.) vorstellen. Ihr Textverständnis,
"das von einer Körperlichkeit der Schrift" (S. 9) ausgehe und
in
"intertextueller Inszenierung von Kunst" (ebd.) realisiert werde,
solle
unter den drei Aspekten "sprachlicher Event",
"kaleidoskopisches Bild-Text-Gewebe" und "religiöser
Avantgardismus" (ebd.) untersucht werden. Methodisch orientiere sich die
Arbeit an der "Vielfalt des zu behandelnden Materials", argumentiere
"teils dekonstruktivistisch, teils kulturkritisch" (S. 9).
Über die
Thesen hinaus, die durch die zitierten Stichwörter markiert und in den
Begriffen der Polyperspektivik und der ästhetischen
Grenzüberschreitung variiert sind, werden als Begründung für
Lasker-Schülers Zugehörigkeit zur Avantgarde u.a. ihre
"vielfachen Veröffentlichungen und Besprechungen in den
international ausgerichteten Almanachen und Zeitschriften ab 1910" (S.
15)
genannt, ferner die praktische Verbindung von "Leben und Kunst".
Damit
wird Lasker-Schüler zugleich von jenem wichtigen Bereich der Avantgarde
abgerückt, der in der jüngeren Forschung verstärkt beachtet
wird, der Manifestliteratur 1. Auch werden bei Lasker-Schüler Besonderheiten der "Strategien
eines weiblichen Avantgardismus" (S. 14) ausgemacht. Die Differenzierung
von
Avantgardismus und Avantgarde wird nicht begründet, wohl aber
festgestellt, daß Lasker-Schüler diese Begriffe nicht verwendet
hat.
"I. Kunst als Event"
In dem ersten Kapitel untersucht Hallensleben
Lasker-Schülers
Inszenierungen ihrer Werke, Inszenierungen, die vom Autor unter Begriffe
unserer Zeit wie Performance und Event gebracht werden. Ihre Eigenschaften
wiesen sie als Kunstformen eigener Art aus, die traditionelle Formen
literarischer Werke systematisch transzendierten und entsprechend als
avantgardistisch aufgefaßt werden könnten.
Wie steht es nun mit den Belegen für die These? Als
erstes Beispiel wird
eine Lesung der Dichterin in Elberfeld 1912 angeführt. Sie wird aus
einem einzigen Bericht der Lokalpresse rekonstruiert. Das daraus stammende
Zitat (S. 21f.) bestätigt allerdings die Behauptung nicht, daß
Lasker-Schüler damals "eine Art Performance" statt einer Lesung
gegeben hatte. Vielmehr hieß es damals: "Und nun las sie". Die
befremdete Reaktion des Publikums wurde 1912 im "General-Anzeiger
für Elberfeld und Barmen" aus den Eigenarten ihrer Poesien
abgeleitet,
nicht etwa aus der Form ihrer Darbietung . Des Weiteren
skizziert Hallensleben Else Lasker-Schülers avantgardistischen 2 internationalen Kontext im Sturm. Die
vielfältigen kulturvermittelnden Aktivitäten Herwarth Waldens, mit
dem Lasker-Schüler von 1903 bis 1912 verheiratet war, in diesem Ensemble
aus Zeitschrift, Galerie, Verlag, Veranstaltungsagentur u.a., lassen den
Versuch besonders aussichtsreich erscheinen, den Begriff des >Events<,
der
bisher im Kulturmanagement eine bessere Karriere gemacht hat als in der
Kulturwissenschaft, auf den Anfang des 20. Jahrhunderts
zurückzuprojizieren.
Als weiteren Test auf die Probe nimmt der Verfasser dann
Lasker-Schülers
"futuristische[s] Varietéprojekt Der Fakir" von 1910 (S. 43).
"Dieser Abend [gemeint ist der Plan dazu] soll nun erstmals soweit wie
möglich in Gänze rekonstruiert werden" (S. 43f.). Dazu dienen
Briefe und ein Photo der Dichterin, Berichte von Dritten und Photos aus dem
kulturgeschichtlichen Kontext, die Tänzer und Tänzerinnen der Zeit
wie Nijinski und Charlotte Bara im orientalischen Kostüm zeigen. Dabei
werden auch die zeitgenössische Einschätzung der Darstellung
orientalischer Figuren und Mythen sowie von Afrikanern reflektiert, sowohl
der Form der Darbietung, "hin zum populären Kabarett-
beziehungsweise Varietébetrieb" (S. 49), als auch dem Inhalt nach:
Die Textzusammenstellung läßt auf ein
Programm
schließen, das auch für heutige Begriffe geradezu blutrünstig
ausgefallen wäre und das sich mit den Grenzen der Machtpolitik, des
Geschlechts und der Sexualität auseinandersetzt (ebd.).
Gut herausgearbeitet ist das entsprechende Schockpotential
der für den
Abend vorgesehenen Texte im Feld von Sexualität und Grausamkeit. Diese
lagen allerdings zu dem Zeitpunkt bereits gedruckt vor und waren einzeln
oder in anderer Konstellation von Lasker-Schüler bereits auf Lesungen
vorgetragen worden. Peter Sprengel hatte diesen von der Dichterin geplanten
Abend bereits in die Tradition des Kabaretts eingeordnet 3. Eine Nähe zum Futurismus besteht,
anders als der Verfasser es darstellt, höchstens partiell. Und anders
als die Mehrsprachigkeit einiger dadaistischer Projekte ist
Lasker-Schülers Planung des Abends für verschiedene Sprachen nicht
primär künstlerisch bedingt. In London sollte der Abend (neben den
arabischen Übersetzungen) praktischerweise auf Englisch stattfinden, so
wie Theaterstücke im fremdsprachigen Ausland in der Moderne eben meist
in Übersetzungen aufgeführt werden.
Die provokativen Züge des geplanten, aber nicht
realisierten Projektes
werden gut herausgearbeitet. Es wird aber zu wenig beachtet, daß sie
primär aus den Texten kommen, die von der Inszenierung nur intensiviert
werden sollten. Lesung, Inszenierung, Kabarett waren schon vor der
Jahrhundertwende ein wichtiges Instrument der Literaturvermittlung, das die
Dichterin kannte und früh erprobte. Auch für das Verständnis
der entsprechenden Abende Lasker-Schülers wären die Dokumentationen
von Reinhard Tgahrt heranzuziehen 4. Besonders aufschlußreich sind dort die Darstellungen
der inszenierten Lesungen Stefan Georges in Berlin (Kantstr.) seit 1897 samt
den sich um sie rankenden Gerüchten um die "theatralische
Aufmachung", wie die Mitveranstalterin Sabine Lepsius es nannte 5. Bis hin zum abgedunkelten
Raum kann man in ihnen den Prototyp auch der Lasker-Schülerschen
Inszenierungen sehen. Ein anderes Detail: In Lasker-Schülers Konzeption
heißt es: "Dann sitzt am Vorhang ein 10jähriger Negerjunge in
feuerrot, Fez etc. und reicht mir immer das Manuskript" (zitiert nach S.
45).
Erst 1935 korrigierte S. Lepsius ein seit der Jahrhundertwende in Berlin
kursierendes Gerücht über eine analoge Präsentationsvariante
in einer Georgeschen Lesung: "In allem Ernst wurde später
gemunkelt, daß das große Buch, der Teppich des Lebens,
während einer späteren Lesung im Jahre 1899 von zwei schönen
nackten Knaben gehalten worden sei. Nur war es leider nicht wahr" 6. Und doch war damit ein
Konzept im Umlauf. Das gilt auch für solche Details wie die folgenden:
"Er las uns aus seiner Dante-Übersetzung vor: murmelnd Wort an Wort
reihend, jedes Pathos vermeidend, als läse er Zauberformeln, Gebete vor
in einer Sprache, die niemand zu verstehen brauche, weil sie heilig und zu
rein magischen Wirkungen bestimmt sei . So wird in den
Moscheen Arabisch vorgelesen oder gebetet" 7
.
Immerhin steht Stefan George auch in der Liste der Quellen
Lasker-Schülers, die der Verfasser im Anhang 1 (S. 321) seiner Arbeit
nach dem Band Gesichte (1913) bietet.
In jedem Fall ist festzuhalten, daß die Forcierung des
Ereignischarakters der Literaturpräsentation eine wirkungsmächtige
vor-avantgardistische Bewegung ist (wenn man hier als Stichtermin etwa 1909
nimmt und wenn man George nicht zur Avantgarde zählen will). Zu
behaupten, Inszenierungskonzepte von Literatur seien avantgardistische
Inventionen, liefe in die Falle avantgardistischer Machtansprüche. Auf
solche Inszenierungen kann man, in durchaus kulturspezifischer
Annahme
der Universalisierung von Markt als dem unentrinnbaren Mechanismus der
Produktion und Verbreitung von Kunst, den Begriff Event anwenden. In der
historischen Konstellation des frühen 20. Jahrhunderts scheinen andere
Begriffe auf wie z.B. Erlebnis, Epiphanie, Ritual
8. In allen drei ist abgestuft jener
Übergang
und jenes funktionale Verhältnis zwischen Religion und (autonomer) Kunst
(Literatur) mitgedacht, die um 1900 und etwa bis zum Ersten Weltkrieg
dominierend waren und vielfältig auch bei Lasker-Schüler zu finden
sind.
Von dem Eventprojekt Der Fakir kommt der Verfasser im
Unterkapitel "Dadaistische Ursprache: Weltflucht" (S. 65-74)
zu
Texten zurück. Hier wird Lasker-Schülers "Zugehörigkeit
zum Dada" behauptet, ja sogar ihre Vorläuferschaft in Hinsicht auf
dessen Klangdichtungen. Als Hauptbeleg dienen Aussagen von
Lasker-Schüler in Ich räume auf! (1925) über eine
Traum- und Ursprache, die der Dichterin in ihrer Jugend zugefallen sein soll.
Daraus wird allzuschnell auf frühe dadaistische Konzepte geschlossen 9 (Im übrigen ist nicht
jede Lautsprache oder auch Privatsprache dadaistisch.). Erst in Ich
räume auf! präsentiert Lasker-Schüler aber die Fassung
Elbanaff ihres Gedichtes Weltflucht, das bereits 1902 in
Styxerschienen war. Die Behauptung, die als lautmalerisch
bezeichnete Fassung (>Übersetzung<) Elbanaff entstamme dem
Varietéprojekt und liege damit immer noch vor dem Dadaismus, wird für
den konkreten Text, nicht für die bloße Absicht, in orientalischen
Sprachen zu dichten, kaum gestützt. Ob nun aber gerade Zuflucht
ein "herausragendes Beispiel ihrer Auseinandersetzung mit Sprache und
Sprachherkunft" (S. 71) ist? Hier werden Überlegungen zu
späteren
Texten auf frühere angewandt, ohne die Differenz zu bedenken.
Im nächsten Schritt werden die wichtigen Tanz- und
Traumaspekte des
Bandes Die Nächte Tino von Bagdads (1907) in den Kontext von
Orientbildern im wilhelminischen Deutschland, auch in seiner
alltäglichen Lebenswelt, gerückt und sprachreflexiv gedeutet:
"Die Körpersprache wird zur Hieroglyphenschrift" (S. 81).
Über
die Herzmetaphorik kommt Hallensleben zur einleuchtenden künstlerischen
Bedeutung der "Handschrift" für Lasker-Schüler (so
hieß
auch ein Essay im Sturm 1910). Ihre sinnlich-räumliche Dimension
(auch ihre Nähe zu den Illustrationen), mache wie im Tanz die
Sprachbewegung und die Verbindung von Leben und Kunst sichtbar.
Dabei
wähle die Dichterin oft traditionelle Motive. Angesichts seiner
vorgängigen Forcierung avantgardistischer Aspekte in Werken, Projekten
u.a. der Dichterin fügt der Verfasser etwas überraschend, aber
durchaus richtig hinzu, daß der für die literarische Moderne in
Deutschland typische "Schwebezustand zwischen innovativem Anspruch und
traditionellen Kunstmitteln" (S. 97) auch für Lasker-Schüler
gelte.
Ihr "formalistisches Sprachexperiment ist genau durch diese Ambivalenz
von Tradition und Moderne gekennzeichnet" (ebd.). Statt hier nur von
Prosa
und Lyrik zu reden, würde es weiterführen, den Begriff des
Prosagedichtes einzubeziehen.
"II. Kunst als Kaleidoskop"
Das zentrale Kapitel der Arbeit arbeitet
Multiperspektivität als
wichtigstes Element der Texte Lasker-Schülers heraus. Es wird
eingeleitet von Reflexionen über das multiple Subjekt und die Differenz
zwische empirischem und literarischem Ich der Moderne, die anscheinend
unvermeidlich von Rimbaud (und Hugo Friedrich) ausgehen. Der Verfasser weist
mit gut und breit gestützten Argumenten darauf hin, daß zwischen
den textuellen Ichs wie dem Prinz von Theben, Tino von Bagdad und dem
empirischen Ich Lasker-Schülers scharf getrennt werden müsse:
"Es wäre demnach ein >allegorischer Irrtum<, um bei de Mans
Begrifflichkeit zu bleiben, würde man die Bezeichnung >Prinz von
Theben<
zum Anlaß nehmen, um Lasker-Schülers Persönlichkeit zu
erfassen" (S. 103). Für solche Trennung spricht der methodischen
Stringenz wegen manches. Und doch könnte es etwas komplizierter sein,
zumal der Verfasser Lasker-Schüler als eine bedeutende Vertreterin der
avantgardistischen Vermischung von Kunst und Leben wahrnimmt. In die
Illustrationen, in denen sie diese Kunstfiguren darstellt, sind z.B. oft ihre
eigenen Züge eingelassen. (Multiple) Person, Rolle, das imaginierte Ich,
ein angenommener Name (Tino wurde ihr von Peter Hille zugesprochen) sind
nicht nur textuell, sondern auch körperlich erfahrbar. Das kann sich bis in Gestus, Kleidung (siehe schon das
Frontispiz 10 der Erstausgabe von Die
Nächte Tino von Bagdads) usw. Lasker-Schülers und auf
kommunikative Handlungen verschiedenen Typs auswirken, die auf Zustand und
Selbstverständnis des empirischen Ich zurückwirken.
Der Versuch, bürgerlichen Subjektbegriffen und -krisen
zu entgehen,
führe im Falle Lasker-Schülers zu Problemen weiblicher Autorschaft
in einer patriarchalisch geprägten Boheme und Avantgarde. Von daher
kommt der Verfasser im nächsten Schritt zu den "Aporien weiblicher
Avantgarde". Hier wird die grundsätzliche Möglichkeit
androgyner
und homoerotischer Motive bei Lasker-Schüler, in Werk und Leben, zu
schnell beiseite geschoben (S. 118, 121f.). Immerhin kann der Verfasser an
mehreren Textbeispielen wie etwa Der letzte Stern zeigen, daß
das lyrische Ich bei Lasker-Schüler ein sehr variables ist, einem
weiblichen Subjekt entsprechend, das als avantgardistisches
"analytisch-kombinatorisch" (S. 121) habe sein müssen. Der
Sachverhalt wird in das Bild des >Kaleidoskops< gefaßt.
Auch im nächsten Abschnitt, "Polyperspektivische
Text-Gewebe",
gewinnen Textanalysen weiter an Raum. Im Mittelpunkt steht zunächst das
Gedicht Ein alter Tibetteppich, das unter den Aspekten von
Vieldeutigkeit und Intertextualität gelesen wird. Bei dem Versuch einer
innovativen Interpretation des Gedichtes nähert sich der Verfasser
gelegentlich Verengungen, die methodisch inkonsequent erscheinen: "Der
Text gaukelt eine Liebesgeschichte nur vor. Das Gedicht ist vielmehr Antwort
auf die dekorative Funktion des Teppichs als Interieur bürgerlicher
Wohnungen" (S. 135) oder "Der Teppich dient bei Lasker-Schüler
also
keineswegs der Beschreibung des Liebesmotivs, sondern ist nur noch die
autoreflexive Rede von einem Motiv" (S. 136). >vielmehr<,
>keineswegs<, >nur
noch<: Der schwebende Ton auch dieses Lasker-Schülerschen Gedichtes
wird
in einem allerdings originellen Holzschnitt stillgestellt.
Interessant
sind verschiedene Hinweise Hallenslebens auf den alltagskulturellen Kontext,
so darauf, daß die Sturm-Abende von Berliner Teppichhäusern
gesponsert wurden. Irritierend ist andererseits, daß Georges damals
berühmtes Gedichtbuch Der Teppich des Lebens (1900), das nach dem
Vorspiel mit dem Gedicht Der Teppich eröffnet wird, nicht
einmal erwähnt wird. Ansonsten überzeugen die Herausarbeitung
poetologischer und anderer selbstreflexiver Schichten in dem Gedicht und die
Einbettung in langlaufende, etwa ironisierende und arabeske romantische
Traditionen (S. 139). Hingegen kommt die ansonsten vom Verfasser favorisierte
Berücksichtigung orientalischer Bildwelten hier zu kurz.
In der dann folgenden Besprechung der Gedicht- und
Lithographiensammlung
Theben (1923) erweitert der Verfasser die Anwendung der
(Text)Gewebe-Metapher auf die Verknüpfung von Gedichten mit
Illustrationen (und wiederum mit dem Kontext der Berliner Lebenswelt). Die
These von der Offenheit der Werke Lasker-Schülers und ihrer Tendenz zur
Singularität des einzelnen Werkes kann der Verfasser in diesem Fall
besonders plausibel machen: "Die einzelnen Exemplare hatte
Lasker-Schüler von Hand jeweils unterschiedlich koloriert" (S. 149).
Lasker-Schülers Briefroman Mein Herz (1912) wird als
"avantgardistischer >Liebes-Roman<" (S. 157) gelesen, als
dessen
strukturbestimmendes Prinzip die Montage und als dessen Ziel die
"Poetisierung des Realen in der Kunst" (S. 159, Anm. 12) ausgemacht
werden. Letzteres stehe, so heißt es angesichts der
Traditionalität dieses Zieles einmal euphemistisch, "in
avantgardistischer Umkehrung der Avantgarde" ((S. 158, Anm. 12), einmal
pessimistisch, "in aporetischer Umkehrung der Avantgarde" (S. 171).
Auf
stringentere Weise differenziert werden die in den Briefroman integrierten
Liebesgedichte (Tristan-Gedichte) als poetologische Gedichte
interpretiert, wird ihr Bezug zu Wagner bzw. ihre Analogie zur
Metaphernverwendung Baudelaires und zur Syntax Reverdys reflektiert.
Sowohl in die Besprechung von Lasker-Schülers erstem als
auch zweitem
Briefroman Der Malik (1919) werden ihre illustrierenden Porträts
einbezogen und deren kunstvermittelnde Funktion hervorgehoben. Letztere gelte
insbesondere für die sieben Illustrationen im Malik, die von
Künstlern wie Franz Marc, Heinrich Campendonk u.a. stammen. Auch in
diesen Bänden wird eine "politische Gegenposition zu Kaiser
Wilhelms II. Imperialismus" (S. 180) ausgemacht. Aber steckt in diesem
"religiösen Künstleraristokratismus" (S. 181) wirklich das
Potential "zum Dichter als proletarischen Volkshelden" (S.
181)?
Der politische Gehalt dieser Bücher scheint damit nicht richtig
erfaßt.
Das Ende dieses Kapitels gilt "Else Lasker-Schüler
und Gottfried
Benn: Dekonstruktion einer Liebesgeschichte." Nach analytischen
Bemerkungen
zu ihrem Benn-Essay und -Porträt und den chronologischen
Verhältnissen der gegenseitigen Widmungsgedichte, vielmehr ihrer Drucke
Bemerkungen, die eine Gleichberechtigung in das Verhältnis
zwischen
Lasker-Schüler und Benn einschreiben wollen, welche in der bisherigen
Forschung nicht bestanden habe versucht der Verfasser Benns wichtige
"Rede auf Else Lasker-Schüler" (1952) zu demontieren, indem er
ihm
unterstellt, sein eigentliches Ziel sei "seine Selbstpräsentation
als Zeitzeuge" (S. 195), unter Verwendung von
"bürgerlich-antisemitischen Stereotypen" (S. 195). Das
versucht er
u.a. mit dem Benn->Zitat< zu belegen: "Man konnte weder damals noch
später mit ihr über die Straße gehen". Benns Satz lautet
aber: "Man konnte weder damals noch später mit ihr über die
Straße gehen, ohne daß alle Welt stillstand und ihr nachsah".
Für eine Arbeit, die sich antihierarchisch positioniert, wird zu viel
Wert auf die zudem etwas zänkisch formulierte Meinung gelegt, daß
Else Lasker-Schüler gegenüber Benn "das letzte Wort" (S.
199)
behalten und daß es sich um "eine Auseinandersetzung zwischen
>dem
großen lyrischen Genie<, welches Benn Lasker-Schüler zugestand
[...], und dem >deutschen Kleinbürger< Benn" (ebd.) gehandelt
habe.
Dieser Abschnitt ist gewiß nicht das letzte Wort zum Verhältnis
Lasker-Schüler / Benn und trifft ohnehin das Thema der Arbeit nur
peripher.
"III. Kunst als Religion"
Der dritte Teil der Arbeit geht über die Frage nach dem
Avantgardismus
bei Lasker-Schüler hinaus. Untersucht wird das Verhältnis von Kunst
und Religion. Ausgangspunkt ist der zeitgenössische Kontext, die
Diskussion von Kunst, Kult, Religion und außereuropäischer Kultur,
wie sie Carl Einstein in Negerplastik (1915) geführt
hatte. Was Einstein auf die >primitive Kunst< beziehe, übertrage
Lasker-Schüler auf das Christentum, das sie "mit dem Anspruch
politisch korrekter Kunst" (S. 205) zur Versöhnung mit dem Judentum
führen wolle. In diesen lebensweltlich-politischen Intentionen sieht
Hallensleben "eine formale Einheit von Kunst und Leben" (S. 207).
Das sei z. T. "Baudelaires Les Paradis artificiel [sic!]" (S.
208) entlehnt, wie überhaupt Baudelaires Ineinssetzung von Sprachimagination
und Wirklichkeit als Variante der religiösen Auffassung erscheine,
Sprache als Material der Weltschöpfung zu sehen. Zugleich wird die
politische Funktion herausgestellt: "Religiosität, wenn
überhaupt, dient in Der Prinz von Theben gleichermaßen nur
als Schablone, mittels der Gesellschafts- und Machtkritik geübt werden
kann" (S. 214), etwa am deutschen Kaiserreich mit Hilfe orientalischer
Bildwelten. Der Verfasser schwankt m.E. bei der Einschätzung von
Religiösität Lasker-Schülers zwischen authentischem, streng
überliefertem Weltbild und Funktion im Rahmen ästhetischer oder gar
politischer Konzepte.
Nach der Vorstellung der für diesen Themenkomplex
grundlegenden Annahmen
geht der Verfasser zur Untersuchung der, seiner Meinung nach, engen
Interaktion von Avantgardismus und jüdischer Komponente im Werk
über (S. 215ff.). Eine wichtige Rolle wird dabei Heinrich Heine
zuerkannt 11. Auf seinen
Spuren in der Verbindung von (jüdischem) Geschichtsbewußtsein,
insbesondere der gegenseitigen Abhängigkeit von Heimat- und
Exilerfahrung, und Rolle der Dichtung in der Erinnerung (Legende), etwa im
Rabbi von Bacherach und im Romanzero, bewegten sich viele Werke
Lasker-Schülers, so Der Wunderrabiner von Barcelona und
Arthur Aronymus. Es ist plausibel, wenn der Verfasser etwa den
Wunderrabbiner als "Anklageschrift gegen den zunehmenden
Antisemitismus in der Weimarer Republik" (S. 222) liest. Doch wie
verträgt sich das sympathetische Bewußtsein langlaufender
Tradition mit der These vom Avantgardismus?
Bereits in den Hebräischen Balladen sei "mit
Hilfe
jüdischer Figurenportraits die eigene Außenseiterposition als
Künstlerin" (S. 225) thematisiert worden. Aber Außenseiterin
heißt nicht zwingend Avantgardistin. Die Autorin spricht von den
Hebräischen Balladen vielmehr als von "ihren frommen
hebräischen Gedichten" 12. Das trifft immerhin einen Teil. Freilich sind Gedichte wie
Mein Volk, Esther oder Versöhnung nicht nur unter
dem Aspekt der Frömmigkeit zu erfassen, wie auch die Interpretationen
des Verfassers herausarbeiten, sondern unter Aspekten des Liebesgedichtes und
der poetologischen Reflexion. Daraus wird aber trotz einiger argumentativer
Anstrengungen (S. 232 ff.) des Verfassers noch kein avantgardistisches
Gedicht, sondern ein Gedicht, das religiöse Tradition und literarische
Moderne zusammenfügt. Immerhin geht diese Synthese mit der
Polyperspektivik zusammen, die der Verfasser bei Lasker-Schüler
freilegt.
Noch weiter vom >Avantgardismus< entfernt sich ein
Gedicht wie Gebet,
auch wenn es im Kontext von Benjamins Geschichtsallegorie diskutiert und aus
ihm wie aus anderen Gedichten Lasker-Schülers "jüdischer
Geschichtsmythos" (S. 240) entwickelt werden kann. Ihr
Geschichtspessimismus
und der poetische Zeitgeist bringen sie in manchen Texten
zurück zu
einer vergleichsweise konventionellen religiösen Dichtung. Wo
"nicht mehr eindeutig zu entscheiden ist, ob nun die religiöse
Metaphorik die Poesie legitimieren oder die poetologische Metaphorik die
Religion absichern soll, müssen beide Funktionen Gültigkeit
besitzen" (S. 241) wenn die Poesie aber noch der Legitimation
durch
religiöse Metaphorik bedarf, scheint sie von moderner Autonomie der
Kunst weniger geprägt zu sein. Die Verschränkung von Religion und
Kunst in etlichen Texten Lasker-Schülers entfaltet der Verfasser subtil,
auch unter Heranziehung unveröffentlichter Texte (z.B. S. 248f.) und
überbietet die Engführung seiner These vom Avantgardismus. Die
Bestimmung des genauen Verhältnisses von Religion und Poesie bleibt aber
heikel. Letzteres verändert sich in den verschiedenen Phasen und Werken
Lasker-Schülers.
Untersucht wird auch das im Exil in Palästina seit Ende
der
dreißiger Jahre entstandene Schauspiel IchundIch (1940).
Während die Forschung dem unfertigen Stück bisher
eher kritisch
gegenüberstand, versucht der Verfasser es "als Beispiel für
eine Avantgarde der Avantgarde" (S. 261) aufzuwerten. Nützlicher
sind
auch auf unveröffentlichtes Material gestützte Überlegungen
über die Entstehung des Stückes im Kontext ihres Zweiten
Palästinabuch-Projektes und Interpretationen, die das Stück
zwischen >Heimatmuseum des Exils<, jüdischer Geschichte und
aktueller
politischer Auseinandersetzung verorten.
Im letzten Abschnitt geht der Verfasser noch auf den letzten
Gedichtband der
Dichterin ein. An Mein blaues Klavier (1943) hebt er "die
Auseinandersetzung mit dem biblischen >Bilderverbot<" (S. 292)
hervor.
Die Interpretation verbessert unter Einbezug von unbekanntem bzw. falsch
eingeschätztem Text das Verständnis des Gedichtes im Detail und
betont seine Offenheit. Daraus werden grundsätzliche Einsichten in das
lyrische Spätwerk der Dichterin gewonnen, welches die
"Wirkungslosigkeit der Kunst" als "messianisches
Scheitern" (S.
299) sähe, das in der Wandelbarkeit der Sprache liege: die Kunst / die
Literatur sei eine ">Etüde< ohne Ende oder das unhörbare
Spiel auf einem >papierenen< Klavier einer Marionettenbühne"
(ebd.). Der Verfasser zieht daraus über Lasker-Schüler
hinausgreifend den Schluß, daß Teleologie als Prinzip
literarischer Moderne an ein Ende gekommen sei: "Der Weg der
literarischen Moderne ist ohne Ziel, Ästhetik ein Umweg, der nie
endet"
(S. 304).
IV. "Zusammenfassung",
"Schluß", editorischer "Anhang":
Avantgardismus und Kunstinszenierung Else Lasker-Schülers
virtuelle
Kunst
Während die Zusammenfassung noch einmal die
Ausgangsthesen und auch die
Befunde der Arbeit rekapituliert und variiert (Körperlichkeit der
Sprache, die aus der Orientrezeption stamme; Event- und
Inszenierungscharakter von Sprache und Literatur; Betonung der Handschrift im
Übergang zur Bildenden Kunst; gleichzeitige "Durchführung und
Außerkraftsetzung des Mimesisverbots", S. 307; Inszenierung der
Welt
als Schrift; "avantgardistisches Verständnis von Kunst als
Religion", "antibürgerliches, kunstaristokratisches
Programm", S.
308; kaleidoskopischer und offener Charakter der Werke, auch der Metaphern,
S. 309; im Exil "Abgesang auf das romantische Bild der Muse", S.
309,
und Aufgabe der Idee der "versöhnende[n] Synthese", S. 310),
umspielt der >Schluß< kritisch Grenzen und Aporien der Avantgarde
und
das gespaltene Verhältnis der Dichterin zu ihr. Dabei gelingt dem
Verfasser hier eine gute und die Ausgangsthese vom Avantgardismus
zurechtrückende Bestimmung des uneindeutigen literarhistorischen Ortes
der Dichterin.
Hervorgehend aus ihren "mehrfachen
Außenseiterpositionen"
erscheine "ein nach allen Seiten offenes Werk [...], das sich durch
einen polyperspektivischen Charakter auszeichnet [...]: in der syntaktischen
Metaphorik der lyrischen Sprache, in der Vorstellung eines multiplen
Subjekts, was sich auch auf die Erzählfiguren der Prosa auswirkte, oder
in der Kunstgattungen und Kulturräume übergreifenden Struktur"
(S.
316). "Ihre die Struktur eines Kaleidoskops [...] aufgreifende
Ästhetik [...] dekonstruiert die unmittelbare internationale
Zeitgeschichte im Rückgriff auf ein jüdisches
Geschichtsverständnis, das Welt als Textauslegung begreift und das sich,
vom biblischen Bilderverbot kommend, eindeutiger [sic] Bildlichkeiten
verweigert" (S. 318f.). Ob es glücklich ist, ihre "zwischen
Tradition und Innovation schwebenden Produkte" abschließend unter
dem
Terminus "virtuelle Kunst" (S. 316) zu subsumieren, scheint mir
zweifelhaft.
Im Anhang finden sich nützliche Materialien, auch
unveröffentlichte
Texte (Ausschnitte) aus den dreißiger Jahren. Eine reichhaltige
Bibliographie und ein Verzeichnis der 20 Abbildungen schließen sich an.
Ein Register fehlt.
Fazit
Die vielfältige Arbeit stellt eine Bereicherung der
Lasker-Schüler-Forschung dar. Sie relativiert produktiv ihre
Ausgangsthese vom Avantgardismus der Autorin, indem sie die zwischen
Tradition und Innovation schwebende Vielfalt und Polyperspektivik des Werkes
und, damit teilweise künstlerisch interagierend, des Lebens
Lasker-Schülers deutlich macht . Erörtert wird
auch der Zusammenhang zwischen Kunst und Leben, Text und Bild 13 in manchen Werken der Autorin. Mit dem letzteren Komplex,
aber auch mit zahlreichen über das Buch verstreuten Details werden en
passant auch konstruktive Anregungen zu einer kritischen Würdigung und
Sichtung der Kritischen Ausgabe gegeben 14
.
Die Arbeit ist theoretisch avanciert und breit gestützt.
Vermißt
habe ich bei dem engen Zusammenhang von Kunst und Religion, welcher der
Arbeit zunehmend in den Blick kommt, insbesondere George Steiner: Real
Presences (1989; dt.: Von realer Gegenwart, 1990). Die Arbeit ist
in
der Konstruktion von Thesen und der Adaption verschiedener poetologischer und
ästhetischer theoretischer Arbeiten belesen und zugleich anregend
risikofreudig; nicht selten freilich wird eine These schon für ihren
Beleg genommen. Auch geht die bei einigen Werken verständliche
Begeisterung für Else Lasker-Schüler manches Mal in Hagiographie
über, werden auch konventionelle Nebenprodukte der
ungleichmäßig schreibenden Dichterin zu Ausstellungsstücken
avantgardistischer Größe.
An einigen Stellen rückt der Autor, Werk und Poetik /
Ästhetik der
Dichterin in Ansätzen in den europäischen Kontext (z.B.
Baudelaire, Reverdy). Das ist ausbaufähig. Während wichtige
Hinweise auf Lasker-Schülers Verarbeitung der Alltagskultur gegeben
werden und die Relevanz der mehrfachen Randposition (als Jüdin, als
Frau, als avantgardistische Künstlerin) plausibel gemacht wird, bleibt
der Kontext deutscher literarischer Werke weitgehend vernachlässigt, und
zwar sowohl in historischer wie in zeitgenössischer Hinsicht.
Zum einen kommt die Tradition der deutschen Romantik zu kurz 15. Heine hätte hier als wichtiger
Anreger hervorgehoben werden können, nicht nur, was im zweiten Teil der
Arbeit immer stärker zum Ausdruck kommt, konzentriert auf den Aspekt des
jüdischen Dichters. So richtig es ist, die Beziehung zwischen dem
Rabbi von Bacherach und dem Wunderrabbiner von Barcelona
hervorzuheben: Heines Bedeutung für Lasker-Schüler liegt
nicht nur in der literarischen Vermittlung des Judentums, sondern gerade auch
in der Vermittlung einer gebrochenen Romantik und damit eines
ironisch-schwebenden Tones, ferner in formalen Aspekten der Lyrik.
Lasker-Schüler nimmt überhaupt in Programm und Ton manche Elemente
der deutschen Romantik auf.
Auch mit der unmittelbar vorgängigen und der
zeitgenössischen
deutschen Literatur und Kultur ist Lasker-Schüler stärker verwoben
als hier deutlich wird (George, Dehmel u.v.a.; Jugendstil, auch dessen
bildnerische Arbeiten, und Neuromantik; Kabarett; später, zeittypisch in
der Nachkriegszeit, Rückkehr zu weniger modernen Formen: die Dichterin
ist nicht nur originell, und ihre besten Texte kommen ja gerade an
Schnittstellen zustande). Das gilt auch im Verhältnis zu Religion,
Mystik und verwandten Weltanschauungen, auch der Neubelebung des
Geistesaristokratismus. Das Ende des 19. und das erste Viertel des 20.
Jahrhunderts waren in Deutschland auf vielen Seiten voller Bedürfnisse
nach Religiosität, dem Übersinnlichen, voller messianischer
Sehnsüchte und Glauben an Propheten 16
. Während diese zeittypischen Konstellationen
unterschätzt werden, wird der spezifisch jüdische Hintergrund
vieler Bilder und sein Einwirken auf die Poetologie Lasker-Schülers in
wünschenswerter Einläßlichkeit freigelegt 17.
Beachtet man den Verlauf der Arbeit, so kommt man an der
spannenden
Beobachtung nicht vorbei, daß sie cum grano salis in methodischer, auch
in thematischer Hinsicht immer traditioneller wird, eine Rückkehr zum
>Alten< der Literaturwissenschaft vollzieht: Von der Absicht zur
Dekonstruktion und von der Besprechung eines multidiskursiven Event-Projektes
zunehmend zur Gedichtinterpretation und zur Editionsphilologie (vor allem im
Anhang). Die analytische Synthese von literarischen und religiösen
Bildern erinnert an die ältere Geistesgeschichte, was durch die
sachliche Nähe des Event-Begriffes zum Erlebnisbegriff noch
verstärkt wird. Freilich werden diese Reminiszenzen einerseits durch den
stärkeren Einbezug der Alltags- und Allgemeinkultur >progressiv<
kulturwissenschaftlich überdeckt, andererseits durch die Forcierung der
religiösen Fragestellungen fast an theologische Perspektiven
zurückgebunden. Es wäre eine, aber nur eine Erklärung,
daß hier die Entwicklung Lasker-Schülers auf die Arbeit
durchschlägt.
Das Bemühen um politische Korrektheit, das explizit auch
Lasker-Schüler zugeschrieben wird, fördert wichtige politische,
u.a. minoritäre Aspekte zutage. Es treibt gelegentlich aber auch
seltsame Blüten, etwa wenn vorausgesetzt wird, arabische Despotien
seien per se humaner als europäische Reiche: "Auch wenn bei
Lasker-Schüler die Afrikaner immer noch zu Dienern degradiert sind, so
doch wenigstens innerhalb eines arabischen Herrschaftssytems [sic] und nicht
als Sklaven der weißen Europäer" (S. 51). Auch irritieren
Sätze wie "Lasker-Schüler verschmolz [in IchundIch]
christliche, jüdische, heidnische und die sogenannte deutsche
[Hervorhebung Hallensleben] Kultur zu einem symbolischen Akt zusammen"
(S.
279). Während die Polemik gegen die deutsche Kultur wenigstens in ihrem
Kontext zu verstehen ist, gerät der Begriff "heidnische Kultur"
(Homer, Nietzsche, Pantheisten, Marxisten?) vollends ins Fragwürdige. Doch vermögen weder solche Ausrutscher noch die etwas
zu häufigen technischen Fehler 18 den
anregenden und katalysatorischen Wert dieser Arbeit im Kern zu
schmälern.
Apl.
Prof. Dr. Lothar Jordan
Westricher Str. 86
44388 Dortmund
Ins Netz gestellt am 07.08.2001
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Anmerkungen
1Vgl. Wolfgang Asholt / Walter Fähnders (Hg.): "Die ganze
Welt ist eine Manifestation". Die europäische Avantgarde und ihre Manifeste.
Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1997; s. auch dies. (Hg.): Manifeste und
Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart / Weimar:
Metzler 1995, und zuletzt: Der Blick vom Wolkenkratzer. Avantgarde
Avantgardekritik Avantgardeforschung. (Avant Garde Critical Studies 14)
Amsterdam, Atlanta: Rodopi 2000 (Rez. von Achim Geisenhanslüke in: IASL
online: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/geisenha.html ,17.4. 2001).
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2 Allerdings wird noch einmal die ältere These
wiederholt: "Der dominierende Begriff der Wortkunst stammt bekanntlich
von Arno Holz" (S. 33). Ich habe schon an anderer Stelle (Lothar Jordan
[Hg.]: August Stramm. Beiträge zu Leben, Werk und Wirkung. Bielefeld: Aisthesis
1995, S. 113, Anm. 11) darauf hingewiesen, daß Holz nur den Begriff
"Neue [Hervorhebung von mir, L.J.] Wortkunst" für sich
in Anspruch nimmt. Tatsächlich ist das >neu< hier im Kontext der
Avantgardediskussion besonders wichtig. Der Begriff >Wortkunst< hat eine
ältere, ins 18. Jahrhundert, etwa auf Herder zurückgehende
Geschichte, wie schon ein Blick in Grimms Deutsches Wörterbuch
zeigt. zurück
3 Peter Sprengel: Else Lasker-Schüler und das Kabarett.
In: Text und Kritik, 122: Else Lasker-Schüler, 1994, S. 75-86, hier S.
82-85. zurück
4 Reinhard Tgahrt (Hg.): Dichter lesen. Bd. 2:
Jahrhundertwende. (Marbacher Schriften 31 / 32) Marbach a.N. 1989; Bd. 3: Vom
Expressionismus in die Weimarer Republik. (Marbacher Schriften 38 / 39)
Marbach a.N. 1995; s. auch Wolfgang Braungart: Ästhetischer Katholizismus:
Stefan Georges Rituale der Literatur. (Communicatio 15) Tübingen:
Niemeyer 1997, S. 154ff. (Rez. von Kai Kauffmann in: IASL online, 2.2.
1999). zurück
5 Reinhard Tgahrt (Hg.) Bd.2 (Anm. 4), S. 327. Siehe dort
auf den folgenden Seiten auch die anderen Darstellungen der Georgeschen
Inszenierungen seiner Dichtung. zurück
6 Ebd., S. 329. zurück
7 Ebd., S. 332, Bericht von Rudolf Kassner. zurück
8 Wolfgang Braungart: Ritual und Literatur. (Konzepte der
Sprach- und Literaturwissenschaft 53) Tübingen: Niemeyer 1996 und
Wolfgang Braungart (Anm. 4). zurück
9 Dieter Bänsch: Else Lasker-Schüler. Zur Kritik
eines etablierten Bildes. Stuttgart: Metzler 1971, S. 234f., Anm. 76, hatte
das schon vorsichtiger und präziser analysiert. zurück
10 Später in der Arbeit identifiziert der Verfassser
die Eingangslithographie des Bandes Theben, nämlich Theben mit
Jussuf, genau mit dem Selbstbild, das die Dichterin von sich hat / macht:
"es handelt sich um ein Selbstportrait der Autorin" (S. 145). zurück
11 Vgl. Itta Shedlitzky: Bacherach and Barcelona: On Else
Lasker-Schüler´s Relation to Heinrich Heine. In: Mark L. Gelber (Hg.):
The Jewish Reception of Heinrich Heine. (Conditio Judaica 1) Tübingen:
Niemeyer 1992, S. 113-126. zurück
12 E. L.-S.: Hebräische Balladen. Faksimile der
Handschrift, hg. v. Norbert Oellers. (Marbacher Schriften 26) Marbach a.N.
1986, o.S. (unter dem Gedicht Versöhnung). zurück
13 Die Kritische Ausgabe (E. L.-S.: Werke und Briefe, ...
hg. von Norbert Oellers / Heinz Rölleke / Itta Shedlitzky, bisher 4 Bde.
Frankfurt a.M.: Jüdischer Verlag 1996ff.) trennt diesen Zusammenhang
gelegentlich auf. So werden z.B. in Bd. 3.1 Prosa (bearb. v. Ricarda Dick),
in dem Werk Der Prinz von Theben die Illustrationen der Dichterin
weggelassen und im Apparat in Bd. 3.2. nur verzeichnet. Der von Hallensleben
herausgearbeitete, avantgardistisch bezeichnete Konnex Text-Bild wird hier
aufgelöst. Durch die editorische Entscheidung, sich hier auf die
Prosatexte (teilweise eher Prosagedichte!) zu beschränken, entsteht eine
eindeutigere, konventionellere Ansicht von der entsprechenden
Text-Bild-Kombination als Hallensleben zu recht herausarbeitet. Unter dem von
im hervorgehobenen Aspekt der Körperlichkeit und der künstlerischen
Funktion der Handschrift (s. auch die neuere Diskussion in: Rüdiger
Nutt-Koforth u.a. [Hg.]: Text und Edition. Positionen und Perspektiven.
Berlin: Erich Schmidt 2000 und die Rez. von Roger Lüdeke in: IASL
online: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/luedeke.html, 24.7. 2001)
ist die Faksimileausgabe (Anm. 12) in der Werkpräsentation der
Kritischen Ausgabe in diesem Fall überlegen. zurück
14 Es wäre wünschenswert, daß der Verfasser
seine über die Arbeit verstreuten Anmerkungen und Ergänzungen zur
Kritischen Ausgabe etwa in einem Aufsatz zusammenfaßte. zurück
15 Die Arbeit von Brigitte Hintze: Else Lasker-Schüler
in ihrem Verhältnis zur Romantik. Ein Vergleich der Thematik und des
Sprachstils. Diss. Bonn 1972, bildet insofern ein nun allerdings in die
Jahre gekommenes Pendant zum vorliegenden Werk. zurück
16 S. auch Wolfgang Braungart u.a. (Hg.): Ästhetische
und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden. Bd. II: um 1900.
Paderborn u.a.a.O.: Schöningh 1998. zurück
17 Vgl. u.a. neuerdings Donna K. Heizer: Jewish-German
Identity in the Orientalist Literature of Else Lasker-Schüler, Friedrich
Wolf, and Franz Werfel. (Studies in German Literature, Linguistics, and
Culture) Columbia, SC: Camden House 1996, und Ulrike Müller: Auch wider
dem Verbote: Else Lasker-Schüler und ihr eigensinniger Umgang mit
Weiblichkeit, Judentum und Mystik. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang
1997. zurück
18 Druckfehler und ähnliche Unkorrektheiten, von denen sich manche,
vor allem im ersten Teil der Arbeit aus Interferenzen mit dem Englischen erklären lassen
(z.B. S. 131: "Possesivpronomen", aber auf der gleichen Seite auch noch "Possesivpromomen";
ärgerlicher sind die häufigen nicht wirklich präzisen Zitate aus Texten der Dichterin;
z.B. S. 226: Mein Volk enthält vier Zitierfehler). Ähnliches gilt für die Literaturangaben
so sind z.B. die Angaben (S. 355) zu den zitierten Texten in den Bänden 3-5 der
Baudelaire-Ausgabe von Kemp und Pichois weitgehend durcheinander geraten, auch S. 169, S. 208.
Und nicht "Zmegac", sondern "megač". zurück
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