Kauko über Hartmann: Deutsche Reisende in der Spätaufklärung

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Miriam Kauko

Ultima Thule aus deutscher Sicht

  • Regina Hartmann: Deutsche Reisende in der Spätaufklärung unterwegs in Skandinavien. Die Verständigung über den "Norden" im Konstruktionsprozeß ihrer Berichte (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik; 44) Frankfurt / M. u.a.: Lang 2000. 348 S. Kart. € 45,50.
    ISBN 3-631-36584-5.


Die vorliegende Arbeit stellt bisher wenig beachtetes Textmaterial der deutschen Spätaufklärung vor. Untersucht werden Reiseberichte, Apodemiken und Rezensionen zwischen 1770 und 1815, die auch in Brief- oder Tagebuchform abgefasst sein können. Als zentrales Auswahlkriterium für das Textkorpus diente dabei das Vorhandensein des genrebestimmenden Merkmals der itineraren Fabel. Ausgeschlossen wurden Reisebeschreibungen aus der Memoirenliteratur und in Erzähltexten. Insgesamt sind ca. 80 Texte Gegenstand der Untersuchung.

Im ersten Teil wird nach einer Einführung in das theoretische Programm der Arbeit – eben jenem Programm folgend – der Kontext der untersuchten Texte abgesteckt. So wird zunächst der landeskundliche Wissensstand über Skandinavien in der zeitgenössischen Öffentlichkeit dargelegt, darauf folgt ein Überblick über die Reiseziele und -routen der Autoren, die Reiseberichte werden in den Kontext der allgemeinen Entwicklung des Genres eingeordnet und schließlich die "realitätserschließenden Deutungsmuster der Autoren" bestimmt, die den "Horizont ihrer subjektiven Verstehensperspektive" angeben.

Im zweiten Teil folgt die konkrete Analyse der Reiseberichte aufgegliedert nach Ländern, also Dänemark, Schweden, Norwegen und Lappland. Im Schlusskapitel zeigt die Autorin die Rolle von Kontroversen, Argumentationsmustern und Stereotypen für den literarischen Verständigungsprozess auf.

Theoretisches Programm

Der theoretische Ansatz ist neben der Materialauswahl das eigentlich Neue der Arbeit. Anliegen der Autorin ist es, die Dynamik des "Verständigungsprozesses" mit Hilfe der gegenseitigen Kontextualisierung der relevanten Texte zum Ausdruck zu bringen. Somit wird >Verständigung< ganz wörtlich genommen, wenn der explizite Bezug der Autoren auf Prätexte als gewähltes historisiert-hermeneutisches Intertextualitätskonzept benannt wird 1. Es kommen Verweise auf andere Reiseberichte und -führer vor; auf geographisches, nationalökonomisches und historisches Schrifttum; auf philanthropische und politische Schriften sowie auf bildende Kunst und Literatur. Sinnstiftend fließen jeweils in die Reiseberichte ein: die auf der Reise gewonnene Wirklichkeitserfahrung, im zeitgenössischen Bewusstsein verankerte Vorstellungskomplexe, ein konkretes landeskundliches Vorwissen und vereinzelt die Umstände der Entstehung des Reiseberichts.

Deutlich erkennt man das Wirken der Intertextualität am für die Aufklärung typischen Novitätenprinzip, 2 demzufolge jeder Reisende über das Land Neues berichten und dem Leser so zu einem Gewinn an Wissen verhelfen soll. In Anlehnung an Manfred Pfisters "Intertextuelles Reisen, oder: Der Reisebericht als Intertext" 3 werden in dem Zusammenhang drei Arten der Intertextualität unterschieden, die spezifische Arten, mit dem Prätext umzugehen, bezeichnen. Zum einen die negierte Intertextualität, bei der Zitate unkenntlich gemacht sind (Plagiat); dann die kompilatorische Intertextualität, die ihre Quelle affirmativ als Mittel zur Authentifizierung des eigenen Textes ausweist und schließlich die dialogische Intertextualität, die als Mittel zur Kritik des Prätextes eingesetzt wird.

Intertextualität ist den in der Literatur der Aufklärung bedeutsamen Beglaubigungsstrategien der Texte zugeordnet. Abhängig von der Art des Dialogs zwischen Eigenem und Fremdem ergibt sich die je spezifische Sinnkonstitution des Berichts. Richtet man den Blick auf Gesamtskandinavien, soll die Intertextualität nach diesem Muster eine Vernetzungsfunktion ausüben, denn aus ihr resultiert die Verknüpfung der Einzelberichte und so wird die Verständigung zum prozessualen Geschehen. Primärtexte und ihre Kritik werden zugleich verhakt. So fasst Regina Hartmann ihr theoretisches Programm zusammen, das sie jedoch – wie später noch ausgeführt wird – nicht im intendierten Umfang einlöst:

Das für die Untersuchung des Verständigungsvorganges eingesetzte Intertextualitätskonzept gibt den Blick nicht nur auf Zusammenhänge frei, die sonst verdeckt blieben, es legt auch Widersprüchliches offen und bezeugt damit, daß die Verständigung als ein komplexes Geschehen der literarischen Kommunikation zu sehen ist, das eine Vorstellung von Linearität nicht zuläßt. Erst dadurch, daß die einzelne Reisebeschreibung [...] in einem Kommunikationsfeld situiert werden konnte, war es möglich, der Verständigung über Skandinavien als einem Prozeß der textuellen Sinnkonstitution auf die Spur zu kommen und die Funktionalität von Kontroversen, Argumentationsmustern und Stereotypen dingfest zu machen. (S. 334–335)

Landeskundliches Vorwissen

Abgesehen von Dänemark ist über die nordischen Länder kaum etwas bekannt, was wild-exotische Vorstellungen von ihnen befördert. Selbst geographischen Fachlexika sind nur dürftige Informationen zu entnehmen und ältere Reiseberichte zeichnen ein fantastisches Bild von Ultima Thule. Dazu tragen nicht wenig zeitgenössische Literaten wie etwa Klopstock, Herder und der Kopenhagener Kreis bei, durch die die nordische Mythologie zur gesellschaftlichen Mode wird. Hier findet auch die These der >Blutsverwandtschaft< Deutschlands mit dem Norden Bestätigung, sowie der im Sturm und Drang virulente Skandinavienmythos von der unverbildeten Ursprünglichkeit der nordischen Natur und des nordischen Menschen.

Die Klimatheorie, welche die Witterungsverhältnisse einer Region als differenzierende Determinante des Menschen bestimmt, ist weit verbreitet und wird erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem aufkommenden Konzept des autonomen Subjekts reflektiert. Auch von der Landschaftstypologie wurde auf den Charakter der Bewohner geschlossen, woraus sich beispielsweise der Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung oder Berg- und Talbewohnern erklärt. Man ging davon aus, die Physiognomie eines Menschen erhielte ihre Entsprechung in der Persönlichkeit. So gelang es, eine Grenze zu den >unzivilisierten< Anderen zu ziehen und sie gleichzeitig der Verantwortung für ihre >Rohheit< zu entheben.

Reisebericht als Genre

Der Reisebericht gehört maßgeblich in den Literaturbegriff dieser Epoche. Im Hinblick auf seine literarische Verfasstheit spricht Regina Hartmann von einem Paradigmenwechsel des Genres im letzten Drittel des Jahrhunderts, und zwar von der faktologischen Sachinventarisierung der Frühaufklärung hin zum subjektiv-authentischen Erlebnisbericht. 4 Diese Literarisierung der Berichte sowie die Heterogenität der Wirklichkeitserfahrung resultieren in Beteuerungen ihrer Authentizität, um nicht in den Verdacht des >unwahren Romanhaften< zu geraten. Reiseerzählungen dieser Epoche haben typischerweise sowohl kenntniserweiternde und unterhaltende Funktion (prodesse et delectare). Inhaltlich befasst man sich vermehrt mit der Beschreibung und Analyse des sozialen Alltagsverhaltens und charakteristischer Mentalitätsstrukturen.

Insgesamt beurteilt die Autorin die vorliegenden Texte als paradigmatisch für das Genre:

Die Reisebeschreibungen von Skandinavien geben in ihrer Gesamtheit die zeitgenössische Genreausprägung in ihrer breiten Facettierung wieder und können insofern als repräsentativ für das prozessuale Geschehen auf diesem Sektor der literarischen Kommunikation gelten. (S. 69)

Realitätserschließende Deutungsmuster

Das "realitätserschließende Deutungsmuster" ist der Zugangsschlüssel zur Interpretation der Reiseberichte, denn es erlaubt die Rekonstruktion des Prozesses der Imagination von Skandinavien (vgl. S. 80). Gemeint ist damit die Folie, die der Betrachtung des bereisten Landes aufgelegt wird. So ist etwa die Zugehörigkeit des Autors zu einer sozialen Schicht von Belang, da die bürgerliche Bildungselite auf ihren Gelehrtenreisen überwiegend dem Geist des aufklärerischen Universalitätsanspruchs folgte.

Erklärtes Ziel war die Zunahme an Menschenkenntnis, die durch Fremdbegegnungen und Grenzüberschreitungen erreicht werden sollte. Diese fanden allerdings streng nach eigenen Prämissen statt, und zwar nach einem bewussten, zu Hause vorbereiteten Selektionsprozess. Diese selektive Wahrnehmung wird durch eine vorgenommene Selbstrollenzuschreibung sowie die Wahl der Erzählperspektive ausgedrückt.

Konkrete Analyse der Reiseberichte

Dänemark

Da Dänemark zumeist nur als Transitland auf dem Weg in den >wirklichen< Norden auftritt, reduzieren sich die Beschreibungen oft auf sein kosmopolitisches Zentrum Kopenhagen. Dänemark wird aufgrund seiner geographischen und kulturellen Nähe zu Deutschland als nicht so ausgeprägt fremdartig empfunden. Das kann eine Verzerrung der dänischen Identität zu vertrauter Nähe zur Folge haben.

Dieser Vorgang der Annäherung wird 1789 durch die >Tyskerfehde< unterbrochen, als das dänisches Eigenbild selbstbewusster wird. Die >Tyskerfehde< beziehungsweise die Indigenatsgesetze von 1776 stehen in intertextueller Hinsicht (was wird weggelassen, was erwähnt, etc.) im Zentrum der Berichte. An ihnen wird etwa die brisante Konstellation >deutsche Aristokraten gegen dänisches Bürgertum< reflektiert. Gleichzeitig kann der Reisebericht jedoch auch als Mittler zwischen den beiden Nationen fungieren. Je nach Herkunft der Autoren bzw. ihrer Bewertungsfolie erscheint Dänemark als "liberales politisches Utopia" (S. 115) oder als im Vergleich mit Deutschland kulturell und ökonomisch zurückgebliebenes Land.

Schweden

Zu Schweden liegt das umfangreichste Textmaterial vor. Man interessiert sich vornehmlich für die soziale Realität Schwedens, insbesondere die der freien Bauern, und den schwedischen >Nationalcharakter<. Anhand der aufgebauten Stadt / Land-Opposition, welche die Stadt als zivilisatorisch überformt und daher unbedeutend für den >Nationalcharakter< ins Abseits stellt, werden der Natur und dem Ländlichen ein Primärwert zugewiesen.

An landschaftlichen Besonderheiten werden speziell die Gebirge und Bergwerke erwähnt, wobei die Art ihrer Schilderung Aufschluss über das spezifische Argumentationsmuster gibt, je nachdem ob das naturwissenschaftliche Schweden Linnés oder der heroische Bauer im Zentrum des Interesses stehen. Als kultivierte Natur passen die Bergwerke nicht in die ländliche Idylle. Das deutsche Heterostereotyp Schwedens stellt sich demnach als Mischung aus Industrialisierung und wilder Ursprünglichkeit dar, was die Autorin dahingehend beurteilt, dass der "Imaginationsraum Schweden" ein Nebeneinander von Disparatem zuließ (S. 328).

Im Laufe der Zeit verändert sich das Argumentationsmuster in den Reiseberichten. Bestand zunächst noch Einigkeit über die Notwendigkeit zu sozialen Reformen angesichts der verarmten Bevölkerung des vom Krieg zerstörten Landes, 5 stellt sich der Gesellschaftskritik zunehmend die Schilderung einer Wohlstandsutopie zur Seite, ohne dass eine Harmonisierung dieses Bruchs angestrebt würde. Das unreflektierte Auseinanderklaffen von stereotypisiertem Nordmythos-Gedankengut und an Bildungsideal orientiertem Fortschrittsdenken (Natur gegen Kultur) im selben Reisebericht wird von der Autorin gut herausgearbeitet.

Die Schönheit des Landes, der heldenmythosgetränkte Nationalcharakter 6 und die zufriedenen Bauern fanden ihren Weg in die Berichte nicht aus der erfahrenen Wirklichkeit, sondern aus der zeitgenössischen Literatur 7 oder der Mythologie. Arndt etwa überträgt Herders heroische Nordmythologie auf die Gegenwart und schafft damit ein harmonisches Gesamtbild Schwedens. So wird die verklärte Vorbildfunktion des Landes Ultima Thule hervorgehoben.

Norwegen

Norwegen war zusammen mit Lappland die unerforschteste Region des Nordens, was den wenigen Reisen abenteuerlichen Expeditionscharakter verlieh. Es waren nur wenige gesicherte landeskundliche Kenntnisse vorhanden, weshalb die Verständigung über Norwegen insgesamt kein festes Profil erhielt und widersprüchlich blieb. So bewegt sich das Bild Norwegens in einem Spannungsfeld von Realitätserfahrung und Nordmythos-Rezeption.

Auf ihren Reisen begegnen die Autoren einem armen, wirtschaftlich unterentwickelten Land, hungernder Bevölkerung, mangelnder Hygiene, Krankheiten und Alkoholismus. Da sie jedoch mit dem sich aus dem Nordmythos speisenden >Vorwissen< 8 über Norwegen unterwegs sind, oder wie Mumsen ihr "realitätserschließendes Deutungsmuster" aus der Antike (Intertextualität zu Vergil und Homer) beziehen, findet die Wahrnehmung der Bevölkerung in diametralem Gegensatz zur Realität statt. Leopold von Buch verhält sich als einziger kritisch gegenüber dem Nordmythos und fordert stetigen zivilisatorischen Fortschritt, anstatt von der >natürlichen< Überlegenheit des einfachen Gebirgsbewohners auszugehen. Der Rezeption in Deutschland ist jedoch zu entnehmen, dass überwiegend nicht das mythologisierende Norwegenbild dort ankam, sondern die tatsächlich gemachten Erfahrungen.

Lappland

Über Lappland liegen nur sehr wenige Berichte und Rezensionen vor. Daher lässt sich die postulierte intertextuelle Verflechtung nur ansatzweise erkennen, wie die Autorin selbst bemerkt (S. 313; 332). Von zentraler Bedeutung ist für die Reisenden, ob die Lappen Christen waren oder nicht, denn danach bemisst sich ihr >Kulturstand< (Barbaren, Halbbarbaren oder Hirtenvolk). Hin und wieder wird diskutiert, ob man sie als Art >Wilde< bezeichnen kann, allerdings erscheinen sie dann nicht als Rousseausche >edle Wilde<. Einig ist man sich darüber, dass Erziehung und Bildung – falls überhaupt möglich – vonnöten sind. Nur so kann die Integration in bürgerliche Gemeinschaft entsprechend dem teleologischen Denken der Aufklärung gelingen.

Verständigungsprozess?

"Die im Kontext komplexer kultureller Kontakt- und Transfervorgänge zwischen Deutschland und Skandinavien ablaufende literarische Kommunikation läßt im Medium der deutschen Reiseberichte den Prozeß der Verständigung über die einzelnen skandinavischen Länder aufscheinen" (S. 315), so leitet Regina Hartmann ihre Zusammenfassung ein. In diesem Satz versammeln sich die zentralen Anliegen der Autorin, und ausgehend von ihm sollen einige kritische Punkte angemerkt werden.

  1. "Verständigung über die einzelnen skandinavischen Länder":

    Es erscheint fraglich, ob der Aufbau der Untersuchung, die Ordnung nach den einzelnen Ländern, sinnvoll ist. Dadurch wird ein ausgeprägt thematischer Schwerpunkt gesetzt (im Gegensatz zur theoretischen Ambition des Vorwortes), die Kapitel bestehen häufig aus Aufzählungen, wiederholen sich und sind zum Teil unübersichtlich. Günstiger wäre unter Umständen eine Aufteilung nach Autorengruppen beziehungsweise Interessensfeldern, denn so ließe sich die jeweilige Textstrategie besser ablesen.

    Besonders aussagekräftige Länderspezifika, die eine solche Aufteilung rechtfertigen würden, lassen sich auch nur schwer ausmachen. So beschreibt Regina Hartmann beispielsweise sowohl das Länderprofil Norwegens als auch das Schwedens als widersprüchlich:

    Gehört das eine [Argumentationsmuster] in den [Herkunftsbereich] des stark stereotypisierten >Nord-Mythos<, so ist das andere von einem an Bildungsvermittlung gebundenen Fortschrittsdenken inspiriert. (S. 287)

    , wie sie für Norwegen feststellt; genau die gleiche Konstellation hatte sie zuvor schon für Schweden nachgewiesen.

  2. "Literarische Kommunikation" und "Prozess der Verständigung":

    Wie wird das einleitend dargestellte angestrebte Konzept intertextueller Relationen umgesetzt? Wie die Autorin selbst an einigen Stellen erwähnt, ist die intertextuelle Verflechtung vielfach nur in geringem Umfang erkennbar. Im Grunde lässt sich das theoretische Gebäude nur in Einzelfällen auf sinnvolle Weise anwenden, etwa bei Eck:

    Kein anderer Bericht vor ihm nimmt auf solch exzessive Weise auf Prätexte der Reiseberichterstattung über Schweden Bezug, ganz abgesehen von zahlreichen Fällen intertextueller Beziehungen zu wissenschaftlichen Schriften [...] Schwedens. (S. 218)

    Arndt hingegen entzieht sich bewusst einer Bezugnahme auf Prätexte mit dem Vorhaben, einen >Insiderbericht< über Schweden vorzulegen, was die intertextuelle Verflechtung auf ein Minimum reduziert.

    Die Rezensionen zu einzelnen Reiseberichten, die ja integraler Bestandteil des Verständigungsprozesses sein sollten, werden von Regina Hartmann zwar referiert, an vielen Stellen aber nicht ausgewertet und daher nicht funktionalisiert. Aussagekräftige Ergebnisse oder Bewertungen vermisst man am Schluss. Da das aufklärerische Novitätenprinzip dem Intertextualitätskonzept zugrundegelegt wird, müsste man von einer umfassenden Interaktion der Texte und einer nachvollziehbaren Richtung und Entwicklung des Dialogs ausgehen können. Bereits dies trifft nur in Einzelfällen auf die Texte zu einem bestimmten Land zu; für Gesamtskandinavien ist eine derartig vernetzte Kommunikation nicht in signifikantem Umfang auszumachen. Es wäre dann in Frage zu stellen, in wieweit der Term literarische Kommunikation hier greift.

    Angesichts der Begriffe, die im einleitend zitierten Satz als medialer Operator dienen (Kontext, Kontakt- und Transfervorgang, Kommunikation, Medium, Prozess, Verständigung), erwartet man eine differenzierte Analyse, die im hochkomplexen Feld der Begegnung von Eigenem und Fremdem jederzeit die Subjektivität der (eigenen!) Sprecherposition im Blick behält und reflektiert. Daher ist die Verkürzung des vielversprechenden Theoriekomplexes sowie zentraler Konzepte wie etwa die >Stereotype< in der Analyse etwas enttäuschend. Dies soll aber keinesfalls die Leistung der umfangreichen, gründlichen und kundigen Aufarbeitung des Materials und die innovative Intention ihres Ansatzes schmälern.


Miriam Kauko, M.A.
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Nordische Philologie
Amalienstr. 83
D–80799 München

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Ins Netz gestellt am 02.09.2002
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Anmerkungen

1 "Das hier eingesetzte hermeneutische Intertextualitätskonzept [...] faßt als Intertextualität >Verweise des Folgetextes auf Prätexte, die vom Autor beabsichtigt, im Text markiert und vom Leser im Interesse eines angemessenen Textverständnisses erkannt sein müssen<." Zit. Seite 10 nach: Matias Martínez: "Intertextualität". In: Horst Brunner / Rainer Moritz (Hg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon. Berlin 1997.   zurück

2 Als Beispiel sei der Reisebericht Ecks genannt. Sein Anliegen ist es, "Nutzen [zu] stiften und ... Unterhaltung [zu] gewähren" und nur das zu schreiben, "für dessen Wahrheit" er "die gültigsten Auctoritäten ... im Lande selbst anzuführen im Stande" ist, "manches Neue mitzutheilen und so wenig als möglich schon von andern Reisenden Gesagtes zu wiederholen; wohl aber diese fleißig zu verbessern". Johann Georg Eck: Bemerkungen auf einer Reise nach Schweden im Sommer des Jahres 1801. In: Nordische Blätter (1.Heft) Leipzig 1803, S. 3–30.   zurück

3 In: Herbert Foltinek (Hg.): Tales and "their telling difference". Zur Theorie und Geschichte der Narrativik. Heidelberg 1993, S. 109 ff.   zurück

4 Vgl. z.B. Seumes Bericht über Schweden (S. 184).   zurück

5 Wie etwa bei Lenz und Küttner.   zurück

6 Bei Kerner.   zurück

7 Wie etwa bei Schmidt, der ein Kenner von Goethes "Werther" und Tiecks Novellen war und eine Intertextualität zur schönen Literatur herstellt (S. 159), um den schwedischen Nationalcharakter zu illustrieren.   zurück

8 Hier bedeutet Vorwissen wieder >Ursprünglichkeit< und >Tugendhaftigkeit<. Der norwegische >Nationalcharakter< entspricht dem aufklärerischen Tugendbegriff (>Naturkinder<).   zurück