- Margreth Egidi: Höfische Liebe: Entwürfe der
Sangspruchdichtung. Literarische Verfahrensweisen von Reinmar von Zweter bis
Frauenlob
(GRM Beiheft; 17) Heidelberg: Carl Winter 2002. 415 S. Kart. EUR (D)
50,00.
ISBN 3-8253-1271-2.
Die mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung, vielgescholten als
didaktisch beflissene, haarspalterisch gelehrte Gattung, stand und steht
beinah durchweg im Schatten des Minnesangs. Gegen das Reflexionspotential und
den hohen Formanspruch des Minnelieds ausgespielt, hatte der auf
>bloße Didaktik< einseitig festgelegte Sangspruch keinen guten
Stand. Schon früh sind denn auch Lied und Spruch in eine historisch
falsche Alternative gezwungen worden: in den Gegensatz zwischen einem
emphatischen Begriff von >Dichtung< einerseits und einem reduktiven
Begriff von >Didaxe< anderseits.
Eine entschlossene Kehrtwendung nimmt die an der Freien
Universität Berlin eingereichte Dissertation von Margreth Egidi vor.
Gegenstand ihrer Arbeit ist der höfische Liebesdiskurs in der
Spruchdichtung von Walther von der Vogelweide und Reinmar von Zweter bis
Frauenlob. Statt der thematisch heterogenen mittelhochdeutschen
Spruchdichtung ein geschlossenes, vorab definiertes Minne->Konzept< zu
unterstellen, setzt Margreth Egidi – das ist die alles entscheidende
Blickveränderung – offene, variable, eben: genuin literarische
Entwürfe höfischer Liebe an. Daß sie dabei nicht
autorzentriert argumentiert, sondern von einer sorgfältig aufgebauten
Vergleichskonstellation aus, ist die zweite konzeptionelle Neuerung ihrer
Arbeit und im Rahmen ihres prozeß-, nicht resultatorientierten Ansatzes
nur konsequent. Über eine subtile systematische wie historische
Differenzierung gelingt es ihr, dem Sog der Gattungspolarisierung zu
widerstehen.
Ihre Arbeit verfolgt drei ineinandergreifende Ziele:
- die Bestimmung des Begriffs der >höfischen
Liebe<,
- die Entwicklung einer Gattungspoetik und
- die Entfaltung einer gattungsgeschichtlichen
Perspektive.
Das ist ein anspruchsvolles Programm. Und um es gleich
vorwegzunehmen: Die argumentative Verklammerung der drei genannten
Problembereiche gelingt mit Bravour.
>Höfische Liebe<: ein literarischer Entwurf.
(Segmentierung, Differenzierung)
Ausgangspunkt der Arbeit ist die gattungsübergreifend
ansetzende Überlegung, daß das höfische Reden über Liebe
in verschiedenen >Ausschnitten< realisiert werde, in >Segmenten<,
die in unterschiedlichem Grad gegeneinander ausdifferenziert und auf
verschiedene Weise miteinander verwoben sein könnten (vgl. S. 80).
Arbeitshypothese ist die Annahme einer spruchspezifischen Ausgliederung von
im Lied überwiegend simultan diskutierten Minne-Aspekten. Der Sangspruch
zeige die Tendenz, >Ausschnitte< wie die Minne-Belehrung, das
Räsonnieren über die Entstehung der Minne oder den Frauenpreis zu
isolieren, auch wenn diese dann keineswegs beliebig oder beziehungslos
nebeneinanderstünden.
Auf die Erschließung der für das Thema der
höfischen Liebe im Sangspruch entwickelten "textuellen
Verfahrensweisen und Strukturen" (S. 13) ist das Hauptinteresse der
Arbeit gerichtet. Über eine Beschreibung der historisch spezifischen
Literarizität spätmittelalterlicher Minne- und
Frauenpreis-Sangsprüche will sie dem titelgebenden Phänomen der
>höfischen Liebe< auf die Spur kommen:
Höfische Liebe ist auf der Basis dieser
Vorüberlegungen nicht als feste Größe ante rem zu
begreifen, als mehr oder weniger vollständig vorab definiertes Konzept,
welches die Texte gleichsam generiert, oder als ein der literarischen
Gestaltung vorausliegender >Erfahrungsinhalt<, der in den Texten
>bewältigt< würde. Als genuin literarisches Phänomen
wird sie in ihren spezifischen Sinnakzentuierungen vielmehr in den
Einzeltexten jeweils neu entworfen [...]. (S. 31)
Sangspruchdichtung:
Gattungspoetologische und gattungsgeschichtliche Perspektiven
Kapitel 1 der Arbeit entfaltet den Problemhorizont und gibt
zugleich einen instruktiven Forschungsüberblick.
Besonders ergiebig sind einleitende Überlegungen zur
Relation von Sangspruch und Lied. Diese Überlegungen zu einer historischen Gattungspoetik
bauen zum einen auf Einsichten aus der Spruchdichtung-Forschung auf,
insbesondere auf die wegweisenden Monographien von Karl Stackmann 1 (der schon früh auf die Notwendigkeit
einer gattungsgeschichtlichen Perspektive hingewiesen hat), Burghart
Wachinger 2 und Christoph Huber. 3 Zum andern greifen sie Ergebnisse der
Minnesangforschung auf, die für den Kontext der Spruchdichtung mit
Gewinn weitergedacht werden. Wohltuend sachlich ist die Forschung diskutiert.
Schritt für Schritt entwickelt Margreth Egidi ein historisch flexibel
angesetztes Gattungsmodell, das produktions- wie rezeptionsseitig relevante
Kriterien gleichermaßen berücksichtigt, bis zum Schluß der
Blick frei wird für Gattungsinterferenzen, für Experimente mit der
Gattungsgrenze:
Die Historisierung des Gattungsbegriffs erlaubt es,
an der Unterscheidbarkeit der beiden Gattungen [= Lied und Spruch] im Sinne
der Differenzierung zwischen unterschiedlichen Erwartungshaltungen
festzuhalten, ohne die Experimente mit der Gattungsdifferenz, die sich gerade
im 13. Jahrhundert häufen, marginalisieren zu müssen. (S. 46)
Als methodische Konsequenz dieser Vorüberlegungen ergibt
sich die Notwendigkeit, flexible, zugleich distinkte Kategorien zu entwerfen,
eine "variable Rahmenstruktur nicht fixierter Relationen" (S. 80),
mit deren Hilfe das Phänomen der >Höfischen Liebe< im
Sangspruch präziser greifbar werden kann. Unter diesen variablen
Relationen rückt Egidi vor allem die Kategorien >Innen< und
>Außen< nach vorne, gefolgt von einer Reihe gezielt allgemein
gehaltener Wert-Kategorien, mit denen die höfische Liebe –
genauer: verschiedene Ausschnitte höfischen Redens über die Liebe
– aus verschiedenen Richtungen je neu in der Sangspruchdichtung
verhandelt werde.
Für die sich anschließenden Textanalysen
wählt die Verfasserin eine Anordnung nach Themenkreisen. Sie stellt ihr
Ensemble von drei die Gattung Sangspruch dominierenden Ausschnitten aus dem
höfischen Liebesdiskurs ausführlich vor:
- Minne-Belehrung,
- Räsonnieren über die Entstehung der Minne,
- Frauenpreis
Diesen Segmenten entsprächen drei in der Regel
übergängige, selten in Reinform auftretende >Spruchtypen<, die
in den folgenden drei Kapiteln nun präsentiert werden, jeweils
zweigeteilt in die Bereiche >"vor Frauenlob" / Frauenlob<,
insgesamt also im historischen Überblick von Reinmar von Zweter bis
Frauenlob. Auf adhortative Minnesprüche (Kapitel 2, Ermahnung im
Minnespruch) folgen Sprüche zur Beschreibung der Minne als Agens
und des Minneprozesses (Kapitel 3), schließlich das mit über
einhundertfünfzig Seiten umfänglichste Kapitel 4 zum Frauenpreis
im Sangspruch.
Im souveränen vergleichenden Zugriff, ebenso textnah wie
theorieoffen, arbeitet Margreth Egidi den Kunstcharakter der Texte und die
verschiedenen literarischen Entwürfe höfischer Liebe Zug um Zug
heraus.
Ermahnung im Minnespruch
(Kapitel 2)
Die Thematik der Liebe ist das bevorzugte Paradigma der
höfischen Literatur. An das >Kunst<-Thema spezifisch gekoppelt, zielt
es im Sinne der Leitdifferenz >höfisch< / >unhöfisch<
darauf, einen umfassenden Exklusivitätsanspruch herzustellen, und hat
auf diese Weise – als Doppelthema >Liebe-Kunst< – am
Vorgang der Institutionalisierung des Höfischen entscheidenden Anteil.
Über exemplarische Textanalysen ermittelt Egidi in
Kapitel 2 die "zur Differenzierung, Präzisierung und
Vereindeutigung" der höfischen Liebe eingesetzten
"literarischen Verfahrensweisen" (S. 84), Kriterien also, die mit
einer charakteristischen Orientierung an Wertoppositionen (>richtig /
falsch<) eben jenes übergreifende Ziel einer Präzisierung der
Grenze zwischen >höfisch< und >unhöfisch< verfolgen.
Als Ergebnis der vergleichenden Analysen von Sprüchen
aus der Zeit vor Frauenlob läßt sich festhalten: Selbst dort, wo
höfische Liebe ausdrücklich Gegenstand adhortativer Rede ist, wird
eine Offenheit der Liebesmodelle erkennbar. Sie hängt mit der
semantischen Offenheit leitender Wertbegriffe wie triuwe, staete,
zuht zusammen, unspezifisch gehaltener Wertoppositionen, deren
Abstraktionsgrad so hoch ist, daß sich ohne weiteres Bezüge zur
geistlichen Morallehre einstellen können (ob in jedem Fall
"Analogien", sei dahingestellt; dazu unten). Aufgrund einer
spezifischen Dynamik von Metaphern und Begriffen ergeben sich selbst hier, im
primär didaktisch orientierten, an scharfer Konturierung und
Systematisierung interessierten Modelltyp, überraschend flexible
Minne-Entwürfe.
Für den zweiten, Frauenlob gewidmeten Teil hält
Egidi als Ergebnis eine Komplexitätssteigerung fest:
Frauenlob-spezifisch sei eine überaus subtile Differenzierung und
Neukombination der (alten) Segmente. Vor allem die Relationen >Innen<
und >Außen< erreichten durch Mehrfach-Verknüpfungen und
Begriffs-Aufspaltungen bei Frauenlob eine neue Qualität, einen bislang
nicht gekannten Abstraktionsgrad.
Beschreibung der Minne als Agens und des Minneprozesses
(Kapitel 3)
Kapitel 3 gilt Strophen, die die Minne als überpersonale
Instanz überwiegend wertfrei beschreiben, auf ihre
Selbstwidersprüchlichkeit und unaufgelöste Ambivalenz zielend. Hier
sind die Egidis Argumentation tragenden Relationen >Einheit< /
>Gleichheit< und >Unterschiedenheit< / >Ungleichheit<.
Für Frauenlob registriert die Verfasserin erneut eine
Komplexitätssteigerung und dynamische Auffächerung des
Minneprozesses, mit der die genannten Relationen weder gegen- noch
übergeordnet, aber trotzdem nicht willkürlich nebeneinander gesetzt
würden (eine Verselbständigung der agierenden Instanzen, eine
gesteigert abstrakte, unaufgelöst widersprüchliche
Innenraumdarstellung). Wie diese von einem komplexen Ineinander implikativer
und explikativer Äußerungen herrührende Text-Ambivalenz
entfaltet wird, die "doppelte Logik von hierarchisierender Wertung und
nicht-hierarchisierender Auffächerung" (S. 334), gehört in
meinen Augen zu den glänzendsten Partien des Buches.
Frauenpreis im Sangspruch (Kapitel 4)
Kapitel 4 schließlich widmet sich Frauenpreisstrophen.
Es richtet den Blick vor allem auf die "Selbstreferentialität des
Preises, der stets ausdrücklich oder implizit fragt, warum die Frauen zu
loben sind, mithin seine eigene Begründung anzugeben sucht und sich
selbst zum Gegenstand macht" (S. 84 f.).
Im Blick auf die Frauenpreisstrophen sei das
Frauenlob-Spezifische eine Verdichtung von Vernetzungstechniken und –
wieder – eine Differenzierung (ein Lieblingswort der Arbeit), die keine
Rangordnung thematisch mache. "Es handelt sich um zwei quer zueinander
stehende Ordnungsmuster (die gleichordnende, reihende Differenzierung und die
wertende Stufung), die miteinander verschränkt sind" (S. 259). Das
dem sogenannten >wîp-vrouwe-Streit< (S. 245–337) gewidmete
Teilkapitel ist das Herzstück des Buches. Sorgfältig werden
für die berühmten, in der Tradition der literarischen Polemik der
Berufsmeister stehenden Spruchreihen spezielle Techniken metaphorischer,
anaphorischer und explizit-argumentativer Vernetzung herausgearbeitet, eine
Frauenlob-spezifische "kontextuelle Einbindung wiederkehrender
Zentralbegriffe" (S. 231), die ohne Parallele in der volkssprachlichen
Literatur der Zeit sei.
Den Abschluß des Buches bilden
Überlegungen zum performativen Prozeß
und zur Aufführung von Sangspruchstrophen in Kapitel 5, das die in
der Minnesang-Forschung sehr weit fortgeschrittene Performanz-Diskussion
für die Sangspruchdichtung aufgreift 4
und mit Gewinn weiterdenkt.
Ergebnisse und kritische Fragen
Die Arbeit besticht durch ihre dichte, ganz den
Einzelproblemen hingegebene Argumentation. Die reichen Ergebnisse verdanken
sich der Tatsache, daß Egidi, sich ausdrücklich lösend von
Ausnahmegestalten wie Walther oder Frauenlob, die Texte nicht monadisch
behandelt, außerdem distinkte Kategorien bereitstellt, mit deren Hilfe
sie klar profilierte Typen vorstellen kann, ohne sie als starres Schema zu
handhaben. Durch flexible Auffächerung der Kategorien kann auf diese
Weise die Wandlungs- und Assimliationsfähigkeit der Spruchdichtung
sichtbar werden. Von hier aus fällt auch auf die Übergangsstellen
(Wechselwirkungen, Rückkopplungen) von Spruch und Lied immer wieder
überraschend neues Licht. Diese Gattungsinterferenzen, in der Arbeit nur
am Rand erwähnt, sind jetzt, auf der Basis ihrer Überlegungen, neu
interpretationsfähig.
Angesichts der gerade bei Frauenlob hochkomplizierten
Gedanken- und Bildlogik der Texte hätte man eine dem Abdruck der
mittelhochdeutschen Texte zur Seite gestellte neuhochdeutsche
Übersetzung begrüßt. Freilich sind in den Anmerkungen
besonders intrikate Stellen herausgegriffen und durchaus übersetzt.
Eine Tendenz zur Überdokumentation der
Untersuchungsschritte führt vor allem am Schluß, ab S. 334 ff., zu
einem regelrechten Stau von Zusammenfassungen (Fazit des Unterkapitels, dann
des Haupt-Kapitels, dazu noch eine kapitelübergreifende
Zusammenfassung der Ergebnisse). Auch die vielzitierte
>Gerüststruktur< der Strophe steht manchmal allzu nackt da. Die Formulierungen sind überaus komplex, manche so
komplex, daß die Texte von der argumentativen Rationalität
überwuchert wirken, auf eine Weise, daß es uns beinah vergessen
machen könnte, daß die Rationalität der Forschung und
Wissenschaft eine andere ist als die der Literatur. 5 Besonders bei der Analyse eher anspruchsloserer Strophen
realisiert man erst retrospektiv, in welchem Ausmaß in dieser Arbeit
die Grenzen zwischen Komplexität als Analysekategorie und
Komplexität als Textkategorie fließend werden. Die Texte werden zu
>Strategien<, >Problemfeldern<, >Thematisierungen<. Doch auch wenn
das Bemühen um theoretische Durchdringung bisweilen überintensiv
wird: Die durchgehend angestrebte Textnähe der Argumentation
läßt uns im richtigen Augenblick die Ermüdung an der
Abstraktion überwinden.
Das angespannte Nachdenken, die unbeirrte Konsequenz, mit der
die eigenen Denkschritte formalisiert werden, fordern die Anstrengung und
Geduld des Lesers, der aber reich belohnt wird.
Der Gewinn ist ein mehrfacher
Zum einen schärft die Arbeit unseren Blick für die
Eigengesetzlichkeit der ästhetischen Strukturen im Sangspruch. Zum
zweiten, aufgrund der klug gewählten Vergleichskonstellation,
schärft sie unseren Blick für Autorprofile.
Das gilt vor allem für Frauenlobs Liebesentwurf und
seine Poetik: für seine ingeniöse Metaphernkunst (die nicht
Selbstzweck ist, sondern stets Teil eines Arguments) und für die von ihm
sehr weit getriebene Aspektdifferenzierung und Aufspaltung von Begriffen. Die
Schärfung des Autorprofils im Falle Frauenlob gelingt ihr vor allem
dadurch, daß sie der von der Frauenlobforschung geleisteten
gründlichen Aufarbeitung der Rezeption gelehrt-lateinischen
(naturphilosophischem, medizinischem) Schrifttums eine entsprechende
Untersuchung seiner Einbindung in volkssprachliche Traditionen zur Seite
stellt. Die religiösen, kosmologischen und
sexualphysiologisch-medizinischen Dimensionen von Frauenlobs Liebesentwurf
werden von ihr zusammengeführt, ohne daß den Texten ein
vorgängiges, substanzhaft gedachtes Minne->System< abgepresst
würde. Durchweg, für alle drei Untersuchungsfelder (Spruchtypen)
der Kapitel 2 bis 4, ergibt sich für Frauenlob ein gesteigerter
Abstraktionsgrad und ein in seiner volkssprachlichen literarischen Umgebung
unbekannter >theoretischer Anspruch<.
Zum Problem religiöser Anspielungen
Ein Punkt in dieser Arbeit hat mir nicht eingeleuchtet. Er
betrifft die Interpretation religiöser Implikationen.
Religiöse Anspielungen im Sangspruch werden von Margreth Egidi 6 autorübergreifend auf eine
formal-strukturelle Analogie pauschal festgelegt. Sie gelten ihr durchweg als
bloß "sprachlich-formale Identität" bei
"inhaltlicher Differenz". Diese Einschätzung überrascht
in einer Arbeit, die die Form-Inhalt-Aspekte so eng zusammendenkt und ihre
Argumentation gerade auf der Einsicht aufruhen läßt,
"daß Sprachgestalt und propositionaler Gehalt keine voneinander
unabhängigen Größen darstellen" (S. 30).
Selbstverständlich ist der >falsch Liebende< nicht
der >Sünder< (S. 92 f.), selbstverständlich verstellen
eindimensional-inhaltlich argumentierende, suggestiv teleologische Modelle
(Säkularisierung, Spiritualisierung) den Blick. Trotzdem sind auch
Relationen von geistlichem und weltlichem Bereich denkbar, die nicht im
analogen Bezug aufgehen und gleichwohl nicht die Grenze zwischen
>geistlich< und >weltlich< auflösen, beispielsweise
Metaphern. Metaphern sind unabsehbar zwischen identifizierender und
analogisierender Rede angesiedelt. Deswegen funktioniert nach meiner Ansicht
Egidis These zwar beim >mariologischen Argument< (S. 202 ff.), nicht
aber bei den irreduzibel zwischen implikativer und explikativer Rede
situierten >mariologischen Metaphern< (S. 189 ff.).
7 Es dürfte ratsam sein, beides
auseinanderzuhalten.
Besonders problematisch wird diese
durchweg als "sprachlich-formale Analogiesetzung" von weltlicher
und geistlicher Sinnsphäre gefaßte Einschätzung der
religiösen Anspielungen im Blick auf Frauenlob, der mit seiner
Geistliches und Weltliches verschränkenden Metaphernkunst 8 für das Problem der Unlösbarkeit der
Ursachenfrage der Liebe, für die Darstellung ihrer Unvorhersehbarkeit
und Unverständlichkeit eine ganz eigene Antwort gefunden hat.
Deshalb habe ich auch Schwierigkeiten mit der Konsequenz
ihrer Deutung. Unbestritten sind religiöse Anspielungen nicht pauschal
auf einen religiösen >Sinn< festlegbar. Aber daß
religiöse und höfische Wertvorstellungen in jedem Fall
"vollständig integriert" würden (z.B. S. 208), daß
durchgängig auch für Frauenlob von einer "Integration der
Referenz auf den religiösen Sinnbereich in den höfischen
Preis" gesprochen werden kann (S. 231 und S. 234), qua formal-analoger
Verwendung, möchte ich bezweifeln. Die von Egidi in ihrer Arbeit
glänzend gezeigte Ausdifferenzierung und Vernetzung verschiedener
Minneaspekte, bewirkt sie tatsächlich eine "Integration" von
höfisch-weltlichen und geistlichen Begründungsmustern? Beide
scheinen mir keineswegs unproblematisch ineinander übersetzbar.
Strenggenommen widerspricht die Verfasserin sich mit dieser Konsequenz
selbst, arbeitet sie doch gerade die irritierende Gleichzeitigkeit von
Begriffshierarchisierung und konstitutiver Offenheit einzelner Aussagen und
Begriffe heraus.
Eine letzte Irritation betrifft nur ein Detail: Egidi spricht
angesichts einer Strophe Reinmars von Zweter von einer "prinzipiell
restlosen Übersetzbarkeit der Ich-Aussagen ins Allgemeine" (S.
201). Sie möchte ich entschieden bestreiten. 9 Das Gegenteil ist doch der Fall: Ich-Aussagen
sind nie restlos in allgemeine Aussagen übersetzbar. Anonyme
Vorgänge (>man<, >jeder der<) können zwar eine eigene Evidenz
beanspruchen, etwa die des Sprichwörtlichen, doch ist ihr gegenüber
die Evidenz der ersten Person von grundsätzlich anderer Qualität.
Soweit ein paar Fragezeichen, die angesichts der gedanklichen
Stringenz der Arbeit kaum ins Gewicht fallen.
Fazit
Die Dissertation von Margreth Egidi ist ein Meisterstück
gedanklicher und sprachlicher Differenzierung. Man wird in diesem Buch, das
eine ganze Reihe schwieriger Fragen stellt, keine einzige plakativ einfache
Antwort finden. Das hohe Maß an Selbstreflexion und kritischer
Anstrengung, die unabhängige Denkweise und analytische Fähigkeit
sind imponierend. Methodisch reflektiert und textphilologisch gewissenhaft,
bewältigt diese Arbeit gleich mehrere Kunststücke gleichzeitig.
- Zum einen gelingt ihr, aus dem Gegensatz
>traditionell-innovativ< herauszuspringen zugunsten eines dialektischen
Traditionsbezugs. Die durchweg komparatistisch angelegten Analysen
führen zu einer Neupositionierung der mittelhochdeutschen
Sangspruchdichtung.
- Zweitens gelingt es ihr, den
gattungsübergreifend wirksamen Gegensatz >Reflexion< (Minnesang) –
>bloße Didaxe< (Sangspruch) zu verabschieden – einen
Gegensatz, der meist einen Form-Inhalt-Dualismus mittransportiert –,
zugunsten eines relationalen, mehrschichtigen Modells je spezifisch
ineinandergreifender >Segmente< des Redens über höfische
Liebe.
- Auch wenn ich den Analogie-Begriff, wie oben
erläutert, nicht in jedem Fall für angebracht halte, gelingt es ihr
drittens musterhaft, das schwierige Zusammenspiel von konnotativer und
denotativer Ebene sichtbar zu machen, die von metaphorischen und
explizit-argumentativen Verknüpfungsmustern bestimmte Logik der
sprachlichen Organisation.
Wir haben es mit einer besonderen Leistung gegenüber
einer höchst anspruchsvollen Materie zu tun, einem komplexen,
gattungsgeschichtlich, diskursanalytisch und poetologisch argumentierenden
Neuansatz, der unser Verständnis der mittelhochdeutschen
Sangspruchdichtung entscheidend voranbringt, durch genaue Lektüre und
eine geradezu leidenschaftliche Präzision.
PD Dr. Susanne Köbele
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
D-80799 München
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Ins Netz gestellt am 18.02.2003
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Anmerkungen
1 Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln.
Vorstudien zur Erkenntnis seiner Individualität (Probleme der Dichtung.
Studien zur deutschen Literaturgeschiche 3) Heidelberg 1958. zurück
2 Untersuchungen zur Spruchdichtung des 13.
Jahrhunderts (MTU 42) München 1973. zurück
3 Wort sint der dinge zeichen.
Untersuchungen zum Sprachdenken der mittelhochdeutschen Spruchdichtung bis
Frauenlob (MTU 64) München 1977. zurück
4 Insbesondere Überlegungen von Jan-Dirk
Müller und Peter Strohschneider (S. 349–356, vgl. auch S. 15–32).
zurück
5 Nur ein Beispiel: "Auch er [Frauenlob]
entwickelt das Disziplinierungspostulat ausgehend von der Option der
Übereinstimmung zwischen Innen und Außen und leitet aus ihr einen
Konnex ab zwischen der Lesbarkeit der Gebärde als Prämisse und der
gebotenen Disziplinierung des Gefühls als Konsequenz" (S.
125). zurück
6 Im Ausgang von Hugo Kuhn, der die Relation
von zwischen Minnedienst und Gottesdienst in höfischer Literatur als
"formal-strukturelle Analogie" faßt, als "Analogie der
Vollzugsformen": Zur inneren Form des Minnesangs, in: Hans Fromm (Hg.):
Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung (WdF 15) (1.
Aufl. 1961) 5. Aufl. Darmstadt 1972, S. 167–179, bes. S. 175–177.
zurück
7 Vgl. die Interpretation einer Strophe
Reinmars von Zweter (S. 147, wieder S. 189 ff.). Hier wird angesichts einer
mariologisch konnotierten Metapher für die inkommensurable craft
der Minne von "Analogiesetzung" gesprochen: "eine Entsprechung
der Struktur und Sprachgebung, nicht der Inhalte": "Die Metapher
erfaßt die craft der Minne und das von ihr bewirkte Geschehen
analog zur religiösen Nutzung des Bildes als dem menschlichen Verstehen
unzugängliches Heilsgeschehen" (S. 147). Doppelt irritierend finde
ich Formulierungen wie "analoge Konnotationen" (S. 164) oder
umgekehrt "konnotativer Analogiesetzung" (S. 189 und S. 245). Für
mich ist dieser Gebrauch des Analogiebegriffs
gewöhnungsbedürftig. zurück
8 Susanne Köbele: Umbesetzungen. Zur
Liebessprache in Liedern Frauenlobs, in: Christoph Huber / Burghart Wachinger
/ Hans-Joachim Ziegeler (Hgg.): Geistliches in weltlicher und Weltliches in
geistlicher Literatur des Mittelalters. Tübingen 2000, S. 213–235;
dies.: Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarhistorischen
Standortbestimmung (Bibl. Germ.) [im Druck]. zurück
9 Vgl. die sprachphilosophisch /
sprachanalytisch längst etablierte Einsicht in eine spezifische
>Evidenz der ersten Person<; repräsentativ dazu der von Manfred Frank
herausgegebene Sammelband >Analytische Theorien des
Selbstbewußtseins< (stw 1151) 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1996.
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