Lederle über Freller: Malta und die Johanniter

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Julia Lederle

Vom Bollwerk im Mittelmeer
zum Mikrokosmos Europas
– Malta und die Johanniter

  • Thomas Freller: The Epitome of Europe. Das Bild Maltas und des Ordensstaates der Johanniter in der Reiseliteratur der Frühen Neuzeit (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 8) Frankfurt / M.: Peter Lang 2002. XVI, 974 S. Paperback. EUR (D) 101, 20.
    ISBN 3-631-38618-4.


Der Ritterliche Orden Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem, im 12. Jahrhundert entstanden in der Kreuzzugsbewegung, wandelte sich früh von einer Hospitalbruderschaft zu einem militärischen Ritterorden mit aristokratisch-elitären Mitgliedern aus ganz Europa. Die Johanniter breiteten sich rasch über das Heilige Land hinaus aus und verfügten bald über reiche Besitztümer besonders im Mittelmeerraum: Zu Beginn des 14. Jahrhunderts eroberte der Johanniterorden Rhodos, wo er seinen souveränen Ritterstaat begründete und nicht zuletzt dank des Verbots des Templerordens von 1312 weiter an Macht gewann. Nach dem Verlust von Rhodos im Jahr 1522 residierte der Orden seit 1530 bis zu seinem Verbot im Jahr 1798 auf Malta.

Thomas Freller präsentiert mit der zweibändigen Publikation seiner im Jahr 2000 eingereichten Dissertation mit einem Gesamtvolumen von knapp 1000 Seiten eine Untersuchung zum Bild Maltas und seines Ritterordens in der Reiseliteratur der Frühen Neuzeit. Er liegt damit im Forschungstrend der Beschäftigung mit geistlichen Ritterorden. 1 Freller, von 1995–1999 Dozent für German Studies an der University of Malta und Autor weiterer Veröffentlichungen über die Geschichte Maltas und des Johanniterordens, hat es sich hier zum Ziel gesetzt, mittels eines interdisziplinären Ansatzes die Methoden seiner literaturwissenschaftlichen und historischen Studienfächer zu vereinen und die Entwicklung des zeitgenössischen Bildes von Malta, das durch das Auftreten des Johanniterordens geprägt wurde, herauszuarbeiten.

Sein Anspruch auf eine umfassende Erschließung des Themas führt dazu, dass er Literatur- und Ordensgeschichte mit baugeschichtlichen, staats- sowie reisetheoretischen Aspekten ebenso wie mit der Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte verknüpft und damit eine vielseitige Studie präsentiert, um das bis dato in der Forschung wenig behandelte Phänomen europäischer Reisen nach Malta und der aus ihnen entstandenen Reiseliteratur systematisch und umfassend zu analysieren. Der Autor wird seinem Anliegen gerecht: Es gelingt ihm, mit Hilfe zahlreicher bisher wenig beachteter Quellen den Zusammenhang von Reisetheorie, Art der Reisen sowie des dargestellten Bildes von Malta und seiner Bewohner vom 16. bis zum 18. Jahrhundert herzustellen.

Apodemiken, Reiseberichte
und Reisetagebücher im Spiegel
der Kulturgeschichte

Mit Hilfe einer enormen Quellenbasis, wobei der Schwerpunkt deutlich auf die gedruckte Reiseliteratur gelegt wird, und mit Hilfe detaillierter Quellenanalyse sucht Freller dem von ihm gewählten umfangreichen Ansatz gerecht zu werden. Einführend skizziert er zunächst die allgemeine Bedeutung der frühneuzeitlichen Reiseliteratur, wobei er sich, ohne sich dessen bewusst zu sein, ausschließlich auf europäische Quellen bezieht und somit den Blickwinkel der islamischen Welt ausgeblendet lässt. Den Schwerpunkt der ausgewählten Quellen stellen Apodemiken und als vom Autor als besonders autoptisch erachtete Reiseberichte sowie Reisetagebücher dar. Die Auswahl seiner Quellen stützt Freller ferner auf historische, geographische sowie auch unbekümmert – und damit durchaus auch im Trend der jüngeren historischen Forschung – auf fiktive Literatur und Bildmedien.

Mit Hilfe der Kombination seiner hauptsächlich literaturwissenschaftlichen Vorgehensweise mit kulturwissenschaftlichen und geschichtswissenschaftlichen Methoden (ein Ansatz, der nicht ganz so neuartig ist, wie Freller suggeriert), folgt er dem Grundsatz Peter J. Brenners, angesichts der Vielseitigkeit der Erscheinungsformen von Reiseliteratur, die interdisziplinäre Forschung in inhaltlicher und methodischer Hinsicht zum Zuge kommen zu lassen. 2 So gelingt es dem Autor, zu neuen Erkenntnissen zu gelangen und zum Beispiel – als eines der zahlreichen Forschungsergebnisse – Quellen, die bis dato für authentisch gehalten wurden, als fiktiv zu entlarven.

Die Fremdwahrnehmung

Einem weiteren lang anhaltenden Trend der Forschung folgend, bedient sich Freller auch der Forschungsperspektive zur Hermeneutik des Fremden. Untersuchungen hierzu sind entweder theoretisch-systematisch oder mehr fallspezifisch an der Untersuchung der Folgen der Reisen von Europäern für die Auffassung vom Neuentdeckten orientiert. Zu ersterer Kategorie gehört die beliebte Beschäftigung mit den "images", den Bildern vom anderen Land, die erstmals in der vergleichenden Literaturwissenschaft Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Letztere konzentriert sich auf einen bestimmten Raum zum Beispiel geographischer oder zeitlicher Natur. Während früher gern die Erlebnisse einzelner Reisender untersucht wurden, hält heute der Trend von der Suche nach Zusammenhängen an.

Freller jedoch wählt nicht den einen oder anderen Ansatz, sondern versucht, sämtliche zu kombinieren: Er geht ebenso theoretisch-systematisch vor, indem er die Entwicklung der europäischen Reiseliteratur der Frühen Neuzeit akribisch am Beispiel Maltas nachzeichnet, präsentiert zahlreiche einzelne Fallstudien, hat sowohl einen festen geographischen als auch zeitlichen Rahmen gewählt und er beschäftigt sich mit dem "Bild" Maltas und des Ordensstaats: so zum Beispiel im Kontext der frühneuzeitlichen Gelehrtenreise und der Fremdwahrnehmung
(S. 289 ff.), wo er nachzeichnet, wie im Verlauf des 17. Jahrhunderts zuvor von Reisenden metaphysisch erklärte >Naturwunder< der Insel nun zunehmend wissenschaftlich erklärt werden; anschließend stellt er diese beobachtete Entwicklung in den Kontext der europäischen Geistesgeschichte.

Auch seine Untersuchung der Wahrnehmung der Kultur Maltas im Zusammenhang der maltesischen Identität zeugen von diesem xenologisch motivierten Ansatz
(S. 743 ff.). Allerdings zeigt sich, dass Frellers Umgang mit dem Begriff "Fremdwahrnehmung" wenig spezifisch ist und er ihn in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, ohne ihn zum wirklichen Untersuchungsschwerpunkt werden zu lassen.

Der Wandel der Wahrnehmung Maltas
vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

Der Autor baut die Studie chronologisch auf und demonstriert die Wandlung der Wahrnehmung des in Europa fast unbekannten Maltas seit dem Eintreffen des Ordens. Weder die Darstellung der Einschätzung Maltas seitens der Europäer, noch die ideologische Selbstpräsentation des Ordens sind in diesem Teil des Werkes unterrepräsentiert. Gemäß des gewählten interdisziplinären Ansatzes stammen die das Werk gliedernden chronologischen Benennungen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, was einerseits den jeweiligen Fokus auf Teilbereiche erlaubt, andererseits aber auch zu Unschärfen führt: Werden zum Beispiel >Humanismus< und >Gegenreformation< als beeinflussende Strömungen genannt, müsste auch von >Reformation< und im Kontext eines katholischen Ritterordens vom Fachterminus der >Katholischen Reform< die Rede sein.

Und der von Freller verwendete Terminus und Gliederungspunkt >Barock<, meist im kunsthistorischen und literaturwissenschaftlichen Kontext benutzt, eignet sich zwar gut, um die reiche und prächtige Zeit des Ordens zusammenzufassen und zu schildern; doch warum wird dann das große vierte Kapitel und einziges des zweiten Bandes nur mit "Das 18. Jahrhundert" übertitelt, ohne dass Termini wie >Rokoko<, >Absolutismus< oder >Aufklärung< als spezifischere Epochengliederungspunkte Verwendung finden?

Vielleicht liegt darin aber auch gerade eine der Stärken Frellers, der auf diese Weise unbekümmert seine jeweilen Schwerpunkte ausbauen und präsentieren kann. Denn das Forschungsziel der Studie ist im mehrfachen Sinne umfassend angelegt. So betrachtet der Autor so unterschiedliche Quellen wie das englische Drama, Unterlagen der Inquisition oder Kunst und Ikonographie. In der Analyse der Autorengruppen nimmt er sowohl den Pilger als auch den Kaufmann, den Soldaten und den Freimaurer als Berichterstatter in den Blick. Zudem analysiert Freller in seinen Fallbeispielen Begegnungsmuster verschiedener Gruppen auf Malta und beschriebene Transfersysteme im Mittelmeerraum.

Mit der Ordensgeschichte der Johanniter setzt sich Freller kenntnisreich auseinander und vermag durch sein Quellenstudium darzustellen, dass der Orden, trotz der zunehmenden aufklärerischen Kritik der Europäer an der katholischen Kirche und ihren Orden lange Zeit von seinem hohen Ansehen zehrte. Er liefert damit wichtige Erkenntnisse für die gerade vermehrt einsetzende Forschung zur Geschichte der katholischen Orden gerade im 18. Jahrhundert. Während ebenfalls elitär ausgerichtete Orden – wie zum Beispiel der der Jesuiten im 18. Jahrhundert – sich um Mitglieder, die in die Missionen gehen sollten, verstärkt bemühen mussten, waren die Johanniter deutlicher und länger ein prestigeträchtiger Anlaufpunkt für adelige nachgeborene Söhne.

Freller zeichnet nach, wie Malta vom Ruhm des Ordens zehrte, bis die volkswirtschaftliche Untätigkeit des Ordens mit Produktivität und Wirtschaftskraft der maltesischen Inseln verglichen und kritisiert wurde (S. 843). Kritik am geringen volkswirtschaftlichen Nutzen der Orden war typisch für das aufgeklärte und merkantil orientierte Europa, doch auch das Gegenteil, wie die Unterstellung großer merkantiler Erfolge, konnte einem Orden, wie im Fall der Jesuiten, zum Verhängnis werden. Im Fall der Johanniter war es ihre souveräne Staatsmacht, aufgebaut auf den Idealen des Adels, die nach der Französischen Revolution überholt war und ihre Auflösung bewirkte.

Freller hat nicht die Absicht, eine aktualisierte Geschichte Maltas oder des Johanniterordens vorzulegen. Er bündelt vielmehr in dieser Dissertation verschiedene Stränge der literaturwissenschaftlichen und historischen Forschung und bietet so mit dieser umfassenden Monographie eine breite Basis für die Reiseliteraturforschung im Mittelmeerraum.

Der Autor verklammert die Tätigkeit des Ordens im 18. Jahrhundert mit seiner mittelalterlichen Vorgeschichte und frühneuzeitlichen Formation auf Rhodos und entwickelt daraus eine Darstellung des Bildes, das Europa von Insel und Orden hatte. Freller sucht die Entwicklung dieses Bildes von einer afrikanischen Insel über den gegen den Islam schützenden europäischen militärischen Außenposten bis hin zu dem nachzuzeichnen, was er – im Titel dem Reisenden Patrick Brydone 3 folgend – "Epitome of Europe" nennt und als europäischen Mikrokosmos definiert.

Fazit

Frellers Dissertation ist eine in dieser Form bislang einzigartige Studie zu Wirkung und Darstellung eines Ordens innerhalb eines bestimmten geographischen Raums. Der Autor hat die Möglichkeit genutzt, innerhalb des multinationalen und multireligiösen Kontexts Maltas und des Ordens zum Beispiel überkonfessionelle Strukturen aufzuzeigen, Netzwerke nachzuvollziehen, das europäische Bild des Ritters oder Kavaliers zu relativieren oder politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Verknüpfungen der Europäer mit islamischen Nationen aufzuzeigen und somit die oft schablonenhafte Haltung der Forschung zur europäischen >Türkenfurcht< und den Johannitern als Bollwerk gegen den Islam auszudifferenzieren.

Die Detailfülle macht die Studie Frellers zu keinem gefälligen Lesevergnügen. Vielmehr steht akribische und umfangreiche Durchleuchtung des Themas im Vordergrund. So ist es dem Autor gelungen, zahlreiche Aspekte seines Themas unter neuen Gesichtspunkten zu untersuchen und kenntnisreich zu präsentieren. Die komplexe Fragestellung und der große Untersuchungszeitraum haben zu einem Werk geführt, das für viele Bereiche der Forschung über die Reiseberichte der Frühen Neuzeit, die Bedeutung des Mittelmeerraums und die Wirkungsgeschichte des Johanniterordens Bereicherung und Anregung bietet. Mittels seines Blickwinkels kann Freller die Darstellung eines komplexen Beeinflussungsgeflechts von Reisen, Literatur und Gesellschaftsphänomenen bieten und erstmals die Dimension der Reisen nach Malta in der gesamten Frühen Neuzeit verdeutlichen.

Die Geschichte und die Wirkungsweise der europäischen Orden werden in jüngster Zeit wieder vermehrt zum Forschungsgegenstand. Ein Ansatz, wie Freller ihn hier bietet, wurde jedoch bis dato nicht gewählt und könnte doch, wie der Autor gezeigt hat, durch die interdisziplinäre Erschließung neuer Kontexte erweiterte Erkenntnisse hervorbringen. Thomas Freller hat mit seinem facettenreichen Basiswerk über das Bild Maltas und des Johanniterordens eine reichhaltige Untersuchung vorgelegt, die nun auch Malta und seinen Ritterorden deutlich in die Reiseliteraturforschung der Frühen Neuzeit integriert hat.


Julia Lederle M. A.
Archivschule Marburg
Bismarckstr. 32
D-35037 Marburg

Europäisches Hochschulinstitut Florenz
Department of History and Civilization
Via Boccaccio 121
I-50133 Firenze

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Ins Netz gestellt am 30.08.2003
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Anmerkungen

1 Vgl. dazu Alain Blondy: L'Ordre de Malte au 18ième siècle. Des dernières splendeurs à la ruine. Paris: Editions Bouchène 2002; und Alain Demurger: Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden. München: Beck 2003.   zurück

2 Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur: Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte (IASL,
Sonderheft 2) Tübingen: Niemeyer, 1990, S. 2.   zurück

3 Patrick Brydone: A Tour through Sicily and Malta. 2 Bde. London 1773.   zurück