Leibetseder über Matheus: Badeorte und Bäderreisen

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Mathis Leibetseder

Baden gegangen?
Einblicke in zwei Jahrtausende
europäischer Bade- und Bäderkultur

  • Michael Matheus (Hg.): Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit (Mainzer Vorträge; 5) Stuttgart: Steiner 2001. 134 S. 39 Abb. Kart. EUR (D) 20,-.
    ISBN 3-515-07727-8.


Michel de Montaignes Reisebuch – zweifellos eines der aufschlussreichsten der europäischen Kulturgeschichte – ist zugleich auch die bekannteste Beschreibung einer frühneuzeitlichen Bäderreise. 1 Wer annimmt, dieser Umstand habe dazu geführt, dass Bäderreisen ganz besonders gründlich erforscht wurden, der irrt; denn bis heute steht diese gesellschaftliche Praxis ganz am Rande der Reise(literatur)forschung. Weder in Arbeiten, die den Forschungsstand der letzten Jahre querschnittartig resümieren, 2 noch in einschlägigen Sammelbänden rangiert die Badereise an prominenter Stelle. 3 Stattdessen befasste man sich wiederholt mit der Geschichte einzelner Badeorte. 4 Werke, die ihren engeren Gesichtskreis verlassen und einen umfassenden Überblick darüber geben, wie sich die Badekultur im Laufe des Mittelalters oder der Neuzeit wandelte, liegen dagegen nicht vor.

Diesen Forschungsstand spiegelt auch der Sammelband "Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit" wider, in dem nun fünf der Vorträge nachzulesen sind, die 1999 im Rahmen der jährlichen Veranstaltungsreihe des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz gehalten wurden. Nach Auskunft des Herausgebers besteht der bescheiden formulierte Anspruch der Publikation darin, Vertretern unterschiedlicher akademischer Disziplinen die Möglichkeit zu geben, "einige Facetten" (S. 7) des Themas aus fachspezifischer Sicht zu erörtern. Der regionalen Aufgabenstellung des Instituts entsprechend liegt die Mehrzahl der behandelten Badeorte im Südwesten Deutschlands. Der Vortragscharakter wurde auch für die Publikation beibehalten. Auf Fußnoten oder die Angabe von Belegstellen wurde überwiegend verzichtet; stattdessen findet sich am Ende eines jeden Beitrags eine knappe Auswahlbibliographie.

Dies und die Tatsache, dass in der äußerst kurzen Einleitung der Wunsch geäußert wird, der vorgelegte Band möge zur Überwindung der gegenwärtigen Krise der Kurbäder beitragen, legt nahe, dass er sich nicht ausschließlich an die scientific community richtet. Bezüge auf die gegenwärtige Situation der Kurbäder oder Erläuterungen zu den historischen Wurzeln der Wellness-Mode enthalten die einzelnen Beiträge jedoch nicht.

Badekultur und Kulturtransfer

Den Auftakt macht der Beitrag des Archäologen Klaus-Peter Goethert, der uns mit archäologischen Funden zur Badekultur der gallo-römischen Provinzen in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten bekannt macht. Der Schwerpunkt des Aufsatzes liegt auf dem architektonischen Wandel, dem öffentliche Thermalbauten und private Bäder in diesem Zeitraum unterlagen. In diesem Zusammenhang weist der Autor auch auf einige aufschlussreiche Beispiele für Kulturtransfer innerhalb des Imperium Romanum hin; nach einer theoretischen Unterfütterung der entsprechenden Beobachtungen wird man jedoch vergeblich suchen.

Eines der Beispiele betrifft die Erfindung des durchsichtigen Fensterglases im ersten nachchristlichen Jahrhundert, das einschneidende Veränderungen in der römischen Thermalarchitektur nach sich zog. Betrachtete man vorher "warm und dunkel" als "begriffliche Einheit" (S. 16), so konnte nun das Ideal verwirklicht werden, während des Bades den Blick über "Äcker und Meere" (Seneca) schweifen zu lassen. Wie einschlägige Glasfunde beweisen, wurden diese technischen Neuerungen von den wohlhabenden Oberschichten der gallischen Provinzen sogleich übernommen, prägten langfristig aber auch die Lebenswelt der einfacheren Bevölkerungsschichten.

Goethert führt aber auch ein Beispiel dafür an, dass die Rezeption römischer Bauformen durch regionale Bedürfnisse beeinflusst wurde. So ist das in den Thermalbädern der gallo-römischen Provinzen anzutreffende große beheizte Schwimmbecken als Neuheit zu betrachten, die in keinem anderen Teil des Imperium Romanum bekannt war. In den Trierer Barbarathermen wurden solche Schwimmbecken in zwei großen Flügelbauten von der Art, wie man sie sonst nur in nordafrikanischen Anlagen findet, untergebracht: "Eine italisch-römische Erfindung zeigte sich in nordafrikanischer Variante mit gallo-römischer Sonderausstattung" (S. 25).

Auch in späteren Jahrhunderten orientierte sich die Badekultur des Nordens an Vorbildern der italienischen Halbinsel – eine Tatsache, die aus dem Beitrag der Historikerin Birgit Studt über die spätmittelalterlichen Badereisen deutlich hervorgeht. Prägend bleibt auch die prinzipiell bereits in der römischen Antike bekannte Trias von Privatbad, städtischer Badeeinrichtung und ländlichem Kurbad. Doch während städtische Badeanstalten aus verschiedenen Gründen einen schleichenden Niedergang erlitten, erfreuten sich die spätmittelalterlichen Wildbäder einer wachsender Beliebtheit. Seit dem vierzehnten Jahrhundert bemühten sich Bürger und Adlige, Landesherren und kirchliche Einrichtungen gleichermaßen, mineralhaltige Quellen zu erschließen und nutzbar zu machen. Nicht wenige Bäder wurden durch ein Nebeneinander von exklusiven Anlagen, die nur den gesellschaftlichen Oberschichten offen standen, und Einrichtungen für ärmere Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet. Zwei Aspekte, die über die Anziehungskraft eines Badeortes entschieden, waren Geselligkeit und Unterhaltung.

Geselligkeit und Unterhaltung

Über spätmittelalterliche Badeaufenthalte kann wohl kaum gesprochen werden, ohne den berühmten Brief zu erwähnen, den der italienische Humanist Poggio Bracciolini aus Baden im Aargau an seinen Freund Niccolò Niccoli schrieb. Poggio, der anlässlich des Konstanzer Konzils nördlich der Alpen weilte, hatte diesen Kurort 1416 wegen seines Gichtleidens besucht und das Leben dort als ein fröhliches, ausgelassenes Treiben im Sinne der humanistischen iucunditas animi, des heiteren Frohsinns also, geschildert. Doch während frühere Generationen diesen Brief als Dokument nutzten um zu belegen, dass in den Wildbädern nördlich der Alpen sehr lockere Sitten herrschten, betrachtet man das Schreiben heute nicht mehr als authentische Schilderung, sondern als implizite Kritik des Autors an den gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Heimat.

Auch Studt geht in ihrem Beitrag auf Poggios Brief ein, indem sie ihn mit deutschen Quellen vergleicht. Die Autorin weist nach, dass die kurenden Mitglieder der humanistischen Bildungselite einen regen "Austausch literarischer Aufmerksamkeiten" (S. 45) pflegten. Gerade die zeitgenössischen Gelehrten hätten in den Wildbädern ihre körperliche Gebrechen nicht nur durch Bäder, sondern auch durch leichte Unterhaltung zu lindern gesucht. Folglich erhoben sie Geselligkeit und Unterhaltung in den Rang eines therapeutischen Mittels:

Unterhaltung wird nicht mehr als Medizin gedacht, mit therapeutischen und pharmakologischen Mitteln verglichen, sondern ist Medizin und soll zusammen mit den Bädern verabreicht und genossen werden. (S. 48)

Dass Geselligkeit und Unterhaltung auch noch in der Frühen Neuzeit die Anziehungskraft der Wildbäder ausmachten, verdeutlicht der Beitrag von Martina Bleymehl-Eiler über die Geschichte der Kurorte Langenschwalbach, Schlangenbad und Wiesbaden im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Während Wiesbaden eher die Bedürfnisse der weniger wohlhabenden bürgerlichen und bäuerlichen Schichten befriedigte, konnte Langenschwalbach nicht nur den Ansprüchen des einfacheren Landadels, sondern sogar jenen des hohen Reichsadels genügen. Der kleine hessische Ort verwandelte sich in eine lebendige Kontakt- und Nachrichtenbörse, avancierte also zu einem Kommunikationszentrum der protestantischen Oberschichten des Alten Reichs. Die relativ junge Gründung Schlangenbad fungierte unter Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels als "Armen- und Judenbad" (S. 74f.) und wurde später zum "Fürstenbad" (S. 75) umfunktioniert. So trafen sich beispielsweise die Mitglieder der Familie Schönborn – eine Dynastie von hohen geistlichen Würdenträgern – während des achtzehnten Jahrhunderts wiederholt in Schlangenbad.

Zu einem angenehmen Badeaufenthalt gehörte immer auch gute Musik. Über die Funktion von Musik im Rahmen des Kuraufenthalts unterrichtet uns ausführlich der Beitrag des Musikwissenschaftlers Christoph-Hellmut Mahlig. Überwiegend anhand von Beispielen aus dem neunzehnten Jahrhundert zeigt er auf, dass das Kurbad nun auch zum "musikalischen Umschlagplatz" (S. 95) wurde. Die vom Verfasser aufgezählte Zahl von Musikern und Komponisten, die sich regelmäßig in Kurbädern aufhielten oder sich dort sogar niederließen, ist verblüffend; abschließend bemerkt er, dass "sich auch wissenschaftlich mit dieser Thematik weiter auseinander zu setzen" schon wegen der Fülle der Quellen "geradezu zwingend" geboten sei (S. 98). Überlegungen darüber, welche neuen Perspektiven das Studium der Bäder- und Kurmusik der Musikwissenschaft einerseits und der Bäderforschung andererseits eröffnen könnte, überlässt der Autor bedauerlicherweise jedoch dem Leser.

Fürsten: Gestalter und Gäste

Ein weiterer Schwerpunkt der Beiträge ruht auf der Untersuchung einzelner Kurorte aus >stadtgeschichtlicher< Perspektive wie der bereits erwähnte Aufsatz von Bleymehl-Eiler und der Beitrag von Hermann Sommer, der die Entwicklung von Bad Ems im neunzehnten Jahrhundert nachzeichnet. Indem dieser die Herkunft der Besucher dieses Kurbads untersucht, liefert er auch zugleich den einzigen Beitrag zur Geschichte der Badereise im engeren Wortsinn, die der vorliegende Band aufzuweisen hat.

Im Laufe der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zeichnete sich der Wandel des Kurpublikums dadurch aus, dass die Gäste nicht mehr nur aus den verschiedenen deutschen Staaten, sondern zunehmend auch aus dem europäischen Ausland nach Bad Ems strömten. Noch im späten achtzehnten Jahrhundert reiste die Mehrzahl der Kurenden aus nahe gelegenen Städten wie Koblenz, Neuwied, Frankfurt oder Darmstadt an. Nur ein Zehntel der namentlich in den Registern verzeichneten >Kurvorstände< – mitreisende Frauen, Kinder, Bedienstete usw. wurden nicht eigens erwähnt – stammte nicht aus >Deutschland<, sondern aus dem benachbarten Holland. Das sollte sich rasch ändern. Im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts zog es insbesondere Badegäste aus Russland und England nach Bad Ems, wobei der Anteil adeliger Reisender besonders hoch war. Nach der Märzrevolution 1848 avancierte der Ort an der Lahn dann zum "Weltbad" (S. 110), dessen Besucher überwiegend aus dem Ausland, zumal aus Frankreich, kamen.

Nach der Proklamation Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser wandelte sich die Besucherstruktur einmal mehr. Im Gefolge des Kaisers, der mehrmals nach Bad Ems kam, schlug "der Nimbus des Kaiserbads" (S. 117) gerade das deutsche Bürgertum in seinen Bann. Hand in Hand mit der "Verdeutschung" des Kurbetriebs ging seine "Entaristokratisierung" (S. 121). Nach dem Ableben Wilhelms I. verblasste jedoch auch der letzte Abglanz von Weltläufigkeit rasch und der Ort an der Lahn wurde zu einem "eher kleinbürgerlichen Bad mit dem Hautgout der Industriegesellschaft" (S. 125).

Die Bäderreise bleibt Desiderat

Alles in allem hinterlässt der vorgelegte Band einen zwiespältigen Eindruck. Gewiss: Gerade jene Beiträge, welche die Entwicklung einzelner Badeorte aus >stadtgeschichtlicher< Perspektive nachzeichnen, erscheinen äußerst solide und informativ. Das Ziel des Bandes, dem bestehenden Bild einige neue Facetten hinzuzufügen, wurde im Großen und Ganzen erreicht. Gerade den Bedürfnissen einer regionalgeschichtlich interessierten Leserschaft dürfte der Band – nicht zuletzt wegen seiner reichen Bebilderung – also durchaus genügen.

Neue Forschungsperspektiven eröffnet der Band indes nicht. Auch zum Thema der Bäderreisen im engeren Sinne darf man von ihm nicht allzu viel erwarten – und das, obwohl das entsprechende Schlagwort sogar im Titel aufgegriffen wurde. Zwar wird man in den Aufsätzen immer wieder Details finden, die für die Geschichte der Bäderreise sehr aufschlussreich sind, aber über die Praxis dieser Reiseform selbst wird man genauso wenig Neues erfahren wie über Reiseberichte, die im Zusammenhang mit solchen Fahrten entstanden. Aus Sicht der seit mittlerweile zwanzig Jahren intensiv betriebenen Reise(literatur)forschung wäre >Badeorte und Badekultur< zweifellos der treffendere Titel für die vorliegende Publikation gewesen.


Mathis Leibetseder

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Ins Netz gestellt am 05.02.2003
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Anmerkungen

1 Jüngste deutsche Ausgabe: Michel de Montaigne: Tagebuch einer Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581. Übersetzt, eingeleitet und hg. von Hans Stilett. Frankfurt / M. 2002.   zurück

2 Siehe z. B. Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte (IASL, 2. Sonderheft) Tübingen 1990 und Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin 1999.   zurück

3 Siehe z.B. Peter J. Brenner (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt / M. 1989; Hermann Bausinger u.a. (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus. München 1991; Antoni Maczak und Hans-Jürgen Teuteberg: Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung (Wolfenbütteler Forschungen; 21) Wolfenbüttel 1982.   zurück

4 So z.B.: Reinhold P. Kuhnert: Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 77) Göttingen 1984.    zurück