"Siege auf dem geistigen Schlachtfeld"
- Frank-Rutger Hausmann: 'Deutsche Geisteswissenschaft'
im Zweiten Weltkrieg Die 'Aktion Ritterbusch' (1940-1945). (Schriften zur Wissenschafts-
und Universitätsgeschichte 1) Krottenmühl: Dresden University Press 1999. 414 S. Kart. DM 98,-. ISBN 3-933168-10-4
Frank-Rutger Hausmann hat mit seiner Untersuchung des ‚Kriegseinsatzes der
Geisteswissenschaften‘, ein Buch vorgelegt, das in mehreren Hinsichten grundlegend ist:
es darf nicht nur, wie Hausmann zurecht feststellt, als "eine kleine Geschichte der
Geisteswissenschaften im Dritten Reich" angesehen werden (Hausmann, 9), sondern es
liefert auch einen Einblick in die Organisations- und Diskurs-Strukturen von Wissenschaft
unter den Bedingungen ihrer tiefgreifenden Politisierung durch das NS-System. Zugleich
stellt das Buch den methodisch exemplarisch geglückten Versuch dar, angesichts einer
außerordentlich problematischen Quellenlage geschlossene Aktenbestände zur
‚Aktion Ritterbusch‘ existieren nicht mehr die Grundstrukturen eines prägnanten
Ausschnittes der NS-Wissenschaftsgeschichte, des ‚Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften‘,
unter Inanspruchnahme ganz unterschiedlicher Quellenarten (Archivmaterialien, Briefe,
Memoiren, Zeitzeugen-Befragungen, Publikationen, Rezensionen) als
"Gesamttableau" rekonstruiert zu haben.
Es ist dem Autor durch einen beeindruckenden Rechercheaufwand nicht nur gelungen, aus den
fragmentarischen Quellenbeständen den Beitrag fast aller beteiligter Disziplinen zum
‚Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften‘ mehr oder minder extensiv nachzuzeichnen
(Hausmann, 101-278) wobei angesichts der eigenen Vorarbeiten (Hausmann 1993) und der
disziplinären Ausrichtung des Autors naturgemäß die Romanistik die größte und eigenständigste
Aufmerksamkeit erfährt (Hausmann, 281-360) , sondern er hat es
auch vermocht, den konzeptionellen und wissenschaftsorganisatorischen Rahmen sowie in
Grundlinien die politisch-institutionellen Vernetzungsstrukturen deutlich werden zu lassen,
die dem sogenannten ‚Gemeinschaftswerk‘ der Geisteswissenschaften zugrunde lagen
(Hausmann, 17-98).
Hausmanns Untersuchung schließt insofern eine wichtige Forschungslücke auf dem noch
immer nur sehr anfänglich untersuchten Feld der Geschichte der Geisteswissenschaften im
20. Jahrhundert: mit ihr wird über die bislang vorliegenden Studien zu Einzeldisziplinen
hinaus die erste integrierte Gesamtdarstellung des Versuches der Geisteswissenschaften
vorgelegt, zwischen 1940 und 1945 einen mentalen ‚Kriegseinsatz‘ zu leisten, d.h. wie
Hausmann formuliert, "nicht hinter den Militärs zurückzustehen und deshalb auf dem
geistigen Schlachtfeld Siege zu erkämpfen" (Hausmann, 29).
Die Rekonstruktion des ‚Gemeinschaftswerkes‘, die der Autor vorlegt, bewegt sich auf
drei systematisch unterscheidbaren Ebenen:
(1) auf der inhaltlichen Ebene des fachlichen Gehaltes und der ideologischen
Programmatik der disziplinären Beiträge,
(2) auf der strukturellen Ebene der wissenschaftsorganisatorischen Konzeptualisierung
des ‚Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften’ sowie schließlich
(3) auf der institutionellen Ebene seiner Verankerung im Netzwerk konkurrierender
institutioneller Kraftzentren des NS und ihrer Repräsentanten. Zu allen drei Ebenen
sollen im folgenden einige Anmerkungen gemacht werden.
1. Inhaltliche Ebene
Eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten
vs. ideologische Beeinflussung
Hausmann widmet der Nachzeichnung der einzelnen fachlichen Konzepte und ihres
ideologischen Gesamtrahmens große Aufmerksamkeit, nicht nur dadurch, daß er
äußerst verdienstvoll über zweihundert Rezensionen der Publikationen des
‚Gemeinschaftswerkes’ nachweist und z.T. erschließt, sondern vor allem auch durch die
sieht man von der detailliert analysierten Romanistik ab überblicksartige Besprechung
der einzelnen Disziplinen und ihrer Beiträge.
Hierbei wird insbesondere die zentrale Frage des Verhältnisses von disziplinärer
Autonomie und ideologischer Anpassung erörtert, die deshalb von Belang ist, weil ein
großer Teil der Beiträger zum ‚Gemeinschaftswerk‘, die nach dem Krieg "zu führenden
Wissenschaftlern bzw. Wissenschaftsmanagern der jungen Bundesrepublik aufstiegen"
(Hausmann, 95) und wesentlich dazu beitrugen, die demokratischen Wissenschaftssysteme in
Österreich und der Bundesrepublik Deutschland mit aufzubauen (Hausmann, 20), dazu
tendierten, die politische Dimension ihres Beitrages zur ‚Aktion Ritterbusch‘ zu leugnen
oder mindestens zu marginalisieren. Viele haben nach dem Krieg, wie
etwa Gerd Tellenbach, den Eindruck zu erwecken versucht, durch das ‚Gemeinschaftswerk‘
sei nur die Möglichkeit gewonnen worden, friedlich wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen
und eine Freistellung vom Kriegsdienst zu legitimieren. 1 Ansonsten habe
der geisteswissenschaftliche ‚Kriegseinsatz‘ mit dem Nationalsozialismus nichts zu
tun gehabt (Hausmann, 8, 97, 204).
Auch wenn nun wie Hausmann feststellt das ‚Gemeinschaftswerk‘ tatsächlich etwa von
aktivem Antisemitismus weithin frei war (Hausmann, 46), so läßt sich doch, wie aus der
Vielzahl seiner Einzelanalysen deutlich wird, eine zwar in der Intensität schwankende,
aber doch weithin flächendeckend vorhandene Partizipation der Beiträger an einem
"einheitlichen disziplinenübergreifenden ‚Wissenschaftsdiskurs’" ablesen, der
sich um ns-ideologische Schlagwörter wie ‚Reich‘, ‚Volk‘, ‚Rasse‘, ‚Raum‘, ‚Großraum‘,
‚Europa‘, ‚Geist‘, ‚Blut‘ ‚Wesen‘, ‚Größe‘, ‚Tragik‘ etc. ausgebildet hatte (Hausmann, 31).
Zwar wurde von dieser ‚nationalsozialistischen Offizialsprache’ (Hausmann, 355) von
Disziplin zu Disziplin und von Autor zu Autor reichhaltigerer oder sparsamerer Gebrauch
gemacht; gleichwohl sind die Spuren ns-spezifischer Ideologeme und ihrer genuinen Semantik an beinahe keinem Text vorbeigegangen.
Die offizielle ideologische Zielsetzung, an der sich die
einzelnen Disziplinen ausrichteten, und die sich natürlich prägnanter in begleitenden
Publikationen der Spartenleiter, in deren Korrespondenz sowie in Tagungsberichten (vgl.
etwa Hausmann, 130f, 150f, 164-168, 170ff, 177ff, 207, 212f, 223, 296f, 314-319), als in
den Beiträgen der jeweiligen Fachwissenschaftler ablesen läßt, war dies läßt Hausmanns Untersuchung deutlich werden doch wohl weithin mehr, als eine bloße Außenvorgabe, der man sich nur widerwillig gefügt hätte.
Auch wenn explizite Bekenntnisse der Beiträger zum nationalsozialistischen Staat sich
weithin nur in Vorreden und Zusammenfassungen finden (Hausmann, 275),
figurierte doch wie Hausmann formuliert die neue Ideologie "als Antrieb für ein ‚Perpetuum mobile’ zweiter Art, der ein einziges Mal dem System der Geisteswissenschaften Initialenergie zuführte, worauf dieses dann unerschöpflich produzierte
und auch noch die haarsträubendsten Behauptungen wissenschaftlich legitimierte."
(Hausmann, 27).
Das Programm
der 'geistigen Neuordnung Europas'
Die Geisteswissenschaften waren auf der Grundlage ideologischer
Vorprägungen, die bis in die Weimarer Zeit zurückreichten, zu Kriegsbeginn
nicht unerheblich durch ein germanozentrisches Sendungsbewußtsein bestimmt, das
mitunter rassetheoretische und geopolitische, durchgängig jedoch wesenskundliche
Züge trug, ein Sendungsbewußtsein, das sich auch als ideologischer Legitimationsrahmen
der Angriffskriege selber eignete. Dieser das Unternehmen eines geisteswissenschaftlichen‚
Kriegseinsatzes‘ fundierende ideologische Rahmen läßt sich exemplarisch an einem Bericht
der Krakauer Zeitung über die erste unter dem Motto
"Deutsche Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum" (Lutz 1941) stehende ‚Buch- und Dokumentenschau‘ des ‚Gemeinschaftswerkes‘ im Dezember 1941 an der
Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg ablesen, in dem es heißt: "Die
deutsche Geisteswissenschaft hat sich im Kriege zu einer weltumspannenden Gemeinschaft
zusammengefunden, um entscheidende Probleme der deutschen Lebensordnung, des deutschen
Weltbildes und der Neugestaltung Europas auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnis
darzustellen." (Hausmann, 81).
In einer anderen Quelle, einer Würdigung des
‚Gemeinschaftswerkes‘ durch die Zeitschrift "Die Neue Literatur", stellt Ende
1942 Karl A. Kutzbach fest, "die besten Köpfe der Philosophie, Kunstgeschichte
und Altertumswissenschaft, die Germanisten, Anglisten, Romanisten, die Historiker,
Geographen und Juristen" hätten sich daran beteiligt, "sich gründlich und
ernsthaft mit der Geisteswelt und dem Wesen des Gegners auseinanderzusetzen (...) und die
neue geistige Ordnung Europas als künftige Gestalt seiner Geschichte zu umreißen
und vielseitig zu unterbauen" (Hausmann, 121).
Im Zentrum des Ritterbusch-Unternehmens stand also die "Idee einer neuen
Ordnung Europas" (Hausmann, 41, 62), die wie in dem von Walter Wüst, dem Kurator des ‚SS-Ahnenerbes‘ herausgegebenen "Deutschen Wissenschaftlichen Dienst (DWD)" formuliert wird als eine "Ordnung primär geistiger Art, (...) mit einem gemeinschaftlich-
einheitlichen Stil, gemeinsamer Begriffe, Sittlichkeit und Rechts", in der
"Auseinandersetzung mit dem Geist des Westens und dem von ihm geschaffenen geistigen System" in den verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen ausgearbeitet werden sollte (Lutz 1941). Daß sie auch tatsächlich in nicht unerheblichem
Maße in einem Großteil der Publikationen des ‚Gemeinschaftswerkes’ ausgearbeitet worden
ist, läßt sich aus den zahlreichen Einzelanalysen Hausmanns ablesen.
Mit ihrem ‚geistigen’ Beitrag zur Neuordnung Europas gedachten sich die
Geisteswissenschaften "in der besonderen Form der Gemeinschaftsarbeit" mit
Nachdruck "ebenbürtig an die Seite der Naturwissenschaften" zu stellen (Lutz 1941),
um nach dem erwarteten militärischen Gesamtsieg zur mentalen Neuformatierung der
eroberten europäischen ‚Räume‘ beizutragen: "Wenn"– so formu-
liert der Präsident des ‚Reichsinstitutes für die Geschichte des neuen Deutschlands’,
Walter Frank, in einer Rede im Mai 1940 an der Universität Berlin – "
unter dem Ansturm der deutschen Bataillone die morschen Systeme und Ideologien des Westens
ins Wanken kommen, so können und müssen in den dann entstehenden geistigen Hohlraum auch
die überlegenen Erkenntnisse politischer Wissenschaft einbrechen, die das neue
Deutschland hervorgebracht hat." (Frank 1940, 27).
Stellung und Aufgabe der einzelnen Fachbereiche
Vor dem Hintergrund dieser Programmatik glaubten dann etwa Gerhard Fricke und Franz
Koch in ihrem Planungspapier "Zum wissenschaftlichen Einsatz Deutscher Germanisten
im Kriege", der Germanistik komme in der "geistig-kulturelle[n] Auseinandersetzung,
in der (...) über die geistige Ordnung des kommenden Europa entschieden" werde, eine
Schlüsselstellung zu, weil es ihre Aufgabe sei, "den Wesensgehalt des Deutschen aus
dem ihr anvertrauten Bereich deutscher Sprache und Dichtung
herauszuarbeiten" (Hausmann, 171) und so wie wiederum Kutzbach formulierte
"einen Beitrag zum Selbstfindungsstreben unseres Volkes" zu leisten (Hausmann,
173). Die Geisteswissenschaften insgesamt hätten so Franz Koch im Vorwort des
ersten Bandes "Von Deutscher Art in Sprache und Dichtung" die Aufgabe,
"diesem Europa auch eine neue geistige Ordnung zu geben, geistig zu durchdringen,
was das Schwert erobert hat" (Fricke/Koch/Lugowski (Hg.), Bd. I, 1941, V).
Leo Weisgerber etwa wollte die ‚Muttersprache‘ "als Erweckerin des deutschen
Selbstbewußtseins" und als "Kraftquelle im Ringen um eigenständiges
Deutschtum" darin unterstützen, "der neuen großen Aufgabe gerecht
zu werden, die ihr in unseren Tagen gestellt ist: den deutschen Sieg zu sichern und zu vollenden in der Weltgeltung des deutschen Geistes" (Weisgerber 1941, 14, 23, 41).
Walter Mitzka räsonnierte, während Kulturraumforscher wie Friedrich Metz nach der
Niederlage Frankreichs und der de facto Annexion von Elsaß und Lothringen im Auftrag
Hitlers über eine neue Westgrenze im Rahmen einer europäischen Neuordnung nachdachten
(Fahlbusch 1999, 691-727; Hausmann, 139-161, 316ff), über die von
den Franken im Westen gesetzte Sprachgrenze, die "in Nordfrankreich im Pas de Calais
[beginne], sich durch Belgien und Lothringen hindurch[ziehe] und auf dem Vogesenkamm
weiter[laufe]" (Mitzka 1941, 70f).
Auch Friedrich Kainz bearbeitete mental die Westgrenze, wenn er die ‚wahrhaft lebendige
deutsche Sprache von den ‚partial toten‘ romanischen Sprachen abgrenzte: "Liebt der
‚soziablere‘ Franzose das durch allgemeinen Gebrauch Gebilligte, das durch politische und
literarische Autoritäten Geheiligte, so geht
das deutsche Sprachwollen auf individuelle Freiheit, auf abschattungsreiche Eigenart und
lebendige Fülle des Charakteristischen." In diesen "seelisch geistige[n]
Wesenszügen der Menschen deutschen Volkstums" werde "zweifellos ein
Wesenszug des nordischen Rassencharakters aufgewiesen" (Kainz 1941, 120). Es sei
deshalb Aufgabe der ‚Deutschforschung‘, die in der deutschen Sprache wirksamen
"volkhaften Kräfte der deutschen Bluts- und Schicksalsgemeinschaft" im
Interesse einer "Weckung und Stärkung des völkischen Selbstbewußtseins" bewußt
zu machen (Kainz 1941, 151).
Die Historiker sahen nach den Worten Theodor Mayers ihre Aufgabe in der
"Herausarbeitung einer Geschichte des europäischen Ordnungsgedankens", einer
"Geschichte der germanisch-deutschen Welt seit den ältesten Zeiten",
kurz in einer "gesamtgermanischen Geschichtsauffassung" (Hausmann, 178),
wobei im Kontext der vor allem von den "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften"
getragenen "Kulturraumforschung" (vgl. Fahlbusch 1999, Ditt 1988, 1996) die
interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Germanisten wie Leo Weisgerber, Jost Trier,
Otto Höfler und Theodor Frings (Hausmann, 192, 194f, 197) besonders eng war.
In der
Philosophie wollte etwa Theodor Haering "nach der Beziehung von Rasse, Volk und
Kultur, insbesondere der Geisteskultur eines Volkes" fragen und dabei "die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen und europäischen Philosophie"
behandeln, insofern sich hier "in der Tat ganz besonders deutlich die Parallele zu den
rassisch-völkischen Grundlagen, in Gemeinsamkeiten wie Unterschieden aufzeichnen"
lasse (Hausmann, 221).
Rechtsphilosophen, Rechtshistoriker und Staatsrechtler
bemühten sich um einen neuen Reichsbegriff, der den Staatsbegriff substituieren und
die expansive deutsche Annexionspolitik ebenso legitimieren sollte (Hausmann, 237, 251f)
wie die von den Geographen unter dem Stichwort "Lebensraumfragen des deutschen
Volkes" angestellten Überlegungen (Hausmann, 162-168).
Und selbst die Romanisten, denen Hausmann konzediert, sie hätten sich von polemischer
Propaganda weithin ferngehalten und im wesentlichen darauf beschränkt, den Stand der
Forschung zu
referieren und zu resümieren (Hausmann, 330), müssen sich etwa hinsichtlich
der Arbeiten Karl d’Esters ("Die Presse Frankreichs im eigenen Urteil"), Hans
Spankes ("Deutsche und französische Dichtung des Mittelalters") und Hans
Leubes ("Deutschland-Bild und Lutherauffassung in Frankreich") Momente rassetheoretischer Argumentation bzw. ‚völkischer’ Orientierung nachweisen lassen
(Hausmann, 337-341). Überhaupt scheint der Autor im Urteil weniger mild in seinen
bewundernswert umfassenden, differenzierten und genauen Detailanalysen zu sein, als
in seinen Generalbefunden zum Forschungsertrag der Romanistik einerseits und des ‚Gemeinschaftswerkes‘ andererseits, von dem es heißt, er sei zwar insgesamt durch eine methodisch wenig innovative Flucht in den Positivismus geprägt gewesen, gerade hierdurch
aber zugleich von "grobe[n] Verstöße[n] gegen die Gebote der Objektivität und Neutralität bis auf wenige Ausnahmen (Philosophie, Staatsrecht, Zivilrecht u.a.)" bewahrt worden (Hausmann, 275).
2. Strukturelle Ebene
Entwicklung eines transdisziplinären Forschungsdiskurses und
Etablierung einer neuen Forschungsstruktur in den Geisteswissenschaften
Es ist Hausmann allerdings nicht allein darum zu tun, das ‚Gemeinschaftswerk‘ von 300
Gelehrten und zwölf aktiv beteiligten Disziplinen, die zwischen 1941 und 1944 insgesamt
43 Monographien und 24 Sammelbände mit 299 unterschiedlichen
Beiträgen hervorbrachten (Hausmann, 24), inhaltlich zu erschließen und die
ideologische Anpassungsleistung der Geisteswissenschaften in einer gleichgeschalteten
Universität differenziert herauszuarbeiten; er deutet vielmehr dieses Großprojekt
zugleich und darüber hinaus als den umfassenden Versuch der Protagonisten des Vorhabens
Paul Ritterbusch, Carl Schmitt, Ferdinand Weinhandl, Walther Wüst und
Karlheinz Bremer , die wissenschaftsorganisatorische Modernisierung der
Geisteswissenschaften voranzutreiben.
Der ‚Kriegseinsatz‘ sollte wie Hausmann formuliert lediglich
einen ‚Vorlauf‘ bilden für die von Ritterbusch nach dem Krieg geplante
"Vereinheitlichung der Wissenschaftsverwaltung sowie der Wissenschafts- und
Forschungsorganisation" (Hausmann, 178). Dieser Modernisierungsschub betraf, wie
Hausmann zeigt, bei allem Fortbestehen traditioneller Thematik und Methodik in den Einzeldisziplinen zwei systematische Momente:
(1) einmal die Einrichtung disziplinenübergreifender, ‚drittmittelgestützter‘
Forschungsstrukturen, für die
vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft im übrigen neben anderen
Förderinstitutionen wie der ‚Deutschen Akademie’ und dem ‚SS-Ahnenerbe‘ das
organisatorische und finanzielle Fundament lieferte (Hausmann, 33f), und
(2) zum andern die ansatzweise Etablierung eines neuen ns-ideologischen
geisteswissenschaftlichen Metadiskurses (Hausmann, 31), der sich vor allem im Medium
interdisziplinärer Austauschformen zu organisieren begann und durch das Kriegsende
ein jähes Ende fand.
Während dieser Aspekt diskurssemantischer Modernisierung wesentlich
dazu beitrug, daß nach dem Kriegsende die Publikationen des ‚Gemeinschaftswerkes‘ "als
Produkte einer ideologisch verblendeten Wissenschaft der kollektiven Amnesie"
anheimfielen (Hausmann, 29) und nur wenige Beiträge etwa von Theodor Mayer, Hans Georg
Gadamer (Hausmann, 27; vgl. auch 275) oder Karls S. Bader (Hausmann, 119) ideologisch
gesäubert wiederaufgelegt werden konnten, scheint so Hausmanns These
die organisationsstrategische Modernisierung der Geisteswissenschaften, wie sie deren
‚Kriegseinsatz’ hervorgebracht hatte, auch über das Jahr 1945 hinaus Wirksamkeit entfaltet
zu haben (Hausmann, 24):
" Das von Ritterbusch Angeregte und von den Vertretern der
zwölf aktiv beteiligten Disziplinen Vorgelegte läßt sich nach Fragestellung
und Ergebnissen in mehrfacher Hinsicht mit heutigen Sonderforschungsbereichen vergleichen,
wenn man einmal die Randbedingungen und die ideologischen Vorgaben extrapoliert."
Insofern stamme "der an sich richtige und fruchtbare Gedanke gemeinsamer
zielorientierter Forschung aus der Nazizeit" (Hausmann, 275).
Der Neuanfang der Geisteswissenschaften nach dem zweiten Weltkrieg
wäre also, wenn man Hausmann folgt abgesehen einmal von der personellen 2 sowie disziplinär-fachlichen Kontinuität durch zwei konstitutive
Momente geprägt:
(1) einmal durch den ideologischen Rückbau der diskurssemantischen
Modernisierungen, d.h. durch die Säuberung des kaum und noch
wenig kohärent etablierten transdisziplinären Diskurses von rassetheoretischer
und germanozentrisch-geopolitischer Kontamination; dieses Moment wäre dann zugleich
ursächlich verknüpft mit dem jähen Ausfall eines die Geisteswissenschaften transdisziplinär
vernetzenden Diskursangebotes nach 1945 und
(2) zum andern durch die Fortschreibung einiger nicht unwesentlicher Elemente der
wissenschaftsorganisatorischen Innovationen der NS-Wissenschaftspolitik, insbesondere der
Idee einer einheitlich verwalteten‚ ‚drittmittelgestützten‘ Verbundforschung (Hausmann, 178).
Eine Ursache für den gegenwärtig bestehenden wissenschaftsorganisatorischen
Rückstand der Geistes- und Kulturwissenschaften gegenüber den Natur- und
Technikwissenschaften wäre dann in dem Umstand zu suchen, daß der Ausfall
eines transdisziplinären Begriffsangebotes, der mit dem Obsoletwerden des ns-
ideologischen Metadiskurses zu verzeichnen war, bislang weder durch den semiotisch-
strukturalistischen, noch durch den poststrukturalistischen bzw. medientheoretischen Diskurs
überzeugend hat kompensiert werden können. Es war
ja die semantische Nähe des geisteswissenschaftlichen Metadiskurses zu den diversen
Versatzstücken ns-ideologischen Denkens, die es Ritterbusch ermöglicht hatte,
neben dem durch den Reichsforschungsrat und insbesondere Werner Osenbergs ‚Planungsamt‘ (Hammerstein 1999, 434ff) organisierten naturwissenschaftlich-technischen Kriegseinsatz, erfolgreich eine geisteswissenschaftliche ‚Parallelaktion‘ (Hausmann, 55) zu etablieren,
die in ihrem Fördervolumen dem nicht-geisteswissenschaftlichen Sektor nicht nachstand.
3
Weltanschauliche und politische Fundierung des Krieges als etablierte
Funktion der Geisteswissenschaften im Dritten Reich
In der Tat: Überblickt man die Menge der im Rahmen des ‚Gemeinschaftswerkes’
zustandegekommenen Publikationen, ihre Verbreitung in öffentlichen Bibliotheken,
Universitäts- und Seminarbibliotheken sowie ihre Resonanz in Tageszeitungen und
Fachzeitschriften – alle drei Aspekte werden von Hausmann im Rahmen der zur
Verfügung stehenden Quellen umfassend recherchiert und dargestellt (Hausmann, 91ff,
101-124, 276ff, ebenso die Abschnitte zu den Einzeldisziplinen) –, so wird der nicht
unerhebliche – freilich durch das Kriegsende scharf limitierte (Hausmann, 29f, 93)
– Erfolg der ‚Aktion Ritterbusch‘ deutlich.
Dieser Erfolg, der sich natürlich auch der
großen Produktivität der beteiligten Forscher verdankte (Hausmann, 93), war in politischer
Hinsicht vor allem darauf zurückzuführen, daß es Ritterbusch zunächst
gelungen war, bei den einschlägigen NS-Institutionen mit dem Gedanken durchzudringen, daß
neben den Technik- und Naturwissenschaften auch die Geisteswissenschaften
‚kriegswichtige’ Aufgaben zu übernehmen in der Lage seien: ihre allgemeine Funktion
wurde – wie es etwa in einem Uk-Stellungsantrag des REM für Ritterbusch heißt
– vor allem darin gesehen, "der weltanschaulichen und politischen Zielsetzung des
Krieges Fundament und Gehalt" (Hausmann, 47, 51) durch die ‚wissenschaftlich unanfechtbare‘ Ausarbeitung der oben bereits erwähnten "Idee einer neuen europäischen Ordnung" zu geben, die "als die Wahrheit und Wirklichkeit des
Lebens der europäischen Völker" erwiesen werden sollte (Dietze nach
Hausmann, 62).
Es gehörte deshalb zur Überzeugung der beteiligten ‚kriegswichtigen‘ Disziplinen –
etwa der Germanistik –, daß sie den Krieg nicht nur als eine
militärische, "sondern zugleich [als] eine geistig-kulturelle Auseinandersetzung,
in der auch über die geistige Ordnung des kommenden Europa entschieden"
werde, betrachteten (Plan d. wiss. Einsatzes der Germanisten im Kriege; Hausmann, 170).
"Krieg und Kultur" – so hatte 1940 Günther Lutz in Wüsts DWD
unter dem Titel "Wissenschaft als völkische Notwendigkeit" formuliert –
"laufen nicht nebeneinander her, sondern bedingen sich gegenseitig. Echte
Kriegführung ist nicht nur ‚Waffenführung‘, sondern ebenso sehr ‚geistige Taktik,
Weltanschauungskampf, Kultur-Leistung." (Lutz 1940).
3. Institutionelle Ebene
Institutionelle Einbindung der 'Aktion Ritterbusch'
Den anfänglichen politischen Erfolg verdankte Ritterbusch der institutionellen
Vernetzung seines im Reichserziehungsministerium angesiedelten ‚Kriegseinsatz‘-Projektes –
dessen Gesamtprogramm auf einer Tagung am 27./28.04.1940 in Kiel festgelegt worden war
(Hausmann, 69) – mit dem 1937 gegründeten Reichsforschungsrat und der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, deren Präsident, der SS-Führer Rudolf Mentzel, zugleich die Leitung
des Amtes Wissenschaft im Reichserziehungsministerium inne hatte und
der zudem außerordentlich einflußreich im Reichsforschungsrat operierte (Hammerstein 1999, 206; Hausmann, 76ff).
Die Stärke Ritterbuschs, der 1941 zum Beauftragten für den ‚Kriegseinsatz der
Geisteswissenschaften‘ ernannt worden war (Hammerstein 1999, 358; Hausmann, 77), beruhte
nicht zuletzt darauf, daß nach der 1942 auf
Veranlassung Hitlers erfolgten Neugründung des Reichsforschungsrates unter dem
neuen Präsidenten Göring (Hammerstein 1999, 381ff) nicht nur Mentzel als
Leiter des ‚Wissenschaftlichen Beirates‘ weitere Macht gewann, sondern zudem die Beziehungen
zur SS dadurch intensiviert wurden, daß Mentzel als seinen Stellvertreter SS-
Standartenführer Wolfram Sievers, den Reichsgeschäftsführer des ‚Ahnenerbes‘, etablierte
(Hammerstein 1999, 381ff; Jäger 2000, 126ff). Ohnehin waren die
Beziehungen des REM zur SS über den einflußreichen Ministerialrat und Sachbearbeiter
für die Geisteswissenschaften, Heinrich Harmjanz, der zugleich Abteilungsleiter
im ‚SS-Ahnenerbe‘ war, sehr eng.
Diese Einflußlinie schwächte sich erst,
als Harmjanz aufgrund eines durch das Amt Rosenberg lancierten Plagiatsvorwurfes durch ein
SS-Ehrengericht 1944 aller SS-Ämter enthoben und im REM durch Ministerialrat
Gentz ersetzt wurde (Jäger 1998, 53f) und auch Ritterbusch seine Funktion im REM als
stellvertretender Amtschef des Amtes Wissenschaft im Range eines Ministerialdirigenten
verlor (Hausmann, 35, 49). Diese institutionelle Schwächung führte gemeinsam
mit der durch den ungünstigen Verlauf des Krieges einsetzenden ideologischen
Verschärfung ab 1943 dazu, daß das ‚Gemeinschaftswerk‘ mit seiner doch insgesamt
immanent-disziplinären Ausrichtung den Erwartungen insbesondere auch der SS
immer weniger entsprach.
Wie für die Rüstungs- und Kriegsproduktion galt nun
auch für die Forschung, daß wie Mentzel formulierte nur noch die Unternehmungen
gefördert würden, die "uns gegenüber den Entwicklungen
der Feindmächte bedeutenden Vorteil" brächten (Hammerstein 1999, 493):
Im Juni 1944 hatte Hitler den "Totaleinsatz der Forschung" (Hammerstein 1999,
491) und fast gleichzeitig den Erlaß "Sonderelbe Wissenschaft"
verkündet, der es der Dienststelle "Sonderelbe" beim Planungsamt des
Reichsforschungsrates ermöglichte, neben "Fachkräften für wichtigste Sonderfertigung
der Rüstungsindustrie" auch Wissenschaftler
"entgegen jeder bestehenden Uk.-Sperre" für kriegswichtige Aufgaben
sofort von der Front zurückzuholen (Jäger 1998, 327). Auch Geisteswissenschaftler wie etwa Benno von Wiese kamen nun auf der Basis des Sonderelbe-Erlasses zur
Durchführung kriegswichtiger Aufgaben in den Genuß einer Rückholung
von der Front (Jäger 1998, 323-332).
Die Aktion 'Ritterbusch'
im Verhältnis zu ihren Konkurrenten
Die Schwächung des Ritterbusch-Unternehmens ließ sich nun – wie Hausmann zeigt –
insbesondere am Entstehen publizistischer und konzeptioneller Konkurrenzunternehmungen
ablesen (Hausmann, 86ff).
So
entwickelte etwa der Leiter des ‚Germanischen Wissenschaftseinsatzes‘ des ‚SS-Ahnenerbes‘,
Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider, 1944 das Projekt eines "Totalen
Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften", weil der "bisherige sogenannte
Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" größtenteils im Stadium
"nur rhetorischen und ästhetischen Vorhandenseins" verhaftet geblieben
sei (vgl. hierzu Aktenvermerk Schneider 19.10.1944, BA NS 21/791). Schneider hatte dieses
Projekt gemeinsam mit dem Amt III C ‚Kultur’ des Reichssicherheitshauptamtes, mit dem er
eng zusammenarbeitete (Jäger 1998, 106, 122f, 152-155, 301), bereits
längerfristig vorbereitet. 1943 ließ er als Schriftleiter der Zeitschrift ‚Weltliteratur‘ den Referatsleiter "Volkskultur und Kunst" im Amt III C des RSHA, den SS-
Führer Hans Rößner, in seiner Zeitschrift mit einem umfangreichen Aufsatz "Zum
Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" zu Wort kommen, der die
Kritik Schneiders am ‚Unternehmen Ritterbusch‘ antizipierte.
Auch ‚Reichsleiter‘ Rosenberg
hatte im März 1943 in einem Memorandum zur ‚Geistigen Kriegsführung‘ eine
Umstellung der ‚Aktion Ritterbusch‘ auf "wirklich kriegswichtige weltanschaulich-
wissenschaftliche Themen" und ihre Integration in eine von ihm geleitete
"Gesamtaktion der geistigen Kriegsführung" gefordert (Hausmann, 42f);
als weitere Konkurrenz-Unternehmungen nennt Hausmann publizistische Projekte – so etwa
die durch den Präsidenten des Auslandswissenschaftlichen Institutes und Dekan der
Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin, SS-
Oberführer Franz Alfred Six (vgl. hierzu Jäger 1998, 96-103), bzw. durch das
SS-Hauptamt betriebenen Forschungs- und Publikationsvorhaben zum Thema "Das
Reich und Europa" (Hausmann, 88), die den gleichen Titel hatten, wie das zuvor im
Rahmen des ‚Kriegseinsatzes‘ geplante Reihenwerk der Historiker (Hausmann, 177ff).
Obgleich nun diese Konkurrenzprojekte zeitlich später lagen als die bereits 1940
angelaufene ‚Aktion Ritterbusch‘, kann – wie ich meine – nicht davon ausgegangen werden,
daß die mit der wissenschaftsorganisatorischen Form des ‚Gemeinschaftswerkes‘ verbundene
Idee eines ‚Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften’ im Interesse einer
"Ordnung Europas in deutschem Geiste" allein von Ritterbusch und einer Gruppe
Kieler Jura-Professoren (Hausmann, 58) ersonnen worden wäre. Sicher hatten die von
Fahlbusch jüngst umfassend untersuchten, bereits in den frühen dreißiger
Jahren gegründeten "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" (Fahlbusch 1999),
sowohl im Hinblick auf das Ziel einer "Unterstützung der kulturellen auswärtigen
Politik" (Fahlbusch 1999, 65) als auch im Hinblick auf wissenschaftsorganisatorische
Strukturen Anregungscharakter.
Hausmann selbst weist zurecht auf
die bereits 1939 durch den damaligen Präsidenten des ‚SS-Ahnenerbes’, den
Münchner Indogermanisten und SS-Obersturmbannführer Walter Wüst,
organisierte Kieler Jahrestagung des ‚SS-Ahnenerbes‘ hin, an der sowohl Schneider (vgl.
Jäger 1998, 167/90) als auch Ritterbusch teilgenommen hatten. Bereits auf dieser Tagung
spielte, wie etwa aus einem Vortrag von Harmjanz (zu Harmjanz vgl. Jäger 1998,
49-53) deutlich wird, der Gedanke einer an der "Gemeinschaftsidee" orientierten
(völkischen) Wissenschaft eine zentrale Rolle (Hausmann, 90f). Das dem Ritterbusch-Projekt
zugrundeliegende Konzept einer durch die DFG finanzierten, zentral gesteuerten
Verbundwissenschaft ist also bereits 1939 im Rahmen des ‚SS-Ahnenerbes‘ praktiziert worden,
das sich ja selbst als "Forschungs- und Lehrgemeinschaft" bezeichnete und dessen
Projekte von Anfang an eine germanozentrisch bestimmte europäische Dimension hatten.
Hausmann deutet das Vorliegen der zahlreichen, sich thematisch überschneidenden
‚Gemeinschaftswerke’ sowie die Konkurrenzkonzepte Schneiders und Rosenbergs – sicher
zurecht – als Ausdruck eines ‚organisatorischen Kompetenzgerangels’ (Hausmann, 89) und
‚Kompetenzenwirrwarrs‘ (Hausmann, 43) zwischen verschiedenen NS-Institutionen: dem
Reichserziehungsministerium und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Ritterbusch,
Mentzel), dem Planungsamt des Reichsforschungsrates (Osenberg), dem ‚SS-Ahnenerbe‘
(Wüst, Sievers, Schneider), dem RSHA (Rößner), dem Auslandswissenschaftlichen Institut
(Six) sowie schließlich nicht zuletzt auch dem "Beauftragten
des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung
und Erziehung der NSDAP", Rosenberg, der verschiedentlich
(vergeblich) versucht hatte, die ‚Aktion Ritterbusch’ zu stoppen (Hausmann, 41) bzw. selbst
zum ‚Reichskommissar für die geistige Kriegsführung‘ zu werden (Hausmann,
43).
Gleichwohl darf jedoch – trotz dieser Reibungsverluste, die durch die polykratische
Struktur des NS-Machtapparates auch im Wissenschaftssektor (Hausmann, 40, 42) bewirkt
worden waren – nicht übersehen werden, daß der ‚Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften‘
von Anfang an in ein SS-dominiertes Netzwerk eingesponnen war, in dem die
meisten späteren Konkurrenten mit Ausnahme von Rosenberg schon früh positioniert waren.
Heinrich Härtle, der Abteilungsleiter für Geisteswissenschaften
im ‚Amt Rosenberg‘ beklagte deshalb im Juni 1941 verständlicherweise, daß der
Großteil der den ‚Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften’ tragenden Kräfte
durch "die Macht des Ordens der SS" getragen würden (Hammerstein
1999, 360).
In der Tat standen Ritterbusch, Mentzel, Wüst, Sievers,
Rößner, Schneider und Six untereinander über das ‚SS-Ahnenerbe‘, das
RSHA, das SS-Hauptamt sowie über das Reichserziehungsministerium, das "als
eine Art Ableger der Schutzstaffel" fungierte (Kater 1974, 136), in mehr oder minder
engen persönlichen und institutionellen Beziehungen, die teilweise in die
Frühzeit des NS zurückreichten.
Ritterbusch etwa arbeitete ab Sommer 1933 in
der Deutschen Bibliothek in Leipzig für die Ende 1933 in die Reichsschrifttumskammer
eingegliederte ‚Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums’ als Zensor,
gleichzeitig mit dem späteren Leiter der Amtes III C ‚Kultur’ des RSHA, Wilhelm
Spengler, der hier eine Schrifttumsstelle des SD aufbaute (Hausmann, 36; Barbian 1995,
164ff, 258ff).
Spengler rekrutierte in Leipzig seinen späteren RSHA-Mitarbeiter Hans
Rößner, mit dem er 1936 in die von Franz Alfred Six geleitete
"Hauptabteilung Presse und Schrifttum" des SD-Hauptamtes übernommen
wurde, in dem ebenfalls ab 1936 Osenberg tätig war (Hammerstein 1999, 436).
Six
seinerseits publizierte nicht zufällig seinen Aufsatz "Das Reich und Europa als
Forschungsaufgabe" in der von Schriftleiter Schneider verantworteten SS-
Zeitschrift "Weltliteratur" (9/10, 1942; Hausmann, 88).
Mitarbeiter und
Abteilungsleiter des ‚SS-Ahnenerbes’ waren von Anfang an in die ‚Aktion Ritterbusch’
involviert
und nahmen in den verschiedenen Disziplinen an ‚Einsatz’-Tagungen teil – so etwa Jankuhn
und Maschke auf einer Historiker-Tagung im Mai 1942 in Weimar (Hausmann, 192) oder
Schäfer bei der Tagung der Orientalisten Ende September / Anfang Oktober 1942 in
Berlin. Hausmann weist hier selbst auf "die enge Verflechtung von ‚Ahnenerbe’ und
Gemeinschaftswerk" hin (Hausmann, 213). Umgekehrt greift ein mit dem SS-Hauptamt
und dem ‚SS-Ahnenerbe’ abgestimmter Einsatzplan des SD für die "Geistige
Kriegsführung" vom März 1945, der auf ein Papier Schneiders
("Themenstellung für Einsatz der Geisteswissenschaft") zurückgeht,
auf Wissenschaftler zurück, die bereits im ‚Gemeinschaftswerk’ Ritterbuschs mitgearbeitet
hatten sowie auf den Leiter des Planungsamtes des Reichsforschungsrates, Werner
Osenberg (Simon 1996, 108-111; Hausmann, 86).
Die vor allem 1943 nach der Niederlage in
Stalingrad sich verschärfende Konkurrenz für das Unternehmen Ritterbusch war
deshalb vor allem Ausdruck des Versuches der SS, insbesondere des
Reichssicherheitshauptamtes, im Zuge der ‚Totalisierung’ des Krieges die
"kriegsmäßige Organisation" der
Geisteswissenschaften (Schneider an Schwalm 09.10.1944, BA NS 21/943)
unter alleinige Kontrolle zu bekommen, um die vor allem durch das ‚SS-Ahnenerbe’ bereits
in der Vorkriegszeit entwickelten wissenschaftsorganisatorischen und konzeptuellen Ideen
durchzusetzen.
Schneiders Projekt des "Totalen Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften"
sollte wohl insofern nicht lediglich als eine (radikalisierte) Kopie der ‚Aktion
Ritterbusch‘ angesehen werden. Auch das von Six und dem SS-Hauptamt publizistisch
behandelte Thema "Das Reich und Europa" scheint mir deshalb mehr zu sein, als
eine bloße Übernahme des Historiker-Projektes im Gemeinschaftswerk (Hausmann, 89).
Es gibt nämlich einen durchaus engen Zusammenhang zwischen Schneiders
radikalisierender Fortschreibung der ‚Aktion Ritterbusch‘, dem seit 1942 von Schneider
geleiteten "Germanischen Wissenschaftseinsatz" des ‚SS-Ahnenerbes‘ sowie der
germanozentrischen Europaidee der SS, die sowohl vom Amt III C ‚Kultur’ des RSHA, als
auch vom Amt VI des SS-Hauptamtes, dem "Amt für Volksgermanische
Führung", gepflegt und vom Auslandswissenschaftlichen Institut Six‘ wissenschaftlich
begleitet wurde. Die "Idee völkischer Weltanschauung und
großgermanischer Gemeinsamkeit in einem kommenden, neugeordneten Europa" wurde bereits
1940 von Schriftleiter Schneider in der "Weltliteratur", der ‚offiziellen Zeitschrift des Reichsführers-SS‘, propagiert (Schneider, Weltliteratur 11/1940).
Es ist aus diesem Grunde eher unwahrscheinlich, daß die SS hier "ein
geisteswissenschaftliches Projekt, das ihr erfolgsversprechend schien, [kopierte]" (Hausmann,
89).
Zwar spielte im Rahmen der sogenannten "Kulturraumforschung" der Gedanke
eines germanisch-deutsch bestimmten Europa bereits seit den frühen
dreißiger Jahren eine nicht unbedeutende Rolle im Diskurs der Geschichtswissenschaften,
insbesondere im organisatorischen Rahmen regionaler Forschungsgemeinschaften (vgl.
Ditt 1996; ebenso Ditt 1988; Fahlbusch 1999); aber bereits Mitte der dreißiger Jahre
erwuchs dieser historischen Forschung etwa durch einen – in Verbindung mit dem Deutschen
Auslandsinstitut gegründeten – "Volkswissenschaftlichen Arbeitskreis", an
dem mit Heinrich Harmjanz und Hans Schwalm zwei spätere SS-Führer des
‚Ahnenerbes‘ beteiligt waren (Ditt 1996, 81/31), volks- und raumgeschichtliche Konkurrenz.
Interessant ist, daß der Berliner Historiker Wilhelm Schüßler, auf dessen
deutliche Distanz zum ‚Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften‘ Hausmann hinweist (Hausmann,
180), auf das Wohlwollen des Reichssicherheitshauptamtes rechnen konnte, das ihn -
aufgrund seiner Arbeiten, die "den großdeutschen Gedanken in den Vordergrund
gestellt" und "immer wieder die Notwendigkeit einer starken deutschen
Vormachtstellung in Mitteleuropa und im südosteuropäischen Raum betont"
hätten – als einen "der brauchbarsten und einsatzfähigsten neueren Historiker"
bezeichnete (SS-Obersturmbannführer Rößner, Amt III C
RSHA, an SS-Hauptsturmführer Schneider, "Das Ahnenerbe", 01.08.1944,
BA NS 21/954; vgl. auch Jäger 1998, 123, 203).
"Europa ist unser Schlachtruf!
Und wir meinen damit ein germanisch bestimmtes Europa", formulierte 1943 der im
SS-Hauptamt tätige SS-Obersturmführer Alexander Dolezalek, ein Europa, in
dem die noch bestehenden Gegensätze "in einem übergeordneten europäischen
Verantwortungs- und germanischen Gemeinschaftsbewußtsein aufgehoben" würden
(BA NS 21/933). Es ist deshalb auch nicht verwunderlich,
daß die "Reichsidee" (Schneider an von der Au, 14.09.1940, NS 21/324) in
Verbindung ,mit einem germanozentrischen Europa-Gedanken ("nordrassisches
Indogermanentum") dem "Germanischen Wissenschaftseinsatz" des ‚SS-
Ahnenerbes‘ von Anfang an zugrunde lag, dessen Arbeit in den ‚germanischen
Randländern‘ zum Teil bereits als (geistes)wissenschaftlicher Kriegseinsatz konzipiert
war, bevor ein solcher von Ritterbusch im Reich selbst organisiert wurde (Kater 1976).
Schließlich beherrschte die ‚Reichsidee‘ auch noch Schneiders 1943 einsetzenden Versuch,
den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften zu intensivieren und in der Hand der SS zu
konzentrieren. In einem auf der Grundlage von Schneider-Vermerken verfaßten Brief
des Reichsgeschäftsführers des ‚SS-Ahnenerbes‘, Sievers, an den
persönlichen Referenten Himmlers, SS-Obersturmbannführer Rudolf Brandt,
heißt es, die Forschung "über die europäischen Räume und
die Lebensformen ihrer Völker" habe bisher "ohne zentrale Ausrichtung
und Lenkung" stattgefunden. "Eine solche geistige und weltanschauliche
Durchdringung der Forschung" durch die SS sei aber zur "Formung eines germanisch
bestimmten Europabildes" absolut notwendig, um so mehr, als das "deutsche
Geistes- und Wissenschaftsleben (...) nirgends den Willen zu einem geschlossenen
geistigen Einsatz" zeige. Deshalb – so Sievers – gehöre es "zu den
vordringlichsten
Pflichten der Wissenschaftsarbeit der SS, gerade im jetzigen Zeitpunkt bei allen
Arbeiten den
germanischen Führungsgedanken im europäischen Raum herauszustellen und
wirksam werden zu lassen" (Sievers an Brandt, 07.11.1944, In’t Veld 1976, 1427).
Resümee
Unabhängig davon, ob man nun das Europa-Projekt von Six als eine Kopie des
entsprechenden Vorhabens der Historiker des ‚Gemeinschaftswerkes’ oder als Ausdruck einer
für die SS genuinen germanozentrischen Europaidee interpretieren möchte, und
unabhängig davon, ob das Konzept zentral gesteuerter Gemeinschaftsforschung allein
auf Überlegungen Ritterbuschs zurückgeht oder als Moment eines bereits in den
frühen dreißiger Jahren einsetzenden Prozesses organisatorischer Politisierung
der Geisteswissenschaften aufzufassen ist, wird man jedoch mit Frank-Rutger Hausmann in
allen wesentlichen Befunden seines überaus verdienstvollen Buches
übereinstimmen müssen:
(1) einmal in der Herausarbeitung des komplexen
Spannungsverhältnisses von disziplinärer Autonomie und politischer Ideologisierung,
das vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen – wie etwa der Germanistik – deshalb
nicht ins Bewußtsein trat, weil sie sich bereits vor 1933 unabhängig von staatlichen
Anmutungen selbst längst ideologisiert hatten,
(2) zum zweiten in der Freilegung
des Modernisierungsschubes, den die Geisteswissenschaften faktisch durch ihren ‚
Kriegseinsatz‘ erfuhren, der sie nach 1945 zwar ihres Metadiskurses, nicht aber ihrer
durch organisatorische Innovationen professionalisierter Protagonisten beraubte und
schließlich
(3) in
der Nachzeichnung der ‚Aktion Ritterbusch‘ als eines politischen Anpassungsversuches der
Geisteswissenschaften, dessen Hoffnungen auf Relevanzgewinn durch
Kriegswichtigkeitsnachweise sowohl in den Konkurrenzkämpfen der beteiligten
kulturpolitischen Institutionen als auch in der ‚totalen‘ Niederlage des ‚Dritten Reiches‘
untergingen – gemeinsam mit
der Ideologie eines durch die Überlegenheit des deutschen Geistes reorganisierten
germanozentrischen Europas.
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Betätigungsfelder, München [Deutscher Taschenbuch Verlag] 1995.
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1923-1945, Münster [Aschendorfsche Verlagsbuchhandlung] 1988.
Karl Ditt, Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel
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Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landesverbandes Westfalen-
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Prof. Dr. Ludwig Jäger
Fachbereich 7
Germanistisches Institut
RWTH Aachen
Eilfschornsteinstraße 15
D-52056 Aachen
Ins Netz gestellt am 27.09.2000 / Update 16.01.2001.
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