Eine Analyse zwischen argumentativem Versagen und Querdenken
Vom Titel geweckte Erwartungen und Zweifel an ihrer Erfüllung
Wenn es jemand unternimmt, "die Medien" von J. W.
Goethe bis zum Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", so wörtlich der
Untertitel der hier anzuzeigenden Arbeit, ökonomisch zu durchleuchten und zu
analysieren, dann nötigt die Dimension eines solchen Vorhabens
zunächst staunenden Respekt ab, aber es meldet sich auch sogleich ein
unterschwelliger Zweifel: kann man das überhaupt schaffen? Zweifel wecken
dabei ebenso die temporale wie die mediale Spannweite des Vorhabens.
Um es leisten zu können, müßte zwischen den
überaus verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Verhältnissen vom späten 18. Jh. bis an die Schwelle des 21. Jh.
sorgsam unterschieden werden. Zum zweiten müßte die darauf
aufsetzende ökonomisch-theoretische Analyse in distanzierter Sachlichkeit die
Marktvorgänge darstellen und bewerten.Zum dritten müßte die
Datenbasis eines solchen Unterfangens breit genug sein, um den Verdacht der
Analyse von Einzelfällen anstelle der geforderten Analyse von
Marktverhältnissen — differenziert nach den verschiedenen Marktsegmenten
— zu entkräften.
Leider ist festzustellen, daß nach Meinung des Rezensenten
Ludwig im Blick auf diese drei Kriterien gescheitert ist und seine Arbeit, selbst wenn
sie keine wissenschaftliche sein sollte (sie wurde unbegreiflicherweise als
Promotionsleistung anerkannt) und eine nur journalistische wäre
(entsprechend dem von Ludwig offenbar ausgeübten Beruf), als
unzulänglich charakterisiert werden muß.
Detailreichtum ohne Konzept und bestürzende Fehlurteile
Was man dem Verfasser sicher nicht absprechen kann, ist
großer Fleiß und ein offenbar riesiges (vielleicht zu großes, zu wenig
gesteuertes?) Lektürepensum. Der Detailreichtum der Arbeit vermag an vielen
Stellen durchaus zu fesseln, und für bestimmte Sachverhalte mag Ludwigs
Arbeit eine vielfältige Quelle reizvoller Einzelfakten und hin und wieder auch
als Referenzwerk nützlich sein. Dennoch sind die Fakten unterschiedlicher
Relevanz und Verläßlichkeit nicht hinreichend gebündelt oder
gewichtet, zumal nicht angesichts des vom Verfasser selbst gewählten
überaus ambitiösen theoretischen Programms.
Es gelingt Ludwig nicht,
die Fülle von Einzelbeobachtungen aus drei Jahrhunderten zu einer
überzeugenden Gesamtschau zu verbinden — die begrifflich ausgreifenden
Theorieabschnitte bleiben zudem weitgehend isoliert und wirken peinlich
überzogen.
Schon auf den ersten Seiten finden sich bestürzende
Fehlurteile, so wird etwa Schiller auf S. 13 als "Aussteiger" qualifiziert,
was er nun ganz gewiß nicht war, weder subjektiv-mental noch
sozioökonomisch in den Maßstäben seiner Zeit. Auch die
geschwätzige Gegenüberstellung Goethes mit dem eher zu Recht
vergessenem Schreiberling S. Chr. A. Lütkemüller kann man nur
verwundert zur Kenntnis nehmen, ebenso die gleichrangige Einstufung von Konsalik
und Wieland hinsichtlich ihrer "monetären Zielgewichtung" (S.
137). Genug damit von schiefer Historie.
Undurchdachte Hypothesen zum Marktversagen
Woran es der Arbeit von Ludwig insbesondere gänzlich fehlt,
ist eine methodisch schlüssige Analyse der Medienmärkte. Dies liegt m.
E. an zwei zentralen Ausgangshypothesen, die Ludwig von Anfang an seiner
Analyse zugrundelegt, ohne offenbar zu bemerken, wie willkürlich und
realitätsfern sie sind. Beide Hypothesen dienen der Illustration der
bombastischen Formel des "Marktversagens".
Marktversagen liegt laut
Ludwig immer dann vor, wenn ein Druckerzeugnis nicht aus den
Verkaufserlösen dieses Titels mit Vollkostendeckung finanziert werden kann.
Zum zweiten sieht er Marktversagen überall da, wo die Autoren kein oder ein
nach seinen Maßstäben ausreichendes Honorar erhalten. Letzteres wird
befremdlicherweise auch noch autobiographisch unterlegt (S. 364-370) mit einem
von ihm recherchierten Artikel für die ZEIT, dessen Honorierung laut Ludwig
seinen Aufwand nicht angemessen entgolten hat. Gehört solche Wehleidigkeit
in eigener Sache in eine Dissertation?
Viel wichtiger aber ist grundsätzlich die Frage, ob denn,
wenn ein Buch nicht kostendeckend verkauft wurde, "der Markt versagt"
hat — oder war vielleicht das Buch schlecht, unnötig oder zur Unzeit
publiziert? Völlig unbegreiflich und unbegründet ist aber Ludwigs
Vorurteil, daß Anzeigenerlöse (o.ä.) keine vollwertigen Erlöse
eines Verlagsobjektes wären — die ganze Geschichte der Tageszeitungen,
Wochenblätter und Magazine als eineinhalb saecula des
Marktversagens?
Begriffliche Unschärfe und unreflektiert subjektive Bewertungskriterien bei der Beschreibung der Finanzierung
Auch bei der Problematik der Quer- und Mischfinanzierung
hätte sich der Verfasser vielleicht mehr mit der Kostenrechnungspraxis in
Vielproduktunternehmen befassen sollen und anstatt breit ausgewalzter
volkswirtschaftlicher Theoriesplitter sich der betriebswirtschaftlichen Analyse
zuzuwenden sollen. Leider verstellt sich der Verfasser den Weg zu solcher
Arbeitsweise durch einen überstarken Drang zur Beurteilung von Fakten, fast
möchte man von einem ethischen Beißreflex sprechen, der immer
schnappen läßt, wo "Marktversagen", also eine
Nichteinlösung von Autorenhoffnungen, gewittert wird.
Ludwig macht leider weder sich noch seinen Lesern klar, aus welch
verzerrter "Angebotsperspektive" (eben der des Textproduzenten) er seine
Argumentation aufbaut und kann daher die Unzulänglichkeiten seiner
Schlußfolgerungen nicht erkennen. Diese "Autorenperspektive"
wirkt sich immer wieder im Buch verhängnisvoll zuungunsten einer klaren
Analyse aus, wenn der Verfasser an vielen Stellen die Produktionskosten beim
Autor (d. h. dessen Zeitaufwand) vermischt mit den Produktionskosten für das
Druckerzeugnis beim Verleger. Auf solch begrifflich schlüpfrigem
Gelände kommt man dann allzu leicht zur vorschnellen Schlußfolgerung:
Marktversagen.
Stilistische Mängel
Schwer erträglich ist darüberhinaus das Schwanken
des Darstellungsstils zwischen salopp-journalistischer Ausdrucksweise und
verquollenem Wissenschaftsjargon mit aufgebohrter Begrifflichkeit wie etwa dem
beharrlich verwendeten Begriff "Inputproduzenten" für
Autoren.
Ungezählte Beispiele von nachlässigem Jargon
einerseits und begrifflichem Leerlauf andererseits, der allenfalls triviale Sachverhalte
beschreibt, ließen sich aufzählen und machen die Lektüre zum
Ärgernis. Z. B. stellt Ludwig auf S. 29 (bei der Darstellung des Kiepenheuer-
Verlags) fest, "mehrere Bestseller spülten zudem
überdurchschnittliche Liquidität in die Verlagskasse". Einmal
abgesehen vom beklagenswerten Sprachniveau (in einer wissenschaftlichen Arbeit!)
— woher hat Ludwig die Vergleichsmaßstäbe, daß dies
"überdurchschnittlich" war und im Vergleich wozu: zu
Kiepenheuers Liquidität sonst, zur Liquiditätssaisonfigur oder — und nur
das wäre ja eigentlich interessant — im Vergleich zu anderen Verlagen?
Als Beispiele des zweiten Typus’ sprachlicher Mängel, die
eben gedankliche Unschärfe sichtbar machen, nur einige Kostproben. S. 31:
Was sollte sich, trotz anerkennenswerter Faktenfülle, etwa aus der
Lektüre des Abschnitts 4.1 "Publizistisch-mediale Produkte und
Kommunikationsprozeß" ergeben, der mit der Feststellung beginnt
"Unterscheidungen und dafür vergebene Begrifflichkeiten sind immer
zweckgerichtet und können ohne Nennung der Kriterien keinen
Absolutheitsanspruch erheben" [wer hätte das gedacht?], um im
nächsten Abschnitt zu folgender Definition vorzustoßen: "Als
publizistische Produkte" seien Aussagenproduktionen gemeint, die sich im
Rahmen von Kommunikationsprozessen abspielen und die — zumindest seitens der
Kommunikatoren — auf öffentliche Wahrnehmung und/oder öffentlichen
Diskurs abzielen ..." Wer braucht solche geschraubten Definitionen und soll
sie mit Nutzen lesen?
Der Abschnitt oszilliert danach im munteren Wechselschritt
zwischen Beispielen wie der Diskussion um den Literaturbegriff bei Hochhuth,
Beckers Noth- und Hülfsbüchlein, Goethe und Zeitschriftenlektüre
der Gegenwart mit der treffenden, aber doch recht trivialen Bemerkung "Leser
von Zeitungen und Zeitschriften beispielsweise nutzen nur (noch) in den seltensten
Fällen sämtliche Angebotsbestandteile eines Mediums".
Irgendwie hat man an solchen Stellen einfach keine Lust mehr,
weiterzulesen. Ich habe es als pflichtbewußter Rezensent dennoch getan und
kann nun wenigstens den menschenfreundlichen Rat geben: die gut 170 Seiten
wirtschaftstheoretisch überfrachteter Erörterungen kann man sich
getrost schenken, es bleibt eine frucht- und freudlose Lektüre.
Werbefeindlichkeit
Ab S. 217 beginnt dann (endlich) die Abhandlung des eigentlichen
Themas als Kapitel 6: "Von der Mischfinanzierung zur
Querfinanzierungstechnik". Kleinere Unzulänglichkeiten bei der Analyse
der Werbe- und Anzeigenmärkte sollen uns dabei nicht weiter stören,
etwa, daß in der Tabelle auf S. 227 Anzeigenerlöse aus Büchern
ignoriert werden oder daß den wissenschaftlichen Zeitschriften 45%
Anzeigenerlöse zugesprochen werden. Schön wär’s. Offenbar hat
der Verfasser wissenschaftliche und Fachzeitschriften vermengt.
Gravierender ist —
wieder ausgehend von Ludwigs Vorurteil gegen alle Werbung — daß z. B. breit
die Akzeptanz von Werbung diskutiert wird im Sinne von Duldung, und
überhaupt nicht gesehen, daß Werbung in Fachpublikationen ein
entscheidendes, manchmal sogar das entscheidende Informationselement für
den Nutzer ist (S. 258). Was soll andererseits das Gerede vom
"Überwälzen des Werbeaufwandes" auf die Käufer (S.
263) — Werbekosten müssen natürlich wie jede andere Kostenart auch
(bis hin zum Rolls Royce des Verlegers) von den Kunden bezahlt werden — von
wem denn sonst?
Ludwig leidet also offensichtlich unter doppelter Werbe-Allergie,
und das in unserer werbefreudigen Zeit: nicht nur gegen Werbung als
Einnahmequelle für Verlage, sondern auch gegen Werbung als
Kostenposition. So wollen wir also — auch um der Sache ein Ende zu machen —
seiner Werbefeindlichkeit folgen und sagen: für dieses Buch kann nicht
geworben werden.
Dr. Wulf D. von Lucius
Gerokestr. 51
D-70184 Stuttgart
Homepage:
http://www.luciusverlag.com
Ins Netz gestellt am 27.11.2000.
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