Lucius über Ludwig: Zur Ökonomie der Medien

Wulf D. von Lucius

Eine Analyse zwischen argumentativem Versagen und Querdenken

  • Johannes Ludwig: Zur Ökonomie der Medien: Zwischen Marktversagen und Querfinanzierung von J. W. Goethe bis zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel. (Studien zur Kommunikationswissenschaft 33) Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998. 414 S. Kart. DM 79,-.
    ISBN 3-531-13159-1



Vom Titel geweckte Erwartungen und Zweifel an ihrer Erfüllung

Wenn es jemand unternimmt, "die Medien" von J. W. Goethe bis zum Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", so wörtlich der Untertitel der hier anzuzeigenden Arbeit, ökonomisch zu durchleuchten und zu analysieren, dann nötigt die Dimension eines solchen Vorhabens zunächst staunenden Respekt ab, aber es meldet sich auch sogleich ein unterschwelliger Zweifel: kann man das überhaupt schaffen? Zweifel wecken dabei ebenso die temporale wie die mediale Spannweite des Vorhabens.

Um es leisten zu können, müßte zwischen den überaus verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen vom späten 18. Jh. bis an die Schwelle des 21. Jh. sorgsam unterschieden werden. Zum zweiten müßte die darauf aufsetzende ökonomisch-theoretische Analyse in distanzierter Sachlichkeit die Marktvorgänge darstellen und bewerten.Zum dritten müßte die Datenbasis eines solchen Unterfangens breit genug sein, um den Verdacht der Analyse von Einzelfällen anstelle der geforderten Analyse von Marktverhältnissen — differenziert nach den verschiedenen Marktsegmenten — zu entkräften.

Leider ist festzustellen, daß nach Meinung des Rezensenten Ludwig im Blick auf diese drei Kriterien gescheitert ist und seine Arbeit, selbst wenn sie keine wissenschaftliche sein sollte (sie wurde unbegreiflicherweise als Promotionsleistung anerkannt) und eine nur journalistische wäre (entsprechend dem von Ludwig offenbar ausgeübten Beruf), als unzulänglich charakterisiert werden muß.

Detailreichtum ohne Konzept und bestürzende Fehlurteile

Was man dem Verfasser sicher nicht absprechen kann, ist großer Fleiß und ein offenbar riesiges (vielleicht zu großes, zu wenig gesteuertes?) Lektürepensum. Der Detailreichtum der Arbeit vermag an vielen Stellen durchaus zu fesseln, und für bestimmte Sachverhalte mag Ludwigs Arbeit eine vielfältige Quelle reizvoller Einzelfakten und hin und wieder auch als Referenzwerk nützlich sein. Dennoch sind die Fakten unterschiedlicher Relevanz und Verläßlichkeit nicht hinreichend gebündelt oder gewichtet, zumal nicht angesichts des vom Verfasser selbst gewählten überaus ambitiösen theoretischen Programms.

Es gelingt Ludwig nicht, die Fülle von Einzelbeobachtungen aus drei Jahrhunderten zu einer überzeugenden Gesamtschau zu verbinden — die begrifflich ausgreifenden Theorieabschnitte bleiben zudem weitgehend isoliert und wirken peinlich überzogen.

Schon auf den ersten Seiten finden sich bestürzende Fehlurteile, so wird etwa Schiller auf S. 13 als "Aussteiger" qualifiziert, was er nun ganz gewiß nicht war, weder subjektiv-mental noch sozioökonomisch in den Maßstäben seiner Zeit. Auch die geschwätzige Gegenüberstellung Goethes mit dem eher zu Recht vergessenem Schreiberling S. Chr. A. Lütkemüller kann man nur verwundert zur Kenntnis nehmen, ebenso die gleichrangige Einstufung von Konsalik und Wieland hinsichtlich ihrer "monetären Zielgewichtung" (S. 137). Genug damit von schiefer Historie.

Undurchdachte Hypothesen zum Marktversagen

Woran es der Arbeit von Ludwig insbesondere gänzlich fehlt, ist eine methodisch schlüssige Analyse der Medienmärkte. Dies liegt m. E. an zwei zentralen Ausgangshypothesen, die Ludwig von Anfang an seiner Analyse zugrundelegt, ohne offenbar zu bemerken, wie willkürlich und realitätsfern sie sind. Beide Hypothesen dienen der Illustration der bombastischen Formel des "Marktversagens".

Marktversagen liegt laut Ludwig immer dann vor, wenn ein Druckerzeugnis nicht aus den Verkaufserlösen dieses Titels mit Vollkostendeckung finanziert werden kann. Zum zweiten sieht er Marktversagen überall da, wo die Autoren kein oder ein nach seinen Maßstäben ausreichendes Honorar erhalten. Letzteres wird befremdlicherweise auch noch autobiographisch unterlegt (S. 364-370) mit einem von ihm recherchierten Artikel für die ZEIT, dessen Honorierung laut Ludwig seinen Aufwand nicht angemessen entgolten hat. Gehört solche Wehleidigkeit in eigener Sache in eine Dissertation?

Viel wichtiger aber ist grundsätzlich die Frage, ob denn, wenn ein Buch nicht kostendeckend verkauft wurde, "der Markt versagt" hat — oder war vielleicht das Buch schlecht, unnötig oder zur Unzeit publiziert? Völlig unbegreiflich und unbegründet ist aber Ludwigs Vorurteil, daß Anzeigenerlöse (o.ä.) keine vollwertigen Erlöse eines Verlagsobjektes wären — die ganze Geschichte der Tageszeitungen, Wochenblätter und Magazine als eineinhalb saecula des Marktversagens?

Begriffliche Unschärfe und unreflektiert subjektive Bewertungskriterien bei der Beschreibung der Finanzierung

Auch bei der Problematik der Quer- und Mischfinanzierung hätte sich der Verfasser vielleicht mehr mit der Kostenrechnungspraxis in Vielproduktunternehmen befassen sollen und anstatt breit ausgewalzter volkswirtschaftlicher Theoriesplitter sich der betriebswirtschaftlichen Analyse zuzuwenden sollen. Leider verstellt sich der Verfasser den Weg zu solcher Arbeitsweise durch einen überstarken Drang zur Beurteilung von Fakten, fast möchte man von einem ethischen Beißreflex sprechen, der immer schnappen läßt, wo "Marktversagen", also eine Nichteinlösung von Autorenhoffnungen, gewittert wird.

Ludwig macht leider weder sich noch seinen Lesern klar, aus welch verzerrter "Angebotsperspektive" (eben der des Textproduzenten) er seine Argumentation aufbaut und kann daher die Unzulänglichkeiten seiner Schlußfolgerungen nicht erkennen. Diese "Autorenperspektive" wirkt sich immer wieder im Buch verhängnisvoll zuungunsten einer klaren Analyse aus, wenn der Verfasser an vielen Stellen die Produktionskosten beim Autor (d. h. dessen Zeitaufwand) vermischt mit den Produktionskosten für das Druckerzeugnis beim Verleger. Auf solch begrifflich schlüpfrigem Gelände kommt man dann allzu leicht zur vorschnellen Schlußfolgerung: Marktversagen.

Stilistische Mängel

Schwer erträglich ist darüberhinaus das Schwanken des Darstellungsstils zwischen salopp-journalistischer Ausdrucksweise und verquollenem Wissenschaftsjargon mit aufgebohrter Begrifflichkeit wie etwa dem beharrlich verwendeten Begriff "Inputproduzenten" für Autoren.

Ungezählte Beispiele von nachlässigem Jargon einerseits und begrifflichem Leerlauf andererseits, der allenfalls triviale Sachverhalte beschreibt, ließen sich aufzählen und machen die Lektüre zum Ärgernis. Z. B. stellt Ludwig auf S. 29 (bei der Darstellung des Kiepenheuer- Verlags) fest, "mehrere Bestseller spülten zudem überdurchschnittliche Liquidität in die Verlagskasse". Einmal abgesehen vom beklagenswerten Sprachniveau (in einer wissenschaftlichen Arbeit!) — woher hat Ludwig die Vergleichsmaßstäbe, daß dies "überdurchschnittlich" war und im Vergleich wozu: zu Kiepenheuers Liquidität sonst, zur Liquiditätssaisonfigur oder — und nur das wäre ja eigentlich interessant — im Vergleich zu anderen Verlagen?

Als Beispiele des zweiten Typus’ sprachlicher Mängel, die eben gedankliche Unschärfe sichtbar machen, nur einige Kostproben. S. 31: Was sollte sich, trotz anerkennenswerter Faktenfülle, etwa aus der Lektüre des Abschnitts 4.1 "Publizistisch-mediale Produkte und Kommunikationsprozeß" ergeben, der mit der Feststellung beginnt "Unterscheidungen und dafür vergebene Begrifflichkeiten sind immer zweckgerichtet und können ohne Nennung der Kriterien keinen Absolutheitsanspruch erheben" [wer hätte das gedacht?], um im nächsten Abschnitt zu folgender Definition vorzustoßen: "Als publizistische Produkte" seien Aussagenproduktionen gemeint, die sich im Rahmen von Kommunikationsprozessen abspielen und die — zumindest seitens der Kommunikatoren — auf öffentliche Wahrnehmung und/oder öffentlichen Diskurs abzielen ..." Wer braucht solche geschraubten Definitionen und soll sie mit Nutzen lesen?

Der Abschnitt oszilliert danach im munteren Wechselschritt zwischen Beispielen wie der Diskussion um den Literaturbegriff bei Hochhuth, Beckers Noth- und Hülfsbüchlein, Goethe und Zeitschriftenlektüre der Gegenwart mit der treffenden, aber doch recht trivialen Bemerkung "Leser von Zeitungen und Zeitschriften beispielsweise nutzen nur (noch) in den seltensten Fällen sämtliche Angebotsbestandteile eines Mediums".

Irgendwie hat man an solchen Stellen einfach keine Lust mehr, weiterzulesen. Ich habe es als pflichtbewußter Rezensent dennoch getan und kann nun wenigstens den menschenfreundlichen Rat geben: die gut 170 Seiten wirtschaftstheoretisch überfrachteter Erörterungen kann man sich getrost schenken, es bleibt eine frucht- und freudlose Lektüre.

Werbefeindlichkeit

Ab S. 217 beginnt dann (endlich) die Abhandlung des eigentlichen Themas als Kapitel 6: "Von der Mischfinanzierung zur Querfinanzierungstechnik". Kleinere Unzulänglichkeiten bei der Analyse der Werbe- und Anzeigenmärkte sollen uns dabei nicht weiter stören, etwa, daß in der Tabelle auf S. 227 Anzeigenerlöse aus Büchern ignoriert werden oder daß den wissenschaftlichen Zeitschriften 45% Anzeigenerlöse zugesprochen werden. Schön wär’s. Offenbar hat der Verfasser wissenschaftliche und Fachzeitschriften vermengt.

Gravierender ist — wieder ausgehend von Ludwigs Vorurteil gegen alle Werbung — daß z. B. breit die Akzeptanz von Werbung diskutiert wird im Sinne von Duldung, und überhaupt nicht gesehen, daß Werbung in Fachpublikationen ein entscheidendes, manchmal sogar das entscheidende Informationselement für den Nutzer ist (S. 258). Was soll andererseits das Gerede vom "Überwälzen des Werbeaufwandes" auf die Käufer (S. 263) — Werbekosten müssen natürlich wie jede andere Kostenart auch (bis hin zum Rolls Royce des Verlegers) von den Kunden bezahlt werden — von wem denn sonst?

Ludwig leidet also offensichtlich unter doppelter Werbe-Allergie, und das in unserer werbefreudigen Zeit: nicht nur gegen Werbung als Einnahmequelle für Verlage, sondern auch gegen Werbung als Kostenposition. So wollen wir also — auch um der Sache ein Ende zu machen — seiner Werbefeindlichkeit folgen und sagen: für dieses Buch kann nicht geworben werden.


Dr. Wulf D. von Lucius
Gerokestr. 51
D-70184 Stuttgart
Homepage: http://www.luciusverlag.com

Ins Netz gestellt am 27.11.2000.

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