Roman Luckscheiter

Patriotismus als weibliches Denkmuster

  • Kerstin Wilhelms: Literatur und Revolution. Schauplätze und Geschlechterdramaturgie in Romanen der 1848er Revolution. (Literatur - Kultur - Geschlecht 17) Köln: Böhlau, 2000. 303 S. Kart. DM 78,00.
    ISBN 3-412-06400-9.


1. Dramaturgien und Narrationen
aus den Jahren um 1848

Charles Baudelaire hat in einer Rückschau auf die Ereignisse von 1848 gemeint, die Revolution sei zwar lächerlich, aber eben auch amüsant gewesen, weil damals jeder seine eigene Utopie verfolgt habe1 - wie Kinder, die sich in Sandburgen als Könige fühlen. So unterschiedlich die politischen Kontexte der Revolutionen in Frankreich und Deutschland waren, so übertragbar sind doch die jeweiligen Erfahrungen. Auch unter den Deutschen setzte die Bewegung Phantasien frei, die sehr viel mehr im Alltag jedes Einzelnen angesiedelt waren als noch die blutrünstigen Befreiungsorgien der abstrakten Denker von 1789. Die Revolution, die sich 1848, inspiriert von den Ereignissen in Frankreich, auch in Deutschland abspielte, war bereits eine geläuterte: Sie kannte die Exzesse des Terrors und sie wusste, dass die Politik nicht mehr die einzig bestimmende Kraft war - zu sehr war die Gesellschaft inzwischen durch wirtschaftliche Prozesse und bürgerliche Emanzipationen geprägt.

Kein Wunder, dass sich die Literatur besonders rasch der diffusen Stimmungslage, der Hoffnungen und Enttäuschungen der Jahre um 1848 annahm: Sie konnte sowohl die gewöhnliche Dramatik revolutionärer Umbrüche als auch die außergewöhnliche Problematik des bürgerlichen Selbstverständnisses nutzen, um mit heißer Nadel Publikumserfolge zu schaffen. Das war an sich nichts Neues: Ludwig Börne berichtete 1830 aus Paris, es seien kaum acht Tage nach der Revolution verflossen gewesen, "als schon zwanzig Komödien fertig waren, die alle auf das Ereignis Bezug hatten."2 Die literaturwissenschaftliche Forschung hat sich aber bisher vor allem für die Epoche des Vormärz interessiert und kaum für die Zeit nach 1848, den sogenannten Nachmärz. Dabei ist zu konstatieren, dass eine mißglückte Revolution nur allzu häufig eine enttäuschte, fast beleidigte Reaktion der Literaturwissenschaft mit sich gebracht hat. Hinzu kommt, dass das Interesse an der dramatischen Verarbeitung der Revolution, wie sie Börne schildert, dasjenige an der - von Natur aus behäbigeren - entsprechenden Romanproduktion meist überlagert.

Die Dissertation von Kerstin Wilhelms, die auf dem Feld der Populärromane nach literarisch wirksamen Schauplätzen der Revolution und nach der konzeptuell relevanten Geschlechterkonstellation gefragt hat, will diese Desiderata einlösen. Sie betrachtet die auffallend rasche Thematisierung der Ereignisse durch die Literatur als einen "spezifischen Beitrag zur Verständigung" über die Frage, wie die Verhältnisse zu ändern seien, und stellt die einschlägigen Romane mehr oder minder bekannter Autoren zu einem Korpus "als Repräsentation einer kollektiven zeitgenössischen Narration der 48er Revolution" zusammen.

2. Paris als Zentrum
der Revolutionstopographie

Otto Müllers Roman "Georg Volker", Louise Ottos "Drei verhängnisvolle Jahre", Hugo Harzburgs "Der achtzehnte März", Alexander von Ungern-Sternbergs "Die Royalisten" und Max Rings "Berlin und Breslau" dienen Wilhelms für die Untersuchung der "Ursprungsmythen" der Revolution. Die literarischen Figuren nehmen die Nachricht der Pariser Februarrevolution mit "Angst und Schrecken" oder aber mit "Genugtuung und Hoffnung" auf - da gerät nicht nur die Odenwald-Idylle eines Grafen von Nellenburg in Unruhe, sondern ganze literarische Salons erleiden beim Teetrinken den Kollaps. Die Botschaften aus Paris spielen eine zentrale Rolle, so dass Wilhelms zu dem Schluss kommt, dass Deutschland als Revolutionsschauplatz untrennbar mit Frankreich verbunden war. Was aus Paris berichtet wird, lässt die Gesellschaft aufhorchen und macht sie hungrig auf weitere Nachrichten: ein neues Informationsbedürfnis entsteht und führt zur Aufwertung gesellschaftlicher Kommunikation.

Am Beispiel des Pianisten Illershof aus Louise Ottos "Drei verhängnisvolle Jahre" zeichnet Wilhelms die "Geschichte einer inneren Wandlung" vom abgehobenen Salonlöwen bis zum demokratischen Redenschwinger nach und entdeckt ein deutsch-französisches Läuterungsmuster: In Paris flammt die Begeisterung für die Revolution auf und in der politischen Aktion in Deutschland wird sie dann ausgelebt. Hier hätte man gerne gewusst, was es mit der Repräsentativität dieses Kulturimports zur damaligen Zeit auf sich hatte; einzelne Biographien sind bekannt, aber ob dieses Muster dem breiten Lesepublikum, an das sich diese Romane richteten, bekannt vorkommen konnte oder sich eher wie eine Abenteuergeschichte las, wäre eine aufschlussreiche Frage gewesen - wie es überhaupt verwundert, dass die Autorin keinerlei Anstalten unternimmt, die "kollektive Narration" in den Horizont ihrer Akteure einzubinden. Kein Wort über die tatsächlichen Reaktionen in den Salons und Odenwäldern.

3. Beschleunigte Öffentlichkeiten,
bürgerliche Königsszenen

Kerstin Wilhelms pflegt einen geographischen Blick: Sie fragt in ihrem "Konstellationen"- Kapitel nach den "Topographien" der Revolution und untersucht die Motive der Straße und der Eisenbahn als zwei besonders demokratische Orte neu entstehender Öffentlichkeiten. Dass Barrikaden "zum genuinen Symbol der Revolution" und Dampfzüge für Mobilität stehen, dass hier überall Klassen gemischt oder eben getrennt werden, ist so wenig überraschend, dass die perspektivisch stringente Resümierung der betreffenden Romane zur lapidaren Fleißarbeit geraten muss. Versuche, einzelne Beobachtungen auch zur herkömmlichen Öffentlichkeit des politischen Lebens in einen abstrakteren Sinnzusammenhang zu wuchten, wirken dann etwas bemüht.

Wenn es darum geht, dass Claire von Glümer in "Fata Morgana" die Redner der Paulskirche als eitle Männer darstellt, die auf die Damen auf der Galerie Eindruck machen wollen, und damit die Aufrichtigkeit demokratischer Rhetorik relativiert, dann lautet das beispielsweise wie folgt: "Daß Institutionalisierung - auch die von Öffentlichkeit - über Ausschlüsse konstituiert wird, zeigt sich in der Frage des Zugangs von Frauen zum politischen Schauplatz. Selbst ihre Verbannung auf die Galerie - also an die Peripherie - droht die zentral gesetzte Sphäre des Politischen zu trivialisieren." Da es aber in der weiteren Abhandlung weder um Institutionalisierung noch um Trivialisierung geht, bleibt der Leser ziemlich allein mit solch eingestreuten Theorie-Gemeinplätzen.

Ähnlich merkwürdig sind die Erkenntnisse zur literarischen Funktion des Barrikaden-Motivs formuliert: "Der Schauplatz Barrikade […] verkörpert die Topographie des Volksaufstandes." oder "Der Aufruf zum Barrikadenkampf schreibt den Startpunkt der Berliner Märzerhebung fest und symbolisiert zugleich die Revolution […]. In diesem Sinne erwerben die Ereignisse mit dem Schlagwort ‚Barrikaden' den Namen ‚Revolution', die Begriffe gleiten ineinander und stehen füreinander ein." Worin liegt da der Gewinn gegenüber der eingangs erwähnten Aussage, dass die Barrikade "zum genuinen Symbol der Revolution" wurde?

Sehr viel aufschlussreicher - und leider nur kurz gestreift - ist die Feststellung, dass sich der Habermassche Öffentlichkeitsbegriff, der sich auf die gebildeten Stände bezieht, als blind und damit untauglich für die Beschreibung dessen erweist, was die "revolutionäre Konstellation" an Öffentlichkeit in Flugschriften oder Katzenmusik hervorgebracht hat.

Andere 48er-Romane haben weniger Öffentlichkeit abgebildet als sich selbst als Öffentlichkeit wahrgenommen, um sich publikumsorientiert um das Verhältnis zwischen König und Volk zu sorgen. Sie kamen dabei, wie Wilhelms aufzeigt, ins Lavieren: Einerseits wollte man sich selbstbewusst "dem mächtigen Bild vom König" entziehen, indem man ihn in den Romanen als Privatperson darstellte, andererseits wollte man es sich auch nicht mit der Liebe Friedrich Wilhelms IV. zu seinen Untertanen verscherzen. Man wählte daher recht oft den Topos vom guten Vater und sprach viel von Liebe, so viel, dass Wilhelms gar den "Lieberalismus" dafür verantwortlich macht (S. 111). Die Literatur hat jedenfalls den König verbürgerlicht und die Revolution familiarisiert: Politische Konflikte wurden in der romanesken Darbietungsform zu Beziehungskonflikten.

4. Weibliche Handlungsräume

Die zweite Hälfte der Dissertation setzt sich mit der Geschlechterdramaturgie der Revolutionsromane auseinander. Kerstin Wilhelms fragt nach dem "doppelten Ort der Frauen in der Gesellschaft" und danach, wie die Literatur diesen doppelten Ort nutzt. Die gleichzeitige Zugehörigkeit der Frau zur Privatsphäre und (seit ihrer Politisierung im Vormärz) zur Öffentlichkeitssphäre gibt ihnen zunächst die klassische Position des Intellektuellen: halb dabei, halb nicht. Der "Platz am Fenster", der den Frauen in den Romanen von Max Ring, Louise Otto und Johanna Kinkel zugeschrieben wird, erweist sich nicht nur als "Schnittstelle" zwischen Familie und Politik, sondern auch als erzähltechnischer Coup. Die Frau nimmt die Beobachterperspektive ein, kann die Ereignisse kommentieren und mit eigenen Eindrücken und Gefühlen verbinden und von der Wahrnehmung einzelner Konflikte nahtlos übergehen zu allgemeinen Situationsberichten.

Nicht selten kommt es vor, dass bei der Frau "das Geschaute zum Impuls werden kann, den Fensterplatz hinter sich zu lassen" und sich am Straßenkampf zu beteiligen. Das gelingt freilich nur, wie in Louise Astons "Revolution und Contrerevolution", indem sich die Frau als Mann verkleidet und in geliehener Uniform auf die Barrikaden geht. Dass damit die Geschlechterhierarchie durcheinanderkommt, liegt auf der Hand, bedarf aber offensichtlich auch in der germanistischen Darstellung einer Uniform - der Uniform des wissenschaftlichen Ausdrucks:

Die Protagonistin "trägt die Männerkleider […] wie ein praktisches Kostüm, das darüber hinaus die Eroberung männlicher Handlungsräume symbolisiert und einen emanzipatorischen Anspruch signalisiert" (S. 168), "die Topographie der Barrikade schafft in Astons Roman Gleichheit, wenn die Frau dort wie ein Mann agiert. Der Kleidertausch fungiert dabei als ein äußerliches Zeichen für neue Verhaltensoptionen, mit dem die Frau die traditionelle Geschlechterhierarchie abstreift" (S. 169).

Das klingt mehr nach Jil Sander als nach George Sand (dem französischen Vorbild von einst) und lässt die Frage offen, wann die ersten Männer in Frauenkleidern auf den Barrikaden erschienen, bringt aber die Untersuchung insofern weiter, als der Geschlechtertausch in Friedrich Karchers "Freischärlerin" eine handlungstragende Konstruktion zum Schutz der weiblichen Protagonistin vor Verletzungen wird. Sehr kryptisch bleibt Wilhelms bei der Überlegung, ob die Verkleidung der Frau in den Romanen nun als Emanzipation oder als "Stilllegung" des Weiblichen präsentiert wurde. "Der rhetorische Aufwand", den Karcher betreibe, um die Überschreitung der weiblichen Geschlechterrolle als legitim darzustellen, belegt laut Wilhelms, daß Bilder einer "männermordenden Weiblichkeit" und "Negativbilder" emanzipierter Frauen "ex negativo präsent" seien. Hier hätte man als Germanist nun aber wirklich gerne gewusst, was es mit dieser literarischen Strategie der negativen Präsenz auf sich hat und wie sich der "rhetorische Aufwand" auf die literarische Übermittlung (Sprache, Stil, Konstruktion...) ausgewirkt hat.

Fernab der Barrikaden wirkt das weibliche Romanpersonal vor allem durch die natürliche Begabung der weiblichen Verstellungskunst als revolutionäres Subjekt: Die revolutionäre Praxis der Frauen, mit der sie Selbstbestimmung und Einmischung erreichen wollten, reicht in den ausgewählten Romanen von Liebesdiensten über Täuschungen und Intrigen bis hin zum Verrat. Nur so gelingt es ihnen, wie Wilhelms herausgearbeitet hat, als Mittelspersonen zwischen verfeindeten Lagern zu agieren, letztlich aber - bei aller List - dann doch die immanente Tugend- und Wahrhaftigkeit des Weiblichen als "Garantie" für die "Reinheit der demokratischen Idee" einzusetzen. Soviel Ambivalenz hätte man den ansonsten eher einfach gestrickten Romanen gar nicht zugetraut.

5. Mutterliebe für das Vaterland

Die Schlüsselmotivation für weibliches Handeln in der Revolutionsliteratur hat Kerstin Wilhelms in der Liebe ausgemacht. Dabei geht es weniger um die Liebe zu Ehemann, Vater, Sohn oder Geliebtem als zu den Abstracta Demokratie und Vaterland. Erst in einem zweiten Schritt scheint die Liebe zur Demokratie dann zur Liebe zu einem Demokraten zu werden, wie Wilhelms es an dem operettenhaften Verhältnis von Emma Redlich (!) zum Landschaftsrat Hochherz (!) nachgezeichnet hat. Auch die Mutterschaft ist "keine private innerfamiliäre Aufgabe mehr" - der Drang der Söhne, fürs Vaterland zu kämpfen, ist oftmals "Konsequenz eines […] von der Mutter gelehrten Patriotismus".

Aus der Perspektive des männlichen Gefühlslebens scheint es in den Populärromanen keinesfalls unpolitischer zugegangen zu sein: Der "Revolutionär als Bräutigam" wird zum Idealbild eines "mündigen Bürgers, der im Politischen und im Privaten seine Lebensverhältnisse souverän gestalten will". In Fanny Lewalds Novelle "Auf Rother Erde" findet sich die entsprechende Definition wahrer Männlichkeit: "Wer den Muth und den Willen habe, für sein Volk und dessen Recht zu kämpfen, der werde auch den Muth haben, sich sein Weib zu erringen aller Welt zum Trotz" - offenbar war die Eheschließung mitunter schwerer durchzustehen als ein Barrikadengefecht. So kommt es, dass im "Bild der Braut", das sowohl für die geliebte Frau als auch für das Vaterland verwendet wird, "nationaler Diskurs und Geschlechterdiskurs" zusammenkommen. Auf der anderen Seite spielen die Mutterfiguren einiger Romane mit dem Gedanken, dass die Ehe mäßigend auf allzu hitzig revolutionäre Söhne wirken könnte...

6. Scheitern und Neuanfang

Die fatale Konsequenz der Kombination aus nationalem Diskurs und Geschlechterdiskurs wird dort deutlich, wo es um das Scheitern der Revolution von 1848 geht - die Frau wird zur "Allegorie der gescheiterten Revolution". Ein ganz ähnlicher Prozess spielte sich im übrigen in Frankreich ab: Der Sozialist Pierre Proudhon, erzürnt über das jämmerliche Ende des 48er-Aufstandes, war der festen Überzeugung, dass der hohe Anteil von Frauen und Künstlern in der Politik der Revolution zum Verhängnis geworden sei.3

Die von Kerstin Wilhelms ausgesuchten Romane wurden von einer versöhnlicheren Stimmung getragen. Sie dehnen die Handlung zwar alle - bis auf eine Ausnahme - auf die Zeit des Scheiterns und Verarbeitens nach 1848 aus, suchen aber neben den "Phantomschmerzen" vor allem Orte neuen Glücks. Familien finden sich wieder, Paare heiraten und der Traum vom besseren Leben wird von der Stadt aufs Land verlegt. Im ruralen Exil der Familienharmonie herrscht, wie in Adolph Streckfuß' Roman "Die Demokraten", ein enormer Wille, "die mangelnde Verankerung der demokratischen Idee und die realen Machtverhältnisse anzuerkennen". Die "künftige nichtrevolutionäre Aufgabe der Demokraten" bestehe laut Streckfuß darin, die "Idee gegen den Sieg der Reaktion aufrechtzuerhalten und zu verbreiten". Und so kann auch im aufgescheuchten Odenwald wieder Ruhe einkehren, nicht ohne dass die Revolution doch noch manche Spur hinterlassen hätte: Aristokratinnen erklären sich zur Rolle der Hausfrau bereit und Väter akzeptieren ihre geschwächte Machtposition.

7. Anspruch und Erkenntnis

In ihrem Resümee profiliert Kerstin Wilhelms die untersuchten Revolutionsromane in ihrer Stellung zu den literarischen Eigenheiten des Vormärz und zu den Traditionen des Romangenres. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass unmittelbar nach 1848 "das Situative" die "diskursive Entfaltung politischer Ideen" verdrängt habe und infolge dessen Ereignisse statt Programme die Romane beherrschten. Damit gewann die Literatur wieder an Erzählduktus zurück, was sie in den Diskussions- und Reflexionsromanen des Jungen Deutschland verloren hatte. Sie bediente sich dabei, laut Wilhelms, Erzählmustern sowohl aus der Tradition des Entwicklungsromans und der Empfindsamkeit als auch populärer Elemente der Kolportage- und Geheimnisliteratur.

Eine "Verdopplung" vollzog sich auch auf der inhaltlichen Ebene: Konfliktdarstellungen, die auf das Politische zielen, spielen sich zugleich auch im Privaten ab oder bedienen sich zumindest privater Konflikt- und Beziehungsmuster. Insofern kann von epigonaler Literatur wohl nicht gesprochen werden. Doch wenn Wilhelms einräumt, dass mit der politischen Revolution gewiss keine literarische einhergegangen ist, dann bedauert man die Autorin fast um die Mühe, die zahlreichen eher trivialen und vorwiegend in Vergessenheit geratenen Romane inhaltlich zusammenzufassen und mittels theoretischem Jargon aufzuwerten.

Das Konzept der Arbeit, all diese Romane als "kollektiven Gesamtroman" zu lesen, erscheint im Sinne einer Motiv- und, wenn es sein muss, auch "Topographie"-Studie zunächst einleuchtend. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Romane allerdings durchaus als heterogene Masse, die in Einzeldarstellungen vielleicht den Gewinn mit sich gebracht hätte, mehr über das literarische Feld und seine Dynamik um 1848 zu lernen. Denn nur sehr spärlich erfährt man über die politischen Hintergründe der Autoren und ihre Vorbilder, die zumeist aus Frankreich stammten. Der diskursanalytische Ansatz verbietet dies freilich - und die entsprechenden Autoritäten sind auch alle im Literaturverzeichnis zur Theoriephalanx aufgebaut.

Bezüge zu zeitgenössischen Persönlichkeiten und Diskussionen der demokratischen Idee hätten jedoch Aufschlüsse über die Spezifizität des literarischen Diskurses (und damit der Bildung des zeitgenössischen literarischen Publikums) gestattet, die dann zu einer "Verortung" der Dissertation an den Schauplätzen der germanistischen Standardwerke hätten führen können.


Dr. Roman Luckscheiter
60, rue du Rendez-vous
F-75012 Paris

Ins Netz gestellt am 30.01.01

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von der Redaktion IASLonline. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal LR - Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!



[ Home | Anfang | zurück ]



Anmerkungen

1 Charles Baudelaire: "Mon cœur mis à nu". In : "Œuvres complètes". Tome I. Paris 1975, S. 680.   zurück

2 Ludwig Börne: "Briefe aus Paris". (Zehnter Brief vom 19. Oktober 1830.) Wiesbaden 1986, S. 46.   zurück

3 Pierre Proudhon: "La pornocratie ou les femmes dans les temps modernes". Paris 1875, S. 166.   zurück