Meier über Nelson: Das Buch als Kunstwerk im England der <i>1890s</i>

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Franz Meier

Das Buch als Kunstwerk im England der 1890s

  • James G. Nelson: Publisher to the Decadents: Leonard Smithers in the Careers of Beardsley, Wilde, Dowson. University Park: University of Pennsylvania Press 2000. 430 S. Geb. $40.00.
    ISBN 0-2710-197-43.
  • Nicholas Frankel: Oscar Wilde's Decorated Books. Ann Arbor: University of Michigan Press 2000. 222 S. Geb. $47.50.
    ISBN 0472110691.


Inhalt

Texte, Kontexte, Paratexte | Leonard Smithers: Buchliebhaber, Mäzen und Geschäftsmann | Smithers und Erotika | The Savoy | Portrait des Verlegers als Held | Smithers und Beardsley | Smithers und Dowson | Wende und Ende | Oscar Wilde und das Buch als kollektives Gesamtkunstwerk | Oscar Wilde: Ire, Engländer, Franzose | Lügen und simulacra | Buch und / versus Text: Poems und Dorian Gray | Die Sphinx als Buch — Das Buch als Sphinx | Das Buch als "Cultural Performance"

Texte, Kontexte, Paratexte

Wie, wenn man eine Rezension einmal nicht mit dem Thema der zu besprechenden Bücher begänne — sondern mit deren Umschlaggestaltung, deren Typographie und Layout, oder auch dem Verlagshaus, dem Drucker, der Auflagenhöhe? Ungewöhnlich wäre das wohl (und es wird hier nicht geschehen), aber solches Vorgehen legte auch bloß, wie sehr wir gewohnt sind, Texte als quasi metaphysische Erscheinungen zu betrachten, scheinbar unabhängig von deren materieller Dimension, deren Produktion, Distribution, Präsentation. Dies gilt für expositorische Texte wie für sogenannte >literarische<.

Gerade Literaturwissenschaftler, so sehr sie sich heute auch als Kulturwissenschaftler verstehen mögen, sind oft nur zu leicht geneigt, derartige Phänomene als bloße Randerscheinungen abzutun, als Dinge, die dem Text selbst äußerlich bleiben und nichts oder wenig zu seiner Bedeutung beitragen, Details, interessant nur für Buch- und Verlagshistoriker, für Antiquare und Sammler. Bestenfalls gelangen noch jene Rahmenphänomene ins kritische Bewusstsein, die Genette als "Paratexte" bezeichnet hat: Titel, Widmungen, Überschriften; aber auch hier richtet sich das semiotische Interesse meist nur auf das inhaltliche Was, nicht auf das Wie von deren Präsentation.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, da Bücher zu >Textträgern< unter anderen geworden sind, ist es vielleicht an der Zeit, die materiellen und kontextuellen Dimensionen des Mediums Buch wieder ins Bewusstsein zu heben, aber auch darauf hinzuweisen, dass diese keineswegs frei von Semantik sind. Auch für das Buch gilt McLuhans Formel vom Medium als Botschaft. Das ist nicht erst heute so.

Die hier zu besprechenden Bände von Nelson und Frankel widmen sich beide dem Buch im materiellen Sinn und im buch-, verlags-, kunst- und kulturgeschichtlichen Kontext des England der 90er Jahre, jener Epoche, die oft The Yellow Decade genannt wurde. Schon dieser Name macht augenscheinlich, wie sehr diese Zeit das Buch als Kunstwerk goutierte, bezieht er sich doch (u.a.) auf das berühmt-berüchtigte Yellow Book, jener vom Verlag Bodley Head im Buchformat mit gelbem Cover publizierten Zeitschrift des englischen Ästhetizismus, in deren Seiten die künstlerische Avantgarde jener Jahre ihr Forum fand: von Beardsley, dem Initiator und künstlerischen Redakteur des Organs, bis zu Autoren wie Beerbohm und Le Gallienne. Die Ikone jener damals (noch) leicht despektierlich als decadent bezeichneten Künstler war aber zweifelsohne Oscar Wilde.

Die Buchpublikationen, die aus diesem Kreis hervorgingen, erschienen fast alle in stark limitierten, oft luxuriös aufgemachten und reich illustrierten Ausgaben, deren Produktion meist als künstlerisches Teamwork von Verleger, Drucker, Buchbinder, Illustrator und Autor gesehen werden muss. Sowohl Nelson als auch Frankel widmen diesem Netzwerk große Aufmerksamkeit und leisten somit einen wichtigen Beitrag, um bewusst zu machen, dass ein Werk selten das Produkt eines einzelnen Künstlers ist und stets in kulturellen, sozialen und auch ökonomischen Kontexten (ent)steht.

So ähnlich sich die beiden Bände in Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse auch sein mögen, so sehr sie beide die materiellen und sozialgeschichtlichen Dimensionen literarischer Werke betonen, so unterschiedlich sind sie andererseits in ihrer Methodik: biographisch-positivistisch der eine, medientheoretisch-kultursemiotisch der andere; wobei gleich zu Anfang gesagt werden soll, dass beide Herangehensweisen zu überzeugenden, ja beeindruckenden Ergebnissen führen und sich aufs schönste ergänzen.

Erwähnt werden sollte hier ebenfalls, dass beide Bände ihrem Gegenstand auch in ästhetischer und handwerklicher Hinsicht adäquat sind: Layout, Herstellung und redaktionelle Bearbeitung erfüllen Standards, die mehr als hundert Jahre nach Smithers leider nicht mehr oft zu finden sind (schon gar nicht auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt). Zahlreiche Illustrationen lassen in beiden Bänden die sinnlich-ästhetische Seite der dort behandelten Bücher erahnen.

Leonard Smithers: Buchliebhaber,
Mäzen und Geschäftsmann

James G. Nelsons Buch über den Buchhändler und Verleger Leonard Smithers ist zweifellos die methodisch traditionellere der beiden hier besprochenen Arbeiten. Publisher to the Decadents ist der letzte Band einer Trilogie Nelsons über den Buchmarkt des englischen fin de siècle. Mit The Early Nineties: A View From the Bodley Head hatte Smithers schon 1971 eine der maßgeblichen buch- und verlagswissenschaftlichen Studien zu diesem Gebiet abgeliefert;1 18 Jahre später folgte sein Buch über Elkin Mathews: Publisher to Yeats, Joyce, Pound; 2 und mit dem nun, weitere 11 Jahre später vorgelegten Band wird die historische Lücke der späten 90er Jahre geschlossen.

Diese Jahre während und nach den Wilde trials waren eine Zeit schwieriger Publikationsbedingungen für die nun doppelt suspekt erscheinenden Künstler und Autoren der sogenannten decadence. Selbst wohlwollend gesinnte Verleger wie Mathews und Lane zogen sich aus der vordersten Front zurück und vermieden allzu heftige Provokationen der offiziellen und inoffiziellen Zensur. Es bedurfte schon einer Figur wie Leonard Smithers, eines Liebhabers und Händlers dessen, was Peter Mendes Clandestine Erotic Fiction nennt, 3 um in diesem Klima Künstler und Autoren wie Beardsley, Dowson und Wilde zu unterstützen und zu verlegen.

Wie die beiden ersten Bände von Nelsons Trilogie besticht auch der dritte sowohl durch philologische und bibliographische Akribie, als auch durch die Fähigkeit des Autors, sein beeindruckendes Detailwissen in gut lesbarer Form zu präsentieren. Nelson wählt für seine buch- und verlagsgeschichtliche Studie einen biographischen Zugang, schildert Aufstieg und Fall Leonard Smithers' vom Pornohändler zum Buchkunstverleger (und zurück). Er durchbricht die strikte Chronologie aber v.a. in den drei Kapiteln, die er dem jeweiligen Verhältnis von Smithers zu Beardsley, Wilde und Dowson widmet. (Folge davon sind leider viele Wiederholungen von Fakten, so dass die Formel "as we have seen" dem Leser recht bald sehr vertraut erscheint.)

Smithers und Erotika

Leonard Smithers' wechselhafte Karriere begann in den 80er Jahren als Bewunderer Richard Burtons, dem Übersetzer der damals skandalösen Thousand Nights and a Night. Der allmählich vom Anwalt zum rare-books-dealer mutierende Smithers gewann Burton als Übersetzer der Priapeia, die er — mit allen Wassern der Zensurvermeidung gewaschen — wie weitere erotische Werke zusammen mit dem Pornohändler Harry S. Nichols in einer limitierten >Buchklub-Edition< unter dem Impressum "Erotika Biblion Society" herstellte und publizierte. (Nach Burtons Tod erwies er sich übrigens als diplomatischer Geschäftsmann, der mit Geduld und Geschick Lady Burtons bowdlerization der Texte ihres Mannes zu begrenzen suchte.)

Zusammen mit Nichols spezialisierte sich Smithers bald völlig auf erotische Literatur, vor allem Übersetzungen aus dem Französischen, die er oft noch selbst anfertigte. In den frühen 90er Jahren eröffneten die beiden Partner einen Buchladen in Londons Vergnügungsviertel Soho, und sie produzierten u.a. eine Neuausgabe von Burtons Thousand Nights and a Night, Casanovas Memoirs, und den vielleicht ersten explizit schwulen pornographischen Roman, Teleny, der im Umfeld (und wohl mindestens unter Mitwirkung) von Oscar Wilde entstanden ist. Dabei legte Smithers (fraglos in Nachfolge von William Morris' Kelmscott Press) zunehmend Wert auf qualitativ hochwertige, limitierte Ausgaben: "We are content to serve the select few and to serve that select few well", schrieb er in einem Händlerkatalog von 1894 (zit. S. 44) — eine Einstellung, die sein Partner Nichols nur begrenzt teilte.

The Savoy

Mitte der 90er Jahre eröffnete Smithers daher seine ersten eigenen Buchläden, zunächst im Stadtteil Strand, und schließlich 1896 in der prestigeträchtigen Old Bond Street, von wo er trotz stets drohender Zensur eine Klientel der höchsten gesellschaftlichen Schichten mit Erotika und französischer Literatur in preziösen, illustrierten Ausgaben versorgte. Seine Verkaufskataloge (auch sie aufwendig gestaltet und sehr oft von Beardsley illustriert) verzeichneten aber auch Kuriosa wie Thomas à Kempis' The Imitation of Christ, "most tastefully and appropriately bound in HUMAN SKIN [...]" (zit. S. 52).

Nelson betont immer wieder die Bedeutung von Wildes Verurteilung wegen Homosexualität im Jahre 1895 für das kulturelle Klima dieser Zeit. Eine der drastischsten Folgen dieses Paradigmenwechsels war wohl die Entlassung Aubrey Beardsleys aus der Redaktion des Yellow Book. Dies war der entscheidende Moment für Smithers' weitere Karriere. Waren vor 1895 John Lane und Elkin Mathews und ihr Verlagshaus Bodley Head die entscheidenden publizistischen Kräfte der ästhetizistischen Avantgarde gewesen, so übernahm mit deren Rückzug nun Lenoard Smithers diese Rolle.

Am augenscheinlichsten wurde dieser Führungswechsel durch Smithers' Eröffnung der Zeitschrift The Savoy, die sich — mit Beardsley als künstlerischem und Arthur Symons als literarischem Redakteur — von Anfang an deutlich in Konkurrenz zum Yellow Book einführte. Nelson schildert mit fachmännischer Akribie und unterhaltsamen Anekdoten Entstehung und Aufstieg dieser kurzlebigen, aber einflussreichen Zeitschrift, in der nicht nur Beardsley, Dowson, Yeats und Symons, sondern auch Conrad und Shaw veröffentlichten. Der schließliche Untergang der Zeitschrift, so zeigt Nelson, wurde nicht nur von konstanten Querelen zwischen Beardsley und Symons befördert, sondern maßgeblich auch vom Boykott der Buchhandelskette W.H. Smith, nachdem The Savoy eine Illustration mit vermeintlich allzu viel nackter Haut gedruckt hatte: Die Abbildung stammte übrigens nicht von Beardsley — sondern von William Blake (vgl. S. 73, 80, 206)! Auf überraschende Details wie dieses trifft man allerorten in Nelsons Buch, das dadurch nicht nur zu einer Fundgrube für Literatur- und Kulturwissenschaftler wird, sondern auch zu unterhaltsamer Lektüre. So lernt man beispielsweise Coventry Patmore, den Schöpfer des Angel in the House, als Sammler von Pornographie kennen (vgl. S. 354, Anm. 10); oder man erfährt, dass The Savoy seinen Namen von just jenem Hotel herleitet, das in den Wilde trials eine prominente Rolle spielte (vgl. S. 366, Anm. 57).

Portrait des Verlegers als Held

The Sayoy stellte nach acht Ausgaben aus finanziellen Gründen sein Erscheinen ein. Doch der succès de scandale der Zeitschrift machte Smithers zum Zentrum einer Bohème-Gruppe von decadents, deren Lebensstil der Verleger aus Neigung und Überzeugung teilte und deren Werke er nun zunehmend auch in Buchform publizierte: Gedichtbände von Symons, Dowson und Wratislaw ebenso wie Grafikbände von Beardsley und Beerbohm; daneben weiterhin Kuriosa, Erotika und Übersetzungen französischer Literatur (u.a. eine Zola-Werkausgabe), viel davon in luxuriösen illustrierten Ausgaben, manches als Privatdruck.

Nelson liegt zweifellos richtig, wenn er Smithers als Liebhaber dekadenter (erotischer) Literatur, als Verfechter hochwertiger Buchkunst, als Freund und Mäzen verfemter Künstler darstellt. Sein Einsatz für die decadents im feindlichen Klima der post-Wilde-Nineties und für die Veröffentlichung verfemter Literatur war sicherlich auch ein persönliches und politisches Statement. Nicht vergessen werden sollte allerdings bei alledem, dass die Motive Smithers immer auch (wenn nicht gar vorrangig) ökonomischer Natur waren. Wie jeder Verleger bediente auch Smithers nicht nur seine eigenen Vorlieben und die seiner Freunde, sondern vor allem einen Markt — einen begrenzten, hochspezialisierten Markt von Liebhabern, der ganz eigenen Gesetzen folgte, aber eben doch einen Markt. Das Paradoxe an diesem speziellen Markt war gerade, dass sein Produkt — das verfemte, verbotene, das exklusive Buch, das Buch in limitierter Auflage und kunstvoller Ausstattung — sich oberflächlich (!) den Marktprinzipien gerade zu verweigern schien. Nelson bleibt mit seinem Portrait von Smithers etwas zu sehr an dieser Oberfläche, betont zwar auch die Geschäftstüchtigkeit Smithers, gibt uns Einblicke in seine Preis- und Werbestrategien, doch charakterisiert er ihn zuletzt primär als "unbusinesslike" (S. 109). Aber auch das kann durchaus marktkonform sein. Und so richtig das Bild von Smithers als idealistischem Ästheten und Bibliophilen sein mag: richtig ist auch, dass ästhetizistische Exklusivität (darauf weist etwa auch Frankel, S. 44, hin) um 1900 nicht mehr nur Verweigerung, sondern ebenso sehr die Bedienung des Marktes bedeuten konnte. Nelson problematisiert dies nicht, sondern interpretiert die Hochpreis- und Exklusivitätsstrategie Smithers' (zumindest was dessen Erotika betrifft) eher als quasi >moralische< Geste, als Strategie, potenziell >gefährliches< Material vom vermeintlich leicht verführbaren Pöbel fern zu halten (vgl. S. 121). Wie dem auch sei: Angesichts des zweifelhaften Rufes, den der Name Smithers in der spätviktorianischen Öffentlichkeit hatte, dürfte ihm die Alternative eines massenhaften Absatzes von dekadenter und erotischer Literatur ohnedies nicht offen gestanden haben.

Nelsons Hang zur Idealisierung Smithers' zeigt sich auch in den drei Detailstudien der Zusammenarbeit des Verlegers mit Beardsley, Wilde und Dowson, die auf vier allgemeine biographisch-verlagshistorische Kapitel folgen. In allen drei Fällen schildert Nelson den Verleger als eine Art von barmherzigem Samariter und Schutzgeist der verfemten und verarmten decadents. Verzeihlich ist dies als Reaktion auf die bisher meist sehr negativ gefärbte Darstellung Smithers' in der Forschung; und immerhin ist Nelson zugute zu halten, dass er auch jene Handlungen des Verlegers zwar entschuldigt, aber nicht verschweigt, die ein weniger goldenes Licht auf ihn werfen.

Abgesehen von dieser Parteilichkeit stehen die drei erwähnten Kapitel dem Rest in historischer Akribie und stupender Fachkenntnis nicht nach. Nicht nur der Buch- und Verlagsgeschichtler, auch der Kunst- und Literaturwissenschaftler, der sich mit einem der genannten Künstler beschäftigt, wird hier neue und aufschlussreiche Details und Zusammenhänge erfahren.

Smithers und Beardsley

Im ersten der drei >Künstlerkapitel< schildert Nelson die Ups & Downs von Smithers' Beziehung zu Aubrey Beardsley, den jener von Anfang an etwa für seine Arbeiten im Yellow Book, oder die Illustrationen von Wildes Salomé bewunderte und mit dem er schon Mitte der 90er Jahre eine Art Exklusivvertrag mit Einkommensgarantie abschloss. Die Vereinbarung führte zu ständigen Spannungen: Arbeitsaufforderungen von Smithers und Zahlungsaufforderungen von Beardsley. Smithers ist daher oft als unmoralischer Ausbeuter des kranken Beardsley dargestellt worden — zu Unrecht, wie Nelson meint. In jedem Fall war die Zusammenarbeit letztlich lohnend für beide Parteien, und aus ihr gingen die heute berühmten illustrierten Ausgaben von The Rape of the Lock, Lysistrata, The Pierrot of the Minute und Volpone hervor, ebenso Beardsleys erstes und zweites Book of 50 Drawings, außerdem Titel- und Umschlagsentwürfe z.B. für Dowsons Verses und O`Sullivans The Houses of Sin.

Smithers und Wilde

Ähnlich wie im Falle Beardsleys entpuppte sich auch die Kooperation Smithers' mit Wilde als ausgesprochen fruchtbar für beide Seiten. Nelsons detailreiche Schilderung dieser Zusammenarbeit bietet interessante Einblicke in das >Arbeitszimmer< des späten Wilde. Dabei wird klar, wie ernst Wilde seinen Ästhetizismus auch hinsichtlich der Buchgestaltung nahm. Ausführlich diskutierte er mit dem Verleger die Alternative von Kursiv- und Sperrdruck in The Ideal Husband (vgl. S. 214). Und die Wahl der Schrifttype in The Ballad of Reading Gaol war ihm Anlass zu feinsinng-ästhetischer Diskussion. Noch nachdem die Entscheidung endlich gefallen war findet er "the ?'s lacking in style, and the stops, especially the full-stops, characterless" (zit. S. 193). Wenn Nicholas Frankel zeigt, dass Oscar Wilde das Buch als Gesamtkunstwerk und das Medium als Teil der Botschaft betrachtet, so liefert Nelson mit solchen Details überzeugendes Illustrations- und Beweismaterial für diese These. In Smithers fand Wilde diesbezüglich einen kongenialen Partner.

Die Zusammenarbeit zwischen beiden begann nach Wildes Entlassung aus dem Gefängnis im Jahre 1897 mit dem Projekt der Veröffentlichung von Wildes Ballad of Reading Gaol. Die z.T. bisher unveröffentlichte Korrespondenz, die Nelson hier aufarbeitet, schildert u.a. auch das erschreckend banale Feilschen zweier großer Männer am Rande des finanziellen Ruins, das bis in die letzten Monate von Wildes Leben anhielt. (Auch dies eine Einsicht, zu der uns der kontextuelle Ansatz Nelsons zwingt: Die Banalität der Armut macht auch große Kunst in ihrem Warencharakter sichtbar.)

Die Angst des Druckers vor Verleumdungsklagen, die Schwierigkeit, einen Illustrator zu finden und die Entscheidung für eine passende Aufmachung des Buches machten die Entstehung der Ballad überdies zu einem langwierigen Verfahren, das Autor wie Verleger viel Geduld abverlangte. Der Erfolg überraschte dann beide, und Smithers hatte Schwierigkeiten, die unerwartete Nachfrage zu befriedigen. The Ballad of Reading Gaol hat weder Wilde noch Smithers finanziell saniert; doch ihre Zusammenarbeit wurde fortgesetzt und führte — trotz zunehmender Geldstreitigkeiten — noch zur Veröffentlichung der Buchfassungen von An Ideal Husband und The Importance of Being Earnest. Beide Bücher verkauften sich aber nur mäßig, und bestätigten damit Wildes Befürchtung, "[that] while the public liked to hear of my pain [...] I am not sure that they will welcome me again in airy mood and spirit, mocking at morals, and defiant of social rules" (zit. S. 212).

Smithers und Dowson

Auch Nelsons Kapitel über Ernest Dowson folgt dem Schema von verfemtem Künstler und rettendem Verleger ("Dowson was headed for disaster in 1895 when Smithers entered his life"; S. 226), aber auch dieses Kapitel liefert uns wieder eine Fülle interessanter Informationen: über Dowsons Mitarbeit an The Savoy, seine Übersetzungen aus dem Französischen (von Zola, Balzac, Stendal, de Laclos), vor allem aber über Smithers' Herausgabe seiner zwei Gedichtbände Verses (mit Beardsleys Umschlag-Design) und Decorations (mit dem Umschlag von Althea Gyles), sowie seines (von Beardsley illustrierten) Dramas The Pierrot of the Minute. Wir erfahren aber auch Biographisches über Dowsons unglückliche Liebe zur 11-jährigen Adelaide — eine Leidenschaft, für die der möglicherweise auch pädophil veranlagte Smithers wenigstens teilweise Verständnis aufgebracht haben dürfte. Nicht zuletzt schildert Nelson Arthur Symons' Rolle bei der Erfindung dessen, was John Gawsworth die "Dowson Legend" nannte: das romantisierte Bild vom Bohemien und poète maudit, das den Blick auf Dowson auch noch heute allzu oft verstellt.

Wende und Ende

Smithers' Karriere endete wie die der meisten seiner Künstler: in Armut und Verachtung durch die Öffentlichkeit. Die Wende des Jahrhunderts brachte auch die Wende seines Glücks. 1899 hatte er noch 22 Bücher verlegt, darunter etwa auch Übersetzungen von Hamsuns Hunger und Voltaires La Pucelle, Lord Alfred Douglas' Duke of Berwick und eine Ausgabe von Poes Raven und The Pit and the Pendulum. Doch keines der Bücher war ein finanzieller Erfolg, v.a. — wie Nelson vermutet — wegen des Boykotts der Presse. Smithers' Abstieg ist abzulesen an den wechselnden Privat- und Geschäftsadressen, und bald war er gezwungen, seine Rechte an den Beardsley-Bildern seinem schärfsten Konkurrenten John Lane zu verkaufen — jener Lane, der Beardsley fünf Jahre zuvor als Redakteur des Yellow Book entlassen hatte. Im September 1900 war Smithers bankrott. Er hielt sich (wieder) mit Pornographie und Raubdrucken (u.a. von Wilde) über Wasser, verkaufte zurückbehaltene Beardsley-Orignale und ließ sogar Fälschungen anfertigen.

Zum finanziellen Ruin kam der private, durch seine außereheliche Affäre mit Aletha Gyles. Smithers, der stets auf der Seite der Künstler gegen >Mrs. Grundy< stand, wurde nun selbst Opfer gesellschaftlicher Ächtung — nicht mehr nur durch eminent Victorians, sondern auch durch Dichter wie Symons und Yeats. Die Zeiten hatten sich geändert, in der Tat! Die Affäre Smithers-Gyles dauerte nicht viel länger als ein Jahr. Smithers Gesundheit begann schwächer zu werden. Seine Frau trennte sich von ihm. Er starb einsam und verarmt im Winter 1907. Vermutlich ist es Lord Alfred Douglas zu verdanken, dass er nicht in einem Armengrab beerdigt wurde.

Nelsons Buch ist weit mehr als nur der Versuch einer (möglicherweise allzu parteiischen) Ehrenrettung Leonard Smithers' gegenüber seinen Kritikern. Es ist vor allem ein wichtiger Beitrag zur Verlagsgeschichte und ein Beispiel gewissenhafter historischer Dokumentation. Manche Beschreibung der Einbands- und Papiersorten einzelner Ausgaben und manche Schilderung einzelner Korrespondenzen mag dem nicht buchwissenschaftlich oder antiquarisch Interessierten ein wenig Geduld abverlangen, doch wird der Kultur- und Literaturwissenschaftler dafür mit hochinteressanten Details und ebenso amüsanten Anekdoten aus dem publikationspraktischen Alltag von Dichtern und Künstlern belohnt.

Der Band wird abgerundet durch vier nützliche Anhänge: einer davon von Peter Mendes über Smithers' Rolle in der Pornographie-Szene, ein weiterer über seine Zusammenarbeit mit der Chiswick Press; es folgen eine bibliographische Liste von Smithers' Verkaufskatalogen und eine (mit Mendes verfasste) 41-seitige Bibliographie seiner Publikationen. Diese Appendices, ebenso wie der hervorragende Index machen den vorliegenden Band über die Erstlektüre hinaus zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für Buchhistoriker, Antiquare und Bibliophile, aber auch für Literatur- und Sozialwissenschaftler, die sich mit dem fin de siècle in England beschäftigen.

Oscar Wilde und das Buch
als kollektives Gesamtkunstwerk

Der Autor, welcher der Auffassung vom Buch als Gesamtkunstwerk im England des fin de siècle vielleicht am nächsten stand, war Oscar Wilde; und dessen illustrierten Büchern widmet Nicholas Frankel seine aus einer Dissertationsschrift hervorgegangene Monographie. Frankels Band ist ein >oberflächliches< Buch — und zwar im positivsten Sinne. Genauer: es ist ein Buch, das die Oberfläche von Büchern ernst nimmt. Und in Oscar Wilde, dessen Kult der Oberfläche Kulturkritiker neuerdings wieder zunehmend beschäftigt, findet Frankel den idealen Gegenstand.

"Don't judge a book by its cover", sagen die Engländer. Frankel hingegen zeigt auf, wie viel uns entgeht, wenn wir diesen elementaren Bestandteil eines Buches nicht in seine Analyse mit einbeziehen. Es gelingt ihm auf eindrucksvolle Weise zu zeigen, dass dieses und andere materielle Elemente semantische Größen sind, ohne die der Text oft nur noch Fragment bleibt. Natürlich ist dieser Ansatz bei Wildes Büchern aus den ästhetizistischen Nineties besonders lohnend. Die Umschlagdesigns von Charles Ricketts etwa entpuppen sich in Frankels feinsinnigen Analysen als vollwertige semiotische Systeme, deren Wechselwirkung mit dem Text elementar ist auch für dessen Bedeutung. Das Werk wird damit zu einem Gesamtkunstwerk, dessen verschiedene mediale Ebenen sich in einem vielschichtigen Bedeutungsgeflecht wechselseitig differenzieren. Es wird damit aber auch zum Produkt kollektiver Zusammenarbeit, in der der Autor nur eine auctoritas unter anderen ist.

Ebenso wie Nelson widmet Frankel sich also der materiellen Seite des literarischen Textes, seiner sinnlichen Erscheinung, seiner kollektiven Produktion, seinen kulturellen Kontexten. Doch anders als Nelson nähert er sich seinem Gegenstand nicht vorwiegend auf historische oder gar positivistische Weise. Seine Herangehensweise ist eher die des Semiotikers, der Zeichensysteme entschlüsselt, ihren Bedeutungen, Wirkungen und Funktionen nachspürt. Frankels methodische Basis liegt in den Werken von Genette (Paratexte) und v.a. McGann (diachrone Editionstheorie), aber er integriert auch theoretische Konzepte von Barthes (jouissance), Baudrillard (simulacrum), Bourdieu (kulturelles Kapital) und anderen, wo dies seiner Argumentation dienlich ist.

Schon in der ausgezeichneten Einleitung "From Truth to Mask" betont er seine Auffassung vom literarischen Werk als visuell-graphischem und kulturell dynamischem Phänomen, dessen Entstehung niemals allein einem Autor untersteht und dessen Bedeutung nicht in einem Text allein zu finden ist. Dramentheoretiker haben diesen Unterschied zwischen Text und Aufführung längst erkannt. Dass auch das Buch eine Art >Performanz< eines Textes ist, wurde freilich bislang kaum bedacht. Vor allem im Falle Wildes gilt aber, so zeigt Nelson, auch beim Buch: The medium is (part of) the message! Wildes Kult der Oberfläche, so Frankel, ist tatsächlich nicht weniger als eine Privilegierung des signifier ("mask") über das signified ("truth") — und eine Betonung der materiellen, graphischen (übrigens auch akustischen und taktilen) Dimension eines Textes; und Wildes scheinbar antisoziale Autonomieästhetik entpuppt sich bei näherem Hinsehen als komplexe Reaktion auf kulturelle Zusammenhänge.

Es sind dialektische Spannungen wie diese, auf die Frankel seine besondere Aufmerksamkeit richtet. Ausgehend von Editionsgeschichte schreitet er fort in Bereiche der Textanalyse und der cultural studies (vgl. S. 9), deren zwei fundamentale Forderungen nach Historisierung und Kontextualisierung seine Arbeit auf beeindruckende Weise umsetzt.

Oscar Wilde: Ire, Engländer, Franzose

Wildes Gedichtpublikationen etwa deutet Frankel als Mittel der Selbststilisierung des Iren als Engländer im Sinne von Matthew Arnolds "The Incompatibles" (1881). Hatte Wilde bis 1879, also noch während der Zeit in Oxford, ausschließlich in irischen Zeitschriften publiziert, so schrieb er nach seinem Umzug nach London ebenso exklusiv nur noch für englische (vgl. S. 27), denn, so Frankel, "the poetry of Englishness was also the poetry of power" (S. 46). Wie er zeigt, waren z.B. auch Wildes Übersetzungen antiker Klassiker, seine Verehrung Keats' und sein Umwerben britischer Schauspielerinnen Bestandteile einer Strategie der "Anglicization" (S. 44f.) — die freilich trotzdem stets dialektisch gespalten blieb.

Anhand von Salomé zeigt Frankel das dramatische Werk als Resultante einer dynamischen Wechselwirkung von (nicht realisiertem) Bühnenstück und (zweifach publiziertem) Text im Dienste von Wildes self-fashioning. Hatten die Poems (1881) noch u.a. das Ziel verfolgt, den Autor als Engländer zu etablieren, so dienten nach Frankel die zwei Versionen von Salomé der Selbststilisierung Wildes zunächst zum (französischen) Symbolisten, später zum (englischen) decadent. Das Aufführungsverbot des Lord Chamberlain hatte Wilde ja bekanntlich zur Drohung veranlasst, die englische Staatbürgerschaft gegen die französische einzutauschen; und in der Tat ist Wildes Entscheidung, die Erstausgabe des Textes (1893) in Frankreich und in Französisch zu publizieren (und die Idee seiner Aufführung an Sarah Bernhardt zu binden) sicher als anti-englisches Statement zu sehen. Die folgende Ausgabe (1894) der (von Lord Alfred Douglas angefertigten) englischen Übersetzung hingegen steht ganz im Zeichen der >dekadenten< Illustrationen, die Beardsley dazu anfertigte. In subtiler Argumentation spürt Frankel hier der Interaktion zwischen Text und Bild nach, in deren Verlauf das Buch selbstreflexiv seine eigene >Gemachtheit< betont und, so Frankel, das Bild schließlich über den Text dominiert.

Lügen und simulacra

Während die Forschung in Wildes Dramen, Gedichten und seinem Roman immer wieder die Elemente des Spielerischen und Dekorativen sowie das Primat der Form über den Inhalt betont, werden seine in Intentions versammelten kritischen Dialoge immer noch vorwiegend als >ernsthafte< Theoriebeiträge zur Ästhetik gelesen. Ausgehend von André Gides Hinweis auf Oscar Wildes Unterhaltungsabsicht und von Batailles Theorie der Verschwendung eröffnet Frankel in einem brillanten Kapitel einen anderen Blick auf diese Prosastücke, einen Blick, "that sees meaning, far from residing >in< the text itself, to be a function of the texts defiance of our attempts to see meaning >in< it" (S.84).

Große Aufmerksamkeit widmet er dabei dem berühmten Plagiatsvorwurf Whistlers, den Wilde in "The Decay of Lying" quasi ad absurdum führt — und zwar nicht nur auf argumentativer Ebene, wo eine Auseinandersetzung mit Whistler's "Ten O'Clock"-Lecture erkennbar wird, sondern auch durch den Einsatz von Paratexten, Layout etc., die sich parodistisch-imitierend auf dessen Gentle Art of Making Enemies beziehen. Ganz im Sinne von Baudrillards Theorie der simulacra postuliert Frankel: "Wilde duplicates Whistler so perfectly as to make him disappear" (S. 99). Wildes Dialoge entpuppen sich damit als performative Texte, in denen nach Frankel das Barthessche Konzept der jouissance dominiert (vgl. S. 102f.).

Buch und / versus Text: Poems und Dorian Gray

Anhand der limitierten und signierten Author's Edition von Wildes Poems (1892) studiert Frankel in einem weiteren Abschnitt erneut und en detail den hochkomplexen Einfluss des Mediums Buch auf die Bedeutung des darin enthaltenen Textes. Im vorliegenden Fall stellt er dieses Verhältnis als Opposition dar: zwischen Oscar Wildes Text, der den Anspruch auf Bedeutung erhebt, und dem Buchdesign von Charles Ricketts, welches gerade die nicht-referentielle, materielle Dimension des Mediums betont.

Auch dieser Abschnitt liefert mit subtilen Deutungen von Einzeltexten einen glänzenden Beweis dafür, dass Texte ihre Bedeutung nicht nur aus sich selbst als >Text<, sondern auch aus dem Kontext ihrer Produktion und materiellen Präsentation beziehen. Derselbe Text in der Ausgabe von 1881 und von 1992 >bedeutet< daher, so kann Frankel zeigen, eben nicht das gleiche. Die Autorsignatur im Buch beispielsweise lässt jedes Gedicht als stärker biographisch verbrieft erscheinen, und der anachronistische Stil von Ricketts' Titelseite rückt Wildes politische Gedichte auf eine größere Distanz (vgl. S. 126ff).

Sozusagen in aufsteigender Ordnung der Dominanz des Mediums über die Botschaft untersucht Frankel in den beiden abschließenden Kapiteln die Buchausgaben von Wildes Dorian Gray und The Sphinx. Wildes Roman macht schon auf inhaltlicher Ebene durch die hohe Frequenz von dort erwähnten Büchern auf deren Wichtigkeit aufmerksam und privilegiert dabei meist die Materialität ihrer Erscheinung über deren Gehalt. Auch das im doppelten Sinne >zentrale<, geheimnisvoll gelbe Buch, mit dem Lord Wotton den Protagonisten endgültig >vergiftet<, besticht diesen ja — vielfach verschieden gebunden — bald mehr als Kultobjekt denn als Text.

Frankel vergleicht zunächst anhand des Themas der Homosexualität die Zeitschriftenversion von 1890 mit der von Ricketts gestalteten Buchfassung von 1891. Dabei scheint es so als versuche die neue Aufmachung an Provokation wettzumachen, was der überarbeitete Text selbst verlor. Hinsichtlich des Buchs spürt Frankel dann erneut der Art und Weise nach, in der Ricketts' ornamental-abstraktes Design Aussage und Rezeption des Romans mit bestimmen. Dabei gelingt es ihm weitgehend überzeugend zu zeigen, dass die materielle Präsenz des Buches als Verweis auf die Absenz konkreter (homosexueller) Bedeutung gelesen werden kann.

Die Sphinx als Buch — Das Buch als Sphinx

Glanzstück und Apotheose des Buchs als kollektives Gesamtkunstwerk sowie der gleichberechtigten Interaktion von Buch, Bild und Text in den Nineties ist zweifellos Wildes und Ricketts' Prachtband The Sphinx. Die spätere Isolation des >reinen< Texts von seiner kontextuellen Präsentation, wie sie in wissenschaftlichen Ausgaben stattfand, hat denn auch schwerwiegende Folgen für die (Nicht-)Rezeption gerade dieses Textes gehabt. Frankel gelingt in seinem Abschlusskapitel eine Rehabilitierung (oder, wie er es nennt eine >Ausgrabung<) des lange vernachlässigten Werkes auf der Basis einer nicht nur textuellen, sondern intermedial-semiotischen Deutung. Dabei kann er zeigen, dass Ricketts preziös-dekorative Aufmachung des Buches vom Inhalt des Gedichts zwar eher ablenkt, aber just damit ein Thema des Textes unterstützt, nämlich die "apparent powerlessness in the face of obdurate materiality" (S. 165). Die Leseerfahrung des Buches (The Sphinx) läuft daher parallel zur Deutungserfahrung des Sprechers im Text angesichts seines Sujets (der >Sphinx<). Dennoch wird hier nach Frankel nicht bloß Inhalt durch Form reflektiert: "Rather, the decorated book poses in real terms what the poem rehearses at the level of the imagination" (S. 170).

Frankel geht erstmals auch auf die akustische Dimension von Texten ein, die im Falle von Wildes "The Sphinx" ebenfalls durch prononciertes klanglich-rhythmisches foregrounding die schiere Sinnlichkeit eines vermeintlich abstrakten >Textes< betont. Diese Betonung der offenbar nicht-referentiellen Materialität auf visueller sowohl als akustischer Ebene gleicht das Gedicht in seinem physischen Dasein dem eigenen Gegenstand in seiner Rätselhaftigkeit an: The Sphinx als Performanz und Gesamtkunstwerk wird zu der >Sphinx< die der Text in seinem Zentrum beschwört (vgl. S. 174).

Das Buch als "Cultural Performance"

The Sphinx (das Buch) wird wie alle vorher behandelten Werke Wildes in Frankels Analysen erkennbar als das, was er in seiner "Conclusion" eine "Cultural Performance" nennt; eine Existenzweise, die er zu Recht prinzipiell für jedes Buch in Anspruch nimmt. Oscar Wildes illustrierte Bücher sind dafür nur eines (vermutlich eines der besten) der möglichen Beispiele. Sein Kult der Oberfläche fordert uns auf, unsere Aufmerksamkeit auch auf das Buch (im Unterschied zum bloßen Text) und seine oft kollektiven Produktionsaspekte zu legen. Frankels Untersuchung erhebt mit gutem Recht dieselbe Forderung und löst sie auf eindrucksvolle Weise zugleich ein. Hier und da mag die Subtilität einiger Deutungen paratextueller Phänomene etwas forciert erscheinen. Aber das liegt vielleicht daran, dass wir bisher kaum gewohnt sind, derartige Dinge überhaupt hermeneutisch zu analysieren.

Frankel weist an einer Stelle zu Recht auf die doppelte Einschränkung unserer kritischen Wahrnehmung bezüglich literarischer Werke hin, die es — gerade nach dem cultural turn in den Literaturwissenschaften — zu überwinden gilt:

[W]e are not accustomed to reading poetic texts with the eye, fully attentive to typography, bookbinding, and mode of printing. Neither are we accustomed to reading poetry as a corporate event, with no discernible hierarchy between the work of printer, binder, compositor, graphic designer, and writer. (S. 158)

Die letzte Aufzählung wäre mindestens noch durch >Verleger< zu ergänzen. Und so vervollständigt kann das daraus resultierende Programm als Ansatz beider hier besprochener Bände gelten:

Auf gänzlich verschiedene Weise zeigen sie am selben kulturellen Zusammenhang — dem Buchmarkt in den Yellow Nineties — wie lohnend und erhellend der Blick auf mediale und kulturelle Dimensionen literarischer Texte ist. Die Studien nehmen ihren Ausgang von der Verlagsgeschichte und der Editionswissenschaft; in ihrer Bedeutung gehen sie weit über diesen Bereich hinaus. Es steht zu hoffen, dass sie anregend wirken auf die Literatur- , Kunst- und Kulturwissenschaften allgemein.


PD Dr. Franz Meier
Universität Regensburg
Institut für Anglistik und Amerikanistik
D-93040 Regensburg

Ins Netz gestellt am 27.11.2001
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Anmerkungen

1 James G. Nelson. The Early Nineties: A View From the Bodley Head. Cambridge: Harvard University Press 1971.   zurück

2 James G. Nelson. Elkin Mathews: Publisher to Yeats, Joyce, Pound. Madison: University of Wisconsin Press 1989.   zurück

3 Peter Mendes. Clandestine Erotic Fiction in English, 1800-1930: A Bibliographical Study. Aldershot: Scholar Press 1993.   zurück