- Jörn Garber (Hg.): Wahrnehmung – Konstruktion – Text.
Bilder des Wirklichen im Werk Georg Forsters (Hallesche Beiträge zur
Europäischen Aufklärung; 12). Tübingen: Niemeyer 2000. VIII+233 S.
Kart. EUR (D) 56,00.
ISBN 3-484-81012-2.
Mit der Charakterisierung der Aufklärung als
Inkubationszeitraum der Moderne verbindet sich stringenterweise die Suche
nach den Ursprüngen modernen Denkens im 18. Jahrhundert. Diese Suche
gilt zum einen der Entstehung der Parameter moderner Wissenschaftlichkeit und
ihrer Ausprägung in verschiedenen Disziplinen, zum anderen den einzelnen
Protagonisten innerhalb der Fachbereiche, die als Stammväter der
jeweiligen Wissenschaftszweige ausgemacht werden. Seit etlichen Jahren steht
diese rückwärtsgewandte Perspektive im Fadenkreuz einer Kritik, die
grundsätzliche Bedenken am Konzept der Moderne formuliert und für
die Geschichte der Wissenschaften die Möglichkeit der Nachzeichnung
linearer >Verwissenschaftlichungsprozesse< zunehmend in Zweifel zieht.
Trotz dieser inzwischen lang andauernden Debatte hält
die Ursprungssuche in den Disziplinengeschichten hartnäckig an, auch
wenn sie sich dem derzeitigen Forschungsinteresse gemäß von den
Gesellschaftswissenschaften (Soziologie, Ökonomie, Geschichte,
Politologie) auf die sog. Lebenswissenschaften (wie Medizin, Biologie,
Anthropologie oder Psychologie) verschoben hat. In besonderem Maße
scheinen einzelne Denker und Wissenschaftler von der Eindimensionalität
dieser Perspektive betroffen zu sein; ihre Befreiung aus der Moderne-Falle
steht nun auf der Agenda. Die Neuverortung der Protagonisten in einem Raum,
den man nun gemeinhin >Diskurs< nennt, erweist sich als
äußerst schwierig, und die konkrete Bestimmung dieses Raums
erfordert – will man nicht bei Allgemeinplätzen bleiben – noch einiges
an intensiver Forschungsarbeit.
Einen charakteristischen Fall für dieses Problem stellt
der Aufklärer Georg Forster dar. Schon lange gibt es kein
Literaturvakuum zu seiner Person mehr zu beklagen. Vielmehr scheint die
Hervorhebung der >Modernität< seines
>unzeitgemäßen< Werks dazu beigetragen zu haben, die
"historische Dimension" seiner Schriften (Garber, Statt einer
Einleitung, S. 6) zu übersehen. Während die Pionierjahre der
Forsterforschung vor allem der Aufarbeitung und Rehabilitierung des
vergessenen Werks des verfemten Revolutionsbefürworters galten, ist in
den Folgejahren, befördert durch die verdienstvolle Werkausgabe, die
>Mannigfaltigkeit< des Schaffens Georg Forsters in den Blick
gerückt.
Das Gesamtwerk des Revolutionärs,
Literaten, Reisebeschreibers, Kulturphilosophen und Essayisten aus
interdisziplinärer Perspektive in einer Zusammenschau zu betrachten, war
bereits das Anliegen eines Internationalen Georg Forster-Symposions 1993, aus
dem der bisher umfassendste Zugang zu Person und Werk hervorgegangen ist. 1 Auf diesem Symposion entstand der Plan für
eine neuerliche Auseinandersetzung mit dort entwickelten Fragen – ein
Vorhaben, das 1994 in einer Tagung am Internationalen Zentrum für die
Erforschung der Europäischen Aufklärung in Halle (IZEA) umgesetzt
wurde. Das Resultat ist der vorliegende Sammelband mit Beiträgen
renommierter Forster Forscher, der – über die interdisziplinäre
Perspektive hinweg – einen Neuzugang zum Werk Georg Forsters anstrebt.
Forsters >implizite Erkenntnistheorie<
Worin dieser Zugang bestehen könnte, entwirft Jörn
Garber in seinem programmatischen einleitenden Aufsatz, der mögliche
Wege zur Entschlüsselung der "Sphinx Forster" aufzeigt.
Während die bisherigen Interpretationen, auch
disziplinengemäß den Weg über die Formen bzw.
Gegenstände der Arbeiten Georg Forsters gegangen waren, deren Mixtur
meistens als >Vielfältigkeit<, aber auch als >Beliebigkeit<
gedeutet werden konnte, besteht für Garber der maßgebliche Zugang
in erkenntnistheoretischen Fragen. Auf diesem Wege ließe sich –
über die Disparatheit der Gegenstände und den eklektischen Stil
hinaus – ein Prinzip in Forsters Denken erkennen.
Entgegen der mittlerweile klassischen Konfrontation von
Forster und Kant, die ihren Ursprung bekanntermaßen in der Debatte um
die Entstehung der Menschenrassen hatte, sieht Garber in der Art und Weise
wie Forster Wissenschaft betrieb, durchaus eine Affinität zur Kantischen
Epistemologie (Garber, S. 7). Forsters "implizite
Erkenntnistheorie" (Garber, S. 12), die von ihm nirgendwo theoretisch
niedergelegt wurde, sei vor dem Hintergrund des Problems der Entgegensetzung
von Rationalität und Empirismus im 18. Jahrhundert zu verstehen.
Auch Forsters eindeutiger "Primat der Erfahrung"
habe ihm nicht den Blick für die Frage nach der theoretischen Fundierung
der Erfahrungsbegriffe verstellt. Dass Forster diese Fundierung nicht in Form
von allgemeingültigen Fundamentalaussagen, sondern vor dem Horizont der
"Selbstwahrnehmung des Beobachters" (Garber, S. 13) verstanden
wissen wollte, gemahnt an eine transzendentale Lösung. Diese Sicht
könnte dazu beitragen, in der Werkinterpretation das Nebeneinander von
Texten des feldgeschulten Naturbetrachters auf der einen Seite, von
Universalaussagen und Bestimmungsklauseln zur Menschheitsgeschichte des
weltweisen Revolutionsreisenden auf der anderen zu erklären.
Die scheinbare Überfrachtung Forsters mit diesem
Interpretationsvorschlag erweist sich bei näherem Hinsehen als kluger
Ansatz, der nicht dem Unternehmen geschuldet ist, Forster auf dem
Höhenkamm der Denker des 18. Jahrhunderts eingereiht wissen zu wollen.
Es geht vielmehr darum, Forster ebenso wie Kant zu >entzaubern< und
damit in den allgemeinen Diskurs der Spätaufklärung zu integrieren.
Dass der gemeinsame Nenner dieses >Diskurses< – bei der Erörterung
naturgeschichtlicher, religiöser, ethischer, ästhetischer oder
politischer Themen – in theoretischen und vor allem methodischen Fragen
bestand, ist die dabei zugrundeliegende Überlegung.
Die "Entschlüsselung der Sphinx Forster"
besteht also im Zweifel an seiner Sonderstellung innerhalb der Academia, der
Exponiertheit seines Erfahrungsschatzes durch die Weltreise und der
Überzeitlichkeit seines Werks und damit in der Verortung Forsters in die
großen Debatten der Spätaufklärung. Garber vermeidet
konsequent die Vokabel >Diskurs<, was sicherlich nicht nur auf die
Umgehung einer Mode, sondern auch auf den Verzicht eines im eigentlichen
Sinne diskursanalytischen Ansatzes schließen lässt. Der Zugriff
erfolgt demnach nicht systematisch oder über erkenntnistheoretische
Räume, die sich aus alten Fragestellungen an neue Wissensgebiete oder
neue Methoden für die Beantwortung alter Fragen im ausgehenden 18.
Jahrhundert ergeben haben. Programm des Bandes ist es, eine
Kontextualisierung Forsters in die zeitgenössischen Debatten zu liefern.
Diskursgegner und Gewährsleute
Eine der fraglos bedeutendsten Debatten dieser Zeit kreiste
um Fragen der Anthropologie. Dieser Begriff war in der
Spätaufklärung nicht neu erfunden worden, hatte aber eine deutliche
Akzentverschiebung zum vorherigen theologisch-philosophischen Gebrauch
erfahren und wurde mit sehr verschiedenen Bedeutungsgehalten diskutiert.
Michael Ewert unterzieht Forsters "Literarische Anthropologie"
einer näheren Betrachtung und legt damit ein gutes Beispiel für den
Versuch vor, Forsters Beitrag zur erkenntnistheoretischen Debatte seiner Zeit
anhand der Form seines literarischen Ausdrucks zu untersuchen. Ewert
interpretiert Forsters Essay Ueber Leckereyen von 1788 als Replik auf
Kants im gleichen Jahr erschienene Schrift Ueber den Gebrauch
teleologischer Principien in der Philosophie und damit als Beitrag zur
grundsätzlichen Frage nach dem "Verhältnis von Geist und
Sinnlichkeit" (Ewert, Literarische Anthropologie, S. 20).
Forster wähle dabei ein sehr alltägliches Beispiel
der Erfahrungsbildung, nämlich die Funktion der Zunge bei der Gewinnung
von Erkenntnis, und verdeutliche damit die Priorität des Materialen im
Prozess der Erfahrung; ein Beispiel für >Sinnlichkeit< als erste
Erkenntnisform. Die sprachlichen Mittel, die Forster dabei einsetze, machten
deutlich, dass es sich nicht um ein akademisches Scharmützel handele –
Kant wird an keiner Stelle erwähnt – sondern um einen Appell an den
Leser, sich des konkreten Vorgangs des Schmeckens gewahr zu werden und das
Prinzip der Erkenntnis, als rein a posteriorisches, durch den gesunden
Menschenverstand zu erkennen. Dass Forster seine Gegenposition dabei in ihrer
gesamten Komplexität, nämlich der Frage nach der Bedingung der
Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis, nicht erfasst und tatsächlich
als unversöhnliche Gegenüberstellung von Rationalität und
Empirismus diskutiert, wird hierbei nicht näher erörtert. Fragen
der Erkenntnistheorie werden bei Forster nicht als philosophisches Problem,
sondern als eine für jeden nachvollziehbare Alltäglichkeit
behandelt und zielen damit auch auf eine Entakademisierung der Debatte. In
diesem Zusammenhang wäre es interessant gewesen, wenn es Ewert nicht nur
bei einem Hinweis auf die Verbindungen zur deutschen Popularphilosophie sowie
zum französischen und englischen Sensualismus belassen hätte.
Als einen weiteren Gegner im Ring des Schattenboxens erkennt
Ulrich Kronauer Jean Jacques Rousseau in Forsters Einleitung zu Cook der
Entdecker. In dieser Lobpreisung Cooks als einem Wohltäter der
Menschheit gehe es Forster nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit den
Thesen Rousseaus; vielmehr tue es der Autor zahlreichen seiner Zeitgenossen
gleich und wähle diese Position, um sich auf Kosten des umstrittenen und
nichtsdestotrotz anerkannten Philosophen zu profilieren (Kronauer,
Forsters Einleitung, S. 33). Kronauer zeigt, in welcher Weise die
Vereinfachung der Thesen Rousseaus Forster zur Illustration der eigenen
Argumente diene, die eine "fundamentale Verständnislosigkeit"
gegenüber dem Diskurs über die Ungleichheit (Kronauer, S.
33) offenbarten.
Doch gerade vor dem Hintergrund dieser Extrapolation der
Standpunkte werde deutlich, worin die gegensätzlichen Auffassungen
über den Verlauf der Menschheitsgeschichte bestanden hätten. Aus
Rousseaus These von einer Kluft zwischen dem statischen Naturzustand und
einer dynamischen Gattungsgeschichte leitet Forster die Möglichkeit
eines alternativen Verlaufs der Menschheitsgeschichte ab, der letztlich in
der Aufforderung zur Rückkehr in die Wälder gipfele. Forster
hält diese behauptete Kluft hingegen für abwegig und den
vermeintlich offenen Gang der Menschheitsgeschichte durch eine Notwendigkeit,
als innewohnendes Prinzip dieses Prozesses, determiniert. Im Anschluss an
Herder interpretiert Forster diesen Gang als doppelten, nämlich in
physischer als auch sittlicher Perspektive. Kronauers Analyse macht deutlich,
dass es in derlei Auseinandersetzungen nicht um lautere oder unlautere
Rezeptionsvorgänge geht, sondern dass Rousseau Forster als Lackmustest
für ein determiniertes Modell von Menschheitsgeschichte dient.
Einen Vorstoß zur Kontextualisierung von Forsters
Kunsttheorie unternimmt ein Pionier der Forster-Forschung, dem neben Gerhard
Steiner der vorliegende Band auch gewidmet ist. Ludwig Uhlig charakterisiert
am Beispiel eines auf der berühmten Rheinreise verfassten Briefes, in
dem der Reisende seine Ansichten vom Kölner Dom darlegt, Forsters
Konzeption zur Genieästhetik. Uhlig zeichnet nicht nur mit großer
Kenntnis und Genauigkeit die Rezeptionsvorgänge und parallelen
Entwürfe von Goethe und Schiller nach, sondern verortet diese im
größeren Zusammenhang der Kontrastbildung zwischen dem
Schönen und Erhabenen, wie sie sich seit Burke in diesen Debatten
findet. Die Argumentation entlang von Gegensatzpaaren wie griechischer
Schönheit und gotischer Erhabenheit, Klassik und Gotik, Heidentum und
Christentum führt Forster zur Entgegensetzung des Idealisch-Schönen
in der Klassik und der Mannigfaltigkeit des individuellen Ausdrucks in der
Gotik. Ein Gegensatz, dem Uhlig größte Bedeutung für das
Verständnis Forsters beimisst, indem er in der Interpretation des
Verhältnisses der Teile zu ihrem Ganzen das eigentliche Thema des
Forsterschen Werks erkennt.
Eingedenk dieser proto-hermeneutischen Vorgehensweise
Forsters, kann Uhlig überzeugend darlegen, dass dessen Naturforschungen
und kunsttheoretischen Überlegungen in einem lückenlosen
Zusammenhang gelesen werden können. Forster habe keine strikte Theorie
oder Methodologie entwickelt, sich aber durch seinen
"erkenntnistheoretischen Relativismus" (Uhlig, Die
Humanität des Künstlers, S. 52) eine Toleranz gewahrt, durch
die es auch möglich war >Subjektivität<, wie sie etwa die
Reiseberichtslandschaft prägte, als aussagekräftige Quelle zu
bewerten; ein Vermögen, mit dem offenkundig nicht nur Herder seiner Zeit
vorauseilte. Auch Forsters Genieästhetik verdanke sich letztlich eines
transzendentalen Kniffs, indem sie über den Rezipienten definiert werde.
Die Verbindung zwischen Künstler und Kunstbetrachter bestehe in der
Voraussetzung der Zugehörigkeit zu der >Einen Menschheit<, die erst
die Basis für die gemeinsame >Humanität< und damit die
Grundlage für eine Kommunikation biete.
Forster verabschiede somit die Barrieren, die durch normative
Kunstlehre und Wirkungsästhetik geschaffen waren und entwickelt eine
quasi anthropologische Kunsttheorie, die nicht zuletzt seiner
Auseinandersetzung mit fremden Kulturen und seiner tiefen Überzeugung
von der >Gleichheit< der Menschen geschuldet war. Die individuelle
Teilhabe an der einen Menschennatur ermögliche allererst ein
intersubjektives und zeitungebundenes Verständnis von Kunst.
Auch Helmut Peitsch widmet sich in seinem Beitrag der
Kunsttheorie Forsters, doch diesmal von Seiten der Wirkungsgeschichte, die
dem Aufsatz Die Kunst und das Zeitalter durch die Rezeption
berühmter Zeitgenossen, wie Schlegel, Schiller oder Wilhelm von Humboldt
beschieden war. Die Attraktivität von Forsters Modell vermutet Peitsch
dabei in der Verbindung von Ästhetik und Geschichtsphilosophie. Peitsch
verweist dabei nicht nur auf die oft bestrittene Kohärenz der Schriften
vor und nach der Französischen Revolution, sondern verdeutlicht die
elementare Neudeutung des Bildungsbegriffs, ohne dessen Einfluss die
Besonderheit der geschichtsphilosophischen Ansätze der deutschen
Spätaufklärung nicht zu erklären seien.
Die Besonderheit von Forsters Impuls bestehe dabei in der
"Partialisierung eines umfassenden Konzeptes kultureller
Erneuerung" (Peitsch, Zur Rezeption, S. 62), also in der
Entkoppelung physischer (Französische Revolution) und ästhetischer
Prozesse (sittliche Revolution) bei gleichzeitiger Verortung in einer
historischen Dimension. Es gelingt Peitsch nicht nur die Wirkungen dieses
Impulses bei Schlegel, Schiller und Humboldt nachzuweisen, sondern
darüber hinaus zu zeigen, in welcher unterschiedlichen Ausformung dieses
Forstersche Ferment, insbesondere in der Frage nach dem Verhältnis von
anthropologischen Konstanten und historischen Prozessen, bei den
verschiedenen Autoren gefunden werden kann. Darüber hinaus liefert
Peitsch in seiner luziden Analyse mit den Hinweisen auf die ausstehende
Untersuchung des Bildungsbegriffs, die Bedeutung der Antike-Rezeption und das
Verhältnis von Geschichte und Anthropologie im 18. Jahrhundert wichtige
Anstöße zur Entschlüsselung spätaufklärerischen
Denkens.
Das Verhältnis von Innen und Außen.
Biographie und Menschheitsgeschichte
Ganz anders fällt Oliver Hochadels Interpretation der
Geschichtstheorie Forsters aus, der diese nicht als ständigen Abgleich
mit den empirischen Daten versteht, sondern als eine vorgefasste
Geschichtsteleologie. Die Grundlage dieser Geschichtsteleologie
erschließt sich für Hochadel dabei vor allem aus der
"Verklammerung von biographischen und systematischen Aspekten".
Entlang der Biographie schildert Hochadel das Scheitern Forsters an seinem
eigentlichen methodischen Credo, das ihn in zunehmendem Maße auf
metaphysische Konstrukte zur Interpretation der Menschheitsgeschichte
zurückgeworfen habe. Forsters Dilemma vermutet Hochadel dabei in dessen
"erkenntnistheoretischem Vorbehalt" (Hochadel, Natur – Vorsehung
– Schicksal, S. 79, 82, 85), der durch seinen Primat der Empirie bei
gleichzeitigem Verzicht auf die Frage nach der Sinnstiftung innerhalb der
empirischen Daten entstehe.
Forsters Auffassung von der "Nichterkennbarkeit"
des Geschichtsverlaufs würde stetig durch den Glauben an ein
determiniertes Weltverständnis unterlaufen. Die
Schicksalsgläubigkeit in Forsters Weltdeutung leitet Hochadel neben dem
epistemologischen v. a. aus einem biographischen Scheitern her, das Forster
dazu veranlasst habe sein persönliches Los als schicksalsgewollt
anzuerkennen und dem Vertrauen auf Sinn und Ziel des übergeordneten
historischen Prozesses unterzuordnen. Für diesen komplexen
Zusammenhang von der Frage nach der Selbstbestimmung des Menschen im Verhältnis zum
Schicksal und dem politischen Ereignis im Verhältnis zum historischen
Prozess wäre es m. E. allerdings wichtig gewesen,
wenn man Forster hier in die zeitgenössische Debatte um die
>Bestimmung des Menschen< eingebunden hätte. 2 Eine Klärung des >erkenntnistheoretischen
Vorbehalts< Forsters hätte eventuell eine Verfolgung der Spur in die
schottisch-englische Tradition hervorbringen können, da die von Hochadel
präzise konturierte Haltung doch in vielerlei Hinsicht an Humes
akademische Skepsis erinnert.
Die schon aus biographischen Gründen naheliegende
Einbindung Forsters in den britischen Kontext unternimmt wiederum Helmut
Peitsch, der im Vergleich mit Herder, Burke, Paine und Forster klassisch
gewordene Positionen zur Französischen Revolution abgleicht. In einer
Zusammenschau der Texte dieser Denker verdeutlicht Peitsch die publizistische
Macht in der Besetzung von Begriffen und Bildern zur Kennzeichnung dieses
historischen Großereignisses. Forster habe erst im Verlauf der
Revolution und schließlich mit der Lektüre von Thomas Paines
Rights of Man 1791 den Sinn einer öffentlichen Parteinahme und
damit ein "historisches Bewusstsein des Rhetorischen" (Peitsch,
Rhetorik und Gewalt, S. 109) entwickelt.
In einer genauen Profilierung der verschiedenen rhetorischen
Mittel, verdeutlicht Peitsch eindrucksvoll die verschiedenen
historiographischen Einordnungen der Französischen Revolution: die
Einordnung in die >historia magistra vitae<-Tradition bei Burke, in eine
palingenetische Teleologie bei Herder, in die naturrechtliche Tradition bei
Paine, während Forster eine säkulare "Naturgeschichte der
Französischen Revolution" (Peitsch, S. 120) geschrieben habe.
Wiederum in einer engeren Verbindung von Biographie und
historischem Zusammenhang formuliert Gerhart Pickerodt zehn Thesen zu
Forsters Weltbild auf Grundlage der 1793 von Paris aus geschriebenen Briefe.
Pickerodt unterscheidet dabei die zur Veröffentlichung und privat
verfassten Briefe als gegensätzliche Ausprägungen des gleichen
Genres. Die synthetische Lesart der Briefe zeitigt allerdings eine
methodische Verknüpfung von privaten und öffentlichen Perspektiven.
Die als Subtext gelesene private Korrespondenz fungiert damit als
interpretatorisches Korrektiv zur öffentlichen Verlautbarungspolitik
Forsters. Anders als Peitsch wertet Pickerodt Forsters offenkundige
Parteilichkeit nicht als rhetorisches Mittel, sondern als Ausdruck seines
persönlichen Scheiterns am Ideal "des unparteiischen
Beobachters" (Pickerodt, Briefe aus Frankreich, S. 130). Da
Forster dennoch die nüchterne Durchdringung seiner privaten Lage im
Gegensatz zur Parteilichkeit bei politischen Fragen gelungen sei, vermutet
auch Pickerodt eine Verlagerung der Hoffnungen auf einen höheren
historischen Sinn, den seine persönliche Resignation hervorrief. Die
Besonderheit von Pickerodts Ansatz liegt darin, diesen Vorgang als
wechselseitige Entpolitisierung des Öffentlichen und Historisierung des
Privaten zu beschreiben.
Einen weiteren Beitrag zu Forsters Haltung zur
Französischen Revolution leistet Manuela Ribeiro Sanchez im Vergleich
der beiden Abhandlungen Ueber die Beziehung der Staatskunst auf das
Glück der Menschheit und Parisische Umrisse. Diese Analyse
schlägt eine komplementäre Lesart der beiden zeitlich eng
beieinander liegenden und inhaltlich doch stark divergenten Texte vor, die
nur aus der Heterogenität der Forsterschen Auffassungen zur Revolution
zu verstehen seien. Auch hier wird diese ambivalente Haltung aus Widerstreit
von Freiheit (sittlicher Zweck) und Notwendigkeit hergeleitet. Forsters
Anspruch, die Revolution nicht nur als notwendiges Übel, sondern als
"Emanzipationsakt" und als Grundlage "der sittlichen
Vervollkommnung des Menschen" zu verstehen, könne nur
eingelöst werden, indem er sie als Naturereignis beschreibt. Die
aufklärerischen Ideale würden perspektivisch auf die
Vervollkommnung des Menschengeschlechts gerichtet, während für das
Individuum das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstentfaltung und damit sein
persönliches Glück im Vordergrund steht. Interessant ist hier die
Anregung zu einer vergleichenden Perspektive von individualisierender und
kollektivistischer Gesellschafts- und Geschichtstheorie Forsters vor dem
Hintergrund der amerikanischen und französischen Konstitutionsdebatten.
>Naturgeschichte< als erkenntnistheoretische Nische
Einem innovativen wissenschaftsgeschichtlichen Ansatz folgt
Peter Schmitter auf dem Wege einer linguistisch-semantischen Analyse. Seine
Ausgangshypothese ist, dass die in den Texten verwendeten Modelle, Metaphern
und Metaphernfelder Rückschlüsse auf den
wissenschaftsgeschichtlichen Kontext und die zugrundeliegenden Theorien
zulassen. Darüber hinaus könne eine Untersuchung der Herkunft der
Metaphern, Aufschlüsse über Verschiebungen innerhalb der
Disziplinen geben. Schmitter entwickelt mit diesem methodischen Rüstzeug
die bemerkenswerte These, dass die >allgemeine Sprachkunde< Wilhelm von
Humboldts maßgebliche Impulse von Forsters ungeschriebener
>Naturgeschichte< erhalten habe. Schmitter geht dieser These auf
systematischem, rezeptionsgeschichtlichem und biographischem Wege nach und
kann zeigen, dass Forsters impliziter Aufbau einer >allgemeinen
Naturgeschichte< sein Pendant im Aufbau von Humboldts >allgemeiner
Sprachkunde< findet: eine systematische und historische Sprachbetrachtung,
sowie ein sprachgeschichtlicher Zugang.
Dass die Umdeutung und Neubesetzung des Feldes der
historia naturalis schon seit Linné und Buffon im Gange ist,
verschweigt Schmitter nicht, ebenso wenig wie die wichtigen Pionierstudien zu
diesem Thema von Wolf Lepenies und Reinhart Koselleck. Ob sich allerdings die
methodische Orientierung Humboldts direkt auf Forster zurückführen
lässt bleibt vage und letztendlich auch von untergeordneter Bedeutung,
wenn man diesen Kontext als Diskursgeschichte erzählt hätte. Gerade
in diesem Zusammenhang ist auf Schmitters interessante Erwägungen zur
Debatte um das Verhältnis von Empirie und Spekulation zu verweisen, die
Garbers grundsätzliche erkenntnistheoretische Überlegungen aus dem
Vorwort aufnehmen und die Schmitter anhand einer materialen Analyse der
Methoden näher bestimmt.
Der Herausgeber selbst beschließt den Band mit
Anmerkungen zum Verhältnis von Geographie und Menschheitsgeschichte
und nähert sich damit dem interessanten Thema des Nebeneinanders
von synchroner und diachroner Weltdeutung im Werk Georg Forsters. Mit
großer Sachkenntnis zeichnet Garber die Entwicklung von
naturrechtlichen Konzeptionen bis hin zu den verschiedenen Totalentwürfe
der Menschheitsgeschichte im ausgehenden 18. Jahrhundert nach, die als
Natur-, Universal-, Welt-, Menscheits-, oder Kulturgeschichten auftreten.
Als vorrangiges Phänomen der Erfassung der Menschheit
durch die Aufklärung charakterisiert Garber die Verknüpfung von
physischer und sittlicher Geschichte, also die Aufhebung des älteren
Antagonismus von Natur und Kultur in den Menschheitsentwürfen; als
zweites die Koppelung von Raum und Zeit, also von geographischer und
historischer Perspektive zu einer übergreifenden
"Kulturtheorie" (Garber, Anmerkungen, S. 200). Am Beispiel
von Forsters Schriften Ueber lokale und allgemeine Bildung und
Leitfaden der künftigen Geschichte der Menschheit zeigt Garber
die komplizierten Überlagerungen älterer und neuerer Konzeptionen
der Menschheit.
Forsters Ansatz wird dabei innerhalb der großen
anthropologischen Debatten um die >Uniformität< und
>Perfektibilität< des Menschengeschlechts verortet, deren Statik
Forster durch die Beobachtung differenter Kulturräume dynamisiert.
Daraus entstehe keine teleologische Perspektive, wie etwa bei Herder, sondern
eine Differenzierung der älteren Anthropologie zu einer elaborierten
>Systemtheorie< der Kulturkreise, die ihre Anregungen der Geographie
und Kulturraumtheorie verdanke. Als übergeordnetes System habe Forster
dabei kein >Weltstaat< im Sinne von Kant vorgeschwebt, sondern er habe
auf einen Prozess des Umlaufs von Waren und Ideen innerhalb der Kulturkreise
geschlossen, die er als den "geheimen Motor des Fortschritts der
Menschheit" hin zu einer "sittlichen Vollendung" (Garber, S.
212) ausmachte.
Fazit
Insgesamt kann man den Band nicht nur als eine Sammlung
gelungener Neuzugänge zum Werk Georg Forsters werten, sondern er
enthält darüber hinaus vielfältige Anregungen zur
Interpretation spätaufklärerischen Denkens im Allgemeinen.
Besonders hoch ist die Leistung der Kontextualisierung von Forsters
Beiträgen in die zeitgenössischen Debatten zu bewerten. Hier
wäre es allerdings wünschenswert gewesen, wenn neben den
großen Namen Kant, Herder, Goethe oder Schiller auch die
zeitgenössisch einflussreichen Vertreter der verschiedenen Diskurse –
Garve, Tetens, Feder etc. für den der Popularphilosophie oder Platner,
Irwing, Ith für den der Anthropologie, ebenso wie Ludwig, Erxleben oder
Zimmermann für den der Naturgeschichte – herangezogen worden wären.
Das gilt auch für die nahezu gänzliche Ausblendung des
gesamteuropäischen Diskurses, dessen stärkere Einbeziehung
sicherlich neue Aufschlüsse zum Werk Georg Forster liefern könnte.
In jedem Fall ist der Band eine Bereicherung für die
Erforschung von Wissens- und Erkenntnisformen im 18. Jahrhundert und daher
ist auch den Beiträgen, über die Forster-Interessierten hinaus, ein
weiter Rezipientenkreis zu wünschen.
Annette Meyer M.A.
Universität zu Köln
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Ins Netz gestellt am 26.11.2002
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Anmerkungen
1 Georg Forster in interdisziplinärer
Perspektive. Beiträge des Internationalen Georg Forster Symposions in
Kassel, 1 – 4. April 1993, hg. v. Claus-Volker Klenke in Zusammenarbeit mit
Jörn Garber und Dieter Heintze, Berlin: Akademie Verlag 1994.
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2 Norbert Hinske (Hg.): Die Bestimmung des
Menschen. In: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur
Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 11 / 1
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