Pietsch über Albus: Weltbild und Metapher

IASLonline


Lutz-Henning Pietsch

Metaphern in der Philosophie:
Neue Exempel zu einem alten Thema

  • Vanessa Albus: Weltbild und Metapher. Untersuchungen zur Philosophie im 18. Jahrhundert (Epistemata 306) Würzburg: Königshausen & Neumann 2001. 426 S. Kart. EUR (D) 51,-.
    ISBN 3-8260-2117-7.


Aristoteles und die Folgen

"To draw attention to a philosopher's metaphors is to belittle him – like praising a logician for his beautiful handwriting": 1 Mit diesen Worten brachte Max Black in den 1960er Jahren das problematische Verhältnis der Philosophie zur Metapher auf den Punkt. Einzelnen emphatischen Bekenntnissen zur Unvermeidbarkeit oder Unverzichtbarkeit der Metapher im philosophischen Sprechen (z.B. bei den Philosophen der Romantik, bei Nietzsche und Heidegger) steht die traditionell dominierende Haltung gegenüber, wonach sich rationale Rede durch ihre Unabhängigkeit von bildlichen Strukturen auszeichnet. Metaphern haben dieser Sichtweise zufolge tendenziell einen unpräzisen und verschleiernden Charakter.

Vanessa Albus nimmt den Zeitraum näher in den Blick, in dem sich der Gegensatz dieser beiden philosophischen Einstellungen zur Metapher zum ersten Mal in aller Schärfe ausdifferenziert, das 18. Jahrhundert. Vier Philosophen sind es, die im Mittelpunkt der Arbeit stehen: Leibniz, Wolff, Vico und Herder. Im ersten Teil der Arbeit werden die metapherntheoretischen Positionen der vier Denker referiert. Das geschieht unter sorgfältiger Einbeziehung der zeitgenössischen erkenntnistheoretischen Diskussionen um Witz (>ingenium<), Scharfsinn (>acumen<) und Phantasie. Wichtigster historischer Bezugspunkt ist Aristoteles, in dessen Äußerungen zur Metapher bereits die ganze Problematik des Begriffs angelegt ist. Einerseits klassifiziert seine Substitutionstheorie die Metapher als einen uneigentlichen Ausdruck, der an die Stelle eines eigentlichen Ausdrucks tritt. Andererseits findet sich bei ihm schon der Hinweis, dass metaphorische Rede mitunter auch auf der Notwendigkeit beruht, etwas auszudrücken, das sich anders nicht sagen lässt (vgl. S. 14).

Leibniz und Wolff, so könnte man Albes' Ausführungen in diesem Teil grob zusammenfassen, führen eher die erste Linie fort, Vico und Herder die zweite. Die beiden Rationalisten unterscheiden – entsprechend dem szientistischen Genauigkeitsideal ihrer Epoche, das auch für den Empirismus eines Locke oder Hobbes kennzeichnend ist – streng zwischen eigentlicher, begriffslogisch demonstrierter Wahrheit und ihrer metaphorischen Einkleidung. Letztere bleibt der ersteren eindeutig nachgeordnet. Zuerst müssen die philosophischen Argumente vollständig entwickelt sein, dann kann man sich daran machen, bei ihrer Ausformulierung hier und da Metaphern einzusetzen, als stilistisches Ornament oder als didaktisches Mittel der Veranschaulichung.

Dass die begriffslogische Sprache an eine Grenze gelangen kann, die den Rückgriff auf metaphorische Rede notwendig macht, wird von Leibniz gesehen, jedoch nicht weiter problematisiert (vgl. S. 22–23). Die Umwertung des Verhältnisses von begriffslogischer und metaphorischer Rede, die sich hier nur andeutet, wird in ganzer Konsequenz von Vico und Herder vollzogen. Für sie gibt es keine von der Metapher unabhängige Wahrheit reiner Begriffe. Das metaphorische Denken und Sprechen hat an der Sphäre der Erkenntnis unmittelbaren Anteil. Sowohl bei Vico als auch bei Herder wird diese Auffassung historisch-anthropologisch durch die These fundiert, dass metaphorische Übertragungen einen wesentlichen Faktor der Sprachentstehung und des Sprachwandels darstellen und ein ursprüngliches Instrument zur Erschließung der Welt sind.

Von Raum- und Zeit-Denkern

Das Hauptgewicht der Arbeit ruht auf dem zweiten Teil, in dem die Aufmerksamkeit statt den Metapherntheorien nun dem konkreten Metapherngebrauch gilt, wie er sich in den Texten der vier Philosophen niederschlägt. Dabei will Albus, wie sie in der kurzen Einleitung vorausschickt, keine bloßen Auflistungen der verwendeten Metaphern liefern. Vielmehr fragt sie nach der "Funktion der Metapher im Kontext des Denkens" (S. 9), genauer noch: nach der "Funktion der Metapher für das jeweilige Weltbild" (S. 10). Im Moment des Bildlichen sieht die Autorin das verbindende Element, das es erlaubt, Weltbild (im Sinne eines anschaulichen Weltbegriffs, der philosophischen Entwürfen zugrunde liegt) und Metaphern aufeinander zu beziehen und in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu untersuchen (vgl. S. 9).

Albus verfolgt ihr Unternehmen auf breiter Textgrundlage. Der Umfang der ausgewerteten Literatur ist imponierend. Mit unglaublichem Fleiß hat sich die Autorin durch die vielbändigen Werke ihrer vier Philosophen gelesen, um die darin vorkommenden Metaphern in systematischer Vollständigkeit erfassen zu können; denn nichts geringeres ist ihr Ziel, als "möglichst alle Metaphernarten bei den jeweiligen Philosophen zu thematisieren" (S. 11). Jedem Philosophen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das wiederum nach Metapherngruppen untergliedert ist. Schon der Blick in das Inhaltsverzeichnis gibt so eine Vorstellung vom >metaphorischen Profil< der verschiedenen Philosophen. Innerhalb der einzelnen Abschnitte zu den Metapherngruppen werden die zahlreichen direkten und indirekten Zitate dann noch genauer nach Bildfeldern sortiert. Die "Bewegungsmetaphorik" bei Vico umfasst z.B. die Bildfelder Wasser, Fluss, Seefahrt, Meer, Blutkreislauf, Rundgang, Planetenbahn, Kreisel, Lebensweg, Vogelflug und Wind.

Im Großen und Ganzen bleiben Albus' Ergebnisse zu der Frage, welcher Philosoph was für Metaphern bevorzugt, frei von Überraschungen. Dass z.B. mechanische, optisch-mathematische und architektonische Metaphorik typisch für Leibniz und Wolff ist, organische und Wachstums-Metaphern sich hingegen eher bei Vico und Herder finden lassen, hatte man schon geahnt. Die Ergebnisse bereits existierender Spezialuntersuchungen zu diesen Bildkomplexen werden von Albus häufig nur bestätigt oder allenfalls punktuell korrigiert (vgl. S. 143–144, 161, 204, 250, 281, 293–294, 310).

Das schmälert aber kaum den Wert ihrer Darstellung. Denn erstens gründen Albus' Ergebnisse im Vergleich zu den meisten Vorgängerstudien auf einer breiteren Materialbasis. Zweitens begegnet man im einzelnen eben doch immer wieder Metaphern, deren Bedeutung einem noch nicht aufgefallen war und die das gewohnte Bild ergänzen (z.B. ist es interessant zu sehen, wie häufig Herder sich bei der Beschreibung historischer Prozesse der Metapher der Gärung bedient; die von Albus angeführten Zitate füllen fünf Seiten). Drittens ist es erst die systematische Zusammenstellung der ganzen Fülle der verwendeten Metaphern, die eine zusammenfassende Charakterisierung des Metapherngebrauchs der vier Philosophen möglich und plausibel macht, indem sie strukturelle Analogien oder Gegensätze zwischen den jeweils präferierten Bildfeldern sichtbar werden lässt.

Von Albus werden diese Analogien und Gegensätze immer wieder auf die Nenner des räumlich-statischen (bei Leibniz und Wolff) und des zeitlich-dynamischen Denkens (bei Vico und Herder) gebracht. Dabei sieht die Autorin diese Denkformen als repräsentativ für einen fundamentalen ideengeschichtlichen Wandel an: "Mit Vicos dynamischen [sic] Weltbild bahnt sich schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts der Durchbruch eines neuen Maßstabes an, der gegen den statischen Wertekodex der Aufklärung verstößt. Interpretative Flexibilität tritt anstelle des statischen Wertekodex. Dynamische Metaphorik ersetzt die statische. Die Hoffnung auf eine omnipotente Vernunft, die alles in Natur und Geschichte regeln kann, geht verloren" (S. 262).

Verzicht auf Theorie

Welche Rolle der Metapher innerhalb des Weltbildwandels genau zukommen soll, bleibt in dieser Formulierung offen. Das ist für die Arbeit symptomatisch: Das Verhältnis zwischen >Weltbild< und Metapher bleibt methodisch letztlich ungeklärt. Zwar wird in der Einleitung die konstitutive Funktion der Metapher für die Herausbildung philosophischer Anschauungen betont: "Geprägt werden Weltbilder, so die zentrale These dieser Arbeit, auch immer von Sprachbildern" (S. 9). Mit Verweis auf Blumenberg bekennt sich Albus zu der methodischen Prämisse, "daß die Metapher Sichtweisen der Welt strukturiert" (ebd.). Ganz konventionell werden dann jedoch im Verlauf der Arbeit Metaphern hauptsächlich in ihrer Eigenschaft betrachtet, bestimmte philosophische Ideen zu "veranschaulichen" (vgl. S. 155, 181, 184, 192, 194, 202, 259, 280, 319, 322, 325, 353), zu "illustrieren" (vgl. S. 163, 166, 176, 353), zu "verdeutlichen" (vgl. S. 157, 174, 185–186, 208, 400), zu "versinnbildlichen" (vgl. S. 181, 197, 201, 212, 233, 243, 258, 280, 298, 309, 400), zu "erläutern" (vgl. S. 140, 151, 155, 194, 327) usw. In gewisser Weise fällt Albus' eigene, nicht genauer profilierte metapherntheoretische Position damit hinter Vicos Verständnis der Metapher als "Grundlage des Denkens" (S. 82) zurück und entspricht eher der von Leibniz und Wolff vertretenen Trennung von intellektuellem Gehalt und metaphorischer Verpackung.

Wer sich also aufgrund des Titels und der Einleitung der Arbeit Aufschlüsse zur konstitutiven Funktion der sprachlich-metaphorischen Ebene für philosophische Sinnbildungen erhofft hat, wird enttäuscht. 2 Dieses Thema gerät nicht wirklich ins Blickfeld. Zu schnell ist die Autorin beim Verfolgen ihres Projekts "Sage mir, welche Metaphern du gebrauchst, und ich nenne dir dein Weltbild" (S. 9) mit ideengeschichtlichen Fertig-Kategorien zur Hand, die nicht eigens problematisiert werden und für die die angeführten Metaphern nur das Belegmaterial sind. Statt vom >räumlich-statischen< Weltbild Leibniz' und Wolffs spricht Albus auch häufig allgemeiner vom mathematisch-physikalischen, logisch-wissenschaftlichen, mechanistischen oder rationalistischen Weltbild; das >zeitlich-dynamische< Weltbild Vicos und Herders wird auch durch die Attribute organisch, historisch, individualistisch und vitalistisch gekennzeichnet. Die Geläufigkeit solcher Etikettierungen verleitet dazu, sie nicht immer im strengen Sinne erst als Ergebnis, sondern häufig schon als festen Ausgangspunkt der Metaphernanalyse zu behandeln. Typisch für diese Tendenz der Arbeit sind Formulierungen in der Art der Bemerkung, mit der der Abschnitt zu Wolffs "Verbindungs- und Trennungsmetaphorik" eingeleitet wird: "Als konsequenter Raum-Denker und Rationalist bevorzugt Wolff [...] Bilder, die der Idee des Starren, Festen und Sicheren Rechnung tragen" (S. 233).

Vanessa Albus' Buch Weltbild und Metapher eröffnet methodisch keinen neuen Zugang zum Verhältnis von Bildlichkeit und philosophischem Denken, und es liefert auch keinen Beitrag zur inhaltlichen Revision oder Problematisierung gängiger philosophiehistorischer Epochen-Muster. Die Leistung dieser klar und luzide formulierten Arbeit besteht darin, dass sie die philosophiegeschichtlichen Kategorien, die man traditionell mit den vier von ihr ausgewählten repräsentativen Philosophen verbindet, durch Metaphernanalyse fundiert, und zwar auf äußerst gründliche Weise. Albus hat für zukünftige Studien zur Rhetorik der Philosophie des 18. Jahrhunderts eine wertvolle, materialreiche Basisuntersuchung geliefert, zu deren Benutzerfreundlichkeit das Metaphernregister wesentlich beiträgt.


Lutz-Henning Pietsch, M.A.
Universität Regensburg
Institut für Germanistik
D - 93040 Regensburg
Homepage

Graduiertenkolleg "Klassizismus und Romantik"
Justus-Liebig-Universität Gießen
Otto-Behagel-Str. 10G
D - 35394 Gießen
Homepage

E-Mail mit vordefiniertem Nachrichtentext senden:

Ins Netz gestellt am 07.08.2003
IASLonline

IASLonline ISSN 1612-0442
Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. des. Dietmar Till. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Karoline Hornik.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!


[ Home | Anfang | zurück | Partner ]

Anmerkungen

1 Max Black: Models and Metaphors. Ithaca (N.Y.): Cornell University Press 1962, S. 25.   zurück

2 Vgl. als kurzen Aufriss dieses Problemfeldes z.B. Bernhard Debatin: Die Modellfunktion der Metapher und das Problem der "Metaphernkontrolle". In: Hans Julius Schneider (Hg.): Metapher, Kognition, Künstliche Intelligenz. München: Fink 1996, S. 83–103.   zurück