Auf breiter Quellenbasis aufgebaut, untersucht der Verfasser in der vorliegenden
Darstellung den masonischen Reformer Feßler und die Neuerungen in der
Großloge Royal York in Berlin. Von 1796 bis 1802 reformierte Feßler die
Rituale und die Verfassung der Berliner Großloge, womit er über regionale
Grenzen der Freimaurerei hinaus bekannt wurde.
Die vorliegende Arbeit ist vorwiegend geistesgeschichtlich orientiert und leistet
auch mit ihren sozialgeschichtlichen Bezügen einen wichtigen Beitrag zur
Kulturgeschichte Berlins um 1800.
Entwicklung der Freimaurerei im 18. Jahrundert
Maurice leitet sein Thema mit einem historischen
Grundriß über die Entwicklung der Freimaurerei im 18. Jahrhundert ein.
Der historische Teil ist sehr breit angelegt, weil er viele Formen masonischen Lebens
enthält, wie z. B. die Bereiche der Geselligkeit und Politik, der Religion, der
inneren Verfassungen und der öffentlich-rechtlichen Eingliederung.
Dem
Verfasser geht es am Beispiel Feßlers um eine Integrierung des Themas in die
Gesamtperspektive der historischen Forschung. Das zunehmende Interesse der
Fachhistorie am Thema der Freimaurerei führt Maurice darauf zurück,
daß die Logen als wesentliches Segment der Gesellschaftsgeschichte des 18.
Jahrhunderts anzusehen sind.
Einfluß der Freimaurerei auf den Aufklärungsprozeß
In der Einführung zu diesem Buch kritisiert Monika
Neugebauer-Wölk allerdings in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß
die Substanz der Freimaurerei, besonders die Gestaltung der Grade, die Entwicklung der
Systeme, die gesamte "Sinnhaftigkeit" masonischer Esoterik und deren
Einfluß auf den Aufklärungsprozeß ausgeblendet wurden.
Diese
Kritik trifft nur zum Teil zu, da es heute fundierte Arbeiten nicht nur über das
Gradsystem der Freimaurerei und die Hochgrade, sondern auch über das
Verhältnis von Aufklärung und Esoterik gibt, die die hier erwähnten
Dimensionen der Freimaurerei sehr wohl zum Thema gemacht haben. Hier wären
vor allem neuere Forschungen zur freimaurerischen Humanität, Anthropologie,
Ritualistik und Symbolik zu nennen.
religiös inspirierte Ethik der Freimaurerei
Mehrfach werden diese Themenaspekte auch unter
dem Begriff der "neuen Utopie" der Freimaurerei zusammengefaßt.
Diese Utopie, die u. a. auch mit der universellen Ethik der Freimaurerei gleichgesetzt
wird, sollte auf Werten aufgebaut sein, die nicht von religiösen Vorstellungen
losgelöst betrachtet werden können. Diese Religiosität ist eine
undogmatische, intuitive und individuelle Ahnung des "Göttlichen",
die im masonischen Ritual erlebbar gemacht und nur in Symbolen ausgedrückt
werden kann. Die hier erwähnte Ahnung wird innerhalb der Freimaurerei am
Beispiel der jüdischen Mystik der Kabbala und ihrer Beziehung zur
jüdischen Religion erklärt.
Das Menschenbild der Freimaurerei, eine
philosophische Anthropologie, verlangt die Verfolgung einer ethischen Zielsetzung, die
sich in initiatischer Weise am Transzendenten orientiert. In ihrer Idealvorstellung ist die
Freimaurerei eine menschliche Lebensform, eine Kunst der Lebensphilosophie,
religiös inspiriert und in Symbole verhüllt. Humanität und
Menschlichkeit sind für die Freimaurerei nicht bloße Werte, die
während der rituellen Arbeit formelhaft nachgesprochen werden, sondern vor
allem konkrete Praxis.1
Zentralbegriff der Vernunft
Auch die Darstellung von Maurice reiht sich in diese Traditionslinie ein. Der Ansatz
des Verfassers ist geprägt von einer rationalistischen Interpretation, die sich
wohltuend von anderen, insbesondere von hermetisch-esoterischen Auslegungen
abhebt. Bei seiner Deutung orientiert er sich an Feßler selbst, der seine eigene
Vorstellung von Freimaurerei nach einer an Spinoza ausgerichteten Zwischenphase vor
allem an Kant anlegte. Feßlers Zentralbegriff als Variante der Freimaurerei ist in
der Tat die Vernunft, die von Maurice entsprechend herausgearbeitet wird. So ist
deutlich erkennbar, warum Feßler als einer der ersten Freimaurer die
naturrechtliche Vertragstheorie zur Grundlage einer Logenverfassung machte.
Ist zwar
die Deutung der Freimaurerei als Schule der Vernunft aus der Sicht des Verfassers bei
Feßler bestimmend, so wird trotz dieser Präferenz die masonische
Vernunftvorstellung nicht verkürzt. Maurice sieht in den Feßlerschen
Hochgradritualen eine Art "Liturgie eines rationalistischen Kultes" und
interpretiert deren Ziel, die Freimaurerei im Gegensatz zu den traditionellen
Konfessionen zu einer Kirche des "Vernunftglaubens" zu stilisieren. So
wird der Inhalt freimaurerischer Rituale nicht als störendes Element empfunden,
sondern in den Mittelpunkt masonischer Substanz gerückt.
In diesem
Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, ob hier die freimaurerische
"Einübungsethik", ein Kernbestand masonischer Ritualistik, mit ihren
einzuübenden Inhalten nicht zu einer Prinzipienethik verändert wird, wenn
man den Einfluß der Kantischen Philosophie in Betracht zieht. Feßlers
Konsequenz, seine Ritualreform, resultiert aus der zeitgenössischen Kritik am
praktizierten Ritual, das damals zur Posse verkam. In der Interpretation von Maurice
bleibt bei Feßlers "sensualistischer Liturgie" nur mehr ein gradweiser
Unterricht, der die Funktion als Initiationsmittel in der Freimaurerei übersieht.
Außenbeziehungen der Freimauerei
Auch die Außenbeziehungen der Freimaurerei werden in der vorliegenden
Untersuchung dargestellt. Bei Maurice wandelt sich die Freimaurerei von einer Schule
der Vernunft zu einer "Schule der Gesetzmäßigkeit". Er vertritt
die Meinung, daß sich die scharfe Trennung in der Freimaurerei von Innen und
Außen nicht aufrecht erhalten lasse, wie auch die grundsätzliche
Opposition von Moral und Staat nicht länger behauptet werden könne (wie
z. B. noch bei Reinhart Koselleck). Im Verhältnis der Freimaurerei zum Staat und
Absolutismus erweist sich deren Haltung als ein Indikator für das jeweilige
Staatsverständnis. Dieser wichtige Aspekt wird im Buch von Maurice
überzeugend herausgearbeitet.
Thematischer Aufbau
Die Arbeit ist auch mit der Auswahl der thematischen Schwerpunkte sehr gut
gegliedert. Sie beginnt mit der allgemeinen Entwicklung der deutschen Freimaurerei im
18. Jahrhundert, läßt dann Feßlers Konzeption der Freimaurerei
folgen, thematisiert den zeitgenössischen Diskurs über das
Verhältnis der Freimaurerei zum absolutistischen Staat und bringt dabei auch
Feßlers spezifischen Beitrag dazu ein.
In den weiteren Kapiteln folgen die
Logenreform, ihre Motive und Ziele am Beispiel der Feßlerschen Hochgrade, und
die politischen Entwicklungen, insbesondere die Analyse von Feßlers Versuch
einer kritischen Geschichte der Freimaurerei, in der die problematische These vertreten
wurde, daß die Freimaurerei durch die Tradition einer esoterischen Lehre Jesu
geprägt worden sei.
Im letzten Teil seiner Darstellung geht es dem Verfasser um
die Wechselwirkungen zwischen Theologie und den Geheimgesellschaften im
ausgehenden 18. Jahrhundert. Drei Konzeptionen bestimmen dabei Feßlers
Verständnis der Freimaurerei:
- der Begriff des Reiches Gottes auf Erden,
- die Vorstellung von Jesu als Geheimbündler
- und die Erlösung durch eine esoterische Tradition.
Maurice verliert aber trotz starker Betonung der Ambivalenz der
Aufklärung, der Mystik und Religion, nie den realen Boden der
Wissenschaftlichkeit, wenn er hervorhebt, daß die Freimaurerei ein Raum sei, in
dem vieles möglich erscheint wobei dieser Raum nicht undefiniert ist, weil er
wieder-erkennbare Strukturen und Regeln enthält.
Weiterführende Fragen
Die vorliegende, sehr gründliche Arbeit eröffnet einige neue
Forschungsperspektiven, die bei weiterer Vertiefung die Frage klären
könnten, was die Kategorie der Vernunft im Rahmen der Selbstorganisation der
Freimaurerei und ihren Systemen bedeutet und welches Verhältnis sie zur
Esoterik und hermetischen Tradition aufweist. Damit könnte vielleicht der
tradierte Gegensatz zwischen exoterischer und esoterischer Deutung der Freimaurerei
überwunden werden.
Diejenigen Forscher/innen, die stärker den
esoterischen Charakter der Freimaurerei betonen, dürfen allerdings die
große Bedeutung des Aufklärungs- und Vernunftpotentials der
Freimaurerei im Sinne einer "reflexiven Aufklärung" nicht
übersehen, weil sie sich sonst in eine Abseitsstellung begeben, die dem Wesen
der Freimaurerei nicht gerecht werden kann.
Prof. Dr. Helmut Reinalter
Universität Innsbruck
Institut für Geschichte
Innrain 52
A-6020 Innsbruck
Ins Netz gestellt am 09.11.2000.
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