- Bernd Zegowitz: Richard Wagners unvertonte Opern
(Heidelberger Beiträge zur deutschen Literatur. Hg. von Dieter
Borchmeyer. Bd. 8) Frankfurt / M u.a.: Lang 2000. 305 S. Brosch. EUR (D) 45,50
ISBN 3-631-36844-5.
Richard Wagner ist ein berühmter Komponist, von dessen
künstlerischer Physiognomie Thomas Mann die Signatur eines ganzen
Jahrhunderts abgelesen hat. Was er neben seinen 13 vollendeten
Bühnenwerken, von denen die beiden ersten (Die Feen und Das
Liebesverbot) nur den Spezialkennern bekannt sein dürften, an
weiteren Projekten verfolgt, mehr oder weniger energisch betrieben und dann
doch aufgegeben hat, ist größtenteils völlig unbekannt. Man
mache die Probe mit Titeln wie Die hohe Braut oder Die Bergwerke zu
Falun oder frage sich, welche Vorstellungen man verbindet mit einem
Opernplan Männerlist größer als Frauenlist oder Die
glückliche Bärenfamilie.
Es ist ein fast unbekannter Wagner, den die vorliegende
Untersuchung behandelt. Man sage nicht, daß eine solche
Erkundungsabsicht nur in Nebenkammern oder Kellerräume eines ansonsten
prächtig aufragenden und weithin sichtbaren Hauses führt. Die
Literaturgeschichte kennt Beispiele von Fragmenten (wie dem Demetrius
Schillers oder Kleists Robert Guiskard), die von der Ambition oder dem
schon erkennbaren Problemansatz her so gewichtig sind, daß die Frage
der Priorität im Vergleich mit den vollendeten Werken nicht als schon
von vornherein entschieden gelten darf. Wenn ein Bühnenkomponist einen
Werkplan über 26 Jahre verfolgt, dann muß er ihm eine immense
Bedeutung zugeschrieben haben. Ist vom Ring des Nibelungen die Rede,
dem musikdramatischen Monumentalbau, den Wagner zwischen 1848 und 1874
errichtet hat? Ja, aber auch vom Werkplan Die Sieger, 1856 erstmals
notiert und erst 1882 endgültig beiseite gelegt: Allein schon die Dauer
dieser Befassung muß dem Projekt Interesse verschaffen, auch wenn
Wagner nicht über eine Prosaskizze hinausgekommen ist und dem in der
Konzeption verwandten Parsifal Vorrang eingeräumt hat.
Kein Zweifel mithin, daß die systematische Aufarbeitung
von Wagners unrealisierten Musiktheater-Projekten (die Rede von den
"unvertonten Opern" setzt sich, aufs Ganze gesehen, über
Wagners terminologische Direktive hinweg) ihr Recht hat und einiges
verspricht – auch für die Beleuchtung der ausgeführten, seit dem
Fliegenden Holländer berühmten und aus dem Theaterrepertoire
nicht wegzudenkenden, immer wieder auch zu Regie-Experimenten lockenden
Werke. Zegowitz geht mit einer philologischen Methode an sein Unternehmen, er
nimmt Wagners Werk als literarisches Phänomen ins Visier (wobei die
Musik, da es sie bei den Planspielen nicht gibt, auch nicht angestrengt
ausgeklammert werden muß). Die Untersuchung folgt hauptsächlich
den von Dieter Borchmeyer in seinen Wagner-Arbeiten vorgezeichneten Linien,
markiert aber auch einige Abweichungen davon wie beispielsweise in der
vergleichenden Beurteilung von Wagners Prosaentwurf zur Hohen Braut
und dem daran anschließenden Libretto des Prager Komponisten Johann
Friedrich Kittl (S. 51).
Philologische Einblicke in Wagners Werkstatt
Überaus sorgfältig rekonstruiert Zegowitz die Daten
zur Entstehung und Überlieferung der "unvertont" gebliebenen
Projekte, weist die Quellen nach – für Die hohe Braut handelt es
sich um einen 1833 erschienenen Roman gleichen Titels von Heinrich Koenig –
und zeigt im Umgang mit Wagners Briefen und seiner später Cosima
diktierten Autobiographie Mein Leben das methodisch gebotene
Mißtrauen, weil die inhaltliche Authentizität dieser Aussagen
immer von Wirkungsstrategien und späteren Stilisierungen durchkreuzt
sein kann. Dafür gibt es bei Wagner, nicht nur auf dem Feld der
>unvollendeten Werke<, Beispiele ohne Zahl. Man kann dieser Arbeit, was
die philologische Machart angeht, nur das allerbeste Zeugnis ausstellen, denn
sie formiert sich zu einem Kompendium, das zuverlässig über Wagners
Werkstatt-Projekte unterrichtet, doch ihr Thema keineswegs in enge Grenzen
einzäunt, sondern (zum großen Gewinn des Ganzen) in weitere
Zusammenhänge führt.
Für solche Einsichten hat der Verfasser schon durch
seine Disposition vorgesorgt, die "unvertonten" jeweils mit
zeitlich benachbarten "vertonten Werken" in Beziehung zu setzen,
also dem Prinzip "Paarbildung" zu folgen, das ihm aus dem
Motivvergleich an den Texten aufgegangen sein dürfte. So rückt er
die Hochzeit, Wagners erstes dokumentiertes Opernprojekt
überhaupt (zu datieren auf 1832/33), mit der Märchenoper Die
Feen zusammen, dem ersten komponierten Bühnenwerk, dessen
Ausarbeitung Anfang 1833 begonnen hat. Weitere Vergleichspaare sind das
Projekt Die hohe Braut und der Rienzi, im Stil der
>Großen Oper< entworfen und komponiert, sowie die als
>Große Oper< konzipierte Sarazenin und ebenfalls der
Rienzi. Der Opernplan Die Bergwerke von Falun, im
Anschluß an eine Erzählung E.T.A. Hoffmanns skizziert, blieb
unausgeführt, kam aber motivisch und dramaturgisch der Arbeit am
Tannhäuser zugute.
Das Projekt Jesus von Nazareth, seit Anfang 1849 von
Wagner verfolgt, kommentiert der Verfasser eingehend im Kontext der
Revolutionsschriften. Damit ergibt sich eine parallele Konstellation zu dem
daraus hervorgegangenen und über Jahre mit oft gerühmter
künstlerischer Beharrungskraft bis zum Ende geführten
musikdramatischen Hauptwerk Wagners, der Tetralogie Der Ring des
Nibelungen. In diesem Wettstreit der Werkideen mußte das
kühne, da an Tabuzonen rührende Projekt einer Jesus-Oper (mit dem
Wagner im Widerspruch zu seiner Theorie zur historischen Oper
zurückgekehrt wäre) unterliegen. Ähnlich steht es um die
Werk-Konkurrenz zwischen den Siegern und dem Parsifal, der den
Vorzug erhält, aber in seiner Ausarbeitung von den buddhistischen Ideen
von "Askese" und "Erlösung" des aufgegebenen
Projekts auch sichtlich mitbewegt wird.
Nur in zwei Fällen ist keine >Paarbildung<
möglich: für das Spielopern-Projekt der Männerlist –
hier sorgen Vergleiche mit anderen Spielopern des Biedermeier, insbesondere
von Lortzing, für die Einhaltung des Schemas – und für das Ende
1849 auf die Agenda gesetzte Projekt Wieland der Schmied, das
zeitweise trotz aller erlittenen Enttäuschungen auf die Pariser Oper
berechnet war. Den Libretto-Entwurf zu diesem aus nordischen Quellen
bezogenen Stoff – Wagner hat diesen Entwurf immerhin in seine Gesammelten
Schriften aufgenommen – lokalisiert der Verfasser zurecht im
Übergang von der romantischen Oper zum Musikdrama. Konkret heißt
dies, daß einiges auf den Lohengrin zurückspielt, anderes
auf den Ring des Nibelungen vorausweist. Insbesondere zum Motiv des
Zauberrings, der im Wieland seinem Träger "Macht und
Liebe" verheißt, ergeben sich spannende, auch die Tetralogie (in
der "Macht" und "Liebe" in ein reziprokes Verhältnis
gesetzt sind) kontrastierend schärfer beleuchtende
Vergleichskonstellationen (S. 227, 237f. und 243 f.).
Projektabbruch und Selbststilisierung
Alle Rekonstruktionen von Wagners Plänen,
Prosaentwürfen oder auch Libretti münden jeweils in
Überlegungen, die nach den "Gründen für die
Nichtvertonung" fragen (und manchen Wagner-Freund in wehmütige
Grübeleien treiben mögen, welche großen Werke mit vielleicht
ganz eigenartigen musikalischen Profilen der Musikdramatiker noch hätte
schaffen können). Die Antworten können nur hypothetischen Charakter
gewinnen, ihre Plausibilität hängt zusammen mit den
Auskünften, die Wagner selbst gibt – und die wiederum bedürfen,
wenn sie beispielsweise in der zweckrhetorischen Autobiographie gegeben
werden, einer besonders eingehenden Überprüfung. So erklärt
Wagner, daß er die Komposition der Hochzeit nicht in Angriff
genommen – und das Libretto vernichtet – habe, weil das
"Unternehmen" seiner Schwester Rosalie mißfallen habe (vgl.
S. 39f.).
Zegowitz zweifelt diese Aussage nicht an, weil er in Rechnung
stellt, daß die in Mein Leben ausführlich porträtierte
Schwester in der Tat einen bestimmenden Einfluß auf den jungen Wagner
ausgeübt hat. Vergleichbar ist dieses Geschwisterverhältnis mit dem
des jungen Goethe zu seiner Schwester Cornelia, der es – nach dem Zeugnis der
späteren Autobiographie Dichtung und Wahrheit – die Nachwelt zu
danken hat, daß das junge Genie den Götz von Berlichingen
(ein bahnbrechendes Werk der Gattungsgeschichte) nicht nur im Kopf bewegt,
sondern auch zu Papier gebracht hat. Zurück zum Wagner-Beispiel: Dann
hätte Rosalie dem Bruder eine Werkambition verleidet, die zu einem
nachtromantischen Vorklang auf Tristan und Isolde hätte
führen können, zu einer ersten Probe auf das Exempel der
Unvereinbarkeit der geschlechtlichen Liebe mit der Institution der Ehe – weit
erregender als die ins Konventionelle zurückgenommenen Feen.
Vielleicht aber, wenn die Spekulation gestattet ist, wich der 20jährige
Komponist vor dem in Abgründe führenden Sujet der Hochzeit
auch deshalb zurück, weil ihn sein Künstlerinstinkt vor einer
Aufgabe warnte, der er kompositorisch noch nicht gewachsen war.
Im Falle der Sarazenin macht der Autobiograph Wagner
geltend, daß ihn das Projekt des Tannhäuser stärker in
Bann geschlagen habe. Hier bringt der Verfasser eine quellenkritische
Einschränkung an, weil er sieht, daß es Wagner in Mein Leben
, doch auch schon in der Exilschrift Eine Mitteilung an meine Freunde
darauf ankommt, die Werkentscheidungen als notwendige Konsequenz eines
unbeirrbaren Künstlerwillens darzustellen – mit Folgen bekanntlich nicht
nur für die Wagner-Hagiographen (Thomas Mann: "er hatte sich selbst
gefunden, als er von der historischen Oper zum Mythus fand"). Unterhalb
solcher Stilisierungen entdeckt und akzentuiert Zegowitz den wahrscheinlich
wichtigeren Grund für den Abbruch des Projektes: Nicht das
Zurückfallen in den Stil der >Großen Oper< war wohl
ausschlaggebend, sondern der Umstand, daß Wilhelmine
Schröder-Devrient, der die Rolle der Fatima zugedacht war, an dem Typus
der ihr unweiblich erscheinenden "Prophetin" Anstoß genommen
hat (S. 109, 138 f.). Wer weiß, wie Wagners Werkgeschichte
aussähe, wenn ihn die bewunderte Sänger-Darstellerin (die Senta bei
der Uraufführung des Fliegenden Holländer 1843) zu dem vom
Historiker Friedrich von Raumer bezogenen Hohenstaufen-Stoff mit seiner
>interkulturellen< Thematik – Begegnung von Christentum und Islam – ermuntert hätte.
Die Männerlist, den Versuch im Genre der
Spieloper, hat Wagner später gezielt aus seinem Œuvre ausgesondert,
nämlich nicht in seine Gesammelten Schriften aufgenommen, obwohl
das Libretto vollständig ausformuliert war und – anders als bei der
Hochzeit und der Hohen Braut – erhalten geblieben ist. Wagner
als Beinahe-Komponist einer Spieloper im Stile von Zar und Zimmermann
oder Martha: Das ist eine Eventualität, vor der man
ungläubig den Kopf schütteln mag (obwohl es solche
Spielopern-Elemente im Holländer und in den Meistersingern
gibt). Wer weiß, was daraus geworden wäre, eine Selbstabweichung
oder ein Geniegriff. Wagner hat mit der Vertonung des 1836 / 37 in
Königsberg entstandenen Librettos begonnen, aber die Komposition
abgebrochen, weil er sich ausweislich der Autobiographie nicht zu einer
Anpassung an "verachtete" Theaterverhältnisse herablassen
wollte (S. 40). Man muß das mit dem Verfasser recht verstehen: Wenn
schon Anpassung an das Theater, dann nicht an die Gegebenheiten einer
Provinzbühne. Außerdem dürfte den Bühnenkomponisten
gestört haben – die schon in Königsberg vertonten Librettoteile
sollen ihm "Ekel" bereitet haben –, daß er musikalisch in die
Nähe Rossinis und Bellinis geraten wäre (S. 101). Bei diesem
Projekt glaubt man wirklich einen Irrgang des Komponisten zu sehen. Nicht
ersichtlich bleibt auch, welches produktive Moment der Männerlist
einem anderen Projekt zugute gekommen wäre.
Für die Sieger hat sich Wagner nach seinem
deklarierten Verzicht den – zu diesem Zeitpunkt knapp zehnjährigen –
Sohn Siegfried ("Fidi") als Komponisten gewünscht (Cosimas
Tagebuch, 21.3.1879). Für den Wieland hatte er etliche
Komponisten in Erwägung gezogen, wie Zegowitz dokumentiert (S. 218 ff.).
Die erste Anfrage ging an Franz Liszt (wohl auch, um eine Dankesschuld
abzutragen), die zweite (im Brief vom 8. September 1852) über ihn an
einen anderen potentiellen Kandidaten: "Willst du es [das
"Gedicht"] Berlioz anbieten?" Der Komponist und Dirigent Karl
Ritter wird ins Auge gefaßt, dann der Dresdner Freund August
Röckel (zu dieser Zeit wegen revolutionärer Umtriebe in Haft) und
noch 1862 der Komponist Wendelin Weißheimer, den Wagner sogar mit dem
Versprechen ködert, er wolle für ihn die Versifikation des
Prosaentwurfs übernehmen. Die Nachgeschichte weist Edmund von
Mihalovich, Kurt Hösel und im 20. Jahrhundert Ján Levoslav Bella als
Komponisten von Wieland-Opern auf der Basis des Wagnerschen Entwurfs
aus. Makabre Pointe: Auch ein Wagnerianer mit Namen Adolf Hitler wollte die
kompositorische Lücke, die der Meister hinterlassen hatte, in seiner
Wiener Zeit durch eine Wieland-Oper schließen.
Vom taktischen Umgang mit Projekten
Der Verfasser führt uns mithin vor, daß Wagner
seine unrealisierten Opernprojekte nicht bloß als Steinbruch nutzte
für die zur Komposition vorgesehenen Werke. Sobald er sie von der
eigenen Kunstarbeit ausgeschlossen hatte, konnte er – sehr "lax"
mit seinem "geistigen Eigentum" umgehend – die eigenen
Entwürfe und Libretti auch zur taktischen Masse machen, um
Verbindlichkeiten zu schaffen oder in der Theatertaktik weiterzukommen.
Den szenischen Entwurf der Hohen Braut schickte er
1836, ins Französische übersetzt, an den bekannten Librettisten
Eugène Scribe – als sich die Weichen für ein Pariser Debüt mit
dieser Oper nicht stellen lassen wollten, erlischt Wagners Interesse an
diesem Projekt (S. 77). Auch der Plan zum Jesus von Nazareth wird
zeitweise zum Mittel für den Zweck von Pariser Theaterplänen. Doch
am 5. Dezember 1849 läßt er Franz Liszt wissen, daß dieses
Opernprojekt für Paris nicht in Frage komme (S. 181). In diesem Brief
bringt Wagner seine Doppelmotivation – das Schaffen aus dem eigensten Antrieb
und zugleich die Kalkulation auf den Theatererfolg – in eine bündige
Formulierung, die das Problem der Vereinbarkeit freilich nur benennt und
nicht löst:
Ich bin mir nun aber klar geworden, welche Aufgaben
ich eigentlich für Paris zu lösen habe; es ist die: mir ganz treu
zu bleiben, und doch, indem ich entwerfe und ausführe, immer gerade
Paris vor den Augen zu haben.
In einem Fall wird der Umgang mit dem eigenen Text (wiederum
der Hohen Braut) zu einer Instrumentalisierung, die man in ihrer – von
Wagner in Mein Leben vorgeführten, von Zegowitz unterstrichenen – Raffinesse schon nicht mehr bewundern kann. Dem Dresdner Kapellmeister und
Komponisten Carl Gottlieb Reißiger, immer auf der Suche nach geeigneten
Operntexten, macht Wagner 1842 den Entwurf zur Hohen Braut
schmackhaft. Er verspricht ihm nach und nach die "Versifikation"
mitzubringen – das alles, um den Dirigenten an sich zu binden und zu
höchstem Engagement in der Einstudierung des Rienzi (dessen
Uraufführung bevorstand) anzutreiben. Wenn in diesem Fall die
Theatertaktik in den Dienst des künstlerischen >Werk-Ethos< treten
mag, dann auf Kosten eines anderen Werkplans, der vielleicht eher verdient
hätte ans Licht der Welt zu treten als der Rienzi, aber in der
gegebenen Situation von seinem Urheber als Makulatur behandelt wird.
Fazit
Fazit: ein sehr begrüßenswerter Beitrag zur
Wagner-Philologie, der einige Seiten des kunst- und wirkungsmächtigen
Musikdramatikers neu oder schärfer beleuchtet. Die Darstellung bleibt
von modischen Forcierungen und Einseitigkeiten erfreulich frei, sie will
nicht etwas >beweisen<, sondern beschränkt sich in der Arbeit mit dem
Material auf den Gestus des Aufzeigens. Vor Verirrungen bewahren den
Verfasser sehr gute Wagner-Kenntnisse und seine schon hervorgehobene
methodische Sorgfalt, die ihn sicher zu den Kernmotiven und den
Problemkontexten führen. Die Identifizierung eines Schiller-Zitats in
der Männerlist zeigt philologischen Übereifer (S. 98, Anm.
68), doch das Ganze ist von einer bemerkenswerten Urteilskraft geprägt
in der Rekonstruktion der Projekte und ihrer thematischen Linien, von
Zurückhaltung aber in der Frage, ob der Komponist in jedem Fall einen
Irrgang rechtzeitig abgebrochen oder aber versäumt hat, einen
verborgenen Schatz zu heben, das heißt: ins Vollbild des Werkes zu
bringen.
Die Leistung von Bernd Zegowitz in der
Quellenerschließung wird in ihrem imponierenden Format erst recht
sichtbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Band 31 der seit
1970 erscheinenden, von Carl Dahlhaus und Egon Voss (mit Reverenzerweis
zitiert) herausgegebenen Wagner-Akademieausgabe mit allen bekannten Skizzen,
Entwürfen und Libretti der unvertonten Bühnenwerke noch nicht
vorgelegen hat (und auch gegenwärtig noch nicht vorliegt). So
mußte sich der Verfasser seine Materialien aus den verschiedensten
Quellen zusammensuchen. Die philologische Anstrengung hat sich gelohnt, und
auch den Exegeten der vollendeten Werke seien die Anregungen dieser Studie
dringend empfohlen. Denn es ist nur zu unterstreichen, wenn der Verfasser am
Ende zum Beispiel resümiert: "Eine Analyse des Geschwistermotivs
anhand des >Rienzi< und der >Walküre<, die die verschiedenen
Geschwisterverhältnisse, wie sie sich in der >hohen Braut< und der
>Sarazenin< darstellen, mißachtet, wird zu kurz greifen."
(S. 281)
Prof. Dr. Hartmut Reinhardt
Universität Trier
Fachbereich II, Gemanistik
D-54286 Trier
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Ins Netz gestellt am 21.10.2002
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