Rischpler über Brunner / Schmidt: Würzburg und die deutsche Literatur im Spätmittelalter

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Susanne Rischpler

Würzburg als Universitäts- und
Literaturstadt des Spätmittelalters:
Eine Tagung, eine Ausstellung und ein Katalog

  • Horst Brunner / Hans-Günter Schmidt (Hg.): Vom Großen Löwenhof zur Universität: Würzburg und die deutsche Literatur im Spätmittelalter. Katalog zur Ausstellung im Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg 9. Oktober–15. Dezember 2002. Wiesbaden: Verlag Dr. Ludwig Reichert 2002. 105 S. Geb. EUR (D) 26,- (EUR [D] 15,- in der Ausstellung).
    ISBN 3-89500-312-3.


Geschichtlicher Hintergrund

Auf eine 600-jährige oder längere Geschichte können nur ein gutes Dutzend der europäischen Universitäten zurückblicken. Diesen altehrwürdigen Institutionen gesellte sich im Jahr 2002 die Universität Würzburg hinzu, die auf die 600. Wiederkehr ihrer Erstgründung durch den Bischof Johann I. von Egloffstein im Jahr 1402 zurückblicken konnte. Allerdings bestand diese erste Würzburger Universität nur bis 1413. Zum zweiten Mal und diesmal endgültig wurde sie 1582 von Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn aus der Taufe gehoben.

So konnten sich die Stadt und die Universität Würzburg nach der 400-Jahr-Feier im Jahr 1982 nun in kurzem zeitlichen Abstand bereits im Glanz der 600-Jahr-Feier ihrer Alma Mater sonnen.

Eine Tagung

Im Zuge der zahlreichen Feierlichkeiten und Veranstaltungen zu diesem Jubiläum richtete das Institut für deutsche Philologie der Universität Würzburg in Kooperation mit der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft (Frankfurt / M.) vom 9. bis 12. Oktober 2002 die Tagung "Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur im Spätmittelalter aus, die sich unter der Ägide von Prof. Dr. Horst Brunner der Politik-, Kunst-, Religions- und insbesondere natürlich der Universitäts- und Literaturgeschichte Würzburgs im Spätmittelalter widmete.

Eine Ausstellung

Im Zusammenhang mit diesem Kolloquium war vom 9. Oktober bis 15. Dezember 2002 in der Gemäldegalerie des Martin-von-Wagner-Museums der Universität Würzburg die kleine, aber feine Ausstellung "Vom Großen Löwenhof zur Universität: Würzburg und die deutsche Literatur im Spätmittelalter" zu sehen, die aus den Beständen der Universitätsbibliothek Würzburg und mit Leihgaben aus Archiven und Bibliotheken von Bamberg bis Zwickau bestritten wurde. Sie umfaßte Gründungsurkunden, professorale Handschriften, Chroniken sowie eine Vielzahl von weltlichen Textzeugen, insbesondere aus dem 15. und 16., aber auch aus dem 9. Jahrhundert. Neben all diesen handschriftlichen und gedruckten Zeugnissen ließ auch das Löwenrelief, das wohl eine der ersten universitären Baulichkeiten, den "Großen Löwenhof", geziert hat, die erste Würzburger Universitätsgründung lebendig werden.

Durch die ergänzende Präsentation "Dreißig Jahre Mediävistische Drittmittelforschungen an der Philosophischen Fakultät II der Universität Würzburg (1973 – 2002)" wurde die Ausstellung auch genutzt, um einschlägige Forschungsveröffentlichungen vorzustellen.

Ein Katalog

Nicht nur die Ausstellungskonzeption fußt auf der engen Zusammenarbeit zwischen der Universitätsbibliothek Würzburg und dem Institut für deutsche Philologie der Universität Würzburg, sondern auch die Erstellung des hier zu besprechenden Ausstellungskataloges. Die insgesamt 41 Katalogbeschreibungen wurden von einem Autorenteam verfaßt, das sich aus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines von Prof. Horst Brunner geleiteten Oberseminars am Institut für Ältere Germanistik und aus Mitarbeitern der Universitätsbibliothek zusammensetzt. Die Redaktion des Kataloges und die Organisation der Ausstellung im Martin-von-Wagner-Museum lag in den Händen von Dr. Hans-Günter Schmidt, dem Leiter der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek.

Einleitung

Die Einleitung des Kataloges aus der Feder von Prof. Brunner führt den Katalogbenutzer effektiv und ohne Umschweife in die Materie ein. Brunner umreißt die entscheidende Rolle, die Würzburg im deutschen "Literaturbetrieb" insbesondere des 13. und 14. Jahrhunderts spielte. Er stellt die wichtigsten Autoren (z.B. Konrad von Würzburg) und deren Œuvre kurz vor und betont die herausragende Position, die die Literatursammler Wilhelm von Kirweiler und Michael de Leone im 14. Jahrhundert in Würzburg einnahmen. Er macht aber auch deutlich, daß das deutsche Literaturschaffen nur ein Teilaspekt des Würzburger Geisteslebens in dieser Zeit bleiben muß; denn "die geistige Lebendigkeit der Stadt" würde selbstverständlich noch klarer faßbar, "wenn man die lateinische Literaturproduktion mit einbezöge" (S. 14).

Urkunden

Die gezeigten Urkunden stecken das Zeitfenster der Ausstellung ab: Auf die karolingische Zeit verweist die Würzburger Markbeschreibung von 779 in einer althochdeutschen Übersetzung aus dem 9. Jahrhundert (Nr. 1), die für Würzburg von ähnlicher historischer Bedeutung ist wie die Universitätsgründung(en), stellt sie doch das älteste urkundenähnliche Dokument über Würzburg in der Volkssprache dar. Bei ihrer Besprechung wäre die Nennung zumindest einiger der enthaltenen Ortsnamen (z.B. "habuchotal": das heutige Dürrbachtal) wünschenswert gewesen.

Das Spätmittelalter vertreten in dieser Exponatengruppe universitäre Urkunden (Nr. 29, 32), deren historisch fundierte Darstellung die räumliche Situierung und – von zeitloser Brisanz – die finanzielle Situation der ersten Würzburger Universitätsgründung veranschaulicht.

Chroniken

Zur weiteren Veranschaulichung der Universitätsgeschichte trägt neben den teilweise eigenhändigen Professorenhandschriften (Nr. 33–36) insbesondere eine der ausgestellten Chroniken bei, die bereits eine Brücke in die Neuzeit schlägt: Die Bischofschronik des Sekretärs und Archivars Lorenz Fries, von der in der Ausstellung das 1582 für Julius Echter von Mespelbrunn angefertigte Exemplar aus dem Bestand der Würzburger Universitätsbibliothek gezeigt wurde. Weil Fries im 16. Jahrhundert eines der ehemaligen Universitätsgebäude, den Löwenhof, erworben hatte, lag ihm die Festschreibung von dessen Vorgeschichte am Herzen (Nr. 28, 30–31). 1 Eine bemerkenswerte Ausnahme von den fürstbischöflich ausgerichteten Chroniken, stellt die Ratschronik des Siegfried von Bacharach (Nr. 26) dar. Obwohl diese Chronik, die ab 1407 geführt wurde, nur in einer ungenauen Abschrift des 17. Jahrhunderts fortbesteht, macht sie dennoch durch die Dokumentation von Alltäglichem wie Kuriosem das spätmittelalterliche Leben in Würzburg greifbar.

Textzeugen

Bei der lateinischen Dominanz in der theologischen Textproduktion verwundert es nicht, wenn sich inmitten der deutschen Literatur des Würzburger Mittelalters nur ein kirchlicher Textzeuge findet: die sog. Würzburger Beichte (Nr. 2). Es handelt sich um eine althochdeutsche Beichtvorlage aus dem 9. Jahrhundert, die dem Priester die Stichpunkte für die Abfrage der Verfehlungen lieferte. Der Umfang des Sündenregisters ist beeindruckend.

Ein weiterer Höhepunkt ist neben der Fries-Chronik das Hausbuch des Würzburger Pronotars und Scholasters Michael de Leone. Ihm gehörte der Löwenhof, nach dem er sich auch benannte, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dort wurden wohl auch die beiden umfangreichen Bände des Hausbuchs mit diversen deutschen und lateinischen Textzeugen zusammengestellt. Der erste Band ist bis auf einige Fragmente und seine Inhaltsangabe im zweiten Band leider verloren. Um so erfreulicher, daß man in der Ausstellung die Fragmente von Nürnberg und München zusammengebracht und im Katalog zur Gänze abgebildet hat (Nr. 4 mit insges. 13 Abb.). Der zweite Band des Hausbuchs hat Berühmtheit erlangt, weil er neben Werken Konrads von Würzburg auch das älteste deutsche Kochbuch enthält und nicht zuletzt eine bedeutende Sammlung von Minneliedern Reinmars des Alten und Walthers von der Vogelweide, was dem Kodex den Beinamen Würzburger Liederhandschrift eintrug (Nr. 3). Als Illustration wählte man die Doppelseite Bl. 191v / 192r. Da sich auf Bl. 191v (im Anschluß an die Lieder Reinmars) die historisch bedeutsame Behauptung Michael de Leones befindet, er habe das Grab Walthers im Kreuzgang des Würzburger Neumünsters gesehen, hätte man sich in der Beschreibung einige Erläuterungen zu dieser Passage gewünscht. 2

Konrad von Würzburg, "der profilierteste deutsche Dichter der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts" (S. 12), wird durch eine repräsentative Auswahl aus seinem Œuvre dokumentiert: durch zwei Verserzählungen, den Schwanenritter, Konrads frühestes datierbares Werk, in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts (Nr. 8) und Der Welt Lohn in einer Sammelhandschrift des 13. Jahrhunderts, die in konservativer Auswahl Werke der ansonsten "innovativen" Autoren Rudolf von Ems, der Stricker und Konrad von Würzburg zusammenstellt (Nr. 10), sowie durch zwei Romane, den Engelhard in einem Druck des 16. Jahrhunderts (Nr. 9) und den Trojanerkrieg, das weitschweifige, von Konrad nicht mehr vollendete Spätwerk, in einer Handschrift aus der Offizin Diebold Laubers.

Neben weiteren Textzeugen, wie Ruprecht von Würzburgs Die zwei Kaufleute (Nr. 13), werden beispielsweise auch Übersetzungen aus dem Lateinischen (Nr. 37–39) und Sachbücher Würzburger Provenienz vorgestellt, z.B. das Arzneibuch Ortolfs von Baierland (Nr. 20) und das Pelzbuch (pelzen = veredeln) Gottfrieds von Franken (Nr. 21), die das Panorama des mittelalterlichen Literaturschaffens in Würzburg abrunden.

Fazit

Die Autoren der Beiträge haben es in der Regel verstanden, diejenigen Aspekte herauszuarbeiten, die die Exponate für die heutigen Betrachter bzw. die Benutzer des Kataloges interessant machen. Auf Besonderheiten der ausgewählten Abbildungen wird in den Katalogtexten leider oft kein direkter Bezug genommen. Etwa ein Dutzend der insgesamt über 50 Farbabbildungen zeigen Doppelseiten, bei denen man in der Regel ein hochgestelltes Layout bevorzugt. Dadurch muß man den Katalog zwischen Lesen und Betrachten zuweilen hin- und herdrehen. Darüber wird man jedoch durch die hervorragende Qualität der Bebilderung hinweg getröstet.

Alles in allem also ein solide gemachter Katalog, der einen fundierten Überblick über die deutsche Literaturproduktion in Würzburg imSpätmittelalter vermittelt.


Dr. Susanne Rischpler
Johanniterplatz 2
D-97070 Würzburg

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Ins Netz gestellt am 05.05.2003
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Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Katrin Fischer.


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Anmerkungen

1 Da die Fries-Chronik nicht nur durch den Text, sondern vor allem durch ihre Bilder lebt, vermißt man in der zugegebenermaßen literaturhistorisch orientierten Bibliographie des Kataloges Literaturangaben zu Illustrationen dieser Chronik: z.B. Christiane Kummer: Die Illustration der Würzburger Bischofschronik des Lorenz Fries (1546) (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 7) Würzburg: Schöningh 1995.   zurück

2 "Her walther uon der uogelweide. begraben ze wirzeburg. zv dem nuwemunster in dem grasehoue ..." Diese Begräbnisstätte könnte auf eine Lehen hindeuten, das Walther in Würzburg erhalten hatte (vgl. Klaus-Gunther Wesseling: Walther von der Vogelweide (06.03.2003). In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. http://www.bautz.de/bbkl/w/walther_v_d_v.shtml (11.04.03).   zurück