Sarnowsky zum Katalog mittelalt. Schriften / Königsberg

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Jürgen Sarnowsky

(Teil-)Bestandsaufnahme
einer virtuellen Bibliothek

Kurzrezension zu
  • Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg nebst den mittelalterlichen deutschsprachigen Fragmenten des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg. Aufgrund der Vorarbeiten von Ludwig Denecke bearbeitet von Ralf G. Päsler. Herausgegeben von Uwe Meves (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 15) München: Oldenbourg 2000. 286 S. EUR (D) 34,80.
    ISBN 3-486-56499-4.


Die Auflösung einer Bibliothek

Der durch Deutschland ausgelöste Zweite Weltkrieg hat in ganz Europa – und nicht nur dort – schwerwiegende kulturelle Verluste zur Folge gehabt. Als der Krieg nach Deutschland zurückkam, veränderte er auch dort das Gesicht über Jahrhunderte gewachsener Kulturlandschaften. In besonderem Maße betraf dies die Region Königsberg, den heutigen Oblast Kaliningrad, wo man sich erst spät entschied, die historischen Archiv- und Bibliotheksbestände mit sich zu führen. Insbesondere die Waggons mit den Beständen der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, aber auch manche Bestände aus Museen und Archiven erreichten nie ihr Ziel. Während ein Teil der kostbaren Manuskripte gerettet werden konnte und sich heute insbesondere in der Bibliothek der Uniwersytet Mikolaja Kopernika in Torun befindet, müssen viele Bände – sofern sich nicht weitere Spuren in den Bibliotheken der ehemaligen Sowjetunion gefunden haben 1 – als endgültig verloren gelten.

Der Stand der
Handschriftenkatalogisierung

Die Anfänge der Bestände der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg gingen auf die Zeit des Deutschen Ordens in Preußen zurück (bis 1525). In die Schlossbibliothek des ersten Herzogs, Albrecht von Brandenburg, die der Erasmusschüler Felix König in einem ersten Katalog bearbeitete, wurden zwischen 1541 und 1543 auch die Bestände der Ordensliberei Tapiau eingegliedert. 2 Im 16. Jahrhundert schlossen sich weitere Kataloge an, die bis zum 19. Jahrhundert fortgeführt wurden; schließlich legte man einen neuen, den 4. Standortkatalog an. Von ihm hat sich nur eine bis 1932 fortgeführte Kopie in Berlin erhalten, weitere Aufnahmen fehlen. Wenn dieser – für die Handschriften eher summarische – Katalog nur rund 1660 Handschriften auflistet, die Bibliothek aber 1942 einen Bestand von 4587 Handschriften meldete, werden die immensen Probleme erkennbar, die sich einer Rekonstruktion der Königsberger Bestände entgegenstellen. Insbesondere fehlen zwei große Privatbibliotheken, die 1852 / 59 bzw. 1909 in die Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg gelangten, die Gottholdsche und die Wallenrodtsche Bibliothek.

Mit der wissenschaftlichen Beschreibung der mittelalterlichen Handschriften wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Rechtshistoriker Emil Julius Hugo Steffenhagen betraut. Er beschrieb die juristischen, historischen und einen Teil der "altdeutschen" Handschriften. Danach geschah wenig mit den Handschriftenbeständen, wenn man von einigen Beständen absieht, deren Beschreibungen heute im Handschriftenarchiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften überliefert sind. Erst 1935 begann der Versuch einer Neuaufnahme der Handschriften durch Ludwig Denecke, doch musste er 1940 – kriegsbedingt – seine Arbeiten einstellen. Seine bisher nur im Manuskript vorliegenden Beschreibungen, die er 1991 dem Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Geschichte in Oldenburg übergab, bilden auch die Grundlage des vorliegenden Bandes.

Ziel und Aufbau des Bandes

Angesichts der unklaren Situation, die es nicht erlaubt, genauere Angaben über tatsächlichen Umfang und heutigen Verbleib der Königsberger Handschriften zu machen, entschied sich das Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Geschichte, auf der Grundlage der Beschreibungen von Ludwig Denecke – die gleichwohl nach den Richtlinien für das "Verzeichnis der Handschriften im Deutschen Reich" keine Lagenformel oder weitere kodikologische Angaben boten – eine Beschreibung des bekannten Bestands deutschsprachiger Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek zu unternehmen, ergänzt durch die Fragmente deutschsprachiger Handschriften im Bestand des historischen Staatsarchivs Königsberg, heute im Geheimen Staatsarchiv Königsberg in Berlin. Als Bearbeiter wurde Rolf Päsler gewonnen, der zugleich an seiner Dissertation über "Deutschsprachige Sachliteratur im Preußenland bis 1500" arbeitete. Er sollte die Beschreibungen Deneckes durch Autopsie ergänzen, wo dies – insbesondere für die Bestände in Torun – möglich war. Das Ergebnis ist der vorliegende Band.

Der Aufbau des Bandes ergibt sich aus der Zielsetzung. Nach einer Einleitung, die die umrissene Geschichte der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg und ihrer Bestandserfassung sowie die Erfassungsmethoden des vorliegenden Bandes beschreibt, folgt der Katalog. Den weitaus größten beschriebenen Bestand bilden – bei den überlieferungsbedingten Unterschieden der Aufnahme – die Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (insgesamt 100 Nummern), ergänzt durch jeweils vier Manuskripte der Gottholdschen und der Wallenrodtschen Bibliothek sowie insgesamt 15 Fragmente, davon 13 aus den Beständen des Staatsarchivs. Der Band ist durch Register der zitierten Handschriften, der Initien sowie der Orte, Personen und Sachen erschlossen.

Früchte mühevoller Kleinarbeit

Zweifellos kann der unterschiedliche Stand der Handschriftenbeschreibung nicht völlig zufriedenstellen, wenn z.B. zwei verschollene Handschriften der Gottholdschen Bibliothek auf gut einer Seite beschrieben sind (S. 181–182), einem in Torun erhaltenen Gebets- und Andachtsbuch aber fünf Seiten (S. 183–188) gewidmet werden können. Das ist jedoch nicht dem Bearbeiter zuzuschreiben, vielmehr ist alles heute Mögliche getan worden, um in mühevoller Kleinarbeit einen Teilbestand einer verlorenen Sammlung zu erfassen und zu beschreiben. So entsteht eine wenn auch partielle, so doch akribische Bestandsaufnahme einer nur noch virtuell existierenden Bibliothek, die einen größeren Mosaikstein zur Geschichte der (nicht nur ostmittel-) europäischen Kulturlandschaften bietet.


Prof. Dr. Jürgen Sarnowsky
Universität Hamburg
Historisches Seminar
Von-Melle-Park 6
D - 20146 Hamburg
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Ins Netz gestellt am 30.03.2003
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten PD Dr. Arno Mentzel-Reuters. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Karoline Hornik.


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Anmerkungen

1 Siehe dazu den Bericht des Bearbeiters Rolf G. Päsler: Auf der Suche nach Königsberger Handschriften. Bericht einer Exkursion nach Kaliningrad,
St. Petersburg, Wilna und Thorn. In: Preußenland 35 (1996) S. 1–10.   zurück

2 Vgl. Eckhard Grunewald: Das Register der Ordensliberei Tapiau aus den Jahren 1541–1543. Eine Quelle zur Frühgeschichte der ehem. Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. In: Berichte und Forschungen 1 (1993)
S. 55–91.   zurück