Sauder über Verweyen: Bücherverbrennungen

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Gerhard Sauder

Bücherverbrennungen:
das historische und lokale Paradigma
(Erlangen)

  • Theodor Verweyen: Bücherverbrennungen. Eine Vorlesung aus Anlass des 65. Jahrestages der "Aktion wider den undeutschen Geist". (Beihefte zum Euphorion 37) Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2000. 237 S. Geb. EUR (D) 36,-.
    ISBN 3-8253-1082-5.


Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 rückt offenbar nur aus Anlass von Jahrestagen ins öffentliche oder wissenschaftliche Bewußtsein. Die erste Phase der Erforschung hing mit dem 50. Jahrestag 1983 zusammen – nie zuvor war durch eine differenziert und materialreich organisierte Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste, durch zahlreiche Sammelbände und Materialsammlungen die Erkenntnis des Ereignisses so sehr gefördert worden. Danach wurde es schnell wieder still um dieses Thema. Noch nicht einmal eine Handvoll kürzerer Arbeiten ist seither erschienen. Nun hat der 65. Jahrestag 1998 Theodor Verweyen zu einer dreistündigen Vorlesung an der Universität Erlangen-Nürnberg inspiriert, die, erweitert und mit Fußnoten versehen, inzwischen vorliegt. Die Buchfassung ist Eberhard Lämmert gewidmet, der 1983 mit Horst Denkler ein großes Berliner Kolloquium zur Literaturpolitik im >Dritten Reich< veranstaltete; im Zentrum stand die Bücherverbrennung.

Die Dreiteiligkeit der Vorlesung ist noch an der Komposition des Buches abzulesen: Ein erster Teil ("Einführung") ist v.a. der Bücherverbrennung in der Universitätsstadt Erlangen am 12. Mai 1933 gewidmet; der zweite Teil stellt historische Paradigmen von Luther bis zum Burschenschaftsfest auf der Wartburg im Oktober 1817 vor; der dritte Teil fragt nach "Kontinuität und Singularität" der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933.

Strapazierte Heine-Verse

Den ersten Teil seiner Einführung verknüpft Verweyen mit Heines Tragödie Almansor. Verse daraus seien 1983 geradezu inflationär für Veröffentlichungen und Kolloquien gewählt worden. Sie lauten:

Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.

Für Verweyen stellt die häufige Verwendung dieser Verse eine Topisierung dar, die ihm zumindest als ambivalent erscheint. Sie dienen als "Anspielungsraum, Argumentationsferment und Auslegungsmuster" (S. 8). Da Heines Tragödienversen geradezu – nach einem Ausdruck Bachtins – die Qualität eines "autoritären Wortes" zugemessen wird, die sie bei genauer Lektüre nicht verdienen, unterzieht Verweyen die zahlreichen Verwendungen einer philologischen Kritik und behauptet, die Analyse der darin gemeinten Phänomene (Vernichtung von Büchern und Menschen) werde durch das Zitat eher blockiert und die Singularität beider Phänomene verkürzt. Erst die Rezeptionsgeschichte habe aus dem auf einen historischen Kontext bezogenen Wort ein "absolutes Wort" werden lassen, in dem es aus seinem "Ko- und Kontext" herausgelöst worden sei, ihm so die historische Erfahrung raube und zum Missverständnis einlade.

Erlanger Spezialitäten

Als weiterer Teil der Einführung fungiert ein lokalgeschichtliches Beispiel: die Bücherverbrennung in der Universitätsstadt Erlangen am 2. Mai 1933. Bislang fehlt eine so fundierte Darstellung des Ereignisses in Erlangen. Verweyen möchte die Geschehnisse seinen Hörern und Lesern "plastisch" vermitteln. Dafür hat er Archivstudien betrieben und bislang unbekannte Dokumente aus dem Stadtarchiv der Stadt Erlangen und aus dem Erlanger Universitätsarchiv herangezogen. Die Verantwortlichen aus Universität und Studentenschaft werden identifiziert. Die Aktion selbst wird ausführlich beschrieben. Breiten Raum nimmt auch eine Erlanger Spezialität im Frühjahr 1933 ein: Um die Bücher im >Akademischen Lesezimmer< entbrannte ein "ideologischer Kampf". Dabei ging es vor allem um nationalsozialistische Polemik gegen den katholischen Direktor der Universitätsbibliothek, Eugen Stollreiter, im überwiegend protestantischen Erlangen. Er verwahrte sich dagegen, im >Akademischen Lesezimmer< Hitlers Mein Kampf aufzustellen.

Die Bücherverbrennung selbst wird nach dem Handlungsmodell des Rituals (Wolfgang Braungart 1) analysiert. Über die Zusammensetzung des Zuges, die Schaulustigen und die Vertreter der Universität – an der Spitze der Rektor – und mehrere Dozenten wird berichtet. Die Nutzung der Braungartschen Kategorien zur Charakterisierung des Verbrennungsakts als Ritual erweist sich als nützlich. Am Ende dieses Abschnittes kehrt der Verweyen noch einmal zu seiner Problematisierung der Rezeptionsgeschichte von Heines Versen zurück. Er plädiert dafür, keinen objektiven Zusammenhang zwischen den beiden dort genannten Ereignissen zu sehen. Die Erwähnung eines zeitgenössischen religionspolitischen Konflikts habe Heine im Sinne einer Interpretation, jedoch nicht als Kausalzusammenhang verstanden. Dagegen halte die Rezeptionsgeschichte der Almansor-Verse Genesis und Geltung, Ursprungs- und Wirkungsgeschichte der Verse nicht entschieden genug auseinander (S. 60).

Immerhin lasse sich aus diesem Rezeptionsprozess zeigen, "wie ein aus einem produktiven Missverständnis hervorgegangenes Denkmuster seine eigene Wirkungsmächtigkeit entfalten und eine für das Verständnis historischer Ereignisse aufschließende historische Kraft gewinnen kann." (Ebd.) In Erlangen seien zwar wie überall in Deutschland "nur" Bücher verbrannt worden. Aber in dieser Universitätsstadt sei die "Aktion wider den undeutschen Geist" auch mit dem Geschick eines in seiner Weise unbeirrbaren Menschen verbunden worden, dem Direktor der Universitätsbibliothek. Dank seiner Beharrlichkeit blieb ihm die dienstliche und persönliche Liquidierung erspart. Die noch länger gegen ihn geführte Pressekampagne hat er überlebt.

Zur Terminologie

Ein europäisches Beispiel und einige Erläuterungen des Wortgebrauchs sollen schließlich aus einer weniger gewohnten Perspektive in die Problematik einführen. Mit einem Zitat aus Merciers Tableau de Paris wird die Praxis von Verurteilung und Verbrennung von Büchern durch das Pariser Parlament illustriert. Später wird Verweyen noch einmal im Zusammenhang mit seiner Zeitutopie L'an deux mille quatre cent quarante, rêve s'il en fut jamais. (1770) auf Mercier zurückkommen. Während er in seinem Tableau de Paris als Aufklärer die Buchhinrichtung kritisiert, wird er sie in seiner Utopie als Mittel einer vernünftigen Zukunft affirmativ darstellen. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis auf den Briefwechsel zwischen Herder und seiner Braut Caroline Flachsland unerwartet. Sie schreibt in einem Brief an den Freund, sie wünsche, alle "Romanen, die die Menschen so unglücklich machen", würden verbrannt. Sie meinte damit Richardsons Briefroman Grandison.

Am Ende der dreigliedrigen Einleitung wird über das terminologische Problem der >Bücherverbrennung< gesprochen. Verweyen behauptet, der Ausdruck sei erst seit etwa 25 Jahren von terminologischer Bedeutung. Er lässt dabei außer Acht, wie häufig Autoren im Exil in zahlreichen Veröffentlichungen mit diesem Terminus gearbeitet haben. Es ist allerdings sinnvoll, dass er eine historische Arbeit von Hermann Rafetseder 2 im Hinblick auf die Versuche, die semantische Vielfalt zu disziplinieren und eine präzisere Bestimmung der Merkmale zu geben, heranzieht. Rafetseder arbeitet mit einem eingeschränkten Begriff von Bücherverbrennung und einem Merkmalbündel, um Bücherverbrennungen zu analysieren. Er schlägt den Terminus >Buchhinrichtungen< als Bezeichnung für "öffentlich-rituelle Verbrennungen von Schriften aller Art durch Henkershand" vor. Sie seien damit immer auch ein Kapitel der Zensurgeschichte. Zu den wichtigsten Merkmalen zählt er: Öffentlichkeit, Beteiligung des Henkers oder Scharfrichters und Feierlichkeit (Zeremonialität). Hinzu kommt das Sprachdenkmal als differentia specifica.

Historische Paradigmen

Den zweiten Hauptteil seiner Darstellung überschreibt Verweyen mit "Historische Paradigmen". Naturgemäß ist bei der Rekonstruktion der historischen Ereignisse in diesem Zusammenhang von seiten des Literaturwissenschaftlers nichts Neues zu erwarten. So stützt er sich bei seinem ersten Fallbeispiel, der Bücherverbrennung Martin Luthers und ihrer Kontexte als Exempel einer religiös motivierten Bücherverbrennung, auf die aktuelle historische und theologiegeschichtliche Forschung. Als didaktischer Rest aus der Vorlesung ist wohl die fast eine Seite umfassende Biografie Melanchtons stehengeblieben, der mit Luther und Mitgliedern der Universität Wittenberg die päpstlichen Schriften auf dem Schindanger vor der Stadt am 10. Dezember 1520 verbrannte.

Luther selbst hat ein in Buchform vorliegendes Exemplar der Bannandrohungsbulle in die Flammen geworfen. Er und seine Freunde verließen den Verbrennungsort bald. Es waren die Studenten, die danach weitere Verbrennungen unter entsprechenden Gesängen veranstalteten. Das Verbrennen des kanonischen Rechts war politisch brisant, gehörte es doch zu den reichsgesetzlich anerkannten Bestandteilen des gemeinen Rechts. Luthers Verbrennung von Büchern war im Sinne einer Spiegelstrafe gedacht: "Verbrennst Du meine Bücher, verbrenne ich Deine Bücher." Bei späteren Verbrennungen von Luthers Büchern stand dahinter allerdings die Hoheit des Kaisers. Am 12. November 1520, am 22. November in Mainz, dann in Lüttich und Trier wurden seine Bücher verbrannt. Höhepunkt war die Verbrennung von Schriften und Bildnis Luthers in Rom am 12. Juni 1521, veranlasst durch Papst Leo X.

Bibliophobie
und unterschiedliche Motive

In dieser Zusammenstellung sind literarische Bücherverbrennungen in der Frühen Neuzeit bislang noch nicht herangezogen worden: Don Quijote, außerliterarische Motivierungen literarischer Bücherverbrennungen, innerliterarische Motivierungen (das Wieland-Autodafé des Göttinger Hains 1773). Vor der kurzen Darstellung der Verbrennung der bösen Ritterbücher durch Nachbarn und Freunde Don Quijotes blickt Verweyen noch einmal auf das 28. Kapitel in Merciers Zeitutopie Das Jahr 2440 (deutsch 1772) zurück. In diesem Zusammenhang berichtet er von einer These, die Walter Boehlich 1983 formuliert hat: Bei den Literaturvernichtern handle es sich immer um Leser, die auch die Wirkung der Literatur fürchteten: Sie seien von der Bibliophobie erfasst.

Unter den außerliterarischen Motivierungen von literarischen Bücherverbrennungen erwähnt Verweyen zunächst Savonarolas "Verbrennungen der Eitelkeiten" am 7. Februar 1497 und am 28. Februar 1498 auf der Piazza della Signoria in Florenz. Durch Kinder und Jugendliche ließ er Schriften, Figuren, luxuriöse Stoffe und Gemälde sammeln und zu einer Pyramide aufschichten, die dann angezündet wurde. Bis heute ist der Bericht Vasaris umstritten, dass besonders für die Malerei dadurch großer Schaden entstanden sei. Es ist nicht sicher, ob bei den "bruciamenti della vanità" tatsächlich Kunstwerke, etwa gar von Botticelli, verbrannt wurden.

Mit einem weiteren Thema in diesem Zusammenhang hat sich Theodor Verweyen schon mehrfach in vorzüglichen Aufsätzen befasst: mit der pietistischen Kritik der Künste. Er muß allerdings einräumen, dass es nicht sicher sei, ob es tatsächlich zu öffentlichen Bücherverbrennungen durch Pietisten gekommen sei. Die Hinrichtungen von Büchern in Hamburg, Köln oder im thüringischen Greiz werden zwar mit dem Pietismus in Verbindung gebracht, aber wahrscheinlicher ist die religiöse Motivation in Berlin, Halle und Stargard gewesen, wo es starke pietistische Konventikel gab. Die von Goethe in Dichtung und Wahrheit geschilderte Frankfurter Konfiskation und Verbrennung wird gestreift. Es sei möglich, dass Goethe zwei Ereignisse miteinander verband: eine Verbrennung 1758 und 1766 (Schriften des Abbé Dulaurens). Die pietistischen Autoren warnten vor dem Romanlesen. Wenn es literarische Bücherverbrennungen bei ihnen gegeben hat, dann waren sie eindeutig religiös motiviert. Das Lesen von Romanen gehörte zu den diskriminierten "Lusthandlungen".

Als letztes Beispiel von innerliterarischen Motivierungen literarischer Bücherverbrennung stellt Verweyen das Wieland-Autodafé der Hainbündler (1773) dar. Am Geburtstag Klopstocks, dem 2. Juli, verbrannten sie Wielands Idris und ein Bildnis des Dichters. Damit artikulierten sie ihre Abneigung gegenüber der Witz- und Scherzkultur der Rokoko-Gesellschaft, verbunden mit dem Vorwurf der Frivolität und Franzosenfreundschaft: Wieland als der "deutsche Voltaire" konnte angesichts der vaterländischen Tendenzen im Hain nicht bestehen. Mit Recht versteht Verweyen dieses Ritual als Äußerung des neuen Patriotismus gegen der aufklärerischen Kosmopolitismus, als historisch bedeutsames Gruppenmuster des Bundes, dessen Mitglieder überwiegend aus dem protestantischen Pfarrhaus kamen, und schließlich als Verurteilung von >Toleranz<.

Autodafé und Politik

Das letzte historische Paradigma stellt die Bücherverbrennung beim Burschenschaftsfest auf der Wartburg im Oktober 1817 dar. Nach den Beispielen religiös oder literarisch motivierter Bücherverbrennungen ist dies eines für politische Motivation. Darüber liegt relativ viel Literatur vor, so dass die Darstellung knapp ausfallen konnte. Der zeitgenössische Bericht von Dietrich Georg Kieser wird ausführlich zitiert und analysiert. Verweyen legt vor allem Wert auf die Bezüge des Fest auf die Reformation und das Lutherjubiläum, den Sieg bei Leipzig und das deshalb zu feiernde Vaterlandsfest und das Burschenschaftstreffen selbst: Die Jenaer >Urburschenschaft< war 1815 in Jena gegründet worden und nahm eine unbestrittene Vorreiterrolle in der studentischen Reformbewegung ein.

Das Ereignis auf der Wartburg wird als "Protest ohne Programm" verstanden, als eine politisch motivierte Aktion gegen politische Gegner. Außer den >Insignien< des Feudalregimes, das so in effigie exekutiert werden sollte, werden vier Gruppen verfemter Autoren unterschieden. Bis heute ist schwer zu verstehen, wie der liberale Code Napoléon oder Saul Aschers Germanomanie verbrannt werden konnten. Auch unter den Studenten dieses Festes entdeckt Verweyen zahlreiche Pfarrerssöhne. Der Protestantismus ist der Wurzelgrund der nationalen und liberalen Bewegung.

Der 10. Mai 1933

Der dritte Hauptteil steht unter der Überschrift "Kontinuität und Singularität". Damit gerät die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 in den Blick, auf die durch die vorausgehenden Kapitel vorbereitet wird. Hier ist natürlich sehr viel Bekanntes zu referieren und aus den im Druck zugänglichen Dokumenten zu zitieren. Die spätestens seit 1983 allgemein akzeptierte, in dem verdienstvollen Artikel von Hans Wolfgang Strätz (1968) zuerst formulierte These, die Bücherverbrennungen an deutschen Universitätsstädten seien nicht durch Goebbels, sondern durch Mitglieder der Universität, vor allem durch den >Deutschen Studentenbund< inszeniert und organisiert worden, wird durch den Hinweis auf Alfred Baeumlers Antrittsvorlesung am Abend der Berliner Bücherverbrennung unterstützt. Die Hörer der Vorlesung zogen vom Hörsaal direkt zum Opernplatz. An ihrer Spitze marschierte der neue Ordinarius für Politische Pädagogik und Philosophie.

In den Darstellungen der Vorgeschichte der Bücherverbrennung spielt schon länger die 1926 gegründete "Sektion für Dichtkunst" in der Preußischen Akademie der Künste eine wichtige Rolle. Die älteren Darstellungen von Inge Jens (1971 u.ö.) und von Hildegard Brenner (1972) haben hier wichtige Vorarbeit geleistet. Darauf kann sich die Darstellung stützen. Trotz prinzipieller Zustimmung zu der These von der Organisation der Bücherverbrennung durch die >Deutsche Studentenschaf<t; meint Verweyen, es habe wohl doch eine geschickte Lenkung >von oben< gegeben. Dies wird mit der Berufung Baeumlers und dessen Antrittsvorlesung am 10. Mai in Verbindung gebracht.

Dennoch muss er konzedieren, dass Goebbels in keinem einzigen Aktenstück erwähnt wird. Der Zweifel an Goebbels Urheberschaft wird verstärkt durch das sonst nicht erklärbare Schweigen Hitlers und der übrigen Reichsminister, die eher zurückhaltende Parteipresse und die distanzierte Haltung des Kultursministers Rust. Als zweiten Aspekt der Vorgeschichte untersucht Verweyen die Argumente für die These, die >Deutsche Studentenschaft< habe sich mit der "Aktion wider den undeutschen Geist" vom >Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund< abheben und seine Selbständigkeit demonstrieren wollen. Vor allem die Veröffentlichungen von Strätz machen diese These wahrscheinlich.

Vorbereitung und Ritual

Die einzelnen Phasen der Vorbereitung in einer vierwöchigen Gesamtaktion vom 12. April bis zum 10. Mai 1933 werden mit Hilfe zahlreicher Zitate aus den zugänglichen Dokumenten belegt. Die Bücherverbrennungen im ganzen Reich folgten einem weitgehend einheitlichen Schema unter Beteiligung von Rektoren und Professoren. Das neu gegründete >Hauptamt für Presse und Propaganda< der >Deutschen Studentenschaft< hatte dies durch straffe Organisation erreicht. Zu diesem Gesichtspunkt des "reichseinheitlichen Rituals" schreibt Verweyen ein eigenes Kapitel und orientiert sich noch einmal an Wolfgang Braungarts Untersuchungen zum Ritual. Zahlreiche Beispiele des Verlaufs der "Feier" bestätigen diese Analyse.

Schließlich werden auch die verfemten Autoren genannt und im Hinblick auf die didaktische Orientierung der Vorlesung teilweise ausführlicher charakterisiert. Eine Liste der zwischen 1933 und 1945 verbotenen Autoren wird abgedruckt, ein Überblick über die verbrannten Bücher gegeben. Naturgemäß waren die "Selektionskriterien" zur Erstellung der "Schwarzen Listen" unscharf; für eine breit angelegte Diskussion über solche Kriterien fehlte den Aktivisten die Zeit. Verweyen stellt allerdings die Frage, ob es in dieser Frühphase nationalsozialistischer Kulturpolitik nicht doch so etwas wie "Rationalität im Irrationalismus", "Methode im Wahnsinn" gegeben haben kann (S. 177).

Auch im Kapitel über Hochschullehrer und Germanisten als Redner bei den Autodafés findet sich nichts Neues. In den letzten Jahren erschienene Arbeiten (z.B. von Karl Otto Conrady, 1990) werden ausgewertet. Ein zweieinhalbseitiger Exkurs referiert über die deutsche Romanistik im Dritten Reichen (Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer) auf der Grundlage der Forschungen von Frank-Rutger Hausmann. Wieder im Hinblick auf die studentischen Zuhörer werden schließlich noch Zusammenhänge zwischen verbrannten Büchern und verfemten Autoren an den Einzelschicksalen von Erich Maria Remarque und Bertolt Brecht skizziert. Ihr Werk hat bei den Bücherverbrennungen die Hauptrolle gespielt. Sie galten als die schlimmsten Schädlinge der deutschen Literatur. Im Westen nichts Neues wird ausführlich analysiert, wobei eine etwas kritischere Perspektive zur literarischen Machart nicht geschadet hätte. Bei Brecht geht es um Gedichte, speziell um sein Gelegenheitsgedicht Die Bücherverbrennung. Dadurch rückt auch Oskar Maria Graf mit seinem berühmten Aufruf "Verbrennt mich!" mit in den Darstellungszusammenhang ein.

Kontinuität und Singularität

In einem knappen Schluss wird die Frage nach Kontinuität und Singularität gestellt. War die Bücherverbrennung von 1933 im Sinne einer Strukturgeschichte eine "Modellvariante" im Kontinuum der Autodafé-Reihe? (S. 207) Bedenkliche Wirkung einer solchen Analyse wäre gewiss Relativierung und "Normalisierung" der geschichtlichen Ereignisse. Wenn die Bücherverbrennung im Sinne einer Funktionsgeschichte als Singularität verstanden wird, so wäre der Effekt dieser Analyse die Feststellung eines einmaligen geschichtlichen Ereignisses gegenüber allen überlieferten Geschehnissen mit ähnlicher Struktur. Verweyen hält diese funktionsgeschichtliche Betrachtungsweise für die überzeugende.

Für die Einmaligkeit spricht die Größenordnung der vernichteten Bücher (10.000 Zentner allein in Berlin). Die Ausweitung der in den schwarzen Listen erscheinenden Kultursparten (Philosophie, Rechtsgeschichte, Staatslehre, Gesellschaftstheorie, Theologie, Psychologie, Pädagogik, Historiographie, Literatur und Literaturgeschichte) und schließlich das Ausmaß und die Intensität der "Ausgrenzungsintoleranz", durch die Intellektuelle, Andersdenkende und andersgläubige ethnische Minderheiten und andere Nationalitäten gemeint waren.

Die Bücherverbrennungen von 1933 sind im Hinblick auf "Planungsrationalität", "Systematizität der Durchführung" und "Lenkungseffizienz" einschließlich des "flächendeckenden Informationsflusses" und seiner "technischen Infrastrukturen" (S. 208) im Vergleich mit früheren Bücherhinrichtungen einzigartig. Das Ausmaß offizieller und offiziöser Unterstützung übersteigt weit die Aktivitäten anlässlich früherer Buchhinrichtungen. Die "breitenwirksame Legitimierung" der Aktion ist ebenfalls gegenüber früheren Bücherverbrennungen unvergleichlich. Schließlich sei das Ausmaß des Vernichtungswillens zu bedenken. Bei früheren Formen der Bücherverbrennung habe es vor "allem Autorvernichtungen in effigie" in symbolischen Handlungen gegeben. (S. 209)

Erst die universitären Bücherverbrennungen 1933 im ganzen Reich nehmen die realen Menschenvernichtungen in einer fabrikmäßigen Rationalisierung in den Konzentrationslagern vorweg. So gesehen lässt sich die Verwendung des Heine-Zitats doch rechtfertigen. Der Gedanke von Albrecht Schöne, dass "keiner von uns Nachlebenden" die "Bücherverbrennung anders mehr denken [kann] als in einer Reihe von Feuerstätten", ist richtig.

Der ursprünglichen Zielsetzung des Buches – einer Vorlesung – entsprechend, referiert und zitiert diese Darstellung vieles, was in der Forschungsliteratur schon seit mindestens zwei Jahrzehnten bekannt ist. Mit didaktischem Geschick wird aber das Bekannte, verbunden mit einigen neuen Funden und Aspekten des Themas, vermittelt. Eine Darstellung der Erlanger Bücherverbrennung aus den Akten hat es bislang nicht gegeben. Neu sind auch die Hinweise auf literarische Bücherverbrennungen in der Frühen Neuzeit, z.B. in Don Quijote und bei Mercier, auf die außer- und innerliterarischen Motivierungen literarischer Bücherverbrennungen (Pietisten, Göttinger Hain).

Der Vorschlag, die von Hermann Rafetseder vorgeschlagene Begriffsbestimmung und seine Merkmale für >Buchhinrichtungen< zu übernehmen, ist sinnvoll. Mit Gewinn überträgt Verweyen den >Ritual<-Begriff auf die beschriebenen Phänomene und spricht von einem >reichseinheitlichen Ritual<. Der Exkurs zur deutschen Romanistik ist verdienstvoll, aber in dieser Kürze nicht sonderlich erhellend. Der bekenntnishafte Schluss fordert den Leser zu einer eigenen Entscheidung auf.

Die als Einführung zu verstehende Auseinandersetzung mit der Rezeption der Heine-Verse, die immer wieder aufgenommen wird (z.B. S. 54, 60, 78), hätte sich mit dem Hinweis auf die historische Referenz bei Heine begnügen können. Wenn sich die Verse inzwischen geradezu verselbständigt haben, so werden sie doch kaum ernstlich als analytische Einsicht, sondern als Ahnung einer sich steigernden Brutalität der Vernichtung verstanden. Die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn kannte die Kategorie des Anagogischen und Schleiermachers Hermeneutik die der Divinatorik. Warum soll ein säkularer Gebrauch dieser Auslegungssinne nicht legitim sein, wenn damit keine historischen Ereignisse analysiert werden sollen?

Eine reichhaltige, bei den Untersuchungen nach Sachbereichen gegliederte Bibliographie stellt ein nützliches Arbeitsinstrument dar. Das Personenregister von Sabine Hülse-Scholl enthält auf den Seiten 230 f., 234 f. einzelne Namen in wesentlich größerer Type – ohne erkennbare Funktion; Setzfehler nur auf S. 11 und S. 22.

Von einigen Längen und Biographien ad usum delphini abgesehen: ein vielseitig und breit informierendes Werk – aber wohl keine >Pilotstudie<, wie der Verlag suggerieren möchte.


Prof. Dr. Gerhard Sauder
Universität des Saarlandes
FR 4.1 Germanistik
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D - 66041 Saarbrücken
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Ins Netz gestellt am 15.07.2003
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Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Karoline Hornik.


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Anmerkungen

1 Wolfgang Braungart: Ritual und Literatur. Tübingen 1996.   zurück

2 Hermann Rafetseder: Die öffentliche Hinrichtung von Schriften im historischen Wandel. Wien u.a. 1988.   zurück