Schlimmer über Fleig: Handlungs-Spiel-Räume

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Angelika Schlimmer

Dramatikerinnen im 18. Jahrhundert —
Eine Revision der allgemeinen Dramengeschichte

  • Anne Fleig: Handlungs-Spiel-Räume. Dramen von Autorinnen im Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 270) Würzburg: Königshausen & Neumann 1999. 342 S. Kart. DM 68,-.
    ISBN 3-8260-1525-8.


Vorurteile in der Literaturgeschichtsschreibung

Noch immer herrscht das Vorurteil, im 18. Jahrhundert hätte es kaum Dramatikerinnen in Deutschland gegeben. Diese Annahme findet sich sowohl in der traditionellen Dramenforschung als auch in der feministischen Literaturwissenschaft. Letztere führt das angebliche Fehlen von Dramatikerinnen auf den dominanten Geschlechterdiskurs zurück. Da das Drama als höchste literarische Form in der traditionellen Gattungshierarchie den größten Kunstanspruch behauptet, gilt es als männlich konnotierte Gattung. Das Drama bleibt folglich männlichen Autoren vorbehalten. Mit diesem Gender-Bezug hat bereits Silvia Bovenschen den "Ausschluss" der Autorinnen aus der Dramenproduktion erklärt und viele sind ihr in dieser Argumentation gefolgt.

Mittlerweile gibt es jedoch einige Forschungsarbeiten — hier ist besonders die Dissertation von Susanne Kord zu nennen — die belegen, dass es trotz der poetologisch bedingten Ausgrenzung Dramatikerinnen in dem genannten Zeitraum gibt und dass ihre Zahl beträchtlich ist. 1 In den 1770er Jahren, dem Jahrzehnt, in dem Autorinnen zunehmend im Literaturbetrieb sichtbar werden, erscheinen sogar zunächst mehr Dramen als Romane von Frauen (12:4). Dieses Verhältnis bleibt allerdings nicht lange bestehen.

Anne Fleig knüpft mit ihrer Studie an diese Forschungsergebnisse an. Sie kritisiert die Nicht-Rezeption der Dramatikerinnen des 18. Jahrhunderts und wendet sich zugleich gegen die Annahme eines geschlechtsbedingten Ausschlusses. Mit Hilfe der ermittelten Fakten zu Dramentexten, deren Aufführungsdaten und Rezensionen beweist sie zum einen die erhebliche Zahl der Dramatikerinnen im 18. Jahrhundert. Darüber hinaus belegt sie mit ihrem Befund, dass mindestens die Hälfte der Dramen von Autorinnen auch aufgeführt worden sind. Als Konsequenz formuliert Fleig die These, dass Frauen offensichtlich Zutritt zur literarischen Öffentlichkeit gehabt und sie somit an der allgemeinen Entwicklung des Dramas teilgenommen haben.

Diese These wirkt sich folgerichtig auch auf die Vorgehensweise in ihrer Arbeit aus. Indem Fleig Schriftstellerinnen nicht mehr gesondert betrachtet, sondern "den Einschluß der Frauen in die literarische Welt und dessen spezifische Bedingungen zum Ausgangspunkt" (S.5) macht, vollzieht sie einen Perspektivwechsel im Vergleich zu den bisherigen Untersuchungen. Denn bei der Beschäftigung mit Dramen von Autorinnen geht es der Verfasserin nicht um eine bloße Ergänzung des Textmaterials zu dieser Gattung im 18. Jahrhundert. Vielmehr verweist sie auf die Bedeutung der Dramen von Frauen. Ihrer Auffassung nach gibt es Werke von Dramatikerinnen, die sich durchaus mit prominenten Vertretern des bürgerlichen Dramas vergleichen und werten lassen. Die Arbeit wird damit zur ersten dezidiert geschlechtsübergreifenden Studie zur Dramengeschichte des 18. Jahrhunderts. Schließlich behauptet Fleig selbstbewusst: Die "Ergebnisse werden es erforderlich machen, zentrale Forschungsthesen über das bürgerliche Drama zu revidieren." (S.1)

Dramengeschichte als Geschlechtergeschichte der Literatur

Prinzipiell liegt ein Grund für die Missachtung der Dramentexte von Frauen in der Orientierung der meisten germanistischen Arbeiten an den wenigen kanonisierten Dramen im 18. Jahrhundert (Lessing, Goethe und Lenz). Die Bedeutung dieses Kanons und seiner Normen, die die Theorie davon ableitet, wird jedoch im Hinblick auf die gesamte zeitgenössische Dramenproduktion häufig überbewertet. Die reale gattungspoetische Vielfalt des zeitgenössischen Theaters, dessen Stücke oft durch fließende Gattungsgrenzen gekennzeichnet sind, wird dadurch ausgeblendet. Diese dramengeschichtliche Ausgrenzung trifft auch die Texte von Schriftstellerinnen, die nach Fleig alle Dramenformen der Zeit repräsentieren, sich also nicht auf eine >weiblich< konnotierte Sonderform spezialisieren.

Abgesehen von den Ausgrenzungsmechanismen des Kanons macht Fleig weitaus stärker einen zweiten dramentheoretischen Aspekt für die fehlende Berücksichtigung der Dramatikerinnen verantwortlich. Üblicherweise wird in der Dramenforschung die jeweilige Bühnenpraxis der Stücke fast gänzlich vernachlässigt. Die Texte werden überwiegend als Lesedramen rezipiert und damit losgelöst von ihrem theatergeschichtlichen Hintergrund und der Aufführungspraxis interpretiert. Damit wird den Dramen allerdings eine wesentliche gattungsimmanente Dimension genommen. Dieser beinahe ahistorische Umgang mit Dramen verdeckt zudem die realen zeitgenössischen Möglichkeiten und Bedingungen von Frauen als Dramatikerinnen zu arbeiten. Deshalb fordert Fleig die Verknüpfung von Dramentheorie und Theatergeschichte und wendet sie in ihrer Untersuchung an.

Fleigs dramentheoretischer Ansatz ist auch im Kontext neuerer Entwicklungen in der feministischen Literaturgeschichtsschreibung zu lesen. Im Gegensatz zu der bisher meist üblichen Konzentration auf Autorinnen und deren Literatur versuchen die aktuellen Forschungen zu einer Epoche eine Literaturgeschichte der Geschlechterbeziehungen zu schreiben. Dieser Neuorientierung liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass sich in der Literatur Männer wie Frauen gleichermaßen an den jeweiligen zeitgenössischen Geschlechternormen abarbeiten. 2

Darüber hinaus ist dieser neuen Blickrichtung die Kritik vorausgegangen, dass bei einer ausschließlichen Beschäftigung mit der Literatur von Frauen kein eigentlicher Vergleichsmaßstab im Hinblick auf die allgemeine Ausformung und Entwicklung von Literatur gegeben ist. So kann es passieren, dass unter dem einseitigen Blickwinkel einer Frauenliteratur oft vorschnell eine geschlechtsspezifische Besonderheit oder Benachteiligung der Texte gesehen wird, wo eigentlich nur eine Abweichung vom normativen Gattungsmodell vorliegt. Die traditionelle Literaturgeschichtsschreibung und ihre Normen werden dabei nicht in Frage gestellt, sondern häufig nur um einen ebenso normativen weiblichen Gegenkanon ergänzt. Die Prämisse von der Ausgrenzung der Schriftstellerinnen hat zudem eine kritische Wertung der Literaturproduktion von Frauen verhindert, die sowohl gute als auch schlechte, kritische wie konventionelle Texte hervorbringt. In diesem Sinne setzt auch Fleig die Kategorie Geschlecht prinzipiell als Mittel ein, um "das allmähliche Knüpfen eines Netzwerkes verschiedener Diskurse, in das Frauen und Männer verwoben sind," zu zeigen, denn "in ihm liegen die Handlungs-Spiel-Räume einer Geschlechtergeschichte der Literatur." (S.287)

Ergebnisse der Archivarbeit

Für ihre Dissertation hat Fleig alle noch auffindbaren oder durch Quellen belegten Dramen von Autorinnen zwischen 1770 und 1800 ermittelt. Demnach bilden 58 Originaldramen und 21 Übersetzungen, vor allem aus dem Französischen, die Materialbasis ihrer Arbeit. 3 Insgesamt sind in diesem Zeitraum 31 Dramatikerinnen zu identifizieren. Darüber hinaus hat die Verfasserin über vierzig zeitgenössische Literatur- und Theaterperiodika (Almanache, Journale, Jahr- und Taschenbücher) systematisch ausgewertet und so umfangreiche Informationen zur theatergeschichtlichen Entwicklung im 18. Jahrhundert erhalten.

Im mit gut fünfzig Seiten sehr ausführlichen Anhang dokumentiert Fleig auf beeindruckende Weise ihre intensive Quellenforschung in Archiven. Neben der Auflistung der Dramen, differenziert nach ungedruckten (9) und gedruckten (44), liefert sie außerdem Informationen zu Erstaufführungen (wenn möglich Datum, Ort, Schauspieltruppe bzw. Theater) und Rezensionen der Stücke in Theaterjournalen. Die weitere Gliederung der Literaturangaben im Anhang ergibt zwar manche Doppelung, etwa die nochmalige Auflistung der gedruckten Dramen von Frauen, in der jedoch auch Textausgaben mit anderen Gattungen aufgenommen sind, sie ermöglicht andererseits einen schnellen Überblick in Teilbereichen des Themas (z.B. die gesonderte Nennung der Rezension oder der untersuchten Periodika).

Verwirrung stiften allerdings die unterschiedlichen Zahlenangaben in Haupttext und Anhang. So spricht Fleig beispielsweise im Haupttext von 58 Originaldramen, im Anhang sind jedoch nur 40 aufgeführt. Gerade die detaillierte Auflistung der Daten macht es unverständlich, warum es zu Unstimmigkeiten bei den Zahlenangaben kommen konnte.

Anders als bei vielen Dissertationen, die bei der Beschäftigung mit vergessenen Autorinnen bibliographische Fakten und bloße Inhaltsangaben in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellen, bildet das durch umfangreiche Archivarbeit ermittelte Material für Fleig nicht den alleinigen Gegenstand ihrer Arbeit, sondern liefert ihr die fundierte Voraussetzung für literaturhistorische und dramentheoretische Überlegungen.

Zu diesem Zweck hat die Verfasserin ihre Arbeit in drei Teile gegliedert. Bevor sie sich intensiv mit sechs Dramenbeispielen von verschiedenen Schriftstellerinnen auseinandersetzt, stellt sie zwei ausführliche Kapitel voran, die sowohl Erläuterungen zu theatergeschichtlichen Rahmenbedingungen für die Dramenproduktion von Frauen als auch die gattungsgeschichtliche Entwicklung im 18. Jahrhundert darstellen. Dabei bindet sie ihre Argumentation stets in den allgemeinen Forschungskontext ein und reflektiert gleichzeitig den aktuellen Stand der Forschung. Auf diese Weise entsteht eine Mischung aus Rekonstruktion der Dramengeschichte im 18. Jahrhundert und neuer Analyse, die die veränderte Forschungsperspektive ermöglicht.

Zum Verhältnis von Theaterpraxis und Dramenproduktion

Fleig beschreibt im ersten Teil ihrer Studie die Entwicklung des Theaters im 18. Jahrhundert, indem sie den Weg von der Wanderbühne zum Hoftheater und damit einhergehend die Literarisierung des Theaters skizziert. Die aufklärerischen Reformbemühungen, das Theater zu einer moralischen Anstalt umzugestalten, bewirken einen Wandel von der Stehgreifbühne zum Sprechtheater. Dieser Wandel erzeugt einen zunehmenden Bedarf an neuen Stücken für das Theater.

Fleig macht deutlich, dass es sich theatergeschichtlich um eine Umbruchphase handelt, denn die aufklärerische Reform setzt sich nicht umgehend durch. Der dramentheoretische Anspruch ist oftmals keineswegs mit der Praxis der Schauspieltruppen auf der Bühne kongruent und kollidiert noch lange mit dem allgemeinen Publikumsgeschmack nach bloßer Unterhaltung. So stehen alte und neue Dramenkonzepte gleichzeitig nebeneinander, und allen poetologischen Bestimmungen zum Trotz bleiben die Gattungsgrenzen innerhalb des Dramas praktisch fließend. Das Gattungsverständnis ist noch uneinheitlich. Bis in die 1790er Jahre hinein ist das Theater geprägt von diesen zahlreichen Widersprüchen. "In dieser Übergangszeit ergreifen offensichtlich auch Autorinnen die Chance, vermehrt mit Dramen hervorzutreten." (S.17)

Gemäß ihrer dramentheoretischen Kritik legt die Verfasserin ihren Schwerpunkt in der Darstellung auf die Theaterpraxis und deren Einfluss auf die Dramenproduktion. Dabei ist ihr das ermittelte Material zur Aufführungspraxis an deutschsprachigen Theatern sehr von Nutzen. Kenntnisreich erläutert sie die sich ändernden Spielformen auf der Bühne, die Ausbildung der Schauspielkunst und die zunehmend geringer werdende Rolle in den Stücken von Tanz, Pantomine und Musik im Rahmen des sich wandelnden Theaters. All diese Faktoren erklären den produktionsästhetischen Kontext, in dem die zeitgenössischen Dramen entstehen. Die Berücksichtigung dieser vielfältigen Theaterpraxis trägt, so Fleig, grundsätzlich zum besseren Verständnis der unterschiedlichen Theaterstücke im 18. Jahrhundert bei.

Das gilt vor allem auch im Hinblick auf Voraussetzungen für Dramatikerinnen und ihr Gattungsverständnis.

Für eine Untersuchung der Stücke von Dramatikerinnen ist die Engführung von Drama und Theater sogar von besonderer Bedeutung, denn sie beweist, daß Frauen für dieselben Bühnen schreiben wie ihre Kollegen oder Freunde. In ihren Stücken ist damit auch dieselbe Kontinuität bühnenpraktischer Anforderung wirksam, die als solche einen geschlechtsunabhängigen Faktor darstellt. (S.14)

Das heißt zudem, dass anders als beim Lesepublikum, wo sich allmählich geschlechtsspezifische Rezeptionsbereiche herauskristallisieren, Dramatikerinnen für das gleiche Publikum wie ihre männlichen Kollegen schreiben. Der Anstieg der Dramenproduktion im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wird deshalb von Fleig als geschlechtsneutraler Prozess interpretiert.

Anhand von zahlreichen Einzelfällen veranschaulicht die Verfasserin detailliert, manchmal auch etwas weitschweifig, die Geschäftsbedingungen und Theatertraditionen für Dramatiker und zeigt dabei, dass Frauen keineswegs schlechtere Chancen zur Veröffentlichung haben. In diesem Kontext kritisiert Fleig Positionen der feministischen Dramenforschung, die die Theorie von der weiblichen Bestimmung über die nachweisbare lebenspraktische und differenziertere historische Realität stellen. Sie kann jedenfalls konstatieren, dass entgegen dem vorherrschenden Geschlechterdiskurs Frauen neben ihren bekannten Funktionen als Schauspielerinnen und Prinzipalinnen eben auch als Autorinnen an der zeitgenössischen Bühnenpraxis beteiligt sind.

Interessant sind hierbei Fleigs Ausführungen zum Aspekt der Autorschaft, eine prinzipiell männlich verstandene Kategorie. In der Theatertradition des 18. Jahrhunderts hat diese Funktion jedoch zunächst keine große Bedeutung. Der Autor erscheint nicht auf den Theaterzetteln und ist auch nicht unbedingt in den Theaterperiodika verzeichnet. Da das Prinzip der Autorschaft für die Bühnenpraxis noch nicht konstitutiv ist, wird zum Beispiel ein Dramentext üblicherweise anonym beim Theater eingesandt. Das erklärt die Namenlosigkeit vieler Dramatiker und Dramatikerinnen in dieser Epoche. Zugleich gibt es so keine Auswahl der Stücke qua Geschlecht, und Autorinnen unterliegen nicht einer geschlechtsspezifischen Ausgrenzung. Erst im Laufe der Entwicklung des Theaters zur Hofbühne verändert sich diese Auffassung von Autorschaft mit der Konsequenz, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts nur noch wenige, namentlich bekannte Autoren auf den etablierten Bühnen gespielt werden.

Durch die zunehmende Praxis, Dramen auch in gedruckter Form zu veröffentlichen, werden die Texte Teil des literarischen Buchmarktes. Dort wird jedoch im Gegensatz zur gängigen Theaterpraxis Autorschaft und damit der Gender-Bezug zum relevanten Kriterium. Frauen müssen ihre Autorschaft vor dem Hintergrund des Geschlechterdiskurses rechtfertigen. Fleig behauptet allerdings, dass die Publikation der Dramen trotz der Thematisierung von Geschlecht weniger als andere Gattungen den geschlechtsspezifischen Normen unterworfen sei.

Als Beleg führt sie ausgewählte Vorreden zu in Buchform veröffentlichten Dramen an, die verdeutlichen sollen, dass für die Autorschaft der Dramatikerin der Weiblichkeitsdiskurs "offensichtlich keine entscheidende Bedeutung" (S.80) hat. Zwar stellt sie fest, dass Dramatikerinnen anders als Dramatiker ihr Geschlecht in den Vorreden ansprechen. Dies geschieht auch, wenn sie anonym veröffentlichen. Doch im Vergleich zu Romanvorreden, in denen sowohl die weibliche Autorschaft als auch die Gattung legitimiert werden muss, findet sich in den Vorreden der Dramatikerinnen keine Diskussion über die weibliche Bestimmung. Fleig erklärt die selbstbewusste Haltung der Dramatikerinnen vor allem mit der unangefochtenen Autorposition, die der Theaterpraxis entstammt. Zudem argumentiert sie, dass das poetologisch legitimierte Drama, das sich nicht, wie häufig der Roman von Autorinnen, an ein geschlechtsspezifisches Publikum richtet, die selbstverständliche Autorschaft unterstreicht.

Meines Erachtens ist Fleigs Argumentation, bei Dramenvorreden dominierten die Gattungsvorgaben über die Geschlechterdifferenz, allerdings nicht völlig überzeugend. Schon ihre Darstellungsweise bei der Behandlung der Vorreden ist etwas verwirrend. Die Beispiele sind unverständlicherweise nach Publikationsformen gegliedert, hier wäre eine systematische inhaltlich orientierte Aufarbeitung der Texte sinnvoller und übersichtlicher. Auch wäre der Vergleich mit Dramenvorreden von Männern an dieser Stelle angebracht gewesen. Abgesehen davon unterscheiden sich die Dramenvorreden von Autorinnen bei genauer Betrachtung nicht so erheblich von den Romanvorreden, wie die Verfasserin behauptet. Beispiele für einen reflektierten und strategischen Umgang mit den Konventionen des Geschlechterdiskurses (z.B. Bescheidenheitstopos) gibt es schließlich in beiden Gattungen. Ebenso findet man auch Romanvorreden von Schriftstellerinnen, die das Geschlecht der Autorin nicht diskutieren, sondern sich lediglich auf inhaltliche bzw. romanpoetologische Aspekte konzentrieren.

Nichtsdestotrotz ist Fleigs Hinweis auf die Differenz zwischen Theater und Lesewelt für das Verständnis der Dramatikerinnen und ihre Texte bedeutsam. Er macht erneut sichtbar, inwieweit die Frage geschlechtsspezifischer Normen vor allem die Möglichkeiten der weiblichen Autorschaft regelt.

Eine Gattungsgeschichte anhand von Dramatikerinnen

Im zweiten Teil bilden die 58 Originaldramen sowie die 21 Übersetzungen von Schriftstellerinnen die Basis für einen Blick auf die Entwicklung der Gattung im 18. Jahrhundert. Begründet wird die Konzentration auf Dramatikerinnen mit der Feststellung, dass alle relevanten gattungsgeschichtlichen Strömungen und Tendenzen in dieser Epoche auch bei den Autorinnen zu finden sind. "Eine geschlechtsspezifische Wahl des dramatischen Faches ist nirgends auszumachen." (S.89) Der Vergleich mit Dramentexten von Männern wird erst in den nachfolgenden Einzelinterpretationen vorgenommen.

Damit unterstreicht Fleig zum einen die Bedeutung der deutschsprachigen Dramatikerinnen, zum anderen erprobt sie eine geschlechtsspezifische Verkehrung der Dramengeschichte, um zu zeigen, dass die Texte der Autorinnen gleichberechtigt neben denen der Männer stehen können. Dramatikerinnen benötigen folglich keine gesonderte Literaturgeschichte, sondern sie sind Teil der allgemeinen Entwicklung.

Fleigs Überblick über die Dramengeschichte ist verbunden mit einer grundsätzlichen Kritik an der traditionellen Dramenforschung. Obwohl auf den Theaterbühnen überwiegend Komödien und Schauspiele dargeboten werden, erklärt die Forschung das bürgerliche Trauerspiel zum "Drama der Aufklärung" (S.89) und stellt seine Analyse in den Mittelpunkt. Somit basiert die Dramengeschichte im Wesentlichen auf vier Kanontexten: Lessings "Miss Sara Sampson" (1755) und "Emilia Galotti" (1772), Schillers "Kabale und Liebe" (1784) und zeitlich später als Endpunkt Hebbels "Maria Magdalena" (1844).

Unter den 58 Originaldramen der Schriftstellerinnen sind nur drei Trauerspiele zu finden, bei den 21 Übersetzungen nur eines, das aus dem Englischen übertragen worden ist. Die geringe Zahl der Trauerspiele, die somit auch bei den Dramatikerinnen auffällt, zeigt, dass die so genannten Musterbeispiele der Gattung eher die Ausnahme als die Regel innerhalb der Dramenentwicklung sind. Allerdings werden die anderen Subgattungen sehr viel weniger beachtet und erforscht. 4 Insgesamt, so bemängelt Fleig zu Recht, nimmt die Dramenforschung kaum Notiz von den real gespielten Stücken und der damit verbundenen Bühnenpraxis.

Die Gesamtbetrachtung der Dramen von Schriftstellerinnen zeigt eine Entwicklung vom oft kritischen Familiendrama zum rührseligen Familiengemälde, die einher geht mit einer zunehmenden Darstellung der Geschlechterdichotomie und der damit verbundenen Geschlechtscharaktere. Die dabei herausgebildeten Gattungskonventionen lassen sich auch bei den Dramen von Männern finden. Im Drama des 18. Jahrhunderts geht es vor allem um eine moralische Wertediskussion, die sich beispielsweise im Tugenddiskurs, in der Darstellung von Familienkonstellationen und im Konflikt des Einzelnen zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Pflichten ausdrückt. Fleig vertieft diese Aspekte in der umfassenden Charakterisierung der einzelnen Untergattungen (Familiendrama bzw. Familienschauspiel, bürgerliches Drama, Trauerspiel, rührendes Lustspiel, Komödie, Familiengemälde). In ihre Typologie arbeitet sie exemplarisch die jeweiligen Dramen der Autorinnen ein.

Obwohl die Verfasserin anhand der Dramatikerinnen eine allgemeine Gattungsentwicklung nachzeichnen will, weist sie wiederholt auf die Besonderheit einer weiblichen Perspektive hin. Dies zeigt sich beispielsweise in dem vermehrten Einsatz von Frauenrollen in den Stücken. Vor allem Autorinnen haben die Mutterfigur ins Drama eingeführt. Fleig arbeitet dabei, noch genauer in den nachfolgenden Interpretationen, eine Entwicklung von einem zunächst ambivalent gestaltetem Mutterbild bis zu einem spätaufklärerischen Ideal der Mutter heraus. Die allgemeine These von der fehlenden Mutter im Familiendrama muss folglich aufgrund dieses Materials revidiert werden.

Generell lässt sich feststellen, dass die Dramatikerinnen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen das Geschlechterverhältnis eher aus einer Frauenperspektive betrachten und darstellen. Fleig interpretiert die dabei entstandene Erweiterung der weiblichen Dramenfiguren in den Texten sowohl als eine Partizipation der Dramatikerinnen an gesellschaftlichen Entwicklungen als auch als poetologische Einflussnahme auf die Handlungsspielräume innerhalb der jeweiligen Gattungskonventionen.

Dramatikerinnen im literarischen Diskurs

Im letzten Teil der Studie werden die Ergebnisse der Gattungsübersicht anhand ausgewählter Beispiele vertieft und detaillierter beschrieben. Für diese Einzelinterpretationen widmet sich Fleig sechs Dramen: Friederike Sophie Hensel: "Die Entführung oder Die zärtliche Mutter" (1772), Caroline Luise von Klencke: "Der ehrliche Schweitzer" (1776), Christiane Caroline Schlegel: "Düval und Charmille" (1778), Charlotte von Stein: "Dido" (1794) und Wilhelmine von Gersdorf: "Heinrich und Konstantie oder sie waren ihres Glückes werth" (1798). Die Verfasserin zeigt damit gattungstypologisch vom bürgerlichen Trauerspiel bis zum trivialen Rührstück die gesamte Bandbreite der Dramenproduktion von Autorinnen im ausgehenden 18. Jahrhundert.

Entgegen ihrer eigenen Forderung nach Einbindung der konkreten Bühnenpraxis verfolgt Fleig jedoch in diesen Interpretationskapiteln solche Aspekte kaum. Statt dessen thematisiert sie vermehrt den Umgang mit Gattungskonventionen in den einzelnen Dramen und analysiert beispielsweise Figuren oder Konflikte im Kontext der dramatischen Tradition. Diese poetologische Perspektive lässt sich durchaus erfolgreich in der Analyse anwenden. So kann Fleig zum Beispiel das untypische offene Ende von Hensels Theaterstück als gattungspoetologische Weiterentwicklung im bürgerlichen Drama identifizieren oder die dort gestaltete Figur der wahnsinnig gewordenen Tochter als Novum auf der deutschsprachigen Bühne kennzeichnen. Ebenso verdeutlicht eine Analyse im Hinblick auf Gattungskonventionen die schematische Anwendung von Gattungsnormen und damit die fehlende Innovationskraft eines Dramas, wie etwa das empfindsame Rührstück von Rupp.

Der Blick auf Gattungskonventionen ermöglicht den Vergleich mit Dramen von Männern. Allein die Möglichkeit des Vergleichs mit bekannten Dramen belegt zudem nochmals die Teilhabe der Dramatikerinnen an allen zeitgenössisch relevanten Strömungen im Drama. In den Einzelanalysen greift die Verfasserin jeweils bekannte Kanontexte für die Zusammenschau heraus. So wird zum Beispiel bei der Interpretation von Hensels Familiendrama zugleich ein Blick auf Lessing und Diderot geworfen, von Klenckes Protagonistin wird mit Minna von Barnhelm verglichen und in Schlegels Dreiecksgeschichte nach Parallelen zu Lessing und Goethe gesucht. Das fördert im Detail viele spannende Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Figuren und der Gestaltung des dramatischen Konflikts zu Tage. Vor allem aber bestätigen sie die eigenständige Beschäftigung der Dramatikerinnen mit der vorhandenen literarischen Tradition. Im Ergebnis verdeutlicht das Lesen der Dramen von Frauen auf der Folie bekannter Texte ihre zahlreichen Variationen zu den kanonisierten Gattungskonventionen, und das unterstreicht die reale Vielfalt in der Dramengeschichte.

Der Vergleich mit bekannten Dramatikern macht auch deutlich, dass in den Dramen von Frauen wesentlich weniger Standeskonflikte behandelt werden. Gerade dieser Aspekt gilt jedoch in der allgemeinen Dramengeschichte des 18. Jahrhunderts eindeutig als Ausdruck von bürgerlicher Emanzipation. In der Zusammenschau mit Autorinnen trifft das in dieser Form nicht zu. Somit müsste der vorhandene Begriff von Bürgerlichkeit für die Dramengeschichte relativiert und neu beleuchtet werden.

Statt dessen beschäftigen sich die Dramatikerinnen facettenreicher mit dem bürgerlichen Familienbild. So variiert beispielsweise der Vater-Tochter-Konflikt bei den Dramatikerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen wesentlich stärker. Besonders die Vaterfigur wird kritisch hinterfragt, manchmal sogar entmachtet. Durch ihre vermehrte Kritik am traditionellen Familienbild verändern Autorinnen zudem die literarische Tradition, denn ihre Werke sind realitätsnaher und nicht so idealistisch ausgerichtet wie viele Dramen von Männern. Gerade frühe Dramatikerinnen stehen trotz der prinzipiellen Übereinstimmung mit moralischen Werten der Idealisierung der häuslich-familiären Sphäre kritisch gegenüber.

Genauer aber als viele Autoren entlarven sie, was sich hinter dem schönen Schein verbirgt. Damit leisten sie einen komplexen Beitrag zur Entwicklung des Familiendramas, der sich auf der Ebene des dramatischen Konflikts auch als Verschiebung von den Standesinteressen zu den Geschlechterverhältnissen deuten läßt. (S.285 f.)

Die Differenz in der Betrachtung der bürgerlichen Verhältnisse im Drama zeigt sich vor allem in der Thematisierung von Gewalt. Deshalb hebt Fleig diesen Aspekt nochmals in einem Exkurs, der auch Lessings "Emilia Galotti" diskutiert, hervor. Offensichtlich behandeln Dramatikerinnen viel deutlicher die strukturelle Gewalt in der bürgerlichen Familie als ihre männlichen Kollegen. Häufig thematisieren sie auch die körperliche Gewalt gegen Frauen als besonderen Ausdruck dieser Herrschaftsverhältnisse (z.B. in von Klenckes "Der ehrliche Schweitzer").

Das Motiv der verfolgten Unschuld, das als Teil des Tugenddiskurses den Konflikt versinnbildlicht, wird von Frauen und Männern durchaus unterschiedlich behandelt. Während Dramatiker das Motiv eher abstrahierend für eine Idee in ihren Stücken benutzen, zeigen Dramen von Frauen dabei deutlich die ansonsten tabuisierte sexualisierte Gewalt. Vor dem Hintergrund des Geschlechterdiskurses wird die Differenz zwischen Verführung und Vergewaltigung von den Dramatikerinnen kritisch hinterfragt. Das Geschlechterverhältnis stellt sich deshalb in ihren Stücken nicht selten als ein auf Gewalt basierendes Verhältnis dar.

Ein neuer Blick auf die Dramengeschichte

Am Ende von Fleigs materialreicher und ausführlicher Studie stellt sich natürlich die Frage, ob ihre These von der notwendigen Revision der Dramengeschichte durch eigene Belege und Argumentationen eingelöst worden ist.

Zunächst einmal hat die Verfasserin in den Überblicksdarstellungen klar widerlegt, dass Frauen nur als Ausnahmeerscheinungen Dramen geschrieben hätten und dass ihre Dramen nicht für ein öffentliches Publikum gedacht seien. Darüber hinaus haben die differenzierten Beispielanalysen zur Theatergeschichte und die detailreichen Textinterpretationen umfassend die Teilhabe der Dramatikerinnen an der Geschichte der Gattung gezeigt. Sie belegen die spezifische Beteiligung der Frauen an der Institution des Theaters und in der dramatischen Tradition. Zweifellos gehören daher die einzelnen Perspektiven der Dramatikerinnen ebenso zur allgemeinen Dramengeschichte wie die der Autoren. Erst durch diese Zusammenführung wird der vielfältige Charakter der Dramenproduktion in Gänze deutlich.

In diesem Kontext führt die Untersuchung erneut vor Augen, dass man nicht vorschnell von einem Ausschluss von Autorinnen in einzelnen Epochen oder Gattungen sprechen darf, sondern dass hier vielmehr ein Problem der literaturhistorischen Überlieferung hervortritt. Je stärker ein polarisierender Geschlechterdiskurs die Rezeption der Texte bestimmt, desto gewisser geschieht der Ausschluss von Schriftstellerinnen aus dem literarischen Diskurs. Die spätere Behauptung von dem Nicht-Vorhandensein von Autorinnen lässt sich jedoch wie im vorliegenden Fall als "Fiktion der literaturhistorischen Überlieferung entlarven." (S.281)

Fleigs Arbeit zeichnet sich fraglos durch eine hohe theoretische Reflektiertheit im Umgang mit dem historischen Material aus. Besonders positiv fällt auf, dass es ihr mühelos gelingt, die Spurensuche nach vergessenen Dramatikerinnen in eine gattungstheoretische Untersuchungen zu überführen. Allerdings lassen sich auch manche theoretische Spekulation in den Untersuchungen, der die Verfasserin dann nicht nachgeht, oder auch kleinere Widersprüchlichkeiten in ihren Überlegungen ausmachen, wenn sie etwa der normativen Poetik keine große Bedeutung beimisst (S.4), wenige Seiten später jedoch deren Dominanz für das Drama betont. (S.10) Auch die These, dass die Gattungsnormen für die Dramenproduktion von Frauen bestimmender gewesen seien als geschlechtsspezifische Normen, kann Fleig letztlich nicht uneingeschränkt nachweisen.

Grundsätzlich macht auch diese Studie ein Dilemma sichtbar, das sich in vielen vergleichbaren Forschungsarbeiten finden lässt. Zum einen soll im Zuge neuerer theoretischer Erkenntnisse gezeigt werden, dass die Werke von Autorinnen nicht eindimensional als Frauenliteratur betrachtet werden dürfen. Zum anderen veranschaulichen ausführliche Analysen der Literatur von Frauen neben der Partizipation an der von Männern bestimmten literarischen Tradition doch einen spezifischen Umgang mit Gattungen und eine so genannte weibliche Perspektive. Ähnlich verfährt auch Fleig. Zwar kritisiert sie ihre Vorgängerinnen, die des öfteren unreflektiert und nur vage charakterisiert eine weibliche Form propagieren, doch arbeitet auch sie den weiblichen Blick auf das Geschlechterverhältnis und seine Darstellung im Drama von Frauen heraus. Solange allerdings die Literatur von Autorinnen keinen gleichberechtigten Status in der Literaturgeschichte hat, wird diese Ambivalenz bestehen bleiben.

Fleigs Studie ist deshalb ein überaus anregender Beitrag, der neben der Vermittlung neuer Einblicke in die Dramengeschichte des 18. Jahrhunderts und der Vorstellung literarisch eindrucksvollen Textmaterials auch zur theoretischen Diskussion einlädt.


Dr. Angelika Schlimmer
Neusser Str. 23
D-50670 Köln

Ins Netz gestellt am 08.01.2002
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Anmerkungen

1 Susanne Kord: Ein Blick hinter die Kulissen. Deutschsprachige Dramatikerinnen im 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler 1992.   zurück

2 Vgl. dazu beispielsweise Ina Schabert: Englische Literaturgeschichte. Eine neue Darstellung aus der Sicht der Geschlechterforschung. Stuttgart: Kröner 1997.   zurück

3 Eine Grenzziehung zwischen Original und freier Übersetzung ist in der Zeit schwierig. Zu den bekannten Übersetzerinnen von Dramen zählen besonders Friederike Helene Unger und Therese Huber.   zurück

4 So gibt es beispielsweise zum Lustspiel des 18. Jahrhunderts nur sehr wenige Forschungsarbeiten.   zurück