- Dorothea Bessen / Klaus Wisotzky (Hg.): Buchkultur inmitten der
Industrie. 225 Jahre G.D. Baedeker in Essen.
(Veröffentlichungen des
Stadtarchivs Essen, Band 3) Essen: Klartext-Verlag 2000. 240 S., zahlreiche
Abbildungen.
Kart. DM 24,80.
ISBN 3-88474-786-X.
Verlagsgeschichtsschreibung
Firmenfestschriften entziehen sich durch ihren panegyrischen
Charakter in der
Regel der wissenschaftlichen Beurteilung. Andererseits stellen
Jubiläumsschriften, die ein Verlag selbst in Auftrag gegeben hat,
innerhalb der buchwissenschaftlichen Verlagsgeschichtsschreibung oft einen
unverzichtbaren Quellenfundus dar, der zu tiefergehenden Studien innerhalb
der Buchhandelsgeschichte oder zum analytischen Vergleich verschiedener
Verlage animieren kann. Meist sind diese Festschriften nach der Chronologie
der Ereignisse im Verlagshaus gegliedert, lehnen sich an die Abfolge der
Verlegergenerationen an und stellen die jeweilige Verlegerpersönlichkeit
oder auch namhafte Autoren in das Zentrum des Interesses.1
Weitgehend chronologisch geprägt ist auch der Aufbau der
vorliegenden
Festschrift zum 225jährigen Bestehen der Verlagsbuchhandlung Baedeker in
Essen. Zielsetzung der Herausgeber war es, die wichtigsten Stationen und
Ereignisse des Verlags wie auch die Buch- und Verlagskultur in Essen zu
verdeutlichen (S.9). Um es vorwegzunehmen: Die regionale Bedeutung des
Unternehmens für die Buch- und Lesekultur ist in den einzelnen
Beiträgen gut fokussiert, die Einbindung in den kulturellen Kontext der
Industriestädte des Ruhrgebietes wird deutlich, und somit erfüllt
diese Festschrift das Ziel ihrer Herausgeber. In fast allen der neun
Beiträge werden Anknüpfungspunkte an die Geschichte der Stadt Essen
thematisiert (vgl. besonders: Thorsten Ebers über die Geschichte des
Baedekerhauses in der Stadtarchitektur, S.149-166).
Die Unternehmensform Produktion und
Distribution
Das Verlagshaus Baedeker entstand Ende des 18. Jahrhunderts
aus einer
Schreib- und Gemischtwarenhandlung, die auch Bücher im Sortiment
führte. Ute Küppers-Braun skizziert aus Dokumenten des Stadtarchivs
Essen, des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien sowie aus Zeitungsberichten die
Unternehmensgeschichte in ihren Anfängen (S.11-48). Unter dem
Firmengründer Zacharias Baedeker, seinem Sohn Gottschalk Diederich
Baedeker und den Enkeln Eduard und Julius Baedeker entwickelte sich aus den
bescheidenen Anfängen Druckerei, Verlag, Leihbibliothek und
Buchhandlung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zum florierenden Unternehmen
avancierten. Aufschwung nahm die Firma nicht nur durch den
Zusammenschluß mit der Universitätsbuchhandlung in Duisburg und
die Zusammenarbeit mit der Blotheschen Buchhandlung in Dortmund als
Distributionsorte, sondern auch durch die Industrialisierung im
Druckgewerbe.
Die Druckerei Baedeker nutzte relativ rasch die neuen
technischen
Entwicklungen im 19. Jahrhundert wie die sogenannte Schnellpresse von
Friedrich Koenig und Andreas Bauer. Vor 1800 arbeiteten zwei bis drei
Mitarbeiter in der Druckerei, in der lediglich eine Handpresse vorhanden war.
Knapp 80 Jahre später standen 11 Schnellpressen zur Verfügung, und
der Betrieb beschäftigte inkl. Lehrlingen und Laufburschen 83
Mitarbeiter (S.34). Küppers-Braun hat diese Daten zusammengetragen und
die Arbeitsbedingungen der Drucker beleuchtet. Leider geht aus ihren
Ausführungen nicht hervor, ob eine solche Entwicklung typisch im
Druckgewerbe dieser Zeit war oder die Firma Baedeker als besonders innovativ
gelten kann.
Die weitere Entwicklung von Verlag und Druckerei im 19.
Jahrhundert
beschreibt Ludger Claßen (S.70-85) mit Schwerpunkt auf dem
Druckereibetrieb. 1901 bestand die Firma aus 180 Beschäftigten, das
Geschäft umfaßte Verlag, Sortiment, Buchdruckerei,
Schriftgießerei, Stereotypie, Galvanotypie und Buchbinderei (S.84).
Baedekers Druckerei hält gegen Ende des 19. Jahrhunderts jedoch der
technischen Entwicklung nicht mehr stand. 1903 mußte sie verkauft
werden, wofür Claßen die fehlenden Investitionen (z.B. in Form
einer Rollenrotationsmaschine) einerseits und die Modernisierung und
Spezialisierung im Buchgewerbe andererseits als Gründe anführt. Mit
dem Verkauf der Druckerei zerbrach die wirtschaftliche Einheit von Druckerei
und Verlagsbuchhandlung.
Die Situation von Buchhandlung und Verlag in den 20er und
30er Jahren des 20.
Jahrhunderts referiert Klaus Wisotzky (S.167-184). Die äußere
Umgestaltung, die Modernisierung der Buchhandlung stellte in den 20er Jahren
die größte Herausforderung für die Familie Baedeker dar.
Kongruent zu den allgemeinen Anstrengungen des deutschen Buchhandels
gehörten Dichterabende, Lesungen, "Baedekerwochen" zu den
Werbemaßnahmen des Sortiments.
Ein persönlicher Bericht von Martin Hessling über die Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg schließt sich an (S.185-210).
Die Unternehmerfamilie Bürgertum im 19.
Jahrhundert
In ihrer analytischen Aussagekraft sind die einzelnen
Beiträge der
Festschrift unterschiedlich zu gewichten. Innerhalb der Chronologie des
Hauses Baedeker werden begrüßenswerterweise auch systematische
Aspekte der Buchhandelsgeschichte perspektiviert, mit denen der Weg der
deskriptiven Betrachtung verlassen wird.
Positiv hervorzuheben ist die mentalitätsgeschichtliche
Charakterisierung der Unternehmerfamilie von Thomas Dupke (S.114-148). Er
analysiert das Beziehungsnetz der Familie im 19. Jahrhundert unter den
Kategorien bürgerlicher Verhaltenskultur. Die Teilhabe am Vereinsleben
der Stadt Essen, das Heiratsverhalten, der Kampf um regionalpolitische Macht,
die Affinität zur protestantischen Geistlichkeit, die
Bildungsbestrebungen und das Engagement der Baedekers innerhalb der Essener
Kaufmannschaft weisen die männlichen wie auch die weiblichen
Familienmitglieder als Repräsentanten bürgerlicher Mentalität
mit entsprechend typischen Wertvorstellungen aus. Anders als der
Firmengründer Zacharias Baedeker konnte sich bereits sein Sohn
Gottschalk Diederich Baedeker innerhalb der städtischen
Führungsschicht etablieren. Sein Großneffe Diedrich Baedeker, der
Ende des 19. Jahrhunderts in die Geschäftsleitung eintrat, stellt
geradezu ein "Paradebeispiel für den Bürger des
wilhelminischen Kaiserreichs" (S.137) dar, der geschickt private,
ökonomische wie auch nationale Interessen zu vereinen wußte.
In Dupkes fundierter Analyse wird schnell deutlich, daß
die
Verlegerfamilie sich einerseits aufgrund ihres Selbstverständnisses und
der von ihr vertretenen Werte dem Bildungsbürgertum zuordnen ließe
und andererseits als Unternehmer dem Wirtschaftsbürgertum zugehörig
ist. Am Beispiel der Baedekers zeigt sich, daß "der
Bildungsanspruch des Bürgertums im 19. Jahrhundert und dessen
wirtschaftliche Potenz gleichermaßen strukturbildend waren und eine
strikte Trennung zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum nicht immer
möglich ist." (S.127).
Dupkes aussagekräftige Ergebnisse sollten Anlaß für weitere
mentalitätsgeschichtliche Studien zu Verlegerpersönlichkeiten nicht
nur des 19. Jahrhunderts sein.
Das Verlagsprofil Zeitung, Schulbuch, Bergbau
Berühmt wurde der Name Baedeker durch die
Reiseführer, die Karl
Baedeker ab 1832 in Koblenz herausgab und die nicht unwesentliche Impulse
für technische Neuerungen in der Baedekerschen Druckerei in Essen
geliefert hatten, denn dort wurden die Reiseführer bis Ende des 19.
Jahrhunderts in einer Gesamtauflage von 1 Million Exemplare gedruckt
(Dorothea Bessen, S.52-69). Die Geschichte dieser Reiseführer ist
bekannt und kann hier vernachlässigt werden.
Weniger bekannt ist das Verlagsprogramm in Essen, das sich aus
Schulbüchern (die Fibel Albert Haesters konnte 1853 bis 1889
in 1.141 Auflagen und insgesamt 3.423.000 Exemplaren verkauft werden),
religiösen und pädagogischen Werken und in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts vor allem aus Literatur zum Maschinenbau, zum Bergbau
und Bergrecht zusammensetzte. Die Interessen der Angehörigen der
Schwerindustrie, der soziale und wirtschaftliche Wandel im Ruhrgebiet wurden
von der Familie Baedeker im Verlagsprogramm aufgegriffen und wurden zu einem
neuen Schwerpunkt neben der pädagogischen Literatur. Der Berg- und
Hütten-Kalender, der Ingenieur-Kalender, das
Wochenblatt Glückauf. Zugleich Organ für Bergbau und
Hüttenbetrieb, Industrie und Verkehr waren Titel, die die
besondere Verpflichtung des Verlags für seine Region und die
Bedürfnisse der Beschäftigten in der Montanindustrie
repräsentieren. Hier lagen die Schwerpunkte des Verlagsprofils im 19.
Jahrhundert, aus dem sich die Entwicklung der Kleinstadt Essen zur
bedeutenden Industriemetropole ablesen läßt.
Von großer wirtschaftlicher Bedeutung war seit
Firmengründung der
Verlag und Druck der Lokalzeitung (Claudia Hiepel, S.89-113). 1775
übernahm Zacharias Baedeker Druckerei und Verlag der Essendischen
Nachrichten, die sein Sohn Diederich 1798 in Allgemeine
politische Nachrichten umbenannte. 1860 erschienen die
Nachrichten als Essener Zeitung. Zugleich für Bergbau
und Hüttenbetrieb, Industrie und Verkehr und als amtliches
Kreisblatt, und fusionierten aufgrund wachsenden Konkurrenzdrucks durch
neugegründete Lokalzeitungen 1883 mit der in Dortmund ansässigen
Westfälischen Zeitung zur Rheinisch-Westfälischen
Zeitung. 1903 mußte sie verkauft werden. Diese Zeitung war lange
Zeit neben den Reiseführern Karl Baedekers das wichtigste, weil
kontinuierlich produzierte Produkt der Druckerei.
Fazit
Die Baedeker-Festschrift drängt geradezu zum Vergleich
mit anderen
Verlagshäusern, die etwa zeitgleich gegründet wurden und
ähnlich strukturiert waren. Zu denken ist hier beispielsweise an den
Gerstenberg Verlag, der 1792 in St. Petersburg gegründet wurde, der wie
Baedeker eine Einheit von Produktionsstätte, Verlag und Vertrieb
darstellte, neben Büchern eine Regionalzeitung druckte und verlegte und
über zweihundert Jahre im Familienbesitz blieb. 2
Mit Ausnahme des Beitrages von Thomas Dupke bleibt die
Baedeker-Festschrift
auf den gewohnten Pfaden dieser Publikationsform. Kritisch anzumerken bleibt,
daß einigen Beiträgern in der Terminologie buchhistorischer
Fachbegriffe Fehler unterlaufen sind, und buchhandelsgeschichtliche
Sachverhalte nicht immer korrekt wiedergegeben bzw. beurteilt werden
("Konditionenverkehr" statt "Konditionsverkehr" als
buchhändlerische Geschäftsform, S.80 ff.; unklar:
"Bleikolumnen (Seiten)", S.73; u.ä.). Weitgehend entbehrlich
sind die vier Kurzporträts ausgewählter Baedeker-Autoren (Matthias
Anstötz / Gabriele Jakubowski, S.49-51), die außer den
biographischen Daten und einer kurzen Werkchronologie keinerlei
weiterführende Aussagen bringen.
Beigegeben sind den Abhandlungen zahlreiche Abbildungen, die
die Texte in
ihren Aussagen sinnvoll unterstützen. Eine Zeittafel zur
Geschichte der Familie und Firma G.D.Baedeker in Essen (S. 211-225),
ein Literaturverzeichnis (S. 226-231) sowie ein Personenregister
beschließen den Band.
PD
Dr. Ute Schneider
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Buchwissenschaft
D-55099 Mainz
Ins Netz gestellt am 17.07.2001
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Anmerkungen
1 Eine erfreuliche Ausnahme bildet die
Niemeyer-Festschrift, die wissenschaftsgeschichtlich orientiert ist:
Beiträge zur Methodengeschichte der neueren Philologien. Zum
125jährigen Bestehen des Max Niemeyer Verlages. Hrsg. von Robert
Harsch-Niemeyer. Tübingen 1995. zurück
2 Vgl. Von St. Petersburg nach Hildesheim.
Festschrift zum 200jährigen Jubiläum des Hauses Gerstenberg. Hrsg. von Paul
Raabe. Hildesheim 1992 zurück
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