- Stefan Machura und Stefan Ulbrich (Hg.): Recht im Film (Schriften zur Rechtspolitologie, Bd. 13) Baden-Baden: Nomos
Verlagsgesellschaft 2002. 170 S. Kart. € 28,-.
ISBN 3-7890-7962-6.
Das Buch ist die Folge einer Tagung. Beides miteinander zu
verbinden, ist übliche und auf absehbare Zeit sicher nicht zu
beseitigende kulturwissenschaftliche Praxis. Zu viele Interessen stehen auf
dem Spiel. Die Sponsoren wollen ihre Wohltat verewigt sehen. Die Redner
können sich nicht vorstellen, daß sie mit ihrer Rede bereits alle
Wünsche erfüllt haben könnten. Die Arbeitsgruppen brauchen
Tagungen, um zu zeigen, daß sie arbeiten und lassen auf ihrem Weg
Bücher abfallen, die sie ansonsten nicht zustande gebracht hätten.
Alle verbindet die Hoffnung, daß der Tagungsband ihre Stimmchen
verstärken und die sehnsüchtig angestrebte Bekanntheit,
unerläßliche Vorstufe der Reputation, erhöhen wird.
Die Tagung war die Jahrestagung der Sektion Rechtssoziologie
in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, die vom 14. – 16.Juni 2001
zu dem Thema "Recht im Film" an der Ruhr Universität Bochum
tagte. Juristen haben sich anscheinend für das Thema nicht erwärmen
können. Da das Tagungsprogramm nicht mitgeteilt wird, läßt
sich dies allerdings nicht überprüfen. Jedenfalls konnten die
Herausgeber, deren eigene juristische Kompetenz freilich keinen Zweifel
leidet, keinen Beitrag eines Juristen präsentieren, so daß das
Recht, soweit von ihm die Rede ist, vorwiegend aus der Sicht von Geistes- /
Kulturwissenschaftlern beschrieben wird. Das muß nicht schädlich
sein, aber gelegentlich dürfte die weitläufige fachliche
Unbedarftheit einer breiteren Rezeption der geäußerten Urteile
doch im Wege stehen.
Recht im Film ist offenbar ein Thema von
beträchtlicher Allgemeinheit. Schließlich ließe sich ein
Film, in dem ein Darsteller gelegentlich juristische Vorlesungen an einer
Universität besucht, mit gleichem Recht unter den Titel subsumieren wie
ein Streifen, der Exzesse des Strafvollzugs schildert. Machura und Ulbrich
finden sich deshalb in der üblichen Verlegenheit, die die Herausgeber
solcher Sammelbände zu befallen pflegt: sie müssen dem Gebinde
einen roten Faden, eine einheitliche Idee oder Forschungsabsicht implantieren
und damit die Existenzberechtigung ihrer Sammlung unter Beweis stellen. Geht
dies nicht – und in diesem Fall ging es nicht – bleibt immer noch der kommode
Ausweg, das >breite Spektrum< als Beleg für die Fruchtbarkeit des
Themas, die vorläufige Unauslotbarkeit desselben und die Notwendigkeit
weiterer Forschung anzuführen. Womit die Wege für einen weiteren
Sammelband vorgebahnt wären.
Immerhin ließ sich als häufig wiederkehrendes und
insofern gemeinsames Merkmal angeben, daß die meisten Beiträge die
amerikanische Justiz bzw. den amerikanischen Gerichtsfilm behandeln – was
allerdings angesichts der Masse von >Court-Room<-Geschichten, die
Hollywood in die Welt gesetzt hat, wenig verwundert. Europäischen oder
speziell deutschen Anstrengungen, hier mitzuhalten, dürfte auf absehbare
Zeit der Erfolg versagt bleiben, zumal der rhetorisch und dramatisch
dankbareren Zweikampfsituation, in die ein Teil der amerikanischen
Rechtsverfahren mündet, kein europäisches Analogon entspricht.
Starten wir zu einem Streifzug durch das Florilegium:
Evidenz. Die Wahrheit des Films und die Wahrheit des
Verfahrens heißt der erste Beitrag (S. 19–35), dessen postmodern
dunkler Titel signalisiert, daß der Leser mit Auslassungen konfrontiert
werden wird, die Anspruch auf so etwas wie >Theorie< erheben,
jedenfalls dann, wenn bereits das (mäßig!) Komplexe und das
Hochtönende theorieverdächtig sind.
Der Sachverhalt läßt sich allerdings schnell
begreifen. Ein Film erzählt, nehmen wir an, ein justizielles Verfahren.
Es soll um die Frage gehen, ob der Angeklagte, dessen Frau umgekommen ist,
diesen Tod herbeiführte oder ob es sich um einen Unfall gehandelt hat.
Der Film erzählt die Geschichte dieses Verfahrens >realistisch<, d.h.
er folgt wesentlich den Regeln, nach denen ein solches Verfahren
üblicherweise abläuft oder vielleicht sogar tatsächlich (in
der außerfilmischen >Realität<) einmal abgelaufen ist
(Dokumentarfilm). Der Zuschauer folgt also dem Reigen der Zeugen und
Sachverständigen, er sieht Geschworene, Angehörige und Richter, wie
sie sich Gedanken machen zu der Frage, wie es wohl tatsächlich gewesen
sei, und am Ende entscheidet das Gericht – sagen wir – daß der
Angeklagte unschuldig und deshalb freizulassen sei. Michael Niehaus, so
heißt der Autor, nennt dieses Ringen um die Entscheidung: "die
Wahrheit des Verfahrens".
Für einen durchschnittlichen Betrachter wäre ein
Film dieser Art eine äußerst langweilige Veranstaltung. Vielleicht
würde ihn der Glanz und die sprachliche Kraft eines vorgeführten
Plädoyers hinreißen können, vielleicht würde ihn die
Eleganz der Verhandlungsführung beeindrucken oder die Benutzung
ausgefallener Beweismittel. Aber in der Regel erwartet man von einer
Geschichte mehr als nur den platten Bericht über ein mögliches oder
ein tatsächliches Verfahren. Eine Nacherzählung ist kein Plot. Man
möchte z.B. wissen, ob das Urteil >richtig< ist, in dem Sinne,
daß der Angeklagte >tatsächlich< unschuldig war, oder ob es
>falsch< ist, weil er >in Wahrheit< seine Frau doch umgebracht
hatte, wobei natürlich jedem erwachsenen Kinogänger völlig
klar ist, daß die erwähnten >Tatsächlichkeiten< und
>Wahrheiten< ebenso erfunden sein können, wie das ganze filmische
Verfahren auch.
Dem Zuschauer kann das Wissen, das er benötigt, um die
fiktionale >Richtigkeit< oder >Falschheit< beurteilen zu
können – Niehaus nennt diese Information reichlich kapriziös
"die Wahrheit des Films" – in verschiedener Weise beigebracht
werden. Manche Filmemacher weihen ihn gleich zu Beginn ein, andere
rücken erst mit der Sprache heraus, wenn das (Film-)Verfahren schon
abgeschlossen ist, wieder andere lassen "die Wahrheit des Films"
mitten in die Erzählung des Verfahrens hineinplatzen oder belassen es
bei Andeutungen, die geeignet sind, im Zuschauer den Argwohn zu erwecken, das
vorgeführte Verfahren sei doch nicht ohne Fehl gewesen.
Welcher Weg eingeschlagen wird, ist offenbar eine Frage der
filmerzählerischen Kunstfertigkeit, die schließlich über mehr
Möglichkeiten verfügt als das Kasperle-Theater, das seine
>Wahrheit< im Rücken von Kasperle erscheinen lassen muß,
wenn es die Kleinen zum Quietschen bringen will. Besondere Herausforderungen
ergeben sich, wenn die "zwei Wahrheiten" nicht nach dem deus ex
machina-Prinzip verarbeitet, sondern kunstvoll über die ganze
Filmzeit miteinander verschränkt werden.
Ob es sinnvoll ist, sich um eine Taxinomie möglicher
Wege zu bemühen, sei dahingestellt. Was es bedeutet, wenn man davon
munkelt, daß "die Wahrheit des Films" und "die Wahrheit
des Verfahrens" zu "verschiedenen Ordnungen" gehören
würden, mag, auch wenn man über diese "Ordnungen" weiter
nichts erfährt, ebenfalls auf sich beruhen. Nicht belanglos ist es
freilich, wenn die "Wahrheiten" dazu benutzt werden, um dem
arglosen Leser allerlei pseudoanalytischen Tiefgang vorzuschwadronieren, auf
daß er größere Mengen seiner kostbaren Zeit verschwenden
muß, um zu verstehen, daß er auf einer Untiefe sitzt. Eine
Kostprobe bei der sich Aufgeblasenheit und Impotenz in possierlicher Weise
kreuzen:
Die Wahrheit des Films und die Wahrheit des
Verfahrens gehören verschiedenen Ordnungen an, die konvergieren
können, wenn sich das Außerordentliche ereignet. In dieser
Hinsicht verweist der Gerichtsfilm nicht auf die Rechtswirklichkeit, sondern
auf eine mythische Dimension. Das Verfahren muß sich dem
Außerordentlichen öffnen, wenn die Wahrheit in Erscheinung treten
soll. Das Redehandeln im Gerichtssaal mit seinen festen Regeln ist der
notwendige Rahmen für das Hervorbrechen einer Wahrheit, die von einem
oder mehreren Anwesenden zurückgehalten wird. Das Redehandeln selbst
hingegen ist geschlagen von der Unmöglichkeit, eine solche von allen
geteilte Wahrheit hervorzubringen. Das Hervorbrechen der Wahrheit, vor der
die Parteireden verstummen müssen, wirkt daher als eine Reinigung,
vielleicht sogar als eine Erlösung durch die Vereinigung von
gerichtlicher Evidenz und filmischer Evidenz. (S. 29)
Echte Erlösung wäre zu erwarten, wenn es
künftigen Veranstaltern gelingen würde, Augen und Ohren der
community vor der Beleidigung durch solches Geschwätz zu
bewahren.
Erfreulicherweise bleibt der Leser der weiteren Beiträge
von ähnlichen Ausfällen verschont. Die einzige Abhandlung, die
implizit noch einen dezidiert theoretischen Anspruch erhebt, ist der Text von
Michael Böhnke, der jedoch, theoretisch geschult, weiß wovon er
spricht (Der Mythos des Rechts in Filmen von John Ford, S. 89–108).
Entstanden ist ein außerordentlich lesenswerter, informationsreicher
und kluger Essay über die verschiedenen Anläufe von John Ford (
Young Mr. Lincoln, The Searchers, The Man Who Shot Liberty
Valance), seinen Reflexionen über die Einrichtung von Recht und
Ordnung in herrschaftsfreien, gewaltbedrohten Räumen filmischen Ausdruck
zu verleihen. Den oft gedeuteten Filmen kann der Verfasser überraschend
neue Perspektiven auf die Selbstbeschreibung der amerikanischen Gesellschaft
und ihre Erzählungen von der Genese und Funktion rechtlicher Strukturen
entlocken. Zweifellos das Glanzstück im Blumenstrauß.
Der umfangreichste Artikel stammt von Matthias Kuzina, der
die Gelegenheit wahrgenommen hat, um seine Arbeit an der Morphologie des
>court-room-drama< fortzusetzen und dem Militärgerichtsfilm
(>court-martial drama<) einen von >Filmerfahrungsfülle<
(>Belesenheit< würde man in literarischem Zusammenhang gesagt haben)
strotzenden Handbuchbeitrag zu widmen. Komparatistische Gewinne wird man
mangels deutscher Produktionen aus dieser umsichtigen und präzisen
Beschreibung des Genres vermutlich auf längere Zeit noch nicht ziehen
können. Aber wer sich für den Gegenstand als einen amerikanischen
interessiert, wird gut bedient, und da wir unsere Nachkriegsscheu vor der
Beteiligung an kriegerischen Unternehmungen sicher weiterhin abbauen werden,
ist nicht auszuschließen, daß mit dem dann notwendigen
Wiedererstehen eines Kriegsgerichtswesens sich auch dem deutschen
Kriegsgerichtsfilm eine nicht bloß historische (bisher wohl noch nicht
genutzte [?]) Chance eröffnet.
Auf eine freundlich gestimmte Lektüre seines Beitrages
kann nicht hoffen, wer diesen mit der erbarmungswürdig ignoranten
Feststellung beginnt: "Eine kritische Auseinandersetzung mit Recht und
Gesetz im Nationalsozialismus und mit der Justiz dieser Zeit, die deren
Funktion und Bedeutung als Instrument des Terrors gerecht wird, steht
ziemlich am Anfang" (S. 71), denn damit werden 35 Jahre historischer,
rechtshistorischer und rechtstheoretischer Forschung zu diesem Gegenstand
negiert, den inzwischen viele angesichts der Bibliotheken füllenden
Literatur für bereits gänzlich >ausgeforscht< halten. Die
einschlägigen Erkenntnisse des Textes (Eicke Isensee und Peter Drexler,
Das Bild der Justiz im NS-Film, S. 70–88) sind demgemäß
von Arglosigkeit entstellt, wenn auch gegen die abschließende
Feststellung, die beiden analysierten Filme – Der Verteidiger hat das Wort
und Der Gasmann – seien "Filme die zur Zeit des Dritten
Reiches spielen und dies auch zeigen", wenig einzuwenden ist.
Nicht über Seminar-Anfängerniveau hinaus ist auch
der Beitrag von Felix Ecke (Braune Leinwand. Antisemitische
Rechtspropaganda im Film des Dritten Reiches, S. 54–69) gewachsen, der
von "integrieren" spricht wo er "intrigieren" (S. 60)
meint und seine Kenntnisse über die Gesetzgebung nach der
"Machtübertragung" (sic!) leider nicht durch einen Blick in
einschlägige Darstellungen gefestigt hat. Die Analyse von Jud
Süß bleibt weit hinter dem zurück, was man seit den
Nachkriegsauseinandersetzungen um Veit Harlan lesen konnte. Moralische
Bravheit kompensiert eben nur deren Fehlen – sonst nichts.
Einen typischen Fall des bekannten Spektakels, daß
überraschend ein kühnes Frageszenario aufgebaut, scharfsinnig
ausgelotet und schließlich durch knappe und klare Antworten total
zerfetzt wird, liefert Matthias Junge mit seiner Arbeit Das Recht des Star
Trek – eine wissenssoziologische Rekonstruktion (S. 155–165). Der Autor
entdeckt, daß "das Recht des Star Trek ... kein
Zukunftsrecht" sei, "sondern Gegenwartsrecht ohne Visionen und
Vorstellungen im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderen
Rechtskultur". Es reproduziere, "die in den USA geltenden
Rechtsvorstellungen am Ende des 20. Jahrhundert." So what,
entfährt es da dem mangels Vertrautheit mit dem
"Kulturphänomen" Star Trek Unerleuchteten, wenn er den
kunstvoll zu Boden gestreckten Pappkameraden studiert.
Soliden Boden betritt man wieder mit Michael Strübel (
Das politische System Italiens im Wandel: Recht und Justizwesen im
italienischen Film der neunziger Jahre, S. 36–54). Er beschreibt
gekonnt, was er wollte, nämlich die "Wechselbeziehung von
zeitgeschichtlicher Entwicklung in Italien und der filmischen Thematisierung
von Politik" (S. 50). Wer mit der diesbezüglichen italienischen
Szene nicht vertraut ist, wird korrekt und politisch unaufgeregt informiert.
Dem aufgrund europäischer politischer Allgemeinbildung Informierten
werden immer noch die sehr gut gelungenen und harmonisch in den
Erzählfluß integrierten Filmbeschreibungen manches Ungesehene
anschaulich machen. Eine lohnende Lektüre.
Dasselbe darf auch der schöne Beitrag von Susanne M.
Maier für sich in Anspruch nehmen (Recht und Gerechtigkeit in der
amerikanischen Literaturverfilmung. To kill a Mockingbird und Snow falling on
Cedars, S. 111–126). Obwohl sich die gelernte Amerikanistin nicht
gerade zwei unbekannte oder wenig erörterte Filme ausgesucht hat, bringt
der unpathetische und straffe Vergleich der Verschiedenheiten und
Gemeinsamkeiten beider Filme (Rassismus, Schutz / Verfolgung ethnischer
Minderheiten, Vorurteil versus Toleranz, Zivilcourage und Duckmäuserei)
eine Reihe von Einsichten an den Tag, die bisher in dieser treffsicheren und
unprätentiösen Form noch nicht zu lesen waren. Dazu gehören
die Aufklärung über die Kunststücke, mit denen, trotz der
eindringlich gezeigten Rassendiskriminierungen, die weißen Heroen aus
der Schußlinie gebracht werden; die Beschreibung des Umstands,
daß der Kulturkonflikt als Kommunikationsproblem ausgegeben wird,
für dessen Bestehen die Artikulationsschwierigkeiten der jeweiligen
Minorität verantwortlich gemacht werden; und mancherlei Details.
Rechnet man jetzt das ganze Bündel nach dem Muster
lesenswert / überflüssig ab, steht es 4:4. Viermal positiv gegen
viermal negativ ergibt eigentlich Null. Immerhin: etwa 80 Seiten wären
zusammengekommen. Jedenfalls zu wenig für einen Sammelband als Folgelast
eines Symposions (vgl. oben).
Prof. Dr. Dieter Simon
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
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Ins Netz gestellt am 01.10.2002
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