Jaeger über Rennhak: Sprachkonzeptionen im metahistorischen Roman

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Stephan Jaeger

Die Tücken des Diskursvergleichs
(Critical Theory, Geschichtstheorie, Geschichtsfiktion)

  • Katharina Rennhak: Sprachkonzeptionen im metahistorischen Roman. Diskursspezifische Ausprägungen des Linguistic Turn in Critical Theory, Geschichtstheorie und Geschichtsfiktion (1970–1990) (Münchener Studien zur Neueren englischen Literatur 13) München: Fink 2002. 322 S. Kart. EUR (D) 45,90.
    ISBN 3-7705-3732-7.


Sprache, Geschichte und Literatur

Der Linguistic Turn, angeregt durch Ferdinand de Saussure, fortgeführt durch Einsichten französischer Theoretiker wie Roland Barthes, Jacques Derrida oder Michel Foucault in den 1960er und 70er Jahren, hat zweifellos gerade die human-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Diskurse bis in die heutige Zeit geprägt. Dass es sprachunabhängige Welten oder Vorstellungen von Wirklichkeit jenseits der diskursiven Vorgaben, denen sie unterworfen sind, geben kann, behaupten auch Poststrukturalismus und Diskurstheorie eher kritisch gegenüber eingestellte Wissenschaftler kaum noch. Die Diskussion der Konsequenzen dieser veränderten Voraussetzungen wird aber oft eher disziplinenbezogen innerhalb von Philosophie, Geschichtswissenschaften, Literaturwissenschaften und Künsten geführt, so dass diskursüberschreitende Studien zu diesem Thema sehr zu begrüßen sind.

Besondere Aufmerksamkeit ist dabei in der jüngeren Forschung dem Schnittfeld zwischen Literatur und Geschichte zugekommen. Insbesondere seit den Arbeiten Hayden Whites wird die Textualität von Geschichte in den unterschiedlichen Diskursen und Darstellungsformen, die Vergangenes zur Sprache bringen wollen, ernst genommen. 1

In ihrer von Ulrich Broich betreuten Münchener Dissertation von 2001 stellt sich Katharina Rennhak nun die Aufgabe herauszuarbeiten, inwiefern sich die Sprachreflexion im literarischen Diskurs zeitgenössischer britischer und postkolonialer Romane von den Diskursen Critical Theory und Geschichtstheorie unterscheidet. Ihre Grundannahme besteht dabei darin, dass sich Geschichtsfiktionen dadurch auszeichnen, dass sie keine rein interne, literarische Zeichenwelt erschaffen, sondern zugleich – ohne den eigenen Fiktionsstatus zu leugnen – "von Ereignissen berichten", die in einer außertextuellen Wirklichkeit "tatsächlich stattgefunden haben" (S. 16). Bereits Rennhaks Titel – "Sprachkonzeptionen im metahistorischen Roman" – deutet allerdings an, dass ihr Schwerpunkt auf den Sprachreflexionen von Romanen zum Umgang mit historischer Wirklichkeit liegt, während der Vergleich der drei Diskurse – Critical Theory, Geschichtstheorie und Geschichtsfiktion – in den Untertitel verbannt wird. Das zweite Ziel von Rennhaks Arbeit besteht entsprechend darin, statt der in der Forschung immer wieder in den Blick genommenen Narration die Sprachreflexion und Sprachtheorie der Geschichtsfiktionen zu untersuchen. 2

Fast wie ein Experiment – etwas technizistisch – begründet die Verfasserin dabei die Auswahl relevanter Texte bzw. Autoren aus den drei Diskursen. Die Texte müssen entweder im Zeitraum zwischen 1970 und 1990 geschrieben worden oder wie Saussures oder Austins Schriften innerhalb dieses Zeitraumes besonders stark auf Sprach- und Geschichtsreflexion gewirkt haben.

Theoriediskurse

Rennhak führt die drei Diskurse in drei voneinander unabhängigen und sehr lose verbundenen Kapiteln ein. Das erste zur Critical Theory beginnt mit der Darstellung von Referenztheorien, die sich im Zuge des Linguistic Turn mit dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit auseinander setzen (Saussure, Derrida, Austin sowie Überlegungen zum Politischen von Signifikationsprozessen). Es folgen eine Untersuchung zum Verhältnis von Sprache und Subjekt, die sich auf Austin, Derrida und Lacan bezieht, sowie ein Abschnitt zu Diskurs und Ideologie (u.a. zu Barthes und Foucault). Leider erfährt der in Diskurstheorie und Poststrukturalismus geschulte Leser in diesem 60-seitigen, solide gearbeiteten ersten Teil nichts Neues. Ob Austins Überlegungen zur Bedeutung des sozialen Kontextes von Sprache, ob Derridas Phonozentrismuskritik oder Barthes' Mythos als sekundärem Zeichensystem, es ist alles altbekannt und wird rein inhaltlich referiert, also nicht auf seine praktischen Konsequenzen befragt.

Der zweite Abschnitt zum geschichtstheoretischen Diskurs erscheint noch problematischer. Auf gerade mal 20 Seiten stellt die Verfasserin vorwiegend die Überlegungen von Hayden White und Dominick LaCapra vor. Inwiefern es ein Argument sein kann, Theoretiker wie F.R. Ankersmit oder Robert Berkhofer nicht zu besprechen, weil diese erst nach dem Untersuchungszeitraum bekannt wurden oder publiziert haben, erschließt sich nicht, da Sprachreflexion und Subjektkonstitution, anders als in der Literatur und Philosophie der Moderne, in der akademischen Disziplin der Geschichtswissenschaft immer mit Verspätung reflektiert worden sind. Die bekannten Ranke-Zitate zu einer angeblich objektiven Darstellung der Geschichte werden ebenso unreflektiert als Stand der Geschichtstheorie des 19. Jahrhunderts referiert, 3 wie andere für den Linguistic Turn grundlegende Theoretiker nicht bekannt zu sein scheinen. 4

Das einzige wesentliche Ergebnis dieses Kapitels besteht in der richtigen Erkenntnis, dass Whites Arbeiten vorwiegend auf sprachliche Baupläne von Geschichtsschreibung, auf Narrativik bezogen bleiben und auch LaCapra sich darauf beschränkt, durch den Nachweis der Rhetorizität von Geschichtsschreibung deren dokumentarischen Anspruch zu relativieren.

Der persönliche Stil als Lösung
der fiktionalen Metabiographie

Der dritte Teil des Buches, gut zwei Drittel des Gesamtinhalts umfassend, zu Sprachkonzeptionen in der Geschichtsfiktion überzeugt hingegen durch zum Teil sehr gelungene Einzelanalysen. Rennhak wählt exemplarisch sieben Romane ihres Untersuchungszeitraums aus, die sie in drei Gruppen unterteilt. Unter dem Stichwort der >fiktionalen Metabiographie< werden zuerst Julian Barnes' "Flaubert's Parrot", Peter Ackroyds "Chatterton" sowie A.S. Byatts "Possession" analysiert, in denen jeweils literarhistorische Fragestellungen im Vordergrund stehen.

Hierbei entwickelt Rennhak an allen drei Romanen die Grundfigur des persönlichen Stils, der als Lösung poststrukturalistischer Sprachskepsis dienen soll. In "Flaubert's Parrot" wird die Suche nach Originalen immer wieder ad absurdum geführt. Zum Beispiel reflektiert die Figur des Autors >Flaubert< in der Metapher vom Perlentaucher, der aus der Tiefe des Meeres mit leeren Händen zurückkommt, dass die inneren Gedanken des Dichters nicht versprachlicht werden können (S. 123 f.). Es fehlt ein Zugang zum persönlichen Stil, zum Wesenskern des Autors, zugleich gibt es aber ein unstillbares Verlangen nach diesem Kern, das zum Glauben des Lesers führt, dass doch zumindest der Autor selbst über ein Wissen von seinem persönlichen Stil verfüge.

Der unverkennbare Stil wird – gerade in "Chatterton" – zu etwas letztlich Unerreichbarem, das zudem immer der Gefahr der Fälschung und Imitation unterliegt, doch zugleich wird die Vorstellung des Stils, der sich in gelungenen Sprechakten ("happy combinations") zeigt, als die einzige Möglichkeit inszeniert, sich "im intertextuellen Kosmos" Gehör zu verschaffen (S. 147).

Diese Figur der Unerreichbarkeit eines wahren oder authentischen Wissens und Berichts über das Vergangene wird für die fiktionale Metabiographie präzise herausgearbeitet. Hier wäre ein überzeugender Anschlusspunkt gewesen, die Figur des Verlangens nach dem Unmöglichen mit ähnlichen Konstellationen in Critical Theory und Geschichtstheorie zu vergleichen. Hierzu könnte beispielsweise die Bedeutung des Erhabenen für Geschichtsschreibung oder de Certeaus Doppelfigur aus sich gegenseitig bedingendem Realen und Fiktiven herangezogen werden. 5

Klischees des Historikers

Für die Figur des viktorianischen Dichters Ash in Byatts Possession ist der Historiker ungleich dem Dichter nur der positivistische Sammler von Fakten, der lebloses Material aneinander reiht (S. 167). An dieser Stelle wird besonders deutlich, warum Rennhak besser daran getan hätte, die Diskussion der drei Diskurse miteinander zu verknüpfen. Während die untersuchten Romane tatsächlich insbesondere die Sprachtheorie des 20. Jahrhunderts pasticheartig verarbeiten, spielt Byatts Roman mit Klischees und Versatzstücken, die über den Historiker des 19. Jahrhunderts überliefert sind. Damit wird gerade für die Geschichtstheorie und Geschichtsmethodologie ein Bild überliefert, das weniger die Überlegungen von White und LaCapra nutzt, sondern – zum Teil sehr reflektiert – Gemeinplätze über den Historiker, die im kulturellen Gedächtnis über Jahrhunderte entstanden sind, verarbeitet.

Doch genau hier hört die Verfasserin auf. Es wird nämlich nicht klar, ob Byatts Roman, der auf einer Zeitebene die >Geschichte< des viktorianischen Zeitalters wieder zu erschließen versucht, mit alten Geschichtskonzepten metahistoriographisch spielt, oder ob der Roman tatsächlich eine zumindest seit der Genieästhetik nicht gerade neue Vorstellung der poetischen Imagination dieser >gültigen< Vorstellung von Geschichtsschreibung – als gegenwärtige poetische Möglichkeit – entgegensetzt. Im letzteren Falle wären einige der untersuchten metahistorischen Romane durch eine merkwürdige und in Anbetracht der bisherigen Forschungsergebnisse der Anglistik überraschende Unterkomplexität ihrer geschichtstheoretischen Reflexionen ausgezeichnet.

Augenzeugen und Mündlichkeit

Die >revisionistischen Geschichtsromane<, 6 als zweite Gruppe der Geschichtsfiktionen, sind stärker auf machtpolitische Fragen fokussiert. Sie entwickeln in Konkurrenz zur offiziellen Geschichtsschreibung Alternativentwürfe der Geschichtsdarstellung von den >großen< historischen Begebenheiten einer Epoche (S. 30). An Rennhaks Analyse von John Banvilles "Doctor Copernicus", Salman Rushdies "Midnight's Children" und Penelope Livelys "Moon Tiger" sind besonders zwei Thematiken hervorzuheben: die Bedeutung des Augenzeugenberichts und der Versuch, die schriftliche Überlieferung von Geschichte wieder in eine mündliche zu überführen.

In "Doctor Copernicus" wird die Ansicht propagiert, dass der Einzelne in kreativen Momenten metaphysische Wahrheiten erkennen kann; erst deren sprachliche Vermittlung erweist sich immer wieder als unmöglich. Der Augenzeugenbericht von Copernicus' Schüler Rheticus erzeugt wiederum durch seinen Stil die Illusion eines die Realität mimetisch abbildenden Berichtes.

"Midnight's Children" fokussiert mehr die Suche nach einem neuen Diskurs der Verständigung und der Geschichtsdarstellung Indiens. Der dominante Diskurs der Kolonialsprache Englisch soll zugunsten eines hybriden Englisch aufgelöst werden. Für den Ich-Erzähler Saleem ist hierzu eine Verschmelzung mündlicher und schriftlicher Ausdrucksformen notwendig. Diese Spannung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zeigt sich auch in Livelys Roman "Moon Tiger", in dem die Hauptdarstellerin Claudia ihre Form der Weltgeschichte als Geschichte der Stimmen und akustischen Signale erzählt. Diese garantieren die Lebendigkeit und Andersartigkeit der historischen Überlieferung.

Rennhak stellt hier präzise und überzeugend alternative Geschichtsentwürfe vor, doch verpasst sie die Gelegenheit, vorzuführen, ob die metahistorischen Romane wirklich mehr leisten, als nur durch die freiere Stellung ihrer Figuren – sie sind nicht wie z.B. der Historiker an Vorgaben des Wissenschaftsdiskurses gebunden – alternative (Meta-) Reflexionen über Geschichtsschreibung und Wirklichkeitsdarstellung anzustellen. Hierbei wäre es hilfreich gewesen, gerade die Analyse von "Midnight's Children" stärker auf rhetorische und ästhetische Strategien auszurichten oder ein Kriterium wie Lesersympathie heranzuziehen.

Rennhaks Lektüre verbleibt zu oft auf einer theoretischen, rein semantisch argumentierenden Ebene; sie ist ausschließlich mit epistemologischen Fragestellungen beschäftigt. Darüber hinaus könnten mithilfe einer Kategorie wie der Lesersympathie die Kommunikationsebenen klarer unterschieden werden: Soll Saleem seine Zuhörer oder den Narratee überzeugen? Kreiert der Text jenseits seines Ich-Erzählers den neuen hybriden Diskurs im Dialog mit dem externen Leser oder unterläuft er dessen Wirkung bewusst?

Literarischer Metakommentar

Die Analyse von J.M. Coetzees "Foe" ist Rennhaks dichteste und reichhaltigste Analyse. Coetzees Roman vereinigt in der Auseinandersetzung mit Defoes "Robinson Crusoe" den literarhistorischen mit dem machtpolitischen Strang und kann als Illustration aller Überlegungen zur Sprach- und Diskursabhängigkeit des Menschen im Theory-Diskurs des späten 20. Jahrhunderts dienen.

Wieder wird ein sehr weiter Geschichtsbegriff verwandt. Geschichte ist einerseits die Lebensgeschichte der Protagonistin Susan, andererseits die Inselgeschichte. Damit geht es einerseits für Susan darum, die persönlichen Erinnerungen für die Nachwelt zu konservieren, was aber andererseits in der zunehmenden Ununterscheidbarkeit von Fiktion und Realität vom Roman als unmöglich entlarvt wird. Besonders eindrücklich wird hier vorgeführt, dass der Stil des Autors – des Schriftstellers Foe – und die >authentische< Erinnerung der Augenzeugin Susan jeweils nicht genügen, eine identitätsstiftende und -bewahrende Überlieferung zu schaffen. Damit fungiert "Foe" in Rennhaks Ensemble metahistorischer Romane als ein Metakommentar, der optimistischere Sprach- und Geschichtskonzeptionen anderer Romane wieder in Frage stellt.

Der Vergleich der Diskurse

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Rennhak einen doppelten Trick anwenden muss, um ihr Projekt zusammenzuhalten: Der erste Trick besteht in der Zusammenführung von Sprachreflexion bzw. -kritik und Geschichte. Dieses wirkt nur deshalb wie >ein< Thema, weil in allen untersuchten Geschichtsfiktionen – bis auf Rushdies "Midnight's Children" und vielleicht noch Livelys "Moon Tiger" – reale historische Ereignisse sekundär zur Lebensgeschichte oder zumindest zur individuellen Wahrnehmung einzelner Figuren sind. Es geht eigentlich nicht um >Geschichte< als sinnstiftende Erzählung oder Darstellung von Vergangenem, sondern zuallererst um die zumeist defizient verbleibende sprachliche Vermittlung von (vergangener) Realität, in der Regel dargestellt durch Metareflexionen einzelner Figuren. >Geschichte< ist damit reduziert zu einer Form von (unerreichbarer) >Wahrheit< des Vergangenen, zu der im Akt der Mimesis idealiter getreuen Abbildung des Gewesenen. In dieser Begrifflichkeit von Mimesis und Wahrheit sind Geschichte und innerer Ausdruck letztlich dasselbe. Beide müssen per Sprache nach außen gebracht werden.

Der zweite Trick ist noch grundlegender: Der Vergleich zwischen Critical Theory, Geschichtstheorie und Geschichtsfiktion ist von vornherein schief. Es ist unbestritten, dass metahistorische Geschichtsfiktionen, gerade im Bereich Großbritanniens und des Commonwealth, sowohl sprachphilosophische, diskurs- und machtanalytische wie auch geschichtstheoretische Überlegungen verarbeitet haben und in fiktionalen Spielen und Reflexionen die Alternativen des literarischen Umgangs mit Sprache und Vergangenem vorführen. Rennhaks Arbeit überzeugt durch den Nachweis der Vielfalt dieser Umgangsmöglichkeiten mit Sprache und Geschichte in der Literatur.

Während also mit der Geschichtsfiktion einerseits ein praktischer Diskurs untersucht wird, in dem Theorie angewandt, getestet und hinterfragt wird, werden andererseits nur die inhaltlichen Aussagen der jeweiligen Ansätze in Critical Theory und Geschichtstheorie vorgestellt. Über Foucaults archäologische Praxis, Derridas eigene Schreibweise, die Performativität von Austins Vorlesungen 7 wird ebenso wenig ein Wort verloren wie über konkrete Geschichtsschreibung auf Basis des Linguistic Turn bzw. deren Möglichkeit oder Unmöglichkeit. 8

Von hieraus könnte man dann mit einer ausführlichen ästhetischen, rhetorischen und narratologischen Analyse aller praktischen Texte zeigen, welche unterschiedlichen Konsequenzen die Diskurse Theorie, Geschichte und Literatur auf Basis des Linguistic Turn ziehen und ziehen können. Rennhaks kurze Schlussbetrachtung versucht dieses auch, kommt aber aufgrund der zu geringen Vorarbeit im Bereich der Critical Theory und der Geschichtstheorie nicht über einzelne interessante Andeutungen zur unterschiedlichen Referentialität der Diskurse hinaus.

Selbst wenn man der Verfasserin zugesteht, dass sie eigentlich nur die Theorie der Geschichtsfiktionen, nicht ihre ästhetische Performance als Literatur untersuchen will, stellt sich die Frage, wie die drei theoretischen Diskurse auf einer Ebene vergleichbar sein können. Denn die Erkenntnisse des Linguistic Turn in der Sprachphilosophie sowie der im Buch nicht reflektierten postmodernen Kunst und Literatur gerade der 1960er Jahre wurden geprägt, bevor sie in die metahistoriographischen und -historischen Geschichtsfiktionen und noch viel langsamer in die Geschichtstheorie einfließen konnten. Bezüge auf Ranke oder auch auf neuere Geschichtstheoretiker wie White werden dann als vereinfachte Topoi, als Theoriematerial zur Geschichtstheorie in Geschichtsfiktionen zitiert. Wenn man aber mehr erkennen will, als dass der Diskurs >Geschichte< (in Theorie und zumindest wissenschaftlicher Praxis) nie die Radikalität eines konsequenten Poststrukturalismus gewinnen kann, weil Geschichte dann als Form und Diskurs keine Funktion mehr hätte, wäre es notwendig, selbst über diese Topoi und Klischees hinauszugehen.

Insofern ist Rennhaks Arbeit durchaus gelungen und interessant zu lesen, wenn man sich über Sprachreflexion im metahistorischen Roman informieren will, doch ihr zweites und für die Literaturwissenschaft zweifelsfrei innovativeres Ziel, die Bedeutung des Linguistic Turn für die drei Diskurse vergleichend zu bestimmen, wurde leider nicht erreicht und lässt viel Spielraum für zukünftige Forschung.


Dr. Stephan Jaeger
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Ins Netz gestellt am 17.07.2003
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Daniel Fulda. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Katrin Fischer.


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Anmerkungen

1 Vgl. hierzu insbesondere das jüngst erschiene Kompendium: Daniel Fulda / Silvia Serena Tschopp (Hg.): Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin / New York: de Gruyter 2002.   zurück

2 Dabei schließt Rennhaks an Ansgar Nünnings Gattungsdefinition des metahistorischen Romans an, wonach die "narrative Sinnbildung über Zeiterfahrung" mit der Reflexion über Historie, Historiographie, Geschichtsbewusstsein, Geschichtswissenschaft und Geschichtstheorie gekoppelt ist (Ansgar Nünning: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Bd. 1. Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans [Literatur – Imagination – Realität 11] Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 1995, vgl. Rennhak S. 14, Anm. 16).   zurück

3 Siehe für differenzierte Darstellungen zu Rankes Geschichtsdenken und -schreibung z.B. die Ergebnisse neuerer germanistischer Arbeiten wie Daniel Fulda: Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760–1860 (European Cultures 7) Berlin / New York: de Gruyter 1996 oder Johannes Süßmann: Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke, 1780–1824 (Frankfurter Historische Abhandlungen 41) Stuttgart: Steiner 2000. Vgl. die Rezension von Thomas Etzemüller u.d.T. "Geschichtsliteratur: Vergegenwärtigen, Erzählen, Erklären" bei IASLonline:http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/etzemueller.html.   zurück

4 Siehe beispielsweise die aus dem Untersuchungszeitraum stammenden Arbeiten von Lionel Gossman (versammelt in L.G.: Between History and Literature. Cambridge, Mass. / London: Harvard University Press 1990, oder die jüngsten Arbeiten von Elizabeth Deeds Ermarth, z.B. E.D.E.: Beyond >The Subject<. Individuality in the Discursive Condition. In: New Literary History 31 (2000), S. 405–419. Rennhak verlässt sich für dieses Kapitel fast ausschließlich auf die Ausschnitte im von Keith Jenkins herausgegebenen The Postmodern History Reader (London / New York: Routledge 1997).   zurück

5 Michel de Certeau: Das Schreiben der Geschichte (Historische Studien 4) Frankfurt / M.: Campus 1991, S. 20 f.   zurück

6 Rennhak übernimmt den Terminus von Ansgar Nünning: Grenzüberschreibungen. Neue Tendenzen im historischen Roman. In: Annegret Maak / Rüdiger Imhof (Hg.): Radikalität und Mäßigung. Der englische Roman seit 1960. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993, S. 54–73, hier S. 61.   zurück

7 Siehe hierzu z.B. Sybille Krämers Kapitel "John L. Austin. Performative und konstatierende Äußerungen. Warum läßt Austin diese Unterscheidung zusammenbrechen?" In: S. K.: Sprache, Sprechakt, Kommunikation. Sprachtheoretische Positionen des 20. Jahrhunderts. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2001, S. 135–153.   zurück

8 Hierzu wäre z.B. grundlegend heranzuziehen: Peter Burke (Hg.) New Perspectives on Historical Writing. University Park: Pennsylvania University Press 2. Aufl. 2001.   zurück