Stadler über Uerlings: Blüthenstaub

Ulrich Stadler

"Wahre Leser" von "wahren Lesern"?
Über den Dokumentationsband der zweiten Fachtagung der Internationalen Novalis-Gesellschaft

  • Herbert Uerlings (Hg.): "Blüthenstaub". Rezeption und Wirkung des Werkes von Novalis. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2000. 432 S. Geb. DM 120,-.
    ISBN 3-484-10827-4.


Intention und Programm des Buches

Der Titel des Sammelbandes, der die Vorträge der zweiten Fachtagung der Internationalen Novalis-Gesellschaft vom Oktober 1997 in Oberwiederstedt enthält, könnte leicht mißverstanden werden. Es handelt sich nicht um die Rezeption und Wirkung eines einzigen Werkes von Novalis, nämlich der 1798 im "Athenäum" erschienenen Fragment-Sammlung, mit der Hardenberg zum ersten Mal unter dem Pseudonym Novalis aufgetreten ist.

Thema der Tagung war vielmehr "die nicht-wissenschaftliche Novalis-Rezeption, d.h. die bewußte und gezielte Hinwendung zu seinem Werk in den Künsten (Literatur, Malerei, Musik und Film 1 ) und in weiteren Bereichen des geistigen Lebens" – so der Herausgeber Herbert Uerlings (S.2).

Entsprechend enthält der vorliegende Band Beiträge zur Rezeption des ganzen Werkes; auf die Fragment-Sammlung Hardenbergs aus dem "Athenäum" wird nur sporadisch Bezug genommen. Der Anspruch, das ganze Spektrum der nicht-wissenschaftlichen Novalis-Rezeption zu dokumentieren, war und ist freilich nicht zu verwirklichen. Schon eine einigermaßen repräsentative Auswahl anzubieten, erwies sich als nahezu unmöglich. Dem Herausgeber ist es nichtsdestoweniger gelungen, für wichtige Bereiche Referenten und Referentinnen zu finden, wenn er auch gleich in der Einleitung bekennen muß, daß ganz bestimmte Themen – etwa das Verhältnis Hardenbergs zu E.T.A. Hoffmann, die Novalis-Rezeption im französischen Symbolismus oder die Bedeutung Hardenbergs für die Kunstgeschichte – aufgrund von Absagen der Referenten unbearbeitet geblieben sind.

Wenn Uerlings in der Einleitung schreibt: "Zusammenfassen lassen sich die Ergebnisse einer solchen Tagung nicht" (S.5), so gilt dieses Urteil auch für den vorliegenden Sammelband. Allzu divergierend sind die 18 Aufsätze in ihrer thematischen Ausrichtung wie auch in ihrer Qualität.

Blüthenstaub contra Samen

Trotzdem sei zunächst ein Kriterium genannt, an dem zumindest die meisten Beiträge gemessen werden können. Der Band trägt den Titel "Blüthenstaub", und mit diesem – mutmaßlich auf Friedrich Schlegel zurückgehenden Titel, dem Novalis jedoch, wie seine eigene Übernahme verrät, 2 keinerlei Widerstand entgegengesetzt zu haben scheint – ist ein Programm skizziert, das verpflichtenden Charakter hat.

>Blütenstaub< ist kein Synonym von >Samen< – dieses Wissen darf man nicht nur bei den frühromantischen Autoren voraussetzen, sondern sollte auch allen vertraut sein, die sich mit Novalis beschäftigen –, wenn sich Samen in aller Regel auch nicht ohne die Wirksamkeit von Blütenstaub ausbilden kann. Letzterer, auch >Pollen< genannt, muß auf den Nucellus bei nacktsamigen Pflanzen, bei bedecktsamigen auf die Narbe des Fruchtknotens gelangen, damit es zur Befruchtung und zur Samenbildung kommen kann.

Dieses botanische Detail ist nicht ganz unerheblich, wenn man die Vorgänge analysiert, für welche der Begriff "Blüthenstaub" metaphorische Bedeutung besitzt. Eine Rezeption, bei der sich Hardenbergsche Fragmente als "Blüthenstaub" bewähren sollen, kann also nicht allein von Novalis aus beurteilt werden.

Es geht nicht darum, daß sich alles allein aus diesen Texten entwickeln würde, wie das bis zu einem gewissen Grade bei einem Samen der Fall ist; vielmehr entsteht ein Neues erst durch das Zusammentreffen zweier Instanzen: der Gedanken Hardenbergs mit denen einer anderen, fremden Individualität. Wenn Hardenberg auch zuweilen von "Samen", "Samenkorn" und "Sämereien" 3 spricht, so wußte er doch diese Begriffe sehr wohl von "Blüthenstaub" zu unterscheiden.

Der "wahre Leser"

In dem vorliegenden Sammelband wird allzu umstandslos der Terminus "Blüthenstaub" durch Samen oder gar – der vorletzten Modeströmung gemäß und gut derridistisch – durch "Dissemination" ersetzt. Gerade wenn es darum geht zu untersuchen, ob bildende Künstler oder Autoren möglicherweise beeinflußt wurden, dann ist davon auszugehen, daß ihre eigene Individualität dabei nicht völlig verloren gegangen ist und die Gedankengänge und Formulierungen des Vorbilds modifiziert worden sind. Mit Recht verweist der Herausgeber, und nicht nur er, sondern auch andere Beiträger, auf die bekannte Aufzeichnung Hardenbergs über eine gelingende Rezeption:

Der wahre Leser muß der erweiterte Autor seyn. Er ist die höhere Instanz, die die Sache von der niedern Instanz schon vorgearbeitet erhält. Das Gefühl, vermittelst dessen der Autor die Materialien seiner Schrift geschieden hat, scheidet beym Lesen wieder das Rohe und Gebildete des Buchs – und wenn der Leser das Buch nach seiner Idee bearbeiten würde, so würde ein 2ter Leser noch mehr läutern, und so wird dadurch[,] daß die bearbeitete Masse immer wieder in frischthätige Gefäße kömmt[,] die Masse endlich wesentlicher Bestandtheil – Glied des wircksamen Geistes. [...]. 4

Hardenberg spricht hier keineswegs nur von einer künstlerischen Rezeption, auch eine wissenschaftliche müßte nach diesen Regeln funktionieren, wenn die Rezipienten für sich dem Anspruch genügen wollen, "wahre Leser" zu sein. Die "niederere Instanz" – das wäre, auf die Texte des Novalis bezogen, dieser selber.

Berücksichtigt man jedoch die Themenstellung des vorliegenden Bandes, dann fungiert die höhere Instanz, die Hardenbergs Werk rezipiert, wiederum als niedere Instanz im Verhältnis zu den Personen, welche jene Rezeption untersuchen. Es handelt sich also um zwei, sich potenzierende Rezeptionsvorgänge, bei denen sich die jeweiligen Rezipienten als "wahre Leser" bewähren können oder nicht.

Die Frucht künstlerischer und wissenschaftlicher Berührungsprozeße

Die künstlerische wie die auf ihr bauende wissenschaftliche Rezeption mißlingen nach dem Urteil Hardenbergs gleichermaßen, wenn sie als bloße Annexionsvorgänge begriffen würden, bei denen ein isolierfähiges Detail von einer Seite auf die andere wechselte.

Sofern also die "nicht-wissenschaftliche Novalis-Rezeption" eine von Autoren und Autorinnen wie Anna Seghers, Wolfgang Hilbig, Gottfried Benn, Ingeborg Bachmann, Heinrich Heine, Robert Musil, Georg Trakl, Ernst Jünger, Hugo von Hofmannsthal, Ernst Meister, Botho Strauß und Thomas Bernhard ist, müßte die wissenschaftliche Rezeption dieser Rezeption das Ineinandergreifen jeweils zweier verschiedener Positionen betrachten, die sich bei ihrer Berührung verändern und zugleich ein neues Resultat hervorbringen: die Frucht jenes Berührungprozesses.

Eine solche differenzierte Vorstellung von Rezeption wäre Novalis einzig gemäß und wäre zugleich auch vorauszusetzen 5 bei einem Bande, der sich "Blüthenstaub" nennt. Sie ist jedoch keineswegs in allen Beiträgen, die sich mit der Nachwirkung Hardenbergs auseinandersetzen, als leitende Maxime erkennbar. Statt die Beziehung zwischen der "tiefern" und der "höheren Instanz" genau zu bestimmen, begnügen sich manche Beiträger damit, nur scheinbare Identitäten jeweils herauszustreichen. Sie rekurrieren damit auf ein Modell von >Einfluß<, das eher am Nürnberger Trichter als an einem pflanzlichen Befruchtungsvorgang sein Maß genommen hat.

Zu den Überblicksdarstellungen

Neulanderschließungen

An dem Anspruch, den das "Blüthenstaub"-Modell stellt, dürfen die vier Beiträge, welche sich mit den "Novalis-Vertonungen" (Josef Schreier) sowie mit der Novalis-Rezeption in Italien (Luciano Zagari), in Polen (Marek Jaroszewski) und in Rußland (Sergej A. Romaschko) beschäftigen, nicht unbedingt gemessen werden. In all diesen Aufsätzen wird nämlich weitgehend Neuland bearbeitet, und insofern geht es allen vier Verfassern auch erklärtermaßen zunächst einmal vorwiegend um Bestandesaufnahmen und um Übersichtsdarstellungen, die späteren detaillierteren Untersuchungen den Weg ebnen sollen.

Ähnliches läßt sich auch von der Darstellung Dennis F. Mahoneys über die Novalis-Rezeption in Großbritannien und Amerika behaupten. Hier wird zwar kein absolutes Neuland ausgemessen und betreten, wohl aber gleichfalls ein panoramatischer Überblick geboten. Der Beitrag von Gerhard Schulz ergänzt den von Mahoney, indem er einen englischen Novalis-Roman aus der jüngsten Zeit, Penelope Fitzgeralds "The Blue Flower" (1995), genauer untersucht und dieses Werk in Beziehung setzt zu drei deutschsprachigen Erzählungen über Novalis, zu Gisela Krafts "Prolog zu Novalis" von 1990, Klara Hofers "Zur Hochzeit ruft der Tod. Die Geschichte vom Herzen des Novalis" von 1925 und Marion Titzes "Unbekannter Verlust" von 1994.

Wenn Gerhard Schulz auch zuweilen auf historische Ungenauigkeiten und Verkürzungen in diesen Romanwerken im Vergleich zur tatsächlichen Biographie Hardenbergs hinweist, so bindet er doch nicht das Kriterium historischer Treue an das des literarischen Werts. Ins Zentrum seines Interesses rückt er die Tatsache, daß hier sich "Dichterinnen" für Novalis engagieren, ja daß diese sich geradezu mit ihrem Autor identifizieren und daß sie anstelle von Konstruktionen und Begriffsklischees der Literaturgeschichte die Lebenswelt Hardenbergs ins Zentrum rücken.

Dekonstruktivistische Betrachtungsweise

Ein dritter Beitrag, der von Wm. Arctander O'Brien untersucht die literarische Praxis Hardenbergs aus der Sicht der Dekonstruktion. Dabei geht der Verfasser nicht der Frage nach, ob Hardenberg in manchem schon als Vorläufer Derridas angesehen werden könnte ("Ihre Untersuchung würde uns über Hardenberg nicht viel sagen und Derrida keine große Ehre bringen", behauptet er [S.126]).

Statt dessen versucht er, vor allem an zwei Beispielen – der Licht- und Nacht-Thematik in den "Hymnen an die Nacht" und einer Aufzeichnung aus "Glauben und Liebe" – zu zeigen, daß die Dekonstruktion in Hardenbergs Texten bereits "operiert". Der Aufweis solcher dekonstruktiver Tendenzen geschieht mit viel Esprit und sympathischer Unvoreingenommenheit.

Sympathie und Zustimmung möchte man dem Verfasser auch zollen angesichts seiner Maxime, daß es häufig gerade die feindselige Kritik sei, die etwas Neues am besten aufspüren könne. Allerdings wünschte man sich doch bei aller Frische dieses Aufsatzes und Ansatzes eine etwas genauere Betrachtungsweise. Insbesondere wäre es wünschenswert gewesen, wenn O'Brien seine Lesart der Hardenbergschen Texte in Beziehung zu einem dialektischen Verfahren gestellt hätte.

Gemeinsam ist den zuletzt aufgeführten drei Darstellungen, deren Verfasser allesamt im englischen Sprachraum lehren bzw. gelehrt haben, ein erfrischend unkonventioneller Blick auf ihre Untersuchungsgegenstände. Wenn Schulz einmal eher beiläufig bemerkt, daß "die Angelsachsen [...] sich um Theorie von vornherein stets weniger gekümmert" hätten als die Deutschen, und daraus den Schluß zieht, daß sie vielleicht "gerade deshalb so viele und so gute Romane geschrieben" hätten (S.163), so ist man fast geneigt, diese Schlußfolgerung auch auf die literaturwissenschaftlichen Beiträge des vorliegenden Bandes auszuweiten.

Katholizsimus und Anthroposophie

Ebenfalls Übersichtsdarstellungen liefern die Beiträge von Ludwig Stockinger über "Novalis und der Katholizismus" und Sophia Vietor über "Novalis und die Anthroposophie".

Bei beiden handelt es sich um Bearbeitungen wichtiger Desiderata, die zu den Aktivposten des vorliegenden Bandes gehören. Der Aufsatz von Stockinger ist schätzenswert wegen der differenzierten Beschreibung des Rezeptionsprozesses, insbesondere der Unterscheidung von Werk und Autorimago des Novalis, sowie wegen des Einbezugs auch entlegener und bislang unberücksichtigter Quellen aus dem 19. Jahrhundert; der Aufsatz von Vietor verdient Aufmerksamkeit, weil hier die von anthroposophischer Seite ziemlich handfest betriebene Annexion des Novalis relativ distanziert beschrieben wird.

Zu den Einzeluntersuchungen

Es bleibt jetzt noch übrig, auf die Untersuchungen des Bandes näher einzugehen, die dem Verhältnis Hardenbergs zu einzelnen Autoren oder Künstlern gewidmet sind. Es sind dies die Beiträge von Herbert Uerlings, Ralph Martin, Konrad Feilchenfeldt, Ulrich Karthaus, Hans Esselborn, Johannes Endres, Jürgen Egyptien, Lothar Pikulik und Ira Kasperowski.

Bei ihnen vor allem wäre das eingangs vorgebrachte Kriterium für die Novalis-Rezeption jeweils heranzuziehen. Wegen der Vielzahl und Heterogenität dieser Beiträge möchte ich nur drei dieser Aufsätze näher charakterisieren oder zumindest einzeln noch aufführen:

Novalis und die bildende Kunst

Wenig neue Erkenntnisse vermittelt der Aufsatz von Konrad Feilchenfeldt über "Novalis und die bildende Kunst". Dem Beitrag, der sich mit den Beziehungen zwischen Novalis und Runge sowie zwischen Novalis und Caspar David Friedrich befaßt, ist anzumerken, daß hier eine Auseinandersetzung fortgeführt wird, die sich bereits im Kreise zu drehen beginnt. Auf der einen Seite steht eine um "exakte philologische Quellennachweise" bemühte Position, der sich Feilchenfeldt selber verpflichtet fühlt. Sie wird von der andern Seite, die sich um die Darlegung von Problemeinheiten bemüht, als >Positivismus< abgetan.

Im Fall Runges kann Feilchenfeldt überzeugend nachweisen, daß dieser Künstler kaum eine genauere Kenntnis des Werkes von Novalis gehabt haben dürfte. Das erlaubt indes keinerlei triumphierenden Gestus gegenüber allen denen, die eine innere Verwandtschaft zwischen den Werken des Malers und des Autors nachzuweisen versuchen. Übereinstimmungen bilden sich keineswegs immer nur aufgrund von direkter Kenntnis und unmittelbarer Übernahme heraus. 6 Das gilt wohl in besonderem Maße für das Werk von Novalis. 7

Feilchenfeldt ist zunächst einmal zuzustimmen, wenn er am Schluß seines Beitrags festhält:

Das Tertium comparationis einer vergleichenden methodisch weiterführenden Betrachtung sowohl der >Schriften< von Novalis als auch der Bildkunst Runges und Friedrichs wäre eine sowohl von Novalis als auch von Runge und Friedrich in ihren Werken vertretene Bildtheorie und deren Vergleich. Der gemeinsame Nenner in den Werken der drei prototypischen Romantiker ist eine Bildsprache, die in ihrer Anwendung allerdings ihre im Sinne der romantischen Kunstlehre eigene Theoriebildung betreibt und deswegen keinen oberflächlichen Vergleich und Zusammenhang zwischen dem Werk der drei romantischen Künstler zuläßt. (S.96)

Feilchenfeldt liefert jedoch weder eine solche Bildtheorie, noch stellt er detaillierte Vergleiche an. Ein Vergleich böte sich etwa an bei Runges und Hardenbergs Handhabung des Rahmenproblems, oder im Fall Friedrichs könnte man dessen Landschaftsbilder mit den Schilderungen im ersten Buch (4. Kapitel) des "Heinrich von Ofterdingen" in Verbindung bringen. Solche oder ähnliche Vergleiche müßte man jedenfalls machen, sie wären keineswegs zwangsläufig "oberflächlich".

Novalis und Musil

Unbefriedigend, wenn auch auf ganz andere Weise, fällt der Beitrag von Ulrich Karthaus über "Novalis und Musil" aus. Weder wird hier im Sinne Feilchenfeldts genau geklärt, wie, d.h. aufgrund welcher Vorlagen, die zahlreichen Novalis-Anleihen bei Musil zustandekommen, 8 noch wird hier ein Problemzusammenhang, der beiden Autoren gemeinsam ist, wirklich detailliert erforscht.

Karthaus zitiert zu Beginn und am Ende seines Aufsatzes einen Passus Musils aus dem "Mann ohne Eigenschaften", wo die Frage gestellt ist, was mit einem Mann, der weder Gelehrter noch Schriftsteller, sondern etwas "dazwischen" werden wolle, geschehen solle. Ausgehend von dieser Fragestellung hätte es nahegelegen, die Synthetisierungsversuche von Poesie und Philosophie bei Novalis mit dem Essayismus Musils genau zu vergleichen und Gemeinsamkeiten wie Differenzen exakt zu bestimmen. Statt dessen wird überall ein wenig hingelangt, da und dort etwas Verbindendes, dort und hier etwas Trennendes gesehen. So enthält der Beitrag nur einzelne Bemerkungen, die zu weiterer Beschäftigung anregen könnten – wie etwa den Hinweis auf die Übereinstimmung des Schlusses der "Portugiesin" mit einem Novalis-Fragment (S.269).

Hofmannsthal und Novalis

Der bei Karthaus diagnostizierte Mangel findet sich nicht in der Studie von Johannes Endres über "Hofmannsthal und Novalis. Zur Ambivalenz des Erbes". Es ist die m.E. differenzierteste unter allen Einzeluntersuchungen des Bandes. Zwar wird nicht ganz einsichtig, warum Endres den Topos der >great chain of being< dermaßen prominent ins Zentrum seiner Darstellung der Positionen Hardenbergs und Hofmannsthals gerückt hat, aber diese Positionen werden doch in einer Feinheit vorgeführt und miteinander in Beziehungen unterschiedlichster Valeurs gesetzt, die von Identitäten über Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, Überschreibungen und Subversionen bis zu diametralen Gegensätzen reichen.

Hier liegt nicht nur eine genaue, intime Kenntnis zweier Werk-Komplexe vor, hier ist auch der Anspruch, den das Modell "Blüthenstaub" für den Rezeptionsvorgang stellt, überzeugend eingelöst.


Prof. Dr. Ulrich Stadler
Universität Zürich
Deutsches Seminar
Schönberggasse 9
CH-8001 Zürich

Ins Netz gestellt am 22.05.2001

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Johannes Endres. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez - Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


Weitere Rezensionen stehen auf der Liste neuer Rezensionen und geordnet nach

zur Verfügung.

Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen? Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte informieren Sie sich hier!


[ Home | Anfang | zurück ]



Anmerkungen

1 Über diesen gab es keinen Beitrag in Oberwiederstedt und gibt es auch keinen im vorliegenden Sammelband. Bei der Tagung wurde lediglich der Film von Herwig Kipping: "Novalis - Die Blaue Blume" gezeigt. Im Anschluß an die Vorführung fand eine Diskussion mit dem Regisseur statt, die jedoch nicht aufgezeichnet wurde.    zurück

2 Vgl. Novalis: Das Allgemeine Brouillon. In: Schriften. Hg. v. P. Kluckhohn u.a., 3. Bd., 2. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer 1960, S.301, Nr.339.    zurück

3 S. etwa Novalis: Schriften (Anm. 2), 2. Bd., S.413, sowie S.462, Nr.104; S.563, Nr.189.    zurück

4 Novalis: Schriften (Anm. 2), 2. Bd., S.470, Nr.125.   zurück

5 Und zwar auch dann, wenn man die mit der Hierarchisierung verbundene Bewertung Hardenbergs und dessen Annahme einer stetigen Aufwärtsbewegung der verschiedenen Rezeptionsleistungen nicht mitvollziehen kann.   zurück

6 Es sei hier zur Exemplifikation an einen Fall aus der jüngsten Vergangenheit erinnert: Vom Tod des Subjekts, vom Verschwinden des Autors und vom langsamen Verschwinden des Menschen aus dem Aufmerksamkeits-Zentrum war in den letzten 30 Jahren an allen Orten und Enden die Rede, und dennoch ist es ganz und gar unwahrscheinlich, daß alle, die solche Reden führten, auch die einschlägigen Schriften von Michel Foucault gelesen haben dürften. Auch wenn man konzediert, daß sich in unserer Lebenszeit die Zahl der Vermittlungsinstanzen drastisch vergrößert hat und damit deren Wirken noch unübersichtlicher geworden ist, so muß doch auch schon für die Zeit um 1800 die Existenz von zahlreichen Vermittlungsprozessen vorausgesetzt werden.    zurück

7 Bei kaum einem andern deutschsprachigen Autor findet sich im ganzen 19. Jahrhundert eine vergleichbar große Diskrepanz zwischen hohem Ansehen der Person und tiefer Unkenntnis des Werkes. S. hierzu Verf.: Novalis: Heinrich von Ofterdingen (1802). In: Paul Michael Lützeler (Hg.): Romane und Erzählungen der deutschen Romantik. Neue Interpretationen. Stuttgart: Reclam 1981, S.141-162, hier S.141f.    zurück

8 Hier wäre etwa genau die Funktion der zweibändige Darstellung von Ricarda Huch: Die Romantik. Leipzig: Haessel 1908 zu untersuchen, deren Einzelbände zuerst 1899 und 1902 erschienen sind. – Statt genauer Nachweise gibt Karthaus eine "methodologische Visitenkarte" ab, indem er versichert, daß er sich "als Hermeneutiker" verstehe, "der sich mehr für Problemstellungen als für wörtliche Übereinstimmungen" interessiere (S.269).    zurück