Strepp über Krüger: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren

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Hans Michael Strepp

Marcel Duchamp in der Renaissance?

  • Klaus Krüger: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. München: Wilhelm Fink Verlag 2001. 446 S. 262 schw.-w. Abb. Kart. € 62,20.
    ISBN 3-7705-3461-1.


"(...) es geht darum, dass Kunstwerke sich nicht nur auf etwas beziehen, sondern diese >Bezogenheit< auch verkörpern. Mit anderen Worten, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem, was das Werk bedeutet, und dem, was es ist."

Dieses Zitat aus der Kunstphilosophie von Arthur C. Danto stellt Klaus Krüger an den Anfang seiner Schlussbemerkung (S.280). Wenn man die Lektüre des Buches beendet hat, wünscht man, der Autor hätte es an den Anfang seines Vorwortes gesetzt. So aber bleibt der Leser lange im Unklaren, welcher Geisteshaltung sich der knapp 300 Seiten umfassende Streifzug durch die klassische italienische Kunstgeschichte von Masaccio bis Caravaggio verdankt. Sie lässt sich überspitzt in der folgenden These zusammenfassen:

Das Konzept der Pop-Art von Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Roy Lichtenstein, die Darstellung des Bildgegenstandes zugleich als Darstellung seiner Darstellungsweise zu präsentieren, hat es schon in der Renaissance gegeben. Und nicht nur das – es soll auch ein Kernproblem der frühneuzeitlichen Kunst gelöst haben, nämlich die Abbildung des Göttlichen in einer natürlichen Welt.

I. Das Bild als Schleier des Unsichtbaren

Im ersten Abschnitt des Buches (S.11–132), dessen Überschrift zugleich der Gesamttitel ist, versucht der Autor anhand einer Vielzahl von Werken zu zeigen, dass die Kunst des italienischen Quattrocento in einigen maßgeblichen Strömungen an Bildauffassungen interessiert war, die – nach heutigem Sprachgebrauch – die "ästhetische Differenz" sichtbar machen, also das Auseinanderfallen von Darstellung und Dargestelltem. Die ästhetische Differenz ist jedem Kunstfreund spätestens seit Magrittes berühmter "Pfeife" bekannt, also dem Bild einer Pfeife mit der (im Original französischen) Unterschrift "Das ist keine Pfeife". Selbstverständlich ist das Bild keine Pfeife, sondern nur das Bild einer Pfeife; das Dargestellte ist aber sehr wohl eine Pfeife.

Christliche Bildtheorie

Krüger erwähnt Magrittes Bild zwar nicht, die Nähe seiner Thematik zur Bildtheorie des christlichen Mittelalters, die Krüger eingangs diskutiert (S.11ff.), ist jedoch augenfällig. Diese Bildtheorie ist bekanntlich im Anschluß an Augustinus einem vulgärplatonischen Repräsentationsmodell verhaftet, wonach das Bild als Abbild zugleich das Urbild ist und nicht ist. Die Beziehung des Abbildes zum Urbild wird durch die Kategorie der Ähnlichkeit hergestellt, verbleibt aber ontologisch notwendig in der Kategorie der Differenz. Auch das Bild einer Madonna stellt eben die Madonna dar, ist sie aber nicht.

Dementsprechend sind Bilder vom Göttlichen immer uneigentlich. Es besteht eine paradoxe dialektische Beziehung zwischen der Realpräsenz des Göttlichen im Bild und dem Hiatus von Abbild und Urbild. In der bildsensiblen Spätantike hatte man für dieses Spannungsverhältnis ein besonderes Gespür, zu denken ist etwa nur an die (vom Autor leider nicht erwähnten) kaiserlichen Audienzen, bei denen statt des Kaisers nur sein Bild anwesend war. Krüger verweist in diesem Zusammenhang schlüssig auf den Inkarnationsbegriff des Paulus, wonach der Leib Christi ein Schleier ist, hinter dem sich seine göttliche Natur verbirgt und zugleich entbirgt.

Damit ist Krüger bei seinem Thema angekommen. Es geht insoweit um "eine Konzeption des Bildes als Membran zu einer imaginären und letztlich inkommensurablen Wirklichkeit, die von ihm verhüllt und zugleich enthüllt, verschleiert und zugleich offenbart wird. Indem das Gemälde nicht als transparente Projektionsfläche benutzt wird, sondern als ein Medium der Präsentation, hält es die ikonische Äquivalenz des Dargestellten immer zugleich als eine Funktion der Darstellung bewusst." (S.80)

Rahmen und Fenster

In der Durchführung seines thematischen Ansatzes verhandelt der Autor im wesentlichen Altbekanntes. Das gilt zunächst für den theoretischen Entwurf Leon Battista Albertis, der in seinem Traktat zur Malerei von 1435 das Bild als geöffnetes Fenster ("finestra aperta") versteht, hinter dem sich ein Bildraum öffnet, der dank der Zentralperspektive als fortlaufendes Kontinuum zum Betrachterraum gedacht werden kann. Die Bildoberfläche wird hier gleichsam als transparente Fläche gedacht. Alberti spricht von einem Schleier ("velo").

Krüger wendet sich im folgenden allerdings weniger den Realisierungen von Albertis Konzept durch seinen Freund Donatello zu. Auch lässt er – in zulässiger geographischer Begrenzung seines Themas – die zeitgleichen Bestrebungen in der altniederländischen Malerei außen vor. Sein Gewährsmann ist vielmehr Mantegna und dessen Thematisierung des Rahmens als Bildgrenze (S.60ff.). In der Berliner "Darbringung im Tempel" erscheinen die Figuren im Halbformat in einem gemalten Fensterrahmen, wobei das Kind und der Arm Mariens illusionistisch auf die Fensterbank gestützt werden. Für dieses gleichzeitige Aufrichten und Überschreiten der ästhetischen Grenze durch das Bild im Bild war Donatello mit seinem Relief der Pazzi-Madonna von 1420 (ebenfalls in Berlin) der Ideengeber. Recht gesucht wirkt in diesem Zusammenhang hingegen Mantegnas toter Christus in der Mailänder Brera, der dem Autor "zugleich nah und doch entrückt, wie greifbar und doch unbegreiflich erscheint" (S.83). Da hätte sich aus Mantegnas großem Altar für S. Zeno in Verona mehr entnehmen lassen.

Das Darstellungsmittel für die ästhetische Differenz ist die Augentäuschung, das illusionistische "Trompe l'oeil". Der gemalte Rahmen im Bild erhält seinen Verweisungscharakter dadurch, daß er sich als wirklicher Rahmen für das Bild präsentiert. Neben Mantegna verweist der Autor hierzu auf einige Werke der späteren Renaissance. So auf die Madonna eines ferrareser Meisters von 1480 (S.37), auf deren gemaltem Holzrahmen das Pergament abzublättern scheint. Oder auf das merkwürdige, aber aussagekräftige Bild von Battista Angolo del Moro von 1581 mit der Hl. Familie vor Verona (S.44), auf dem sich die Bildleinwand aufzurollen und dahinter dieselbe Landschaft freizugeben scheint, die auf der Leinwand gemalt ist.

Finestra coeli

Welches neue Deutungsmuster will Krüger nun hinter diesen Erscheinungen ausmachen, die die Kunst- und Geistesgeschichte längst in dem Entwicklungsstrang der Gewinnung einer naturalistischen Weltsicht in der Renaissance festgezurrt hat?

Für Krüger ist das Spiel mit der ästhetischen Bildgrenze die Darstellungsform des Göttlichen in einer entgöttlichten Welt. Der Rahmen als Fenster öffnet sich zwar in einen natürlichen Bildraum, die Thematisierung des Rahmens als Fenster ist jedoch Paradigma der Anwesenheit des Göttlichen im Bild. Die Idee vom Bild als Fenster zum Himmel zeigt sich nach Krüger weniger in bildlich dargestellten Fensterausblicken in den Himmel, als vielmehr im Verweisungscharakter des Bildes auf seine eigene Bildhaftigkeit. Der Autor führt aus,

dass sich hier das Bild als Membran zwischen Diesseits und Jenseits selbst thematisiert, im Sinne der Medialisierung einer unschaubaren Gegenwart des Heiligen und Göttlichen. Die ins Werk gesetzte Dissoziation von Bild und metabildlicher Erscheinung und damit ineins die Diskontinuität der Bildräume, ihrer Perspektiven und Größenmaßstäbe, hält dabei im Betrachter die Erfahrung bewusst, dass sich der Darstellungssinn erst in der Freisetzung seiner Imagination eigentlich erfüllt. (S.45)

Das letzte Zitat weist darauf hin, daß dieses Konzept der Darstellung des Göttlichen notwendig den Betrachter einbezieht. Eine Ikone enthält das realpräsente Heilige, ob sie nun betrachtet oder hinter einem Tuch verborgen wird. Die ästhetische Differenz hingegen, die das Bild in Darstellung und Dargestelltes zerlegt, funktioniert nur als Rezeptionsästhetik. Darauf will Krüger hinaus. Nach ihm ereignet sich in der italienischen Renaissance der Versuch, die

(...) Realpräsenz der himmlischen Personen nunmehr als deren Verlebendigung und Nahebringung im Medium des Fiktiven zu realisieren und die Enthüllung dabei als einen Akt der inneren Erleuchtung in den Betrachter selbst zu verlegen. (S.68).

Duchamp avant la lettre

Der Rezensent bekennt offen, dem Autor hier die Gefolgschaft zu verweigern. Unbestreitbar fordert der illusionistische Bildraum seit der Renaissance dazu heraus, mit der Bildgrenze zu spielen und sie ironisch zu brechen. Aber aus malerischen Virtuosenstücken wie scheinbar sich aufrollenden Leinwänden, abblätternden Pergamenten und aufgenagelten Signaturzetteln eine neue Darstellungsform des Göttlichen abzuleiten, ist schlichtweg überinterpretiert. Jedenfalls begeht der Autor einen fundamentalen Kategorienfehler, wenn er ästhetische Bildkonzepte unbesehen mit Problematisierungen des Transzendenzverhältnisses identifiziert. Es mag zutreffen, daß schon Boccaccio die intrinsische Paradoxie der Malerei seit Giotto kritisiert, räumliche Tiefe hinter einer planen Fläche vortäuschen zu wollen. Aber ist darum der frühneuzeitliche Bildraum bereits per se eine "Malerei des Unmalbaren" (S.123)?

Besonders ärgerlich ist es, daß Krüger erst am Schluß seines Buches ausspricht (S.280ff.), was man während der Lektüre von über 280 Textseiten mit wachsendem Unbehagen vermutet: Daß die Kunst der Renaissance als Initiator für eine Selbstreflexivität des Kunstwerks herhalten soll, die erst mit der Moderne, etwa bei Malewitsch oder Duchamp, zu sich selbst gekommen ist. Es ist das klassische Beispiel einer "Kunstgeschichte von hinten", die überall nur Vorläufer erblickt.

Wenig verwunderlich ist es da, wenn sich die Diktion des Autors in ihrer hochtrabenden, post-adornoischen Verklausuliertheit derjenigen von Katalogtexten zu Ausstellungen moderner Kunst angleicht. Was ist damit gewonnen, von dem "Projekt" zu sprechen, "die genuine Wirksamkeit bildlicher Repräsentation und zugleich die Bedeutsamkeit des Bildes als Bild in der künstlerischen Praxis zu begründen" (S.79)?

Das je in Szene gesetzte Verhältnis von Blick und Gegenblick, Zeigen und Bezeigtwerden, von Licht und Finsternis, Nähe und Ferne etc. bringt Regiemittel in einer Dramaturgie des Bildes hervor, die die Vermitteltheit des Dargestellten im Medium seiner Darstellung zu einem eigenen Diskurs erheben und diesen konsequent in die fiktionale Struktur des Bildes einschreiben. (S.120)

Das hätte sich auch anders sagen lassen.

II. Repräsentation im Konflikt

Der zweite Hauptteil des Buches (S.133–204) greift aus der vorangegangenen Diskussion der Thematisierung des Bildrahmens zwei Aspekte heraus: die Idee vom Bild im Bild und die Idee der theatralischen Inszenierung.

Bild im Bild

Es ist ein in der italienischen Renaissancekunst häufig anzutreffender Bildgegenstand, daß im Bildraum ein gemaltes Bild dargestellt wird (S.133 ff.). Aus der Fülle der Beispiele wählt Krüger Francesco Botticinis Sacra Conversazione von 1470 in der Londoner National Gallery aus, das vier Heilige zu Seiten eines lebensgroßen gerahmten Bildes zeigt, auf dem der Hl. Hieronymus sich im Gebet vor dem Kruzifix kasteit. Die Aussage scheint deutlich: Statt eines Kruzifix-Bildes, vor dem der Betrachter seine Andacht zeigen könnte, liefert Botticini das Bild eines Heiligen bei der Andacht vor dem Kruzifix.

Leider vermeidet es der Autor, das Thema vom Bild im Bild in den übergreifenden Entwicklungskontext einzubinden, in den es gehört. Statt dessen steuert er ohne Seitenblicke darauf zu, die Bild-im-Bild-Konzepte als Beleg für seine These von Selbstreflexivität der Renaissancekunst in Dienst zu nehmen. Eine angemessene Würdigung der Idee vom Bild im Bild kann jedoch kaum ohne eine Behandlung verwandter Formen wie der Lukas-Madonnen, der Darstellungen überirdischer Erscheinungen, der Abbildung von Kunstgegenständen auf Bildern und der im Andachtsbild präsenten Stifterfiguren auskommen.

Ein weiteres Beispiel für ein Bild im Bild, das Krüger behandelt, ist Rubens< Hochalter in der Chiesa Nuova in Rom von 1608 (S.144 ff.), das in zwei Fassungen überliefert ist. In dieser Kirche wurde ein wundertätiges Gnadenbild der Madonna aus dem späten Trecento verehrt, für das Rubens eine zeitgemäße Präsentationsform schaffen sollte. Auf der endgültigen Fassung sieht man eine von Rubens gemalte Barock-Version des alten Gnadenbildes, wie es von einem Kranz von Putten getragen zu einer Versammlung von Engeln und Heiligen herabschwebt. Die erste Fassung zeigte die Kopie des Gnadenbildes in einer Ädikula fest montiert über einem Torbogen, vor dem sich mehrere Heilige versammelt haben, die zu dem Gnadenbild aufblicken. Beidemale konnte die auf Kupfer gemalte Kopie des Gnadenbildes bei Bedarf hochgezogen werden, um das dahinterliegende echte Gnadenbild freizugeben. Krüger benennt zutreffend das Thema der zweiten Fassung des Bildes: Es ist eine Epiphanie der Madonna in Gestalt ihrer Ikone. Dagegen arbeitet er die thematische Besonderheit der ersten Fassung nicht genügend heraus: Die in einer Ädikula über einem Torbogen positionierte Ikone bezieht sich nachdrücklich auf die Herkunft des echten Gnadenbildes, das vor seiner Verbringung in die Chiesa Nuova an der der Kirche gegenüberliegenden Hausfassade angebracht war. Dies erschien den Auftraggebern wohl als ein zu prosaischer Bezug.

Das Bild im Bild ist eine augenfällige Thematisierung der Betrachterposition im Bild, und zwar insbesondere dann, wenn es wie bei Rubens in den Kontext der Revitalisierung der Ikone als Verehrungsgegenstand gesetzt wird. Hier zeigt sich die Spannung zwischen einem Bild, das nur Abbild sein will, und einer gemalten Umgebung, in der dieses Bild von gemalten Figuren betrachtet wird. Die Bedeutung dieser Bildkonzepte für die Entwicklung des abendländischen Kunstbildes ist vielfach gewürdigt worden, nicht zuletzt in Hans Beltings "Bild und Kult" (München: C.H. Beck 1990). Was Krüger dem kunstgeschichtlichen Forschungsstand in dieser Hinsicht hinzufügen wollte, hat sich dem Rezensenten nicht erschlossen.

Theatralische Inszenierung

Daß die Einbeziehung der Betrachterposition in die bildliche Darstellung auch dreidimensional erfolgen kann, hat unübertroffen Gianlorenzo Bernini in seiner Capella Fonseca von 1663–75 vorgeführt (S.142f.). Jeder Rombesucher kennt die Seitenkapelle in S. Lorenzo in Lucina, in der das große ovale Verkündigungsbild nach Guido Reni von stuckierten Engeln gehalten wird und zu dem der Stifter Gabriele Fonseca als plastische Medaillonfigur aus einer Brüstung an der Seitenwand der Kapelle ergriffen emporblickt. Hier ist die Bildbetrachtung in eine theatralische Szene gegossen.

Einen anderen Aspekt theatralischer Inszenierung beleuchtet Stefano Madernos Marmorskulptur der Hl. Caecilie von 1600 (S.197 ff.). Die Liegefigur der Heiligen befindet sich in einem längsrechteckigen Schaukasten unter dem Ciborium des Hochaltars in der gleichnamigen Kirche in Rom, also genau an der Stelle, an der 1599 angeblich die Gebeine der Heiligen wieder aufgefunden wurden, denen die Figur darüber hinaus in Haltung und Körpermaßen entspricht. Krüger reflektiert zutreffend darauf, daß Maderno keine Darstellung der Hl. Caecilie im Sinne einer Heiligen-Imago geschaffen hat, sondern eine illusionistische Substantialisierung ihrer Reliquie. Dies wird durch den engen Rahmen unterstrichen, der zugleich auf die Katakomben-Nische, die die Gebeine bargen, wie auf die zeittypischen Reliquienschreine verweist.

Die Beschreibung der Werke von Bernini, Maderno und Rubens in Krügers Buch ist in wohltuender Weise frei von der verstiegenen Theorielastigkeit des ersten Teils. Gleichwohl stellt sich die Frage nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisgehalt dieser Passagen. Krüger bietet so gut wie nichts, was man nicht auch aus einschlägigen Standardwerken oder der eigenen Anschauung gewinnen könnte. Seiner Auswahl der behandelten Gegenstände haftet daneben eine gewisse Wahllosigkeit und Beliebigkeit an. Krüger bringt weder eine Entwicklungsgeschichte der Idee vom Bild im Bild – dazu sind seine Beispiele zu lückenhaft –, noch führt er die ausgewählten Werke zu einer neuen Synthese oder zumindest erhellenden Querbezügen zusammen. Gänzlich unmotiviert ist seine Abschweifung zum Gero-Kreuz im Kölner Dom und zu einer Madonnenstatue im Bonner Rheinischen Landesmuseum, die zudem seine sonst peinlich durchgehaltene geographische Themeneingrenzung auf die italienische Kunst durchkreuzt.

III. Das Bild, un piacevole inganno

Der Eindruck, den das Buch im zweiten Hauptteil hinterließ, setzt sich im dritten (S.205–279) fort. Der Autor bietet einen nur lose zusammengehaltenen Streifzug durch die spätere Renaissancekunst, berührt hinlänglich bekannte Themenkomplexe lediglich am Rande und hinterlässt eine Ansammlung von Werkbeschreibungen, die als Stütze für seine Ausgangsthese dienen sollen.

Der schöne Schein

Daß das Bild eine reizende Täuschung ("piacevole inganno") ist, ist kein Spezifikum der religiösen Kunst. Die der Repräsentanz inhärente Dialektik von Abbild und Urbild findet sich ebenso bei weltlichen Portraits. Krüger wendet sich dem Problem des Betrachterbezugs bei Portraits in einer besonderen Spielart zu, indem er zunächst an die Idee vom Bild im Bild anknüpft (S.209 ff.). Hierzu bezieht er sich auf eine Reihe von Witwenportraits, die ein Bildnis ihre verstorbenen Gatten vorzeigen oder betrachten. Er geht davon weiter zu den venezianischen Kurtisanenportraits und dem weiblichen Idealportrait (S.214 ff.). Das Spannungsverhältnis zwischen idealer Schönheit und realer Verkörperung, das er in diesen Bildern ausmacht, ist allerdings ein wenig tragfähiges Beweisglied für das "Ineins von Darstellung und Dargestelltem, von Materie und transitivem Signifikat, ein genuines Medium der Repräsentation" (S.224). Es dürfte sich schwer entscheiden lassen, ob die Frauenportraits der Spätrenaissance, die zum Teil namentlich nicht identifizierbar sind, tatsächlich die himmlische Geliebte Petrarcas im irdischen Gewand darstellen oder einfach nur einem poetisch unterstützten Schönheitskanon gehorchen wollen.

Giovanni Bellinis Bild einer Frau bei der Toilette in Wien von 1515 (S.224 ff.), die der Autor in diesem Zusammenhang bespricht, kann zwar als Synthese dreier antiker Venustypen verstanden werden: der Venus pudica (mit Hand vor der Brust), der Venus anadyomene (mit dem Griff ins Haar) und der knidischen Venus (mit dem Tuch im Schoß). Diese ikonographische Spurensuche führt aber vom Repräsentanzproblem weg, mit dem Krüger dieses Kapitel begonnen hatte. Auch die weiteren Ausführungen zu diesem Bild, daß die Motive von Fenster und Spiegel eine Metapher des Sehsinnes sind und der Schminktopf auf die Tätigkeit des Malens verweist, bringen den Autor nicht auf den Pfad seiner Untersuchung zurück.

Ein wenig schließt sich der Kreis der Untersuchung, wenn der Autor am Ende zu Caravaggio kommt und seine Madonna die Pellegrino in S. Agostino in Rom von 1604 beschreibt (S.267ff.). Die Madonna zeigt sich auf diesem Bild mit dem Kind in einem Türrahmen einem abgerissenen alten Pilgerpaar, das vor der Schwelle kniet. Hier ist fast alles versammelt, was Krüger auf den vorangehenden Seiten beschäftigte: der im Bild gemalte Rahmen, die Idee vom Bild im Bild, die Darstellung der Betrachterposition im Bild (wobei Caravaggio ironisch das überkommene Stifterpaar durch ein Bettlerpaar mit schmutzigen Füßen ersetzt) und das Problem der Repräsentanz, genauer: die Darstellung der Madonna als Erscheinung und als reale Gestalt zugleich. Hier liegt sicherlich der Kern von Caravaggios Kunstidee, das heilige Geschehen als so gegenwärtig zu präsentieren, als würde es soeben wie auf einer Theaterbühne sich vor den Augen des Betrachters abspielen. Aber es zeigt sich ebenso die Krux von Interpretationsansätzen, wie sie Krüger verfolgt: die Frage, ob Caravaggio damit tatsächlich einen Reflexionsdiskurs über die Bildlichkeit von Bildern führen wollte, oder ob es nicht schlicht ein gegenreformatorischer Kunstgriff ist, die altbekannten Heilswahrheiten überraschend neu und suggestiv zu inszenieren.

Was bleibt?

Am Ende der Lektüre dieses Buches bleibt der Leser ratlos und unbefriedigt zurück. Das Vorhaben, an den Werken der Renaissance eine moderne Rezeptionsästhetik und die Selbstthematisierung des Bildes als Bild ausmachen zu wollen, scheitert nicht zuletzt daran, daß die These an den Kunstwerken selbst nicht anschaulich gemacht werden kann. Der Autor nimmt daher auch seine Zuflucht zu Belegen aus einer ausufernden Sekundärliteratur. Das Buch ist ein Beispiel für die Selbstreflexivität weniger von Renaissancebildern, als vielmehr des kunstgeschichtlichen Gelehrtendiskurses.

Das Buch kann sich nicht entscheiden, was es möchte. Berichte über Bilderverehrung in Italien kreuzen sich mit Schriftstellen aus Augustinus, Bernhard von Clairvaux und Seuse, dann wieder mit Bildbeschreibungen und rezeptionsästhetischen Betrachtungen. Das eine soll wohl das andere unterstützen oder belegen, ohne dass dies methodologisch einleuchtend präsentiert würde.

Ein entscheidendes Manko ist die Skrupellosigkeit, mit der der Autor jede Zweideutigkeit, jede Unentschiedenheit und jeden Schwebezustand in einem Kunstwerk als Beleg für seine These nimmt. Das ironische Spiel mit den künstlerischen Möglichkeiten der Illusion kann für ihn kein Selbstzweck sein, sondern muß im Dienste einer höheren Idee stehen.


Dr. Hans Michael Strepp, MA
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Ins Netz gestellt am 26.06.2002
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