Süßmann über Reitemeier: Deutsch-englische Literaturbeziehungen

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Johannes Süßmann

Walter Scott hatte Vorläufer
oder
Wann entstand der historische Roman?

  • Frauke Reitemeier: Deutsch-englische Literaturbeziehungen: Der historische Roman Sir Walter Scotts und seine deutschen Vorläufer (Beiträge zur englischen und amerikanischen Literatur 18) Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh 2001. 290 S. Kart. EUO (D) 46,40.
    ISBN 3-506-70829-5.


Der historische Roman beginnt mit Walter Scott – so empfanden Scotts begeisterte Leser, Kritiker, Nachahmer im 19. Jahrhundert; so dachten Louis Maigron und Georg Lukács, als sie diese Überzeugung in den Beton geschichtsphilosophischer Deutungen gossen; so steht es bis heute in den Nachschlagewerken. Da können Altphilologen noch so lange auf den Geschichtsbezug der homerischen Epen verweisen, auf Xenophon und Heliodor, können Mediävisten das Geschichtsverständnis mittelalterlicher Alexander-Romane analysieren oder Barock-Forscher die Geschichtslabyrinthe des höfischen Romans nachzeichnen, unbeirrbar halten die Handbuchschreiber der neueren Literaturwissenschaften am Bild von Scotts Erfindung des historischen Romans fest.

Von daher ist es verdienstvoll, daß Frauke Reitemeier in ihrer Göttinger Dissertation historische Romane vor dem historischen Roman Walter Scotts thematisiert. Ihre Untersuchung gilt den Geschichtsromanen des ausgehenden 18. Jahrhundert, die Scott kannte und schätzte, von denen er lernte, an denen er sich orientierte. Indem Reitemeier nachzuweisen sucht, daß der historische Roman Walter Scotts keine Schöpfung aus dem Nichts war, möchte sie den Blick der Forschung einmal mehr für die "vorangehende Entwicklungsgeschichte der Gattung" öffnen (S. 9).

Die Bedeutung der Genredefinition

Ein solches Unternehmen steht und fällt – wie Reitemeier in ihrer Einleitung bemerkt – mit der "zugrunde gelegte[n] Gattungsdefinition" (S. 11). Setzt diese Definition ein bestimmtes Vorverständnis des Genres absolut? Oder ist sie hinreichend offen, um auch andersartige Geschichtsromane als Ausformungen des gleichen Genres wahrnehmbar, sie in ihrer Besonderheit beschreibbar und literarhistorisch erklärbar zu machen? Nur so bekäme man ja beides in den Blick: die Einheit des Genres wie die Vielfalt seiner Ausdrucksformen.

Als historische Romane bezeichnet Reitemeier Werke, "deren Haupt- oder auch Nebenfiguren historisch verifizierbar sind, deren Handlung zum Teil oder auch vollständig auf Ereignissen beruht, die tatsächlich stattgefunden haben, oder in denen versucht wird, über die Einbettung der Figuren in einen detailliert beschriebenen sozialen und gesellschaftlichen Rahmen ein Bild der historischen Vergangenheit zu entwerfen" (S. 21). So selbstverständlich scheint Reitemeier diese Definition, so sehr dem Hauptstrom der Forschung entsprechend, daß sie sie nicht weiter begründet; mögliche Alternativen werden von ihr weder angeführt noch diskutiert. Dabei enthält diese Definition zwei folgenschwere Verkürzungen.

Worauf verweisen eigentlich Geschichtsromane?

Geschichtsromane beziehen sich auf Geschichte, soviel scheint klar. Woraus aber besteht die Geschichte, auf die sie sich beziehen?

Reitemeier identifiziert diesen Bezugspunkt mit dem historisch Verifizierbaren, dem Tatsächlichen. Gemeint ist wohl das wirklich >Geschehene<: die res facta im Gegensatz zu den res ficta, dem Erfundenen oder Imaginierten. Doch was gilt für wirklich geschehen? Die Sintflut wurde jahrhundertelang ebenso als Faktum angesehen wie die Gründung Roms. Mehr noch: Auch die Art, wie ein Geschehen als wirklich beglaubigt wird, ändert sich. Fakten können von Gott offenbart oder durch Autoritäten verbürgt werden – daß sie historisch-kritisch zu verifizieren sind, ist eine verhältnismäßig junge Auffassung. Entstehen konnte sie erst, als Geschichte von Gelehrten betrieben wurde und Kritik als Faktensammlung; nicht zufällig verbreitete sie sich im 18. Jahrhundert mit der Aufklärungshistorie. Die historistische Geschichtswissenschaft hat gegen diese Vorstellung angekämpft: Daß Geschichte nicht mit dem Geschehenen identisch ist, bildet den Ausgangspunkt von Droysens "Historik". Beides gleichzusetzen, zeugt von einem Faktenglauben, der für gewiß ausgibt, was doch lückenhaft und schwankend ist. Geht nicht gerade von der Unverifizierbarkeit vieles Geschehenen und den Lücken in dem, was wir darüber zu wissen glauben, der stärkste Impuls für den Geschichtsroman aus?

Die zweite Verkürzung steckt in der Feststellung, Geschichtsromane bezögen sich auf die Geschichte, um "ein Bild der historischen Vergangenheit zu entwerfen" (S. 21). Das ist eine gravierende Einschränkung. Wie verhält es sich dann mit Romanen, die aus anderen Gründen die Geschichte bemühen? Die sie als Beglaubigung heranziehen für moralische Exempla, Heilstaten, außerordentliche Begebenheiten, phantastische Abenteuer? Die sie als Zuflucht auffassen vor der eigenen Zeit, als heroisches Gegenbild, monumentale Mahnung? Die sie als Möglichkeitsraum verstehen für Heldentaten, sexuelle Ausschweifungen oder Verbrechen, die in der eigenen Gegenwart unmöglich sind? Sollen solche Romane per definitionem aus dem Begriff des historischen Romans ausgeschlossen werden?

Reitemeier zieht diese Konsequenz in der Tat. Den "Großteil der um 1800 besonders populären" Geschichtsromane läßt sie beiseite (S. 21), auch Wielands "Agathon" findet vor ihrer Definition keine Gnade. Stattdessen wählt sie sechsunddreißig deutsche und fünfunddreißig englische Romane aus, die der älteren Forschung zufolge "ein Bild der historischen Vergangenheit" entwerfen (S. 21): Texte von August Gottlieb Meißner und Ignaz Aurel Feßler, von Benedikte Naubert und Leonhard Wächter, von Jane Porter und James White, Joseph Strutt, John Agg und anderen.

Trotz der strengen Vorauswahl wollen die untersuchten Geschichtsromane Reitemeiers Kriterien einfach nicht genügen. "Ein Vergleich der Romananalysen ergibt [...]", zieht sie nach hundertvierzig Seiten Bilanz, "daß keiner der Romane eindeutig und ausschließlich darauf abzielt, durch Unterhaltung Geschichte zu vermitteln. [...] Die meisten Romane sind vorwiegend Abenteuer- oder Liebesromane, deren Handlung und Hauptfiguren kaum historisch verifiziert werden können; mit der Faktentreue nehmen es nur sehr wenige Erzähler genau, und auch die historischen Persönlichkeiten sind häufig eher Figurenhomonyme, die mit ihren Vorbildern kaum mehr als den Namen gemein haben" (S. 145).

Ein interessanter Befund. Man könnte daraus schließen, daß mit der Erwartungshaltung etwas nicht stimmt, der Genredefinition, der älteren Forschung; Reitemeier kreidet ihn den Romanen als Mangel an. "Auch hier wird die Geschichte also nicht umfassend dargestellt [...]" (S. 38), "[...] das mittelalterliche Denken wird dem Leser dabei nicht deutlich" (S. 50), "die Einbettung der Figuren in ein entsprechendes historisches Umfeld ist in allen Romanen kaum vorhanden" (S. 51) – stereotyp laufen ihre Untersuchungen auf solche Fehlanzeigen hinaus; positive Charakterisierungen der Romane sind mit den gewählten Kriterien offenkundig nicht möglich.

Das macht deutlich: Reitemeirs Definition ist nicht offen, neutral, deskriptiv. Sie ist zugeschnitten auf ein bestimmtes Modell des historischen Romans, sie erhebt dieses Modell zur Norm. Historische Romane, wie Reitemeier sie versteht, sollen der "Geschichte eine eigenständige Bedeutung" einräumen (S. 146), sollen "Geschichte auch um ihrer selbst willen" darstellen (S. 145). Das entspricht Formulierungen, mit denen die ältere Forschung die historischen Romane Walter Scotts beschrieben hat.

Was die definitorischen Verkürzungen bereits vermuten ließen, bestätigt der Fortgang der Studie: Einmal mehr ist es ein bestimmtes Verständnis der Schottland-Romane Walter Scotts, das hier zur Meßlatte aller Geschichtsromane erklärt wird (S. 210), einmal mehr kommen dadurch die Romane des 18. Jahrhunderts nur als "Vorläufer" (Buchtitel) oder "Vorläuferromane" (S. 20, 251, 252) in den Blick: nicht als gleichwertiges Gegenmodell, dessen Eigentümlichkeiten freizulegen sind, sondern als unzureichende Vorbereitung. Ihre eigenen Untersuchungskriterien übernimmt Reitemeier von jener älteren Forschung, die zu überwinden sie angetreten ist.

Der Wandel des Geschichtsdenkens um 1800

Ein einziger Blick über die Romanentwicklung hinaus in die allgemeine Geschichte hätte Reitemeier vor solch einer teleologischen Konstruktion bewahren können. Wenn es zutrifft, daß Geschichtsromane sich nicht auf das wirklich Geschehene beziehen, sondern auf das, was Autoren und Adressaten dafür halten, dann ist auch klar: Dieses Dafürhalten kann sich wandeln.

Vielleicht hat es sich niemals grundstürzender gewandelt als in den Jahrzehnten um 1800, die Reitemeier thematisiert. Schließlich sind das die Jahrzehnte der "Verzeitlichung" (R. Koselleck), der "Historisierung" (E. Troeltsch): einer politischen, gesellschaftlichen, mentalen Umbruchserfahrung, die durch die Revolutionskriege ganz Europa ergriff. Kann es da erstaunen, daß Walter Scott um 1820 eine andere Vorstellung hatte von Geschichte, vom Geschehenen, von der Art, wie man es beglaubigt, als die Romanautoren um 1780? Von Reitemeier wird diese Umbruchserfahrung mit keinem Wort erwähnt. Dabei lassen sich mit ihr und der durch sie bedingten Veränderung des Geschichtsdenkens alle Merkmale erklären, die die Geschichtsromane der Aufklärung, der Empfindsamkeit, des Sturm und Drang von denen der Restaurationszeit und des Historismus unterscheiden.

Und das Romanhafte an den Geschichtsromanen?

Zum Historischen am historischen Roman äußert sich Reitemeier in ihrer Definition, zum Romanhaften schweigt sie sich aus. Eine literaturtheoretische Bestimmung ihres Gegenstands fehlt. Offenbar macht es für sie keinen Unterschied, ob es ein Roman ist oder ein Sachtext, der sich auf die Geschichte bezieht – an beide richtet sie die gleiche Forderung nach historischer Korrektheit. "Der historische Ort, die Wiener Burg, wird also eingeführt, aber nicht wahrheitsgemäß beschrieben [...]" (S. 67). "Dabei merkt der Leser nicht einmal [...], daß diese Figuren nicht wirklich mittelalterliche Charaktere darstellen" (S. 80). "Hier [...] liegt eine Art Figurenhomonym vor, eine Person, die mit der historischen Figur nur den Namen und die ungefähre Zeit, aber weder die Erlebnisse noch den Charakter gemein hat [...]" (S. 93).

Nur als Fehlanzeige kann Reitemeier konstatieren, was doch ein entscheidender Hinweis ist: auf die Autonomie der Fiktionalität nämlich. Auch wo Geschichtsromane etwa durch Eigennamen einen Bezug herstellen zu historischen Orten oder Personen, übernehmen sie – das stellt Reitemeier fest – nicht zugleich die Verpflichtung zu historischer Korrektheit. Die Frage ist, woran das liegt. Handelt es sich um ein Versagen? Um frivole Fahrlässigkeit der Romanautoren? Oder ergibt es sich nicht aus dem fiktionalen Charakter der Texte?

Gängigen Literaturtheorien zufolge wirkt Fiktionalität wie ein Rahmen: Sie löst den Roman als ästhetisches Gebilde aus der Alltagswelt heraus, sie entbindet ihn von pragmatischen Verpflichtungen – auch von der auf Korrektheit. Durch das System von Autoreferenzen, aus dem Fiktionalität besteht, durchkreuzt sie alle historischen und geographischen Referenzen, hebt sie sie in sich auf. Das bedeutet: In fiktionalen Texten ist der Geschichtsbezug ästhetischer Schein.

Oder anders formuliert: In Wirklichkeit beziehen Geschichtsromane sich nicht auf Geschichte. In Wirklichkeit beziehen sie sich auf gar nichts außerhalb von sich selbst. Vielmehr bringen sie eine Illusion von Geschichte hervor. Nicht ein Abbild schaffen sie von dem, was ihre Adressaten für das tatsächliche Geschehen halten, stattdessen verwenden sie die Bezüge darauf als Mittel, um einen autonomen Bildraum zu schaffen, in dem sie über den Schein des Historischen frei verfügen. Und das gilt, weil sie fiktional sind, prinzipiell für alle Geschichtsromane, auch für die, in denen alle historischen Angaben korrekt sind, in denen alle Geschichtsbezüge stimmen.

Um diesen Schein des Historischen zu erzeugen, besitzen Romanautoren zahlreiche Mittel. Sie können Eigennamen verwenden von Personen, Orten, Ereignissen, die als historische bekannt sind oder so klingen, als wären sie historisch. Sie können bekannte Begebenheiten erzählen oder solche, die historisch möglich erscheinen. Sie können ihrer Erzählinstanz oder den Romanfiguren eine Sprache in den Mund legen, die auf bestimmte Milieus, Landschaften, Geschichtsepochen verweist. Sie können Einzelheiten schildern der Schauplätze, Landschaften, Orte, Kleidung, Behausung, Situationen, die historisch indiziert sind. Sie können einen Quellenbezug fingieren auf alte Handschriften, geheime Papiere, kostbare Gegenstände. Sie können eine Herausgeberfigur einführen, die über die vermeintlichen Quellen berichtet. Sie können den gelehrten Apparat historiographischer Texte imitieren, Vorreden, Fußnoten, Anhänge in ihre Romane einfügen – kurzum, den Autoren von Geschichtsromanen steht eine machtvolle Illusionsapparatur zur Verfügung. Entscheidend ist, daß man sie als eine solche begreift.

Nur wenn klar ist, daß mit diesen Mitteln ein Schein des Historischen geschaffen wird, über den die Autoren frei verfügen, öffnet sich die viel interessantere Anschlußfrage, was sie damit jeweils anfangen. Wie funktioniert und wozu dient der Schein des Historischen im konkreten Einzelfall? Erst mit dieser Frage kommt der Geschichtsroman als eigenständiges ästhetisches Gebilde in den Blick.

Auch Reitemeier fragt bei ihren Untersuchungen nach der Auswahl der Figuren, der geschilderten Handlung, der Erzählerfigur, der Welt der erzählten Einzelheiten. Aber sie fragt danach nicht als nach literarischen Mitteln, sondern als Ausgangspunkten für einen verbindlichen Geschichtsbezug. Deshalb unterteilt sie die von ihr untersuchten Romane in solche "mit historischen Hauptfiguren" und solche mit "fiktiven Hauptfiguren" (S. 22 f.) (als wären Romanfiguren nicht alle gleich fiktional); deshalb bildet sie "unter dem Aspekt der erzählerischen Vorgehensweise" Gruppen von "stark historischen" und "schwach historischen" Romanen (S. 132); deshalb gelangt sie im Ergebnis zu fünf verschiedenen "Romanmodellen", drei deutschen und zwei englischen, die sich eben nach dem Kriterium der historischen Korrektheit unterscheiden.

Diese fünf "Modelle der Vorgängerromane" vergleicht sie mit drei, nach dem gleichen Kriterium gebildeten Modellen von Romanen Walter Scotts. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß Scotts Schottland-Romane, die "am stärksten auf eine wirklichkeitsnahe Darstellung der historischen Ereignisse und der historischen Welt ausgerichtet" seien (S. 210), eine große Verwandtschaft aufweisen: nicht mit englischen "Vorläuferromanen", sondern mit den Geschichtsromanen der deutschen Schriftstellerin Benedikte Naubert. Ihre Werke habe Scott gekannt und geschätzt, aus ihren Romanen habe er Anregungen erfahren, die seinen eigenen historischen Romanen zugute gekommen seien (S. 251 f.).

Reitemeier und die ältere Scott-Literatur

Von einer Dissertation darf man verlangen, daß die Forschung über die Kernfragen darin vollständig aufgearbeitet ist, auch, daß die Untersuchung zumindest in einem Punkt über diesen alten Forschungsstand hinausgelangt. Deshalb erstaunt es schon, daß Reitemeier ein für ihr Thema so wichtiges Arbeitsinstrument wie den Forschungsbericht von Kurt Gamerschlag nicht verwendet; 1 daß sie von den Untersuchungen über Scotts Romanmodelle ausgerechnet die Aufsätze von Wolfgang Iser und Erwin Wolff nicht rezipiert, die die ästhetische Autonomie dieser Geschichtsfiktionen betonen; 2 daß sie mehrere Studien über die Frage von Scotts Deutschkenntnissen und Romanlektüre nicht nennt, in denen ihre eigenen Ergebnisse vorweggenommen sind. 3

Richtig ärgerlich wird dieser nachlässige Umgang mit den eigenen "Vorläufern" aber, wenn man Reitemeiers Dissertation mit der Habilitationsschrift von Kurt Schreinert vergleicht: 4 Punkt für Punkt, Argument für Argument sind Reitemeiers Ergebnisse dort bereits zu finden. Daß Walter Scott das Modell seiner historischen Romane bei Benedikte Naubert vorgebildet fand, daß eigentlich Naubert als Erfinderin des klassischen historischen Romans zu gelten hat, ist die zentrale These, die Schreinert 1941 entwickelte. Nun ist es nicht so, daß Reitemeier Schreinert nicht nennt; auch wenn sie in der "Schlußbemerkung" ihr Ergebnis expliziert, verweist sie (allerdings ohne Schreinert beim Namen zu nennen) auf sein Buch (S. 251, Anm. 6). Aber sie verweist darauf lediglich als Ursprung des Begriffs "Zwei-Schichten-Roman" – Schreinerts entscheidende These erwähnt sie nicht. Wer Schreinerts Buch nicht kennt, hat keine Möglichkeit Reitemeiers Anschluß daran wahrzunehmen.

Schreinerts Buch war eine große Pionierleistung. Ganz aus den Quellen geschöpft, von umfassender literarischer und historischer Bildung, aufgeschlossen, unvoreingenommen, unbeeindruckt von tradierten Forschungsmeinungen, glänzend geschrieben, hat es die Forschung zum historischen Roman auf eine neue Grundlage gestellt. Geistreich führt Schreinert einzelne Merkmale und Motive von Nauberts Geschichtsromanen (wie die Femegerichte und Geheimgesellschaften) auf das Geschichtsdenken der Spätaufklärung zurück (auf die pragmatische Geschichtsauffassung, nach der das äußerlich sichtbare Geschehen seine verborgenen Ursachen in einer zweiten, verborgenen Geschichte hat) – solche Gedanken machen Schreinerts Buch zu einer Fundgrube für Hinweise und Anregungen. Wer in Zukunft über den Geschichtsroman des 18. Jahrhunderts arbeitet, sollte zu diesem Buch greifen.


Dr. Johannes Süßmann
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt / M.
Historisches Seminar
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D-60629 Frankfurt am Main
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Ins Netz gestellt am 30.03.2003
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Anmerkungen

1 Kurt Gamerschlag: Sir Walter Scott und die Waverley-Novels. Eine Übersicht über den Gang der Scott-Forschung von den Anfängen bis heute. Darmstadt 1978.   zurück

2 Wolfgang Iser: Möglichkeiten der Illusion im historischen Roman (Sir Walter Scotts Waverley). In: Hans Robert Jauß (Hg.): Nachahmung und Illusion. Kolloquium Gießen Juni 1963. Vorlagen und Verhandlungen (Poetik und Hermeneutik 1) München 1964, S. 135–156, 228–236; Erwin Wolff: Sir Walter Scott und Dr. Dryasdust. Zum Problem der Entstehung des historischen Romans im 19. Jahrhundert. In: Wolfgang Iser / Fritz Schalk (Hg.): Dargestellte Geschichte in der europäischen Literatur des 19. Jahrhunderts (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 7) Frankfurt / M. 1970, S. 15–37.   zurück

3 Friedrich Sommerkamp: Walter Scotts englische und deutsche Belesenheit. Berlin 1924; J. Koch: Sir Walter Scotts Beziehungen zu Deutschland. In: Germanisch Romanische Monatsschrift 15 (1927), S. 36–46 und 117–141; W. Thomas: Walter Scott et la littérature allemande. In: Mélanges Lichtenberger. Paris 1934, S. 205–213.   zurück

4 Kurt Schreinert: Benedikte Naubert. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des historischen Romans in Deutschland (Germanistische Studien 230). Berlin 1941. Nachdruck Nendeln / Liechtenstein 1969.   zurück