Ulrich über Fröhlich: Literarische Strategien der Entsubjektivierung

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Carmen Ulrich

Die Suche nach dem verlorenen Subjekt

  • Monika Fröhlich: Literarische Strategien der Entsubjektivierung. Das Verschwinden des Subjekts als Provokation des Lesers in Christoph Ransmayrs Erzählwerk. Würzburg: Ergon 2001. 201 S. Kart. € 26,-.
    ISBN 3-935556-87-X.

Ausgangspunkt

"Die Suche nach Dichter und Buch wird unwissentlich zur Suche nach sich selbst, denn auch Cotta ist ein Teil des Buches, das er sucht", schreibt Monika Fröhlich über Christoph Ransmayrs Roman "Die letzte Welt" (S. 61). Die Autorin folgt in ihrer Monographie "Literarische Strategien der Entsubjektivierung" den labyrinthartigen Wegen der Protagonisten in Ransmayrs Romanen und gelangt auf diesem Weg mit hinein in die Struktur der Texte, in die seine verirrten Helden unterwegs sind.

Im Zentrum ihrer Analyse der literarischen Inszenierung der Krise des Subjekts steht die Frage nach der Funktion des Verschwindens der Protagonisten und dessen rezeptionsästhetischen Konsequenzen für den Leser. Das Motiv des verschwindenden Helden steht Fröhlich zufolge im Dienst eines "aufklärungs-, vernunft- und erkenntniskritischen Programms" (S. 47), das als Ausdruck einer umfassenden Kulturkritik gelesen werden kann.

Die Verfasserin vermutet einen Zusammenhang zwischen dem poststrukturalistischen Diskurs über das >Verschwinden des Subjekts< und dem Verschwinden von literarischen Figuren. Um diese These zu untermauern, stellt Fröhlich ihre Motivanalyse in überzeugender Weise in den Kontext der Gegenwartsliteratur und führt Beispiele aus Texten von Thomas Bernhard, Wolfgang Hildesheimer, Max Frisch u. a. an, um auf einen Funktionswandel in der Literatur seit den 80er Jahren aufmerksam zu machen: Während das Verschwinden in den Texten der 60er und 70er Jahre den Endpunkt eines allmählichen Dissoziationsprozesses des Subjekts bildete, wird es in jüngeren Texten zum Ausgangspunkt einer Suche und Rekonstruktion oder sogar zum (fiktiven) Erzählanlass (S. 19, 29).

Gliederung

Interessant und ergiebig für eine textgerechte Analyse erscheint die Aufteilung der Kapitel nach werkimmanenten (Kapitel I) und textübergreifenden Themen (Kapitel II, III und IV).

Im ersten Kapitel "Der verschwindende Held" wird die spezifische Struktur des Motivs vom flüchtigen Protagonisten in den einzelnen Romanen – nach ihrer chronologischen Reihenfolge – untersucht, um die jeweiligen Umständen des Verschwindens, sowie mögliche Entwicklungen im Gesamtwerk Ransmayrs aufzuzeigen.

Ausgehend von der Definition des literarischen Subjekts als einer selbstbewussten, kommunikationsfähigen und sozial interaktiven Figur (S. 89), werden im zweiten Kapitel "Von Abwesenden, Sprachlosen und Verletzten" Strategien der Entsubjektivierung anhand der Figurensprache und der Darstellung des Bewusstseins sichtbar gemacht.

Das dritte Kapitel "Autonomisierung und Subjektivierung der Natur" konzentriert sich auf die Darstellung der Natur und Topographie in Ransmayrs Œuvre. Entscheidend ist hierbei die Frage nach dem Verhältnis von Subjektivität und Objektwelt.

Während die ersten drei Kapitel die textanalytisch zu erschließenden literarischen Strategien der Entsubjektivierung fokussieren, widmet sich die Autorin im vierten Teil der Untersuchung "Das Subjekt als Leerstelle" rezeptionsästhetischen Fragestellungen. Die im Text vorhandenen Leerstellen des Subjekts werden als Offerte gelesen, die Lücken mit eigenen Imaginationen zu kompensieren (S. 145).

Wanderungen im Ich

Der Interpretation wird ein Subjektbegriff zugrundegelegt, der auf einer Differenzerfahrung beruht, in der sich das Ich in Abgrenzung zur Welt konstituiert. Fröhlich unterscheidet zwei Zielrichtungen in der Auseinandersetzung um das Subjekt: Während die Vertreter der einen Gruppe am Subjekt "als selbstbewusstes Wesen, das sich in ein Verhältnis zur Objektwelt setzt", festhalten, erproben Vertreter der anderen Gruppe eine ideologiekritische Auflösung des Subjekts und der gesellschaftlichen Ordnungen (S. 15 f.).

Obwohl hierbei der Versuch einer kurzen Skizzierung der neueren Philosophiegeschichte unternommen wird, 1 scheint der kulturphilosophische Diskurs für die Literatur – dank des >Vitalitätsbonus<, den Fröhlich ihr erteilt – nur am Rande Bedeutung zu haben:

Literarische Subjekte sind keine abstrakt-philosophischen Kategorien, sondern konkrete, literarisch konstruierte Einzelwesen, die in einem lebensweltlichen sozialen Kontext durch Körperlichkeit, Geschichtlichkeit und Sprachlichkeit bestimmt sind. (S. 19)

In dem Roman "Strahlender Untergang" koppelt Fröhlich das Verschwinden des Subjekts mit der Möglichkeit einer Identitätsfindung und belegt diese mit einem Zitat, in dem der Sprecher in drei Sätzen siebenmal "Ich" sagt:

Jetzt bin ich die hypertone Dehydratation, ich bin der Anstieg des Hämatokrits, ich bin die Verkleinerung des Volumens aller Zellen, die Verringerung der Sauerstofftransportkapazität, die Konzentration der Natriumlösungen und des Chlorids, ich bin die rasend gesteigerte Herzfrequenz, die Weitstellung aller Gefäße, die Eindickung des Bluts und die osmotische Konzentrationsverschiedenheit im Gehirn. Ich bin der Zusammenbruch der Thermoregulation, ich bin der allesumfassende Verlust. Ich konzentriere mich in allem und werde weniger. 2 (Hervorheb. MF)

Es wird nicht klar, mit welchem Begriff von Identität Fröhlich hier argumentiert, wenn sie einerseits einer aufklärungskritischen Lesart folgt und andererseits dem Subjekt, gemäß den Postulaten der Aufklärung, Selbstbewusstsein und Selbstreflexion bescheinigt, obwohl das sprechende "Ich" seine Personalität verliert und sich im grenzenlosen Raum verflüssigt (S. 47 ff.).

Im zweiten Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" deutet Fröhlich das Bild von Mazzinis >Ankommen< im >ewigen Eis< als "Identifikationsgleichnis" für eine zuverlässige Selbst-Verortung in der erfundenen Wirklichkeit. Begriffe des Ankommens und des Verschwinden bezeichnen hier den gleichen Ort, sodass sich die Frage stellt, von welcher Position aus die Autorin selbst argumentiert (S. 55). Verwirrend ist außerdem, dass der Protagonist Mazzini einerseits von der "Sehnsucht nach den Grenzen des eigenen Selbst" geleitet sei und andererseits einer "romantisch verklärte[n] Vorstellung vom Eis" anhängen soll, "in deren endloser Weite man die Begrenztheit des irdischen Daseins wenigstens kurzfristig aufgeben kann" (S. 58).

Begriffe wie Entgrenzung und Begrenzung vermischen sich. Während zu Beginn des Romans die weiße Einöde der Arktis als "Metapher für das zu beschreibende Blatt Papier" (S. 54) und in dem Sinne als Imaginationsraum gedeutet wird, in dem alles möglich ist, sollen im Schlussteil die leeren Tagebuchseiten des Polarfahrers das Erreichen seines Ziels und die damit einhergehende Obsoleszenz seiner Phantasie bezeugen (S. 55).

Die Funktion des Erzählens liegt für Fröhlich darin, die Leerstellen zu füllen, die der Verschwundene hinterlassen hat. Das Bekenntnis des Erzählers "Ich werde nichts beenden und nichts werde ich aus der Welt schaffen" 3 deutet Fröhlich als das Eingeständnis eines gescheiterten Erzählverfahrens – die etablierten Erzählstrukturen werden als nicht mehr ausreichend erkannt (S. 53).

Der Satz kann aber auch anders gelesen werden, nämlich in dem Sinne, dass der Erzähler den Tod seines Protagonisten nicht bestätigen kann, weil dieser keinen "greifbaren Rest" hinterlässt, den "man verbrennen, versenken oder verscharren kann" und auch die Geschichte, "die man sich nach seinem Verschwinden über ihn zu erzählen beginnt" ihn nicht endgültig aus der Welt schaffen kann, da der Ort, an dem er Zuflucht gefunden hat, nur die Grenzen des Mitteilbaren markiert. 4

Der dritte Roman "Die letzte Welt" wird semiotisch interpretiert, indem der Handlungsstrang als Bestandteil der Textstruktur gelesen wird (vgl. S. 61). Das Bewusstsein des wahrnehmenden Subjekts geht in den Gegenstand seiner Betrachtung ein und in ihm auf. (S. 79) Fröhlich stellt einen Bezug zu Derrida her, indem sie die Identitätsfindung des Protagonisten in Kongruenz setzt mit der "Identität von Signifikant und Signifikat" (S. 63).

Das Problem ist hierbei der Begriff der Identität, der zu sehr an eine essentielle Substanz erinnert, die Derrida ja gerade dekonstruieren will. Ihm geht es um das freie Spiel der Signifikanten, das nicht durch transzendentale Signifikate in Form von Subjekt, Objekt, Materie oder Wahrheit eingeschränkt wird. Zudem wendet sich die Dekonstruktion gegen Erzählungen im Telos, d. h. gegen letzte Zufluchtsorte.

Fröhlich zieht Begriffe der Dekonstruktion heran, ohne ihre Radikalität zu teilen. Das Echo, das den Ruf des eigenen Namens nur wiederholt und auf das Cotta mit einem "hier!" antwortet, steht gerade nicht im Zeichen einer "Identitätsfindung", wie Fröhlich behauptet, sondern konterkariert diese als Täuschung. Der Held Cotta kann nicht zu sich selbst finden, schon gar nicht im "Zustand der Auflösung" (S. 67), da er – dekonstruktivistisch gesprochen – kein Selbst, d. h. keine Substanz besitzt, das entdeckt oder durch einen "Aufbruch zum Ursprung" (S. 63) freigelegt werden könnte.

Die Spannung, die sich daraus für die Protagonisten ergibt, versucht Fröhlich zu glätten, indem sie ein "harmonisches Bild der Versöhnung" von Mensch und Natur zeichnet, wobei nicht klar wird, ob Ransmayr nun eher zu einer "Anthropomorphisierung der Landschaft" tendiert oder zu einer Befreiung der Welt vom Menschen (S. 64). Wenn der Mensch verschwindet und von der Natur sozusagen verschluckt wird, ist dies kein Zeichen einer Versöhnung zwischen Mensch und Natur, sondern Zeichen einer Auflösung, die keine Grundlage bietet für die Bildung einer Identität.

Die vierte Interpretation von "Morbus Kitahara", in der Tod und Sterben als Befreiung von Geschichte und als Möglichkeit einer "Art Identitätsfindung" gelesen wird, lädt zu einer ähnlichen Argumentation ein (S. 71).

Der Spur des verschwundenen Subjekts folgend, skizziert Fröhlich eine Entwicklung in Ransmayrs literarischem Werk: Sie beginnt mit der Aufklärungskritik in den Romanen "Strahlender Untergang" und "Die Schrecken des Eises und der Finsternis", setzt sich fort in der Vernunft- und Totalitarismuskritik in der "Letzten Welt" und endet mit der Bewusstseins- bzw. Erkenntniskritik in "Morbus Kitahara" (S. 87).

Den Themenschwerpunkten entsprechend ändert sich auch die Stimmung der Texte. Der ironisch-kulturkritische Ton, mit der das wissenschaftliche Projekt im "Strahlenden Untergang" literarisiert wird, weicht in "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" der romantisch-melancholischen Darstellung einer Grenzerfahrung. In der "Letzten Welt" überwiegt für Fröhlich eher das Heitere und Sublime, ganz im Gegensatz zu der düsteren und resignativen Stimmung, mit der Tod und Untergang in "Morbus Kitahara" dargestellt werden. Allen Texten gemeinsam ist die strukturelle und semantische Gestaltung des Verschwindens einer Person, nämlich als ein Ende der Erzählung, das von Anfang an bekannt ist und dadurch den Blick auf die Umstände und Bedingungen des Verschwindens lenkt (S. 86).

Den Einzelinterpretationen schließt sich ein Exkurs über die aufklärungskritische Funktion des Motivkomplexes von Licht und Sehen an. Anhand der in allen Texten Ransmayrs vorherrschenden Bewusstseinsmetaphern visueller Wahrnehmung stellt die Autorin eine Verschiebung innerhalb der Subjekt-Kritik fest: Während in den ersten drei Romanen die Gewinnung von Identität an die Befreiung vom Aufklärungsdenken gebunden ist, werden in "Morbus Kitahara" die Möglichkeiten und Grenzen der Bewusstseins- bzw. Erkenntnisleistungen des Einzelnen problematisiert (S. 85).

Fröhlich erklärt die Preisgabe des Subjekts zur Bedingung der Möglichkeit von Identität und zugleich individuelles Selbstbewusstsein als den höchsten Grad der Subjektivität – Identität wird als ein Bewusstsein seiner selbst definiert (S. 88). Die Textbeispiele hingegen illustrieren das Selbstbewusstsein der Figuren als ein zunehmendes Hineinversinken in die eigene Gedanken- und Gefühlswelt. Da die Außenwelt für die Protagonisten immer mehr an Bedeutung verliert, kann sich im poststrukturalistischen Sinne im Grunde kein Begriff von Identität formieren, da dieser komplementär zum Begriff der Differenz gedacht wird. Laut Foucault, auf den Fröhlich mehrmals rekurriert, werden Identitäten fortwährend hergestellt, aufgelöst, bemächtigt oder entmächtigt. 5

Dissoziationen in Innen- und Außenwelten

Fröhlich verweist im zweiten Kapitel ihrer Analyse auf eine Tendenz zur Entsubjektivierung, die vor allem in Ransmayrs Strategien der Figurencharakterisierung, dem häufigen Perspektivwechsel und dem Verzicht auf innere Monologe zutage tritt (S. 91, 94). Die Mischform der erlebten Rede, in der man wenig über die psychische Disposition der Charaktere erfährt, deutet die Verfasserin als Zeichen einer Verwirrung und Unsicherheit, durch die die Protagonisten "zweifelhaft" erscheinen (S. 96 ff.). Sie treten als Einzelne gegenüber einem abstrakten und gesichtslosen Kollektiv auf (101 f.) und gewinnen dennoch keine überzeugende Identität, da ihre Kommunikationsfähigkeit – wie an einigen Textstellen belegt wird – sehr begrenzt ist (102 ff.).

Interessant ist hierbei besonders die Stelle, in der Fröhlich dem >Schrei< ein Potential der Selbstbehauptung zuschreibt (S. 111 f.). Offen bleibt allerdings, ob diese Form der Artikulation auf Beziehung hin angelegt ist oder nicht: Einerseits wird das Schreien als "Sprachersatz" in der Einsamkeit gedeutet (S. 112), andererseits soll es ausgelöst werden durch die Liebe, die Fröhlich als "Bedingung der Möglichkeit von Subjektivität" bestimmt (S. 113).

Im weiteren wird der Zusammenhang von Körperkonzepten und Identitätsvorstellungen erörtert. Die vielfach auftretenden körperlichen Verletzungen der Protagonisten gelten hier als "Indizien einer Entsubjektivierung" (S. 113):

Ransmayrs Körperdarstellungen stehen nicht im Dienst einer neuen Sinnlichkeit, sondern veranschaulichen in der Allegorie der zerstörten und verletzten Körper, insbesondere der Subjektsgrenze Haut, die Bedrohung und Gefährdung der Subjektivität seiner Figuren. (S. 114)

Fröhlich setzt hierbei voraus, dass nur vollständige und gesunde Körper zur Darstellung von Subjektivität geeignet sind, nicht aber die von Krankheit gezeichneten. Die Frage stellt sich, ob diese Bewertung frei von ideologischen Ganzheits-Topoi ist und ob körperliche Verletzungen nicht vielleicht auch als Zeichen einer Individualität fungieren können.

Ineinandergelagerte Gesteinsschichten

Als Gegenteil und als Gegenstück wird im dritten Kapitel die Autonomisierung und Subjektivierung der Natur im Verhältnis zu den Handlungsfiguren thematisiert: Die durch ausführliche Naturbeschreibung arrangierte Aufwertung der Objektwelt in Ransmayrs Romanen bewirkt Fröhlich zufolge einen Abbau von Subjektivität. Gleichzeitig werden die Naturschilderungen mit ihren symbolischen Mitteln als Fortsetzung der Bewusstseinsdarstellung gelesen. Die Verfasserin deutet sie als Zeichen für die soziale Isoliertheit der Protagonisten, die sich mit der topographischen Veränderung im Gesamtwerk – von der Wüstenlandschaft hin zur Enge und Eingeschlossenheit der Gebirge – radikalisiert (S. 122 f., 131). Das Steinerne gilt hier als Sinnbild für die innere Versteinerung (S. 126), überdies soll es die Sehnsucht der Figuren nach Selbstaufgabe und Befreiung von Verantwortung illustrieren (S. 133, 139).

Mit den "Bilder[n] eines versöhnlichen Eingangs in eine vom Menschen befreite Natur" und der Idee einer "mögliche[n] Teilhabe an der Natur", einer "gemeinsame[n] Freiheit mit und in ihr", setzt Fröhlich einen anthropologischen Naturbegriff voraus und spricht der Natur die Fähigkeit der Selbstbestimmung zu (S. 130, 139 f.). Zugleich bezeichnet sie diese als "Signum einer Wirklichkeit jenseits subjektiver Inanspruchnahme", ohne dass sie eine Wirkung auf die Figuren ausübe (S. 129 ff.). Anschließend skizziert sie eine gleichberechtigte Partizipation von Mensch und Natur, wenig später hingegen eine Vereinnahmung von Subjekt und Kultur durch die Natur, so dass der Leser in der willkürlichen Verwendung der Begriffe die Orientierung verliert. Die Natur wird einerseits als handelndes Subjekt (S. 142), andererseits in ihrer Wirkung als "souveräne Objektwelt" vorgestellt (S. 143).

Fazit: Subjekte an windigen Gestaden

Die Spannung zwischen diesen Subjektbegriffen, die an verschiedene methodische Traditionen gebunden sind, ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Primärtexte beinahe dazu verführen, mit poststrukturalistischen Begriffen zu experimentieren, ohne mit der Tradition der früheren "Verschwindens-Texte" zu brechen (S. 171).

Die Reduktion des Subjekts als Produkt diskursiver gesellschaftlicher Ordnungen muss – so Fröhlich – nicht als eine prinzipielle Absage an das Subjekt verstanden werden, sondern vielmehr als ein Versuch, die "Möglichkeiten und Grenzen des Subjektsdenkens literarisch zu erproben und dem Leser die Ambivalenz der Kategorie des >Subjekts< erfahrbar zu machen" (S. 169 f.).

In der Untersuchung der Texte auf ihr kulturkritisches Potential hin, entdeckt die Verfasserin nicht nur die gezielte Verabschiedung eines Aufklärungs- und Vernunftstrebens (S. 145), sondern auch ein utopisches Potential von Gegenwelten, "in denen der subjektszerstörende Glaube an Aufklärung und Vernunft, an Wissen und Macht nicht besteht" (S. 148) und in denen der Wahnsinn als Lebensalternative gedacht und auf sein Erkenntnispotential hin überprüft werden kann (S. 150).

Fröhlich kommt zu dem Ergebnis, dass den Romanen Ransmayrs das Merkmal postmoderner Texte fehlt, nämlich das dezentrierte, nicht-lineare, heterogene Texttypen verbindende Erzählen; stattdessen bleibt in den geschlossenen und weitgehend linearen Handlungsstrukturen das Verschwinden des Subjekts erzählbar (S. 172).

Während ihrer Analyse entsteht allerdings der Eindruck, Ransmayrs Texte seien als eine Literarisierung der Dekonstruktion zu rezipieren:

Die Reise und Suche in Raum und Zeit [...] veranschaulicht dem Leser die abstrakte Vorstellung einer sich verräumlichenden und temporalisierenden Bewegung der Bedeutungskonstitution, die Derrida als différance beschreibt. (S. 159)

Neben Derrida werden Foucault, Horkheimer und Adorno, sowie Lyotard zitiert, als arbeiteten alle gemeinsam an der "Demontage dieses Subjekts", ohne dass wirklich klar wird, welcher Subjektbegriff den einzelnen Theorien jeweils zugrunde liegt (vgl. S. 15 ff.). Zugleich wird die Literarisierbarkeit theoretischer Prämissen und die Erfüllung ihrer Postulate – das >Verschwinden< bzw. der >Tod< des Subjekts< – unhinterfragt vorausgesetzt. 6

Fröhlich selbst scheint Ransmayrs Kritik an der Aufklärung zu teilen, ohne allerdings die der Aufklärung inhärenten Begriffe, wie Subjektivität, Identität, Bedeutung, Vollständigkeit aufzugeben oder neu zu begründen. Indem sie feststellt, dass Figuren verschwinden und zugleich zu sich finden, vermittelt sie die Idee einer (versteckten) Substanz, die – durch den Eingang in die Natur – freigelegt werden könnte (S. 171). Weiter oben spricht sie sich indessen für eine Subjektivität aus, die generell konstituiert ist und folglich keine gesetzte, sondern immer eine herzustellende ist und eine fortwährende Auseinandersetzung mit der Welt evoziert (S. 170).

Das spannende Thema des verschwindenden Subjekts scheint sich selbst einer Behandlung zu entziehen. Die Analyse verfährt in methodischer Unentschlossenheit dem Leitmotiv gemäß – >immer wieder anders und neu< (S. 170).


Carmen Ulrich, M.A.
Ludwig-Maximilian-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
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Ins Netz gestellt am 09.10.2002
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Anmerkungen

1 Was in dieser Definition fehlt, ist der Verweis auf die lange Tradition des Subjektbegriffs, die zumindest in Ansätzen skizziert werden müsste, um die historischen Voraussetzungen für die Etablierung spezifischer Subjektbegriffe aufzuzeigen. Zu erwähnen wäre zum Beispiel – und das könnte eine Analyse Ransmayrs noch fruchtbarer machen – neben dem cartesianischen Subjektbegriff, den Fröhlich anführt (dem im übrigen der Begriff der Intentionalität fehlt), auch der griechische Subjektbegriff, der genau das Gegenteil besagt, nämlich das Eingeschlossenseins des Zuschauers in das Angeschaute. Nicht nur die Trennung des Subjekts vom Objekt, sondern auch die Dimension der selbstreflexiven Widerspiegelung (des einen im anderen in sich) gehört zum Subjektbegriff der europäischen Geistesgeschichte, in der die Poststrukturalisten nicht die ersten waren, die dem Subjekt à la Descartes etwas entgegengestellt haben.   zurück

2 Christoph Ransmayr: Strahlender Untergang. Ein Entwässerungsprojekt oder die Entdeckung des Wesentlichen. In: Willy Puchner: Strahlender Untergang. Text von Ransmayr, Christoph. Mit 28 Reproduktionen nach Photographien von Willy Puchner. Wien 1982, S. 44.   zurück

3 Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis. Roman. Mit 8 Farbphotographien von Rudi Palla und 11 Abbildungen. Wien, München 1984, S. 250.   zurück

4 Ebd., S. 9.   zurück

5 Vladimir Biti: Literatur- und Kulturtheorie. Ein Handbuch gegenwärtiger Begriffe. Deutschsprachige Redaktion Ljiljana Saric und Wiebke Wittschen unter Leitung von Rainer Grübel. Reinbek bei Hamburg 2001, S. 374, Stichwort "Identität".   zurück

6 Das Verschwinden kann auch als Vorwegnahme des Todes gelesen werden, und das bedrohte Subjekt ist im Zweifelsfall nicht nur ein Protagonist, sondern der Autor selbst. Vgl. Roland Bartes: La mort de l`auteur. In: R. B.: Essais critiques IV. Le bruissement de la langue. Paris 1984. Eine kritische Gegenlektüre poststrukturaler Theorie und belletristischer Literatur zeigt, dass die Literatur das Theorem nicht umsetzt, sondern assoziativ an ihr entlang driftet und im Grunde nur auf eine "Erfahrung von Welt" aufmerksam macht. Die Theorie hingegen richtet sich im postulierten Verschwinden des Subjekts nicht einfach auf dessen Ausblendung, vielmehr zielt die Argumentation auf die Unabschließbarkeit des Signifikationsprozesses ab. Vgl. Joachim Schiedermair: Die Rache des toten Autors. Gegenseitige Lektüren poststrukturaler Literaturtheorie und schwedischer Gegenwartsprosa. (Rombach Wissenschaften: Reihe Nordica, Bd. 1) Freiburg i. Br.: Rombach 2000, S. 303 und 30.(Vgl. dazu die Rezension von Klaus Müller-Wille in IASLonline http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/muellerW.html   zurück