Vogt über Filmmuseum: Fluchtpunkt Portugal

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Oliver Vogt

Fluchtpunkt Portugal

  • Exil in Portugal. Hg. vom Filmmuseum Berlin – Deutsche Kinemathek (FILMEXIL 16 / 2002) München: edition text + kritik 2002. 70 S.
    3 schw-w. Abb. Kart. EUR (D) 9,00.
    ISBN 3-88377-711-0.


Die Filmnation Portugal führt im Horizont der deutschsprachigen filmwissenschaftlichen Literatur ein Schattendasein. Weder die durchaus beachtenswerte portugiesische Filmproduktion der Gegenwart, noch die Geschichte der portugiesischen Kinematographie finden hier nennenswerten kritischen Niederschlag. Allenfalls ein von den Freunden der Deutschen Kinemathek herausgegebenes Heft Kino in Portugal (Kinemathek Heft 71, Berlin 1988), sowie das in deutscher Übersetzung erschienene Buch von João Bénard da Costa Portugiesische Filmgeschichte / n (Rodenbach: Avinus 1997) gestatten dem deutschen Leser Einblicke in die Filmgeschichte eines Landes, das als Filmnation hierzulande noch immer als eine Terra Incognita gilt.

Umso begrüßenswerter ist der Entdeckerdrang der Autoren Christa Heinrich, Martin Barnier und Malte Hagener, deren Ergebnisse sich in einem Band der Reihe FILMEXIL mit dem Titel Exil in Portugal versammelt haben. Mit seinem Gegenstand wird ein wichtiges Kapitel der portugiesischen Filmgeschichte aufgeschlagen.

Portugiesische
Filmgeschichte / n

Traditionell unterlag die portugiesische Filmlandschaft einem starken ökonomischen wie ästhetischen Einfluss aus dem Ausland. In der Stummfilmzeit konnte von einer funktionierenden portugiesischen Filmindustrie nicht die Rede sein, woran sich auch mit der Einführung des Tonfilms und trotz staatlicher Gesetze zur Rettung der nationalen Filmproduktion zunächst nichts ändern sollte.

Neben einer Vielzahl von bemerkenswerten Persönlichkeiten der portugiesischen Kinematographie, die portugiesischer Herkunft waren, wurde die portugiesischen Filmgeschichte aber auch immer wieder maßgeblich von Ausländern mitgeschrieben. So stammten die ersten in Portugal gedrehten und vorgeführten Filme vermutlich von dem englischen Kameramann Harry Short. Auch an der ersten großen Blüte des portugiesischen Films in den 20er Jahre hatten Regisseure und Techniker aus dem Ausland einen wesentlichen Anteil, wie z.B. der italienische Regisseur Rino Lupo, der französische Regisseur George Pallu sowie dessen Techniker Albert Durot und Georges und Valentine Coutable. Das Cinema Novo der Sechziger Jahre schließlich wurde erst möglich, nachdem junge portugiesische Filmemacher nach einer Ausbildung in Frankreich, Deutschland oder Italien mit neuen ästhetischen und ideologischen Idealen in ihr Heimatland zurückkehrten. Unter dem Eindruck der "neuen Wellen" revolutionierten sie auch in Portugal das Kino.

Im Zentrum des Bandes Exil in Portugal steht nun ein Abschnitt der portugiesischen Filmgeschichte, für den ebenfalls der Einfluss aus dem Ausland bestimmend war und bei dem Deutschland eine tragende Rolle zukam. Die Rede ist von einem Zeitraum, der in etwa mit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland zusammenfällt.

Hafen der Hoffnung

Die politischen Veränderungen seit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bewegten zunächst Einzelne zur Emigration. Der Kriegsbeginn und Hitlers Rassenpolitik zwang in der Folge aber immer mehr Menschen, zunächst im benachbarten Ausland Zuflucht zu suchen. Mit der Ausweitung des nationalsozialistischen Herrschaftsgebiets und der Schließung der Grenzen, auch neutraler Staaten wie der Schweiz, ergossen sich jedoch ab 1940 immer größere Flüchtlingsströme über die iberische Halbinsel. Lissabon – eine der letzten europäischen Hafenstädte eines neutralen Landes, von der aus noch Schiffe in die freie Welt fuhren – wurde für Viele zum >Hafen der Hoffnung<. Begrenzte Kapazitäten auf den Schiffen und fehlende Visa zwangen viele Emigranten jedoch, in der portugiesischen Hauptstadt oder in deren Umland zu bleiben, so dass Lissabon für einige Jahre zur europäischen Flüchtlingsmetropole wurde.

Unter den in Portugal Gestrandeten befand sich auch eine Vielzahl bekannter Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, namhafte Wissenschaftler, Politiker, Publizisten und Kunstschaffende. Vertreter der Filmbranche hatten relativ gute Chancen in ihren Berufen wieder tätig zu werden, da Deutschland für die Verbreitung des Tonfilms als Motor fungierte und man im Ausland mit einem erheblichen Vorsprung an know how aufwarten konnte. So spielten deutsche Exilanten gerade in den kleineren Filmnationen in den Jahren 1933–1938 oft eine Schlüsselrolle.

Der Tonfilm steckte in Portugal noch in den Kinderschuhen und die Grundlage für eine funktionierende Filmindustrie war gerade erst geschaffen worden. Im Monat der Machtergreifung Hitlers konnte mit der technischen Ausstattung der noch nicht ganz fertig gestellten Studios der "Companhia Portuguesa de Filmes Sonores Tobis Klangfilm" das erste Tonfilmprojekt in Portugal in Angriff genommen werden. Die portugiesische TOBIS entstand ganz nach dem Vorbild ihres deutschen Namensvetters. So stammten wesentliche, das portugiesische Filmwesen der
30 / 40er Jahre bestimmende Einflussgrößen aus Deutschland; einerseits die Technik, mit der man die Tonfilmstudio ausgestattet hatte, andererseits die deutschen Fachkräfte, die es aufgrund der politischen Wirren nach Portugal verschlagen hatte.

Gliederung des Bandes

Christa Heinrich skizziert in ihrem Aufsatz Zuflucht Portugal – Exilstation am Rande Europas den geschichtlichen Hintergrund, schildert die Situation des Landes und seiner Einwohner und rückt insbesondere den Alltag der Emigranten in den Blick.

Martin Barnier gibt in seinem Aufsatz Nationalität und Internationalität – Der portugiesische Film der dreißiger Jahre zunächst einen Überblick über die Entwicklung der portugiesischen Kinematographie von ihren Anfängen bis in die dreißiger Jahre. Am Beispiel der beiden ersten portugiesischen Tonfilme –
A Severa (José Leitão de Barros, 1931) und A Canção de Lisboa (Cottinelli Telmo, 1933) – rückt er dann die internationale Beteiligung am Filmschaffen in Portugal zur Zeit der Entstehung des Tonfilms in den Blick.

Malte Hagener schließlich beschreibt in seinem Aufsatz Nationale Filmproduktion und Exil – Zur Produktion und Rezeption des Films >Gado Bravo< die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des dritten in Portugal entstandenen Tonfilms Gado Bravo (António Lopes Ribeiro, 1934), der ohne deutsche Beteiligung in dieser Form nicht denkbar gewesen wäre.

Zuflucht in Portugal

Christa Heinrich beleuchtet ein bislang noch wenig bekanntes Kapitel der Exilgeschichte. Sie verschafft dabei einer Exilstation Kontur, die den meisten von uns durch Casablanca (Michael Curtiz, 1942) als solche in schicksalhafter Erinnerung geblieben ist. Selten macht man sich jedoch bewusst, wie vielen prominenten Persönlichkeiten sie tatsächlich als Tor in die Freiheit diente: Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Alfred Döblin, Franz Werfel, Erich Ollenhauer, Otto von Habsburg, Hannah Arendt, Max Ophüls, Erich von Stroheim, Jan Kiepura, Pola Negri, Siegfried Kracauer, Béla Bartók, Josephine Baker, Charles Boyer, Maurice Chevalier, Jean Gabin und Jean Renoir – sie alle flüchteten, neben einer Vielzahl anderer Bekannter und Unbekannter, über Lissabon nach England oder in die Neue Welt. Für viele von ihnen war Portugal also nur eine Durchgangsstation und taucht in autobiografischen Aufzeichnungen allenfalls als Randnotiz auf. Dennoch hat Christa Heinrich eine Vielzahl von Quellen aufgetan, durch die sie Zeitzeugen wie Heinrich Mann, Alfred Döblin oder Friedrich Torberg zu Wort kommen lässt, die in Erfahrungsberichten, Briefen und autobiographischen Notizen ihre Eindrücke schildern. So wird dem Leser das Leben, der Alltag der Emigranten im Portugal jener Tage, vor allem in der Metropole Lissabon plastisch vor Augen geführt – die Ambivalenz, mit der die Flüchtenden ihre Situation erlebt haben müssen, ihre Sorgen, Ängste und Hoffnungen.

Heinrich beschreibt, wie mühevoll der Weg der Flüchtenden nach Portugal war, der für manche sogar vorzeitig tragisch endete (etwa im Falle Walter Benjamins); wie schwierig es war, überhaupt in den Besitz einer gültigen Einreiseerlaubnis zu kommen; die üblichen Verfahrensweisen mit den Flüchtlingen nach ihrer Ankunft in Portugal – und schließlich die Zwiespältigkeit der Gefühle: einerseits den wiedergewonnenen Frieden und die Freiheit zu genießen, anderseits aber den Verlust der Heimat verschmerzen zu müssen.

Heinrich berichtet von den Überlebensstrategien derer, die keine Schiffspassage ergattern konnten und zunächst im Land bleiben mussten. Die meisten mussten sich nach neuen Erwerbsquellen umsehen, denn neben der persönlichen und kulturellen Entwurzelung kam ein Bruch in der beruflichen Laufbahn hinzu. Abhängige Beschäftigung wurde nur dann erlaubt, wenn man nachweisen konnte, dass kein Einheimischer über eine gleiche Qualifikation verfügt. So war es eher die Ausnahme, wenn Exilanten ihren beruflichen Weg nahtlos fortsetzen konnten. Zu den Glücklichen zählten z. B. Regisseur Max Nosseck und Schauspieler Siegfried Arno, die eine Arbeitserlaubnis für die portugiesische Filmproduktion Gado Bravo erhielten.

Zwischen Tradition und Moderne

Neben der Schilderung persönlicher Schicksale steht bei Heinrich die Darstellung der portugiesischen Einreisepolitik im Vordergrund, die für viele Emigranten die Entscheidung über Rettung oder Verhängnis bedeutete. Profitierten die Flüchtenden zwar zunächst von der Neutralität Portugals, hatten sie aber gleichermaßen unter dem Balanceakt zu leiden, zu dem das Land zwischen den Kriegsparteien gezwungen war und der zu einer unbeständigen Einreisepolitik führte.

Deshalb unterscheidet die Autorin verschiedene Phasen, eine erste, liberale Phase von 1933 bis 1938, in der die Einreisebestimmungen relativ locker gehandhabt wurden. Doch auch in Portugal schlug sich die Rassenpolitik Deutschlands allmählich nieder: die deutsche Gesandtschaft fing an, Juden ein "J" in ihre Dokumente zu stempeln. Ab 1938 kam es somit schrittweise zu einer Verschärfung der portugiesischen Einreiserichtlinien – für Heinrich der Beginn der zweiten Phase. Erst als sich ab Mitte 1942 eine Hinwendung des Salazar-Regimes zu den Alliierten abzuzeichnen begann, liberalisierte sich die Flüchtlingspolitik erneut.

Von Seiten des totalitären Estado Novo stand man den Emigranten stets skeptisch gegenüber, denn man wollte moderne gesellschaftliche Strömungen von der Bevölkerung fern halten. So wurden Flüchtlinge, die nicht unmittelbar weiter reisen konnten, in der Abgeschiedenheit der Badeorte Ericeira und Caldas da Rainha untergebracht. Die Bevölkerung reagierte überwiegend freundlich auf die Fremden, blieb aber aufgrund ihrer starken traditonsbedingten Prägung dennoch reserviert.

Das Aufeinandertreffen moderner Lebensformen der Emigranten und der von der portugiesischen Bevölkerung gepflegten Tradition schildert Heinrich anhand der Aussage von Zeitzeugen eingehend. Dieses Spannungsfeld wird im folgenden, besonders bei Malte Hageners Analyse von Gado Bravo eine große Rolle spielen.

Tonfilm in Portugal

Martin Barnier schildert in seinem Aufsatz Nationalität und Internationalität – Der portugiesische Film der dreißiger Jahre die Bedeutung europäischer Zusammenarbeit, die eine wesentliche Rolle in der Entwicklung einer modernen Filmindustrie in Portugal spielte. Damit ist zwar in erster Linie der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm gemeint, doch waren bereits die Anfänge der Filmkunst in Portugal, wie der Autor aufzeigt, von internationaler Zusammenarbeit bestimmt.

Nach einer kurzen Skizzierung der wesentlichen Eckdaten der Stummfilmzeit, der wichtigsten Persönlichkeiten, Filme und Ereignisse, schildert Martin Barnier die Entwicklung des Tonfilms in Portugal, die im internationalen Vergleich relativ langsam vonstatten ging. Zwar waren alle in den Jahren 1931–1932 in Portugal gebauten Kinos für den Tonfilm ausgelegt, doch waren die Grundlagen für die erste nationale Tonfilmproduktion erst im Jahre 1933 geschaffen. So behalf man sich zunächst mit in portugiesischer Sprache gedrehten Versionen amerikanischer Filme, die in Frankreich hergestellt wurden.

Die portugiesische TOBIS

Bei dem ersten in Portugal gedrehten Tonfilm handelte es sich um A Severa aus dem Jahre 1931. Die Innenaufnahmen entstanden in französischen Studios in Épinay. Nur die Außenaufnahmen wurden in Portugal gedreht, mussten jedoch zum Teil in Frankreich nachsynchronisiert werden, da zu dieser Zeit noch keine entsprechende Ausrüstung in Portugal verfügbar war. A severa ist der erste von zwei Filmen aus dieser Zeit, die Martin Barnier einer genaueren Analyse unterzieht, in der er vor allem auf den Einsatz der Tontechnik eingeht. Steckte die Tonfilmtechnik 1931 zwar noch in den Kinderschuhen, konnte sich das Ergebnis aber, wie Barnier nachweist, dank der internationalen Zusammenarbeit zwischen portugiesischen, französischen und deutschen Technikern durchaus sehen und hören lassen kann.

Der für den frühen Tonfilm so bezeichnende Umstand, dass die neue Technik gleichzeitig auch Motiv ist, wird auch in dem zweiten von Barnier analysierten Film, der musikalischen Komödie, deutlich. Dieser Film wurde, parallel zu den Dreharbeiten an Gado Bravo, zwischen Juni und September 1933 mit der Ton- und Kameraausrüstung der TOBIS gedreht, die die Zeitschrift Cinématographie Française als die modernste und beste Europas bezeichnete.

Nationaler Film durch
internationale Unterstützung

Mit Stolz blickte die Kritik auf den ersten nationalen Film – doch ohne internationale Zusammenarbeit wäre das Zustandekommen von kaum denkbar gewesen: Der vormals in deutschen Studios tätige französische Techniker A.P. Richard, war am Aufbau der TOBIS beteiligt, zu den Mitarbeitern der Studios gehörten Jean-Denis Ricaud von der französischen TOBIS, der deutsche Toningenieur Rudolph Schultz, und auch der Mitarbeiterstab von A Canção de Lisboa, mit dem die TOBIS-Studios eingeweiht wurden, war durch und durch international.

Auch in seiner Ästhetik wurde der portugiesische Film von der internationalen Zusammenarbeit geprägt. Barnier zitiert den langjährige Leiter der Cinemateca Portuguesa, Luís de Pina, nach dem der portugiesischen Film der zwanziger Jahre deutlich französische Züge trage, während in den dreißiger Jahre eher deutsche Einflüsse maßgeblich gewesen seien.

A Severa und A Canção de Lisboa unterliegen ästhetisch noch eher französischem Einfluss – Rene Clair war offizieller Berater bei A Severa, und auch A Canção de Lisboa ähnelt, so Barnier, den Sujets von Rene Clair –, während mit Gado Bravo eine Epoche der deutschen Bildgestaltung im portugiesischen Film beginnt. Luís de Pina spricht von einer Epoche der "germanischen Sensibilität", bei der es sich jedoch nicht um einen offiziellen Einfluss, um "nationalsozialistische Inspiration" gehandelt habe, da doch die emigrierten Filmschaffenden fast ausnahmslos jüdischer Abstammung gewesen seien. Ob Techniker, Regisseure, Autoren oder Darsteller, sie alle brachten neben technischem know how auch die Eindrücke der ästhetischen Schule mit, die sie in Deutschland durchlaufen hatten und prägten damit nachhaltig das iberische Kino der dreißiger und auch vierziger Jahre.

Nationalität und Internationalität

Die Auslotung des Spannungsfeldes von Nationalität und Internationalität steht im Zentrum des Beitrags von Malte Hagener. Das Medium Film war schon immer durch und durch international geprägt. Die Rede von einer rein nationalen Filmproduktion scheint verfehlt, wenn auch immer wieder Stimmen laut werden, die eine solche Existenz glaubhaft machen wollen. Natürlich ist es möglich, wie besonders im sowjetischen und deutschen Film deutlich wurde, das Kino zur Verfolgung nationaler oder nationalistischer Interessen nutzbar zu machen. Auch in Portugal erkannte man die Möglichkeiten des Tonfilms zur Beeinflussung der Massen, jedoch reichte seine Instrumentalisierung hier nie so weit, dass man ihm die Funktion einer Propagandamaschine hätte zuschreiben können, die er bei den Nationalsozialisten inne hatte. Es existiert nur ein einziger staatlich produzierter Film, A Revolução de Maio (António Lopes Ribeiro, 1937), der allein der Propaganda des Estado Novo diente.

Darüber hinaus nutzte der Staat jedoch die Möglichkeit, über die Zensur regulierend in die Filmproduktion einzugreifen. So ist zu weiten Teilen in den Filmen der dreißiger und vierziger Jahre ein Nationalismus zu spüren, der jedoch keineswegs im Widerspruch zur Internationalität ihrer Schöpfer steht.

Exilfilm

Hagener charakterisiert Gado Bravo aufgrund der zahlreichen deutschen Beteiligung – das Drehbuch stammte von Erich Philippi, die Bauten von Herbert Lippschitz, die Musik z.T. von Hans May, hinter der Kamera stand Heinrich Gärtner, der nach seiner Einbürgerung in Spanien einige Jahre später in der spanisch / portugiesischen. Koproduktion Inês de Castro unter dem Namen Enrique Guerner wieder in Erscheinung treten sollte – einerseits als Exilfilm, andererseits auch als Remigrationsfilm. So spielte der aus Portugal stammende und zunächst in Frankreich und dann in Deutschland äußerst erfolgreiche Schauspieler Artur Duarte eine Schlüsselrolle beim Zustandekommen dieses Filmes. Hagener schildert die vielfältigen spannenden Verbindungen der an Gado Bravo beteiligten Filmschaffenden, die sich schon aus früheren Filmprojekten kannten und zum Teil auch später wieder zusammenarbeiten sollten. Als Darsteller wirkten Olly Gebauer und Siegfried Arno mit, die künstlerische Oberleitung hatte Max Nosseck, der Regisseur Ribeiro bei seinem ersten langen Spielfilm zur Seite stand. Man erhoffte sich durch den internationalen Stab neben technischem Beistand vor allem auch größere Erfolgschancen im Ausland.

Bei den hohen Investitionen in die neue Technik konnte man sich nicht allein auf den heimischen Markt ausrichten, man wollte am europäischen Filmmarkt partizipieren – eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Nach Aussagen des Produzenten hoffte man sogar auf eine Aufführung in Deutschland, was allein aufgrund der Mitwirkung mehrerer prominenter jüdischer Filmschaffender aber undenkbar war.

Nationalismus

Neben einem ausführlichen Bericht über Vorbereitungen und Dreharbeiten zu
Gado Bravo unterzieht Hagener den Film einer Analyse, in der er vor allem den Aspekt des Tons hervorhebt, aber auch zu einer sehr interessanten Lesart des Films gelangt: Emigration – als Aufeinandertreffen zweier Bevölkerungen unterschiedlicher nationaler Prägung – sei in dem Film selbst thematisch angelegt.

Es fand eine wechselseitige Entdeckung statt: Die Emigranten entdeckten für sich das >archaische< Portugal, die Portugiesen entdeckten durch die Emigranten die Technik und die offene Lebensform der >modernen Welt<. Doch triumphiert in Gado Bravo beim Aufeinandertreffen von technisierter moderner Lebensform und tranditionsverhaftetem Landleben das portugiesische Kollektiv über das deutsche Individuum, die Masse über die Technik und die Tradition über die moderne Welt. In dem Nationalismus, der in Gado Bravo auf diese Weise verstohlen zutage tritt, finden sich also durchaus die Vorstellungen des Salazar-Regimes wieder, nach denen das portugiesische Volk den Einflüssen der >Eindringlinge< widerstehen müssen, die das portugiesische Traditionsgefüge ins Wanken zu bringen drohen.

Fazit

Die Aufsätze der drei Autoren fügen sich zu einem anschaulichen Panorama der portugiesischen Filmlandschaft der dreißiger Jahre zusammen. Ein dominantes Merkmal ist der hohe Anteil, den Emigranten an der Filmarbeit dieser Zeit in Portugal hatten.

Während bei Christa Heinrich durch die Verknüpfung historischer Zahlen und Fakten mit der Beschreibung individueller Schicksale die portugiesische Alltagswelt und ihre sozialpolitischen Hintergründe fassbar werden, fokussieren die Aufsätze von Martin Barnier und Malte Hagener stärker die Aspekte ausländischen Einflusses und ausländischer Beteiligung als Determinanten der portugiesischen Filmproduktion.

Anhand der Beschreibung der Entstehungsgeschichte und Analyse der ersten drei portugiesischen Tonfilme weisen die Autoren nach, wie wesentlich die internationale Beteiligung für die Entstehung und Etablierung des Tonfilms in Portugal war. Die drei Aufsätze ergänzen sich zu einer lesenswerten und nicht nur für Filmhistoriker interessanten Lektüre.


Oliver Vogt
Universität Trier
Romanistik / Portugalzentrum
Universitätsring 15
D-54286 Trier

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Ins Netz gestellt am 12.09.2003
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IASLonline ISSN 1612-0442
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Uli Jung. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.


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