Wolf über Bast: Honor your fathers

Klaus Wolf

Honor your fathers


  • Robert James Bast: Honor your fathers. Catechisms and the emergence of a patriarchal ideology in Germany. 1400-1600. (Studies in medieval and reformation thought. Volume LXIII) Leiden, New York, Köln: Brill 1997. 272 S. Geb. Preis auf Anfrage. ISBN 90-04-10856-4



Die von Heiko A. Oberman betreute Dissertation (1993) wird (nun als Band 63) dem Anspruch der gleichfalls von Oberman herausgegebenen Studies in medieval and reformation thought in geradezu mustergültiger Weise gerecht: Die Reihe versteht sich als "forum for monographs and text editions on subjects pertaining to the watershed between the Middle Ages and the Reformation". Drei historische Spezialgebiete, "medieval, reformation, and renaissance studies", sollen dabei zueinander in Beziehung gesetzt werden: "It is the goal of this series to counteract the dangers inherent in seperating fields that are, intrinsically, part of one single historical epoch."


Europaweit: patriarchiale Ideologie

Entsprechend wird von Bast das Kontinuum einer partriarchalen Ideologie als Mittel und Folge der Reform für den Zeitraum von 1400 bis 1600 propagiert. Eine europaweite katechetische Bewegung habe auch im Deutschen Reich Wurzeln geschlagen. Frucht dieser Bewegung war die Verankerung einer Verhaltensnorm, welche am Ende konfessionsübergreifend Disziplin und Gehorsam gegenüber väterlicher Autorität verlangte. Die Forderung des vierten Gebots, Vater und Mutter zu ehren, wurde dabei rigoros auf Hausväter, kirchliche Väter und Landesväter bezogen, also der zu leistende und transzendent sanktionierte Gehorsam gegenüber dem leiblichen Vater auf Klerus und weltliche Obrigkeit ausgedehnt.

Basts griffige These gründet freilich auf einer beeindruckenden Fülle von handschriftlichen und gedruckten, in erster Linie volkssprachigen, Quellen, wie allein schon das umfangreiche Quellenverzeichnis zeigt (S. 245-249). Predigten, Reformstatuten, erbaulich-belehrende Traktate und besonders Katechismen werden unter sensibler Berücksichtigung ihrer jeweiligen gattungsspezifischen Eigenheiten ausführlich beigezogen. Dadurch entgeht Bast den Gefahren mancher modischer Arbeiten, zumal das Thema Patriarchal Ideology durchaus entsprechende Versuchungen böte. Deshalb sind auch die ausführlichen, nie aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate, die im Regelfall in englischer Übersetzung sowie – in den Fußnoten – im lateinischen oder frühneuhochdeutschen Original geboten werden, nachdrücklich zu begrüßen.

Die Einleitung (S. IX-XX) bietet einen luziden Forschungsüberblick nebst klarer Herausarbeitung der vorliegenden Untersuchung als Forschungsdesiderat sowie Begriffsbestimmungen und problemorientierte Fragestellung als systematischer Aufhänger der Monographie.


Laienkatechese im späten Mittelalter

Das erste Kapitel ("The Ten Commandments and Late-Medieval Catechesis", S. 1-52) ist der spätmittelalterlichen Laienkatechese als europäischer Bewegung gewidmet, wobei für das Deutsche Reich der Gerson-Rezeption (v. a. durch das einen Dekalog-Traktat enthaltende Opusculum Tripartitum) prägende Bedeutung zukomme; freilich kann Bast im wesentlichen hier auch nur Forschungsdesiderate benennen (S. 18): "Scholars have not yet attempted to gauge precisely the impact of Gersons’s program. Such an endeavor would require an exhaustive study of diocesan legislation, parish records, and hundreds of catechetical texts. Even where parallels between these and the Opusculum are found, it is difficult to determine whether they represent direct responses to Gerson’s agenda, or are products of the general emphasis on catechesis that had been gaining force since the thirteenth century."

Besonderes Gewicht legt Bast in diesem Kapitel auf die eindringliche, laienfreundliche Vermittlung der Zehn Gebote und geht ausführlich (S. 23-32) auf das Wirken des Priesters und katechetischen Schriftstellers Johannes Lupi (Wolff) ein. Dieser versah von 1452 bis 1468 die Pfarrfiliale zu St. Peter in der Neustadt Frankfurts am Main.
Für Lupis post mortem als Druck erschienenes Beichtväterhandbuch, das testamentarisch zur Verteilung in allen (!) Pfarreien der Erzdiözese Mainz bestimmt wurde, kann Bast zeigen, "that Wolff was directly inspired by Gerson’s Opusculum" (S. 23). Der Druck gibt auch lebendigen Einblick in Lupis praktische Tätigkeit als Katechet der zehn Gebote, welcher Wort und Bild – eine große Steintafel mit anschaulicher, polychromer Darstellung der zehn Gebote als gespielter Szenen ist in Frankfurt erhalten1 – didaktisch geschickt, phantasievoll und zielgruppenspezifisch einsetzt.

Freilich bleibt Bast beim Referat der Quelleninhalte stecken, was angesichts des Werts gerade dieser Quelle für Basts These eigentlich schade ist. Bast stellt (S. 27) fest, daß Lupi – "echoing Gerson" – "urged school rectors to teach children the Decalogue". Hier wäre ein Hinweis dahingehend angebracht gewesen, daß etwa im Lateinschulbereich entsprechende lateinische, katechetische Texte mit Glossierung und deutscher Übersetzung weit verbreitet waren, auch solche De decem praeceptis.2 Gelegentliche Klagen Lupis über seine störrischen Schäfchen oder mißgünstige Klerikerkollegen werden von Bast (S. 30-31) überinterpretiert;3 unzutreffend ist die Einschätzung Basts, der rührige Priester Lupi sei in seinem katechetischen Bemühen ein Einzelkämpfer gewesen,4 stützt doch das reformorientierte Frankfurter Ratsregiment (als väterlicher Seelsorger) gerade Basts Ansatz.5


Bedeutung des Dekalogs

Nach dem Beispiel Lupis, der von Zeitgenossen als Doctor decem praeceptorum Dei geschätzt wurde, stellt Bast (S. 32ff.) den Zusammenhang zwischen spätmittelalterlicher Krisenerfahrung und der Bedeutung des Dekalogs dar: "Obedience to the Commandments became a rallying cry for reform preachers working to combat the perceived dissolution of Church and society" (S. 43). Besonders die Befolgung eines bestimmten Gebots im Dekalog konnte dem Chaos wehren: "It was the fourth, ‘honor your father and your mother.’ Since at least the thirteenth century moralists had been using it to enjoin obedience to the traditional heads of the household, the Church and the body politic. The Gregorian system of the Seven Deadly sins offerered no real parallel. Questions of authority were treated there under the rubric of superbia (pride)" (S. 44).

Freilich schießt hier Bast ein wenig über das Ziel hinaus, widmet doch gerade eines der am weitest verbreiteten katechetischen Werke des 15. Jahrhunderts den sieben Todsünden (und gerade nicht dem Dekalog) breiten Raum: (Pseudo-) Heinrichs von Langenstein Erkenntnis der Sünde 6 , das Bast sonst – wie andere Werke der sogenannten ‘Wiener Schule’ auch – durchaus rezipiert. In rund 80 (!) Handschriften werden lebenspraktische und (im Sinne Basts) durchaus obrigkeitskonforme Anleitungen zur Überwindung von Sünde in Familie, ‘staatlichem’ Gemeinwesen und Kirche gegeben: Basts pointierte Betonung des Dekalogs als Königsweg aus der Krise ist zwar insgesamt zuzustimmen, es gab aber auch Nebenstrecken, die begangen wurden. Die Reformer der ‘Wiener Schule’, aber auch anderer Provenienzen, erprobten eben angesichts verheerender Mißstände in Kirche und Staat vielfältige Konzepte der Krisenbewältigung.


"Honor your fathers" - weltliche und geistliche Väter

Im zweiten Kapitel ("Fathers of the House", S. 53-107) untersucht Bast anhand seines Quellenkorpus die Beziehungen zwischen Vater einerseits und Ehefrau, Kindern sowie Untergebenen andererseits. Faszinierend sind hier besonders vermeintliche Epochengrenzen sprengende Kontinitäten: "It is becoming increasingly clear that Protestants received and perpetuated the concept of the holy household together with the practice of popular catechesis. In short, there was nothing specifically Evangelical about the patriarchal ideology of the family" (S. 87-88). Spezifisch reformatorisch sei dagegen die Hochschätzung des Ehestandes.

Im dritten Kapitel ("Fathers of the Church", S. 108-145) zeigt Bast, wie spätmittelalterliche Reformtheologen (ältere Konzepte aufgreifend) das Priestertum stärken, indem jenen priesterlichen Vätern der Mutter Kirche wegen des vierten Gebots vom Laienvolk unbedingt Gehorsam zu leisten sei. Zwar verdienen diesen Gehorsam prinzipiell auch unwürdige Priester, dennoch wird seitens der spätmittelalterlichen Reformtheologen darauf gedrungen, die desolaten Verhältnisse beim (Seelsorge-) Klerus zu bessern (etwa Reformen der Benediktiner und Augustinerchorherren). Obwohl den Reformatoren des 16. Jahrhunderts ein solches durch den Dekalog sanktioniertes, extrem hierarchisches Priesterbild zunächst noch suspekt, ja anstößig, war, führten die großen Schwierigkeiten bei der Kirchenbildung der Protestanten schon rasch unter Anknüpfung an die spätmittelalterlichen Traditionen zu einer patriarchal unterfütterten Stärkung der kirchlichen Amtsträger.7


Brückenschlag über Epochengrenzen

Auch in den beiden folgenden Kapiteln (S. 146-234), die den "Fathers of the Land" gewidmet sind, gelingt Bast in überzeugender Weise der Brückenschlag über vermeintliche Epochengrenzen hinweg, was hier freilich nicht mehr angemessen referiert werden kann. Wichtig scheint mir jedoch gerade der Ertrag, den modellhaft die Mittelaltergermanistik aus dieser quellennah nachgewiesenen Verquickung von Theologie und Staatslehre gewinnen kann: Indem Heiliges und Profanes in katechetischen Texten zum vierten Gebot bei der göttlich sanktionierten, weltlichen Obrigkeit nur zwei Seiten einer Medaille darstellen, verschwimmen auch die scheinbar klaren Grenzen zwischen sogenannter weltlicher und geistlicher Literatur. An Basts Arbeit wird klar, wie irreführend jene in der Mittelaltergermanistik so gern gepflegte, mitunter oberflächliche Unterscheidung zwischen geistlicher und weltlicher Literatur (mit dem entsprechenden Spezialistentum) im Gefolge sein kann. Bast zeigt, daß scheinbar konventionelle religiöse Texte ungemeine, auch politisch wirkmächtige Brisanz enthielten.

Dem erfrischenden Ansatz Basts sind daher gerade in Deutschland zahlreiche Leser zu wünschen. Die klare Argumentation des Autors erleichtert die Lektüre des englischsprachigen Buchs, dessen ansprechende Gestaltung positiv zu würdigen ist. Die wenigen Verschreibungen und Druckfehler (besonders im Literaturverzeichnis) fallen dagegen nicht ins Gewicht.


Dr. des. Klaus Wolf
Universität Augsburg
Philosophische Fakultät II
Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters
Universitätsstr. 10
D-86159 Augsburg

Ins Netz gestellt am 26.10.2000

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Anmerkungen

1 Vgl. die farbige Abbildung bei Lothar Gall (Hg.): FFM 1200. Traditionen und Perspektiven einer Stadt. Sigmaringen, 1994, S. 68.    zurück

2 Vgl. Nikolaus Henkel: Deutsche Übersetzungen lateinischer Schultexte. Ihre Verbreitung und Funktion im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Mit einem Verzeichnis der Texte. München, Zürich, 1988 (Münchner Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Band 90), passim.    zurück

3 Vgl. S. 30: „In short, it is quite likely [Hervorhebung durch mich] that the established clergy in Frankfurt saw Wolff as an interloper whose arrival had cost them rights and money. For his part, the chaplain cannot have thought much of those colleagues who had fought his appointment at every step. This was not the climate in which his proposals to remake parish catechesis would have found many sympathetic ears.“   zurück

4 Vgl. S. 31: „Whatever success Wolff enjoyed was wholly dependant on the strength of his personality, the persuasiveness of his Vision, and the energy he could devote to its implemantation.“   zurück

5 Lupi ist nur einer von vielen reformorientierten Klerikern – v. a. hierarchisch niederrangigen Filialpfarrern, Kaplänen und Vikaren –, die mit massiver Unterstützung einer reformfreudigen Frankfurter Ratsobrigkeit im 15. Jahrhundert erfolgreich für eine bessere Seelsorge wirkten. Die Ratsobrigkeit der Mainmetropole agierte dabei im Sinne des späteren protestantischen Kirchenregiments genau so, wie es Bast selbst andernorts („Chapter four“, S. 146ff.) herausgearbeitet hat: „Fathers of the Land I: Late-Medieval Reform and Politcal Paternalism“ (worunter auch städtische Obrigkeiten subsumiert werden). Vgl. zu den geistlichen Verhältnissen Frankfurts im Spätmittelalter jetzt Klaus Wolf: Kommentar zur Frankfurter Dirigierrolle und zum Frankfurter Passionsspiel (im Druck).    zurück

6 Vgl. hierzu den Überblick bei Thomas Hohmann/Georg Kreuzer: Heinrich von Langenstein. In: Kurt Ruh [u. a.] (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 3, 1981, Sp. 763-773, besonders Sp. 768-769.    zurück

7 Bast kommt zu dem Schluß (S. 145): „Late-medieval clerics, Protestant pastors and Catholic priests thus wielded the image of the spiritual fathers to counter the unintended and corrosive effects of the swift currents of reform.“   zurück