Zanetti über Schärf: Schreiben

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Sandro Zanetti

Auf den Spuren einer Irrfahrt ins Ungewisse

  • Christian Schärf (Hg. unter Mitarbeit von Petra Gropp): Schreiben. Szenen einer Sinngeschichte. Tübingen: Attempto 2002. 210 S. Kart. EUR (D) 29,-.
    ISBN 3-89308-347-2.

Inhalt

Christian Schärf: Einleitung. Schreiben. Eine Sinngeschichte | Matthias Bauer: Neue Nachrichten von Cipión. Zur romanhaften Textur von Freuds Legendenbildung | Stefanie Germann: "Für mich jedoch hat die Bleistifterei eine Bedeutung". Zwei theoretische Lektüreversuche zu Robert Walsers Mikrogramm-Werkstatt | Oliver Ley: Franz Kafka. Schreibprozess, unveränderliche Schrift und Deutungsmaschine | Andreas Rang: "Das, was lebt, ist etwas anderes als das, was denkt." Gottfried Benns Briefe an F.W. Oelze – Schreiben als primäre Gebärde | Christian Peters: Thomas Bernhard: "Es stimmt, weil alles stimmt." | Christoph Ernst: "Experimentelle Metaphern": Günther Anders' Medienreflexionen | Petra Gropp: Rolf Dieter Brinkmann. "... und tarnen das Ganze als Kunst!" Intermedialität als Strategie der Schrift im Prozess kultureller Rekonfigurationen | Christian Schärf: Autobiographie als Graphogenese des Selbst. Friedrich Nietzsches Ecce homo und Jean-Paul Sartres Die Wörter | Fazit



Eine "Irrfahrt ins Ungewisse" (S. 8), so beschreibt Christian Schärf in der Einleitung zum Sammelband Schreiben. Szenen einer Sinngeschichte die produktive Bewegung des literarischen und essayistisch-philosophischen Schreibens nach jener Zäsur, die er mit dem Namen >Nietzsche< belegt. Der Band enthält nebst der Einleitung acht Beiträge, die sich mit dem Prozeß des Schreibens aus produktionsästhetischer Perspektive beschäftigen. Sie tun dies, so zumindest möchte es der Herausgeber, unter dem Gesichtspunkt einer "Sinngeschichte". Mit diesem bei Jan Assmann 1 geliehenen Begriff soll nicht so sehr die Geschichte einer bestimmten Form (zum Beispiel eben des Schreibens) visiert sein, – sondern die prozessuale Formierung von Geschichte, die "Herstellung kulturell produktiver Semantiken" (S. 11). Der im Sammelband untersuchte Zeitraum ist, von Nietzsche als Vorläufer abgesehen, auf das 20. Jahrhundert beschränkt. In "Szenen" werden die Spuren der in der Einleitung genannten "Irrfahrt" verfolgt.

Rahmen

Den Beginn der "Sinngeschichte des Schreibens" setzt Schärf in seiner Einleitung um 1800 an. Während er insbesondere für die Romantik das Paradigma einer teleologisch konzipierten Schreib-Gemeinschaftlichkeit hervorhebt, gewinnt er seine Bestimmung des Schreibens im 20. Jahrhundert – als "Irrfahrt ins Ungewisse" – zunächst über den Nachweis eines Kontrasts zu diesem Paradigma. Der Befund bleibt aber fürs 20. Jahrhundert nicht nur negativ und kontrastiv. Mit der Beobachtung einer Individualisierung und Physiologisierung des Schreibens gewinnt Schärf auch Einschätzungen, die seiner Diagnose von der Autonomisierung des Schreibprozesses bei gleichzeitiger Hybridisierung und Destabilisierung semantischer Horizonte einen positiven Rückhalt geben. Bei Nietzsche sieht er diese Tendenzen vorgebildet. Im großen Bogen, den Schärf schlägt, steht die Zeit nach 1945 dann für einen erneuten Umbruch, den er mit dem Stichwort >Essayismus< belegt.

Im großen Bogen liegt allerdings auch ein Problem. Zu seiner Stütze werden Sätze formuliert, die in ihrer Pauschalität und Apodiktik die gewiß nicht leicht zu beantwortende Frage provozieren, an welchen Sachverhalten sie sich denn bewähren können oder sollen. Zwei Beispiele:

1) "Das werkhafte Schreiben, das im Zeitraum zwischen Nietzsches Tod und dem Ende des Zweiten Weltkriegs betrieben wird, ist niemals selbstbezüglich" (S. 9). – Ein ziemlich gewagtes Resümee. Denn wie wäre dieser Satz, um nur einige Namen zu nennen, auf Autoren wie Rilke, Hofmannsthal, Benjamin oder (Robert) Walser zu beziehen? Oder auf Kafka, für den Schärf einige Seiten später selbst (im Vorausblick auf den Aufsatz von Oliver Ley) hervorhebt, daß die "Sinngeschichte des Schreibens" bei ihm in "einem hohen Grade selbstreflexiv" (S. 21) werde? Ist das Schreiben der eben genannten Autoren einfach nicht >werkhaft<?

Was aber wäre >werkhaft<? Gewiß wäre auch erst einmal auseinanderzulegen (und dann zu plausibilisieren), was es mit dem >Selbst< in Wendungen wie jenen vom "Selbstreflexivwerden des Schreibens" – Schärf weiß es in der "Mitte des 20. Jahrhunderts" (S. 23) anzusetzen – überhaupt auf sich hat. Begriffliche Anstrengungen dieser Art sucht man aber vergebens. Der Gestus ist nicht argumentierend, auch nicht fragend. Er bleibt behauptend. So auch in folgendem Beispiel:

2) "Denn während die Theorien nur begrenzte Haltbarkeit aufweisen und die diskursiven Moden immer schneller verblassen, bleibt das Schreiben als Grundimpuls und als unaustilgbare >intrinsische Motivation< generationenübergreifend im Handlungsrahmen >Kultur< eine Konstante, der weder die Diskussionen um die Neuen Medien noch die Überproduktion des Buchmarktes auf Dauer etwas anhaben können" (letzter Satz der Einleitung, S. 24).

Das "Schreiben" als "Konstante"? Setzt diese Diagnose nicht eine Konstanz in den semantischen Korrelaten des Wortes >Schreiben< voraus, die mit den radikalen Veränderungen in den kultur- und technikgeschichtlichen Rahmenbedingungen (Stichwort >Schreibgeräte< – Feder, Bleistift, Schreibmaschine, Computer) und heterogenen Dispositionen (Stichwort >Umstände< – politische Verhältnisse, pädagogische Prägungen, Stimulantien, Orte und Zeiten) des Schreibens gerade fragwürdig wird? Und zwar so fragwürdig, daß die Bestimmung des Schreibens als "intrinsische Motivation", die an einem zwar mehr oder weniger gebrochenen, methodologisch aber gleichwohl durchgehend hochgehaltenen Impuls der "Sinnerzeugung" (S. 11) teilhaben soll, sich etwas unbedarft ausnimmt? Ist dies die Position, ja ist dies die Theorie, von der aus man kompetent über "Theorien" mit begrenzter "Haltbarkeit" und diskursive "Moden" sprechen kann?

Das wären zumindest die Fragen, die sich an die zitierten und an eine Reihe anderer Stellen des in der Einleitung skizzierten Projekts einer Untersuchung von "Szenen" der "Sinngeschichte des Schreibens" stellen lassen. Daß diese Fragen überhaupt aufkommen, hängt allerdings nicht nur mit den starken Behauptungen, sondern auch mit einer Schwierigkeit zusammen, die in der Sache begründet liegt. Diese Schwierigkeit besteht darin, daß es keineswegs ausgemacht ist, was unter dem Wort >Schreiben< denn verstanden werden kann oder soll. >Schreiben< kann die Momente des Einfalls, der Niederschrift, der Überarbeitung bis hin zur Autorisierung bezeichnen. >Schreiben< kann aber auch heißen, daß diese Momente durcheinandergeraten. >Schreiben< kann gewiß als semantisches Projekt, es kann aber auch einfach als Applikation technischer Instrumente oder als manuelle Geste verstanden werden.

So hat Rüdiger Campe an dem von ihm geprägten – und, trotz der Nähe zum Titel des Sammelbandes, in keinem der Beiträge berücksichtigten – Begriff der >Schreibszene< 2 gezeigt, daß Schreiben sich in einem heterogenen Ensemble von Instrumentalität, Gestik und Semantik abspielt. Gegenüber der von Friedrich Kittler in seiner – ebenso in keinem der Beiträge des Sammelbandes auch nur erwähnten – Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800 / 1900 3 analytisch privilegierten Instrumentalität des Schreibens setzt Campes Begriff der >Schreibszene< gerade die Heterogenität der genannten Faktoren voraus, – um dann umso genauer einzelne Spielformen des Schreibens mit ihren singulären Präferenzen und Widerständen beschreiben zu können.

Schärfs Vorhaben hingegen setzt mit dem Begriff der "Sinngeschichte" – "Schreiben wird zum äußersten [!] Inbegriff von Sinn" (S. 7) – die sinnstiftende und also aufs Semantische hin orientierte Prävalenz auch dort noch voraus, wo er der Körperlichkeit des Schreibens – der "gerade auch physiologisch zu verstehenden Tätigkeit des Schreibens" (S. 15) – Beachtung schenken möchte. Aus der Konzentration auf den Aspekt der "Sinnerzeugung" (S. 11) bei gleichzeitiger Subsumtion ganz und gar heterogener Faktoren unter diesen Aspekt resultiert in Schärfs Einleitungstext ebenso notwendig wie unwillkürlich eine Destabilisierung des Sinnbegriffs (vgl. z.B. S. 10–12). 4 Dieser Destabilisierung kann man freilich eine kathartische Seite nicht absprechen, – und so eröffnet die gewählte Zugangsweise unverhofft dann doch auch vielfältige Perspektiven auf die Untersuchung von Schreibprozessen, die nicht nur für rein produktionsästhetische Fragestellungen von Interesse und Relevanz sind, sondern (jenseits von mystifizierender Identifikationspsychologie, aber diesseits von dialektischem Entwurfsdenken) auch Anhaltspunkte für ein Verständnis von Literatur bieten können, das sich den (bio?)graphischen Umständen gegenüber interessiert zeigt.

Insgesamt richtet sich das Vorhaben gegen "Formen der Literaturinterpretation, die, von der Hermeneutik bis zum Strukturalismus, davon ausgehen, man müsse und könne den Text jenseits der produktiven Verflechtungen von Werkbau, Autorfigur und produktiver Intentionalität in einem gleichsam >reinen< Formhorizont verstehen" (S. 10). Um diesem Vorhaben – in theoretischer Hinsicht – mehr Rückhalt und Kohärenz zu geben, wäre es freilich wünschenswert gewesen, der Herausgeber hätte sich besser über die bereits bestehenden Ansätze in der Schreibprozeßforschung informiert. Dies gilt selbst für die wenigen Positionen, die Schärf explizit zur Kenntnis nimmt. 5 Hingegen überzeugt – in praktischer Hinsicht – die Umsetzung des Vorhabens: "Verflechtungen von Werkbau, Autorfigur und produktiver Intentionalität" können gar nicht allgemein beschrieben, sondern nur in Einzelstudien untersucht werden.

Szenen

1

Der Beitrag von Matthias Bauer "Neue Nachrichten von Cipión. Zur romanhaften Textur von Freuds Legendenbildung" beschäftigt sich in subtiler Weise mit der Art, wie Freud in seiner Rolle als "Diskursivitätsbegründer" (Foucault) auf Muster der Legendenbildung zurückgriff, so wie sie am Typus des Schelms im Schelmenroman studiert werden können. Wie der Schelm so nimmt auch Freud die Rolle dessen ein, der in eine Gesellschaft den "Diskurs einer Desillusionierung, einer Ent-Täuschung" (S. 28) einbringt. Will Freud / der Schelm diese Rolle verkörpern, dann muß er in der Lage sein, diese Rolle von einem Standpunkt aus zu verkörpern, der zunächst einmal Distanz zur Gesellschaft markiert. Er muß in der Lage sein, sich als eine "marginale Existenz" (ebd.) auszuweisen.

Freuds Klage in seinen 1914 entstandenen Anmerkungen Zur Geschichte der Psychoanalyse, daß alle "Kritik" sich auf sein "Haupt" entladen habe, weil die "Psychoanalyse" schließlich seine "Schöpfung" gewesen sei, liest sich vor diesem Hintergrund auch als strategische Maßnahme. Diese erlaubte es ihm nicht nur, die Originalität seiner "Schöpfung" hervorzuheben. Sie ermöglichte es ihm auch, die "(Vor-)Leistungen anderer Wissenschaftler und Schriftsteller" (S. 27) auf eine Weise zu verdecken, die ihm wiederum eine auch künftig gesicherte Position in der Rolle des Ent-Täuschers gewähren konnte. Bauer macht mit solchen Beobachtungen deutlich, daß Freud in einer Tradition der "Entlarvungskunst" steht. In seinen Jugendjahren hat Freud die Muster dieser Tradition tatsächlich auch eingeübt, indem er sich beispielsweise als >Cipión< – eine Schelmenfigur bei Cervantes – ausgab.

An einer Reihe von Beispielen weist Bauer nach, welche Muster aus Schelmenromanen bei Freud als "heuristische Fiktionen" (S. 45) reaktualisiert werden. Er plädiert dafür, sich die "fiktionalen Züge" in Freuds Schriften "vor Augen zu führen" (S. 50). Daß es dann auch leichter fällt, nicht in die (bereits von Nietzsche und dann von Josef Breuer in seinen Studien über Hysterie) analysierte "Denkgewohnheit" (zurück) zu verfallen, "hinter einem Substantiv" – zum Beispiel dem >Trieb< bei Freud – "eine Substanz anzunehmen" (S. 51), gehört mit zu den Kalkülen von Bauers Ausführungen. Schreiben, so könnte man schlußfolgern, heißt bei Freud also auch, und dies zeigt der Aufsatz, sich einschreiben in Muster, die literarisch präfiguriert sind. Muster, die im Bereich der Literatur bereits erprobt wurden und zur Wirkung gelangt sind.

2

Stefanie Germann geht in ihrem Aufsatz ">Für mich jedoch hat die Bleistifterei eine Bedeutung<. Zwei theoretische Lektüreversuche zu Robert Walsers Mikrogramm-Werkstatt" auf Robert Walsers Schreibverfahren ein, so wie es sich in den überlieferten Mikrogramm-Notaten abzeichnet. Nach einer kurzen Rekapitulation der Überlieferungsgeschichte der Mikrogramme erläutert Germann ihr Vorgehen. Drei "Aspekte" möchte sie in ihrer "Herangehensweise [...] ausbalancieren" (S. 60): die Analyse erstens des Textes, zweitens der Produktionsästhetik (des Schreibaktes) und drittens der Schriftbildlichkeit. Man mag diese Dreiteilung für künstlich, das ihr zugrundeliegende Programm im Rahmen eines Aufsatzes für überzogen halten. Der unschätzbare analytische Mehrwert dieser Dreiteilung liegt aber in der schlichten, implizit mitformulierten Feststellung, daß >Schreiben< aus verschiedenen Facetten besteht, die auch analytisch nicht über einen Leisten zu schlagen sind.

Vielmehr erfordern diese Facetten ein jeweils eigenes begriffliches Instrumentarium zur Analyse, – und dieses wiederum muß sich an den überlieferten Materialien auch philologisch als haltbar erweisen können. Germann wählt zunächst das inzwischen gern herangezogene Modell des >Rhizoms< und der >Karte< von Deleuze und Guattari, um die nicht-lineare Struktur der Mikrogramme zu verdeutlichen. Daß es sich, wie inzwischen bekannt ist, bei den Mikrogrammen nicht um eine >Schnellschrift<, sondern um eine langsame >Kontemplativschrift< handelt, führt, so wird nahegelegt, nach "dem graphologischen Gesetz" (S. 72), "wonach der Verdichtungsgrad einer Schrift bei wachsender Schreibgeschwindigkeit abnimmt" (Echte), zu einer Verdichtung sowohl in semantischer als auch in visueller Hinsicht.

Von den vielen Überlegungen, die Germann mit stilistisch und methodisch leicht schwankendem Gespür, aber immer engagiert und den offenen Fragen Raum gebend anstellt, sei hier vor allem folgende Beobachtung hervorgehoben: Bei Walser ist es offensichtlich "die Größe des Papiers", die den Schreibakt "determiniert und anscheinend als einzige determinieren kann" (S. 69). Die Papiergröße ist zugleich jene Größe, die das "Sprachgestrüpp" (S. 61) in seinem rhizomatischen Wuchern limitiert – und mit dieser (definierenden) Limite einen Anhaltspunkt zur materialen Bestimmung seiner Ästhetik geben könnte.

3

Oliver Ley geht in seinem Beitrag "Franz Kafka. Schreibprozess, unveränderliche Schrift und Deutungsmaschine" nach einer (womöglich bewußt) grell geratenen Skizze "der Literatur der klassischen Moderne" (in einem Absatz!) zu Kafka über, von dem er dann umso leichter sagen kann, er stünde "außerhalb dieses Zeitgeistes" (S. 89). Gewiß, Kafka gehört zu jenen Schreibern, die der Bedeutung des Schreibens im 20. Jahrhundert zu einer Dramatik verhalf, die zuvor ungedacht, ungelebt, ungeschrieben blieb. Kafka hat dem Prozeß des Schreibens in vielerlei Hinsicht den Prozeß gemacht und ist auf diese Weise, verkürzt gesagt, ins Milieu nackter Bedingungen (ein Milieu vor dem Gesetz, vor dem Satz) nicht nur seines Schreibens, sondern des möglichen Schreibens auch einer von ihm signierten Zeit geraten.

Was aber schreibt Ley dazu? Das "Phänomen >Kafka<" (S. 89), so heißt es bei ihm, werde "nur verständlich vor dem Komplex des Schreibens selbst" (S. 90). So weit so gut, – doch was ist der "Komplex des Schreibens selbst"? Ley entwirft zur Beantwortung dieser (von ihm so nicht gestellten) Frage ein Gesetz. Es ist das Gesetz seines Aufsatzes: "Es gilt [!]", so schreibt er, "die spezifische Ausprägung des Kafkaschen Schreibbegriffs zu beleuchten" (S. 90). Diesem Gesetz ist aber eine Mutmaßung vorausgesetzt: Ley suggeriert, der angebliche >Begriff< des Schreibens liege bei Kafka bereits vor und müsse nur noch >beleuchtet< und also nicht erst (zum Beispiel durch philologische Studien an den Manuskripten oder Faksimiles) erarbeitet werden. Es ist wohl diesem Umstand geschuldet, daß Ley der umfangreichen Forschungsliteratur zum Schreiben Kafkas kaum etwas Neues an die Seite zu stellen hat. Hinzu kommt, daß auch eine profilierte Stellungnahme zu denjenigen Ansätzen fehlt, auf die er tatsächlich Bezug nimmt.

Auf eine dann doch noch (zumindest in der Rekombination bestehender Elemente) erfinderische (und durchaus auch auf die "Deutungsmaschine" des Aufsatzes selbst zu beziehende) Weise jedoch scheint folgender Satz die "spezifische Ausprägung des Kafkaschen Schreibbegriffs" zu verdeutlichen: "Wenn die Texte ihren eigenen Schreibfluss reflektieren und ihre eigene Interpretation als Deutungsmaschine beinhalten, wäre eine unveränderliche Schrift entstanden, in der die traditionellen Dichotomien wie Form / Inhalt, Innen- / Außenwelt, Zeichen / Bedeutung aufgehoben wären" (S. 90). Das ist, auch wenn's nicht (und vielleicht gerade weil's nicht) ohne weiteres einleuchtet, Stoff zum Nach- und Weiterdenken. – Allerdings wäre dann auch zu fragen, wie die bei Kafka angelegte Spannung zwischen einer "unveränderlichen Schrift" als Vorschrift und der auffällig veränderlichen Schrift als Handschrift, so wie sie gerade in den Manuskripten sprechend wird, in den Blick kommen könnte.

4

Andreas Rang stellt in seinem Beitrag ">Das, was lebt, ist etwas anderes als das, was denkt.< Gottfried Benns Briefe an F.W. Oelze – Schreiben als primäre Gebärde" Gottfried Benns zwischen den Jahren 1932–1956 geschriebene Briefe an den aristokratisch gesinnten Bremer Großhandelskaufmann Friedrich Wilhelm Oelze vor. Alles beginnt mit einer Reaktion Oelzes auf den 1932 erschienenen Essay Benns: Goethe und die Naturwissenschaften. In der Folge entsteht ein intensiver Briefwechsel. Die Briefe Benns (nicht jedoch jene von Oelze) wurden in den Jahren 1979 bis 1982 auch ediert. Rang stellt fest: "Die Briefe sind [...] weit mehr als privater Austausch: Sie beinhalten die gesamte Anlage der Lyrik und Prosa des bedeutenden Autors, in den Kriegsjahren stellen sie zudem die einzig mögliche schriftliche Äußerung des von den Nationalsozialisten mit einem Schreibverbot Belegten dar" (S. 107). In den Briefen würden "viele Ideen und Motive entwickelt, die sich später in den Prosaarbeiten oder in den kulturkritischen Essays der vierziger Jahre wiederfinden, außerdem Kommentare zur eigenen Arbeit, die ja in den Kriegsjahren in den weitesten Teilen nicht zur Veröffentlichung gelangen konnte" (S. 110).

Vor diesem Hintergrund geht Rang einigen dieser "Ideen und Motive" nach, die sich im Briefwechsel bereits abgezeichnet haben. Dazu kommen zwei Exkurse zu Thomas Mann und Barnett Newman. Der Aufsatz verfährt auf den ersten Blick materialorientiert und referierend. Tatsächlich aber ist er einer Perspektive verpflichtet, in der die "Proklamation einer >absoluten<, von Wirkungsgeschichte und Rezeption zunächst unbeeinflussten Kunst" (S. 108) nicht nur ohne eine erkennbar aufgeschlossene und spürbar kritische Befragung dargelegt wird, sie scheint auch ebenso unbemerkt in die entsprechenden Aufmerksamkeiten des Aufsatzes eingegangen zu sein: "Es sollte versucht werden, den Stellenwert des Briefwechsels als Medium des existentiellen Dichtertums einerseits, und als Dokument einer gegen äußere Repressalien durchgesetzte Geisteshaltung andererseits, darzustellen" (S. 125).

5

Christian Peters geht in seinem engagierten Aufsatz "Thomas Bernhard: >Es stimmt, weil alles stimmt.<" dem Sprachspielcharakter ausgewählter Texte / Handlungen Bernhards nach. "Bernhard als Sprachspieler im umfassenden Sinne Wittgensteins zu verstehen, scheint die einzige Möglichkeit, einen Schriftkörper zu erfassen, der einerseits in Distanz zu seiner Ursache steht, weil er letztendlich eine defensive und offensive Erweiterung basaler kommunikativer Handlungen darstellt. Der andererseits aber aus genau dem gleichen Grund den existenziellen Impuls des Handelnden, wenn auch in einem permanent karnevalisierten Rotieren, zur Schau stellen muss. Nur so entgeht man der Versuchung einer psychologisierenden Interpretation, die durch die Verfasstheit dieses speziellen Sprachspiels geradezu herausgefordert wird" (S. 144). Die "Schriften des Österreichers" seien "vor allem als extensive kommunikative Handlungen zu begreifen, die eine Beschreibung mit literaturwissenschaftlichen Begriffen ins Leere laufen lassen, aber eine gewisse Affinität zur analytischen Terminologie der Sprechakttheorie in der Tradition von Austin oder Searle zeigen" (S. 132).

Peters scheint nicht zur Kenntnis zu nehmen, daß es auch in der Literaturwissenschaft eine Auseinandersetzung mit dieser "Tradition" – eine Auseinandersetzung zudem mit kritischen Bezugnahmen auf diese "Tradition" (namentlich von Derrida und Butler) – gegeben hat (und gibt), auf die er sich auch hätte beziehen können. Indem er dies nicht tut, sichert er sich allerdings auch einen Vorteil. Sein Aufsatz (und vielleicht ist das sein Sprachspiel) besticht gerade durch die Beharrlichkeit im methodischen Ansatz. Peters läßt von seinen sprechakttheoretisch grundierten Prämissen nicht ab, und eben dadurch gelingt es ihm, die Möglichkeiten seines Verfahrens im Blick auf die Texte / Handlungen Bernhards umso präziser erkennbar werden zu lassen. Wollte man den Bezug zur Thematik des Sammelbandes stark machen, so wäre zu sagen, daß Bernhard durchs Schreiben dazu kommen konnte, noch "über das Grab hinaus Handelnder zu bleiben" (S. 150).

6

Christoph Ernst möchte sich in seinem Beitrag ">Experimentelle Metaphern<: Günther Anders' Medienreflexionen" der "Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Gegenstand, über den nachgedacht wird, und der Art und Weise, wie dies" – bei Anders – "geschieht" (S. 155), nähern. Er tut dies mit erkennbarer Sympathie für Anders' Denken und kommt, ganz in diesem Sinne, zum Schluß: "More metaphorico zu philosophieren" sei "schon allein deshalb notwendig, weil nur in einer Rückbesinnung auf die Metaphorizität der Sprache der getarnte Sinn der vermeintlich-nicht-identischen Sendungen überhaupt angemessen erfasst werden" (S. 166) könne. Das "Thema >Medien<" wirke, dies ist die einleitend artikulierte These, "auf das Schreiben >über die Medien<" (S. 156) ein.

Über diese Rückkopplung versucht Ernst sich und den Lesern seines Aufsatzes die "nach 1945" bemerkbar werdende "Tendenz zu einer (aus Sicht des Wissenschaftssystems) >extravaganten< Darstellungsweise" – Stichwort "Essayismus" – gerade im "Nachdenken über die Medien" zu erklären. Wie aber diese Wirkung vom "Thema >Medien< [...] auf das Schreiben >über die Medien<" genau zu denken wäre, dies kann Ernst höchstens in Paraphrasen von Motiven Anders' und allein wiederum in Bezug auf Anders zeigen. In diesen Sog geraten auch die Überlegungen zur "Linearität von Sprache und Schreiben" (S. 164), sowie jene zum "Sinnbegriff" (S. 166).

Wo Ernst bei Anders bleibt, werden die Stärken des gewählten Zugangs deutlich, nicht so sehr jedoch dort, wo die erzielten Einsichten, wie eingangs angekündigt, zugunsten einer "Gesamtperspektive" (S. 156) "[e]xemplarisch" oder gar "[p]aradigmatisch" (S. 155) sein sollen.

7

Petra Gropps Aufsatz "Rolf Dieter Brinkmann.>... und tarnen das Ganze als Kunst!< Intermedialität als Strategie der Schrift im Prozess kultureller Rekonfigurationen" legt (neben demjenigen von Stefanie Germann) die Aufmerksamkeit dezidiert auf die materialen (und medialen) Umstände des entsprechenden Schreibens. Indem Gropp diese Umstände nicht nur thematisch begreift, gelingt es ihr, eine Seite des Schreibens hervorzuheben, die in der Perspektive einer "Sinngeschichte" leicht übersprungen wird. Wohl auch deshalb münden Gropps Überlegungen im Fazit einer "Überführung der Sinngeschichte in Medientechnologie und Medienästhetik" (S. 190).

Dies ist plausibel, auch wenn aus einer gegenwärtigen Perspektive diese "Überführung" auch zurück auf die Geschichte unterschiedlicher Schreibpraktiken bezogen werden könnte und dann die Geschichtlichkeit des Schreibens in medientechnologischer und medienästhetischer Hinsicht in den Blick käme. Dies freilich ist nicht Gropps Programm, – und es muß auch nicht ihr Programm sein, weil sie sich auf Brinkmanns Strategien im Kontext seiner Zeit konzentriert und daraus genügend Anhaltspunkte für ihre Argumentation gewinnt.

Ausgehend von ihrer Analyse und Kontextualisierung von Brinkmanns Bestreben, die "wechselseitige Durchdringung von Bewußtsein und passiver Aufnahme, von Gegenwart und Erinnerung" in "einem großen Wortgeflecht" (S. 176) deutlich zu machen, kommt sie zum Schluß, daß die "Programmatik des direkten Festhaltens von Wahrnehmungseindrücken und sinnlichen Erfahrungsdimensionen [...] zu ihrer Umsetzung vielfältige intermedial ausgerichtete Schreibtechniken" (S. 181) erfordere. "Pop ist" vor diesem Hintergrund "die Praxis der subversiven Aneignung und Transformation der in den Massenmedien zirkulierenden Zeichen und Bilder" (ebd.).

Daß aus dem Festhalten an "sinnlichen Erfahrungsdimensionen" auch theoretisch relevante Positionen formuliert werden können, hat Brinkmann auf seine Weise bereits vorformuliert, so etwa in Work in Progress vom Mai 1973: "Semiologie in den Arsch [...] ich kriegtäs nicht abstrakkt hin, Semantik!" (S. 189)

8

Christian Schärf schließt mit seinem Beitrag "Autobiographie als Graphogenese des Selbst. Friedrich Nietzsches Ecce homo und Jean-Paul Sartres Die Wörter" den von ihm herausgegebenen Sammelband ab. An den beiden im Titel genannten Büchern von Nietzsche und Sartre "offenbart sich" ihm die "Verdichtung des Schreibens als eine zugleich individuell-personale und epochale Geschichte von Sinn" (S. 195). Noch einmal also zielt Schärf aufs ganz Große. Über Nietzsche erfahren wir nun: "In einem Antiquariat findet er Schopenhauers Hauptwerk Welt als Wille und Vorstellung, liest es rauschhaft, in einem Zug durch und weiß danach, was er zu tun hat. [...] Sein eigenes Schreiben steht von diesem Zeitpunkt an gegen die gesamte Schriftkultur der europäischen Philosophie. Diese muss gar nicht bis in die Einzelheiten studiert werden, weil sie in ihrer Gesamtheit den Bereich der Negation darstellt, vor deren Hintergrund sich Nietzsche abzusetzen gedenkt" (S. 197).

Ein wenig philologische Arbeit hätte hier (und es ist nur ein Beispiel) genügt, um zu zeigen, daß die Behauptungen aus der Luft gegriffen sind. Selbst wenn Schärf sich die Mühe genommen hätte, eine Stelle bei Nietzsche zu finden und zu zitieren, die seiner These von der Gesamtnegation der "Schriftkultur der europäischen Philosophie" Plausibilität hätte verleihen können, so wären immer noch die tatsächlich dokumentierten Spuren, Exzerpte und Notizen auszuwerten gewesen, die aus Nietzsches Lektüren hervorgegangen sind und die belegen, daß Nietzsche sich sehr differenziert und keineswegs so pauschal, wie Schärf suggeriert, mit der "Schriftkultur der europäischen Philosophie" auseinandergesetzt hat.

Schärf aber interessiert sich – ganz im Sinne einer für ihn offenbar feststehenden "Geistesgeschichte" (S. 203) – nicht für solche Aspekte des Schreibens, die auch philologisch überprüft werden können. Zu lesen sind dafür Sätze wie: "Von Jesus zu Nietzsche verläuft die christlich-abendländische Bahn einer Umwertung der Schriftfunktion im Horizont der konkreten Existenz." Bei Nietzsche entfalle dann die "Spaltung zwischen dem Heiligen und der Autorschaft", ja mehr noch: "Die essentielle Funktion des Heiligen ist bei Nietzsche Autorschaft" (S. 196).

Die Hauptthese im Blick auf Nietzsche dürfte folgendem Satz zu entnehmen sein: "Das Zusammenfließen der Schrift mit dem produzierenden Ich im Medium der kosmischen Einsamkeit erlaubt eine unvergleichliche Stilisierung dieses Ichs im Vollzug einer Transsubstantiierung vom biosozialen zum autographen Körper" (S. 198). Was laut Schärf daraus folgt, wäre dann das "Faszinosum des Selbstopfers in der Schrift, das einen Höhepunkt der Sinngeschichte des Schreibens bildet und das Nietzsche in Ecce homo als Graphogenese des eigenen Selbst nachzeichnet" (S. 205). – Alles klar?

Weiter geht's mit einem viel kürzeren Teil zu Sartres Die Wörter. Diesen Text versucht Schärf als "Gegenkonzept" zu Nietzsches Ecce homo zu verstehen. Das "Nietzschesche Pathos" werde nun "durch existentialanalytische Ironie ersetzt" (S. 206). Schreiben werde zur "Durcharbeitung der Existenz – der autobiographisch-subjektiven und der zeitgenössisch-objektiven" (S. 209).

Und was meint Sartre dazu? "Schreiben ist meine Gewohnheit, und außerdem ist es mein Beruf. Lange hielt ich die Feder für ein Schwert: nunmehr kenne ich unsere Ohnmacht. Trotzdem schreibe ich Bücher und werde Bücher schreiben; das ist nötig; das ist trotz allem nützlich" (S. 210).

Ende der Vorstellung

Die Beiträge des Sammelbandes sind von ganz und gar unterschiedlichem Profil. Sie alle mit dem Etikett der "Sinngeschichte" zu versehen, drängt sich nicht auf. Die unterschiedliche Profilierung ist aber kein Manko, denn eben dadurch kann es einzelnen Beiträgen wie jenen von Bauer, Germann, Peters oder Gropp auch gelingen, über die in der Einleitung skizzierten Vorgaben hinaus Perspektiven auf eine Vielfalt von Schreibstrategien, -praktiken und -konzepte zu eröffnen.

Insgesamt fällt auf, daß Beiträge mit philologischem Gespür und entsprechender Aufmerksamkeit für Materialien, Instrumente und Gesten des Schreibens kaum in den Band eingegangen sind. Auch fällt auf, daß bestimmte Bereiche der Literatur ganz unter den Tisch fallen. So etwa das literarische Schreiben >nach< Auschwitz. Dramen und Lyrik finden kaum Erwähnung. Literatur von Frauen gar nicht. Abgesehen von einem etwas besseren Lektorat wäre es vor allem wünschenswert gewesen, die Anmerkungen jeweils als Fußnoten am unteren Ende der Seite und nicht erst zum Schluß der Beiträge anzubringen.


lic. phil. Sandro Zanetti
Universität Basel
Deutsches Seminar
SNF-Projekt "Schreibszenen"
Bernoullistr. 28
CH - 4056 Basel

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Ins Netz gestellt am 07.07.2003
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Martin Stingelin. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Karoline Hornik.


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Anmerkungen

1 Jan Assmann: Ägypten. Eine Sinngeschichte. Carl Hanser: München 1996.   zurück

2 Rüdiger Campe: Die Schreibszene, Schreiben. In: Hans Ulrich Gumbrecht / K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie. Frankfurt / Main: Suhrkamp Verlag 1991. 759–772.   zurück

3 Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800 / 1900. München: Wilhelm Fink Verlag 1985.   zurück

4 Es geschieht also in Schärfs Text genau jene von ihm beargwöhnte "Dissemination" (S. 19), die Derrida (vgl. Jacques Derrida: La dissémination. Paris: Éditions du Seuil 1972) in anderen Zusammenhängen sehr redlich durchdacht und expliziert hat, Schärf hingegen just gegenüber Derrida als "unscharfe Abstraktionszone" (S. 19) glaubt bemängeln und von sich weisen zu können. Vgl. zu Derrida auch die nächste Fußnote.   zurück

5 Es sei hier nur erwähnt, daß es doch einigermaßen dreist anmutet, Barthes gegen Derrida ins Feld zu führen, wenn die dokumentierten Kenntnisse über die Schriften und Motive beider sich im wesentlichen den entsprechenden Monographien von Ottmar Ette und Peter V. Zima zu verdanken scheinen. Anstelle großzügiger Mutmaßungen wäre eine pointierte Auseinandersetzung mit den (französischen) Texten gewiß aufschlußreicher gewesen. Dann wäre vielleicht auch deutlich geworden, daß der von Schärf gegenüber Derrida erhobene Vorwurf, der "Perfektionismus [!] der Theorie" habe "den Blick fürs Konkrete stark getrübt" (S. 16), wohl erst einmal von einem trüben Blick auf die angebliche Theorie zeugt, der nicht wahrnehmen möchte, daß auch die von ihm suggerierte Nähe zum Konkreten besser befragt als vorausgesetzt werden sollte. – Als Beleg nur dafür, daß sich Derrida vor allem in jüngerer Zeit auch, wenn auch in anderer Weise als Barthes, mit der skripturalen Seite des Schreibens beschäftigt hat: Jacques Derrida: "Archive et brouillon", table ronde du 17 juin 1995, in: Michel Contat und Daniel Ferrer (Hg.): Pourquoi la critique génétique. Méthodes, théories. Paris: CNRS Éditions 1998, S. 189–209; ders.: Le ruban de machine à écrire. Limited Ink II. In: ders.: Papier Machine. Le ruban de machine à écrire et autres réponses. Paris: Éditions Galilée 2001, S. 33–147 und Simon Hantaï (avec Jacques Derrida et Jena-Luc Nancy): La connaissance des textes. Lecture d'un manuscrit illisible (Correspondances). Paris: Éditions Galilée 2001. Was Roland Barthes angeht, so wären neben den von Schärf erwähnten Titeln vor allem die beiden folgenden Texte zu nennen: Roland Barthes: Écrire, verbe intransitif? (1970). In: ders.: Le bruissement de la langue. Essais critiques IV. Paris: Éditions du Seuil 1984, S. 21–31 und ders.: Variations sur l'écriture (1973, texte non publié). In: ders.: Œuvres complètes. Tome II: 1966–1973, édition établie et présentée par Éric Marty. Paris: Éditions du Seuil 1994, S. 1535–1574. Barthes' Aufsatz "Écrire, verbe intransitif?" verdient hier vor allem deshalb Beachtung, weil Barthes darin Schärfs These von der zunehmenden Autonomisierung des Schreibprozesses in der Moderne bereits vor über dreißig Jahren formuliert hat.   zurück